Doppelbelastung: Wie vereinbar sind Profisport und Studium?

Autor*innen
Anna Faber
Ein Mann in sportlicher Kleidung sprintet. Er trägt einen überdimensionierten Textmarker auf der Schulter.

Sie wollen zu den Besten der Welt gehören, sich gleichzeitig aber noch ein zweites Standbein aufbauen: Viele Topathleten in Deutschland studieren. Wie die Doppelbelastung funktioniert.

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Tim Eikermann ist der zweitschnellste Hürdensprinter Deutschlands. In diesem Jahr gewann der 23-Jährige bei der Deutschen Leichtathletik-Meisterschaft in Kassel Silber und etablierte sich so an der nationalen Spitze. Etwa 18 Stunden trainiert er dafür pro Woche am Stützpunkt des TSV Bayer 04 Leverkusen. Dabei muss Eikermann nicht nur Hürden im Sport überwinden – der Athlet absolviert auch noch ein Studium an der deutschen Sporthochschule und der Universität zu Köln: Sport und Geschichte auf Lehramt. Eine Doppelbelastung, die im Spitzensport nicht ungewöhnlich ist.

In Deutschland studieren 70 Prozent der Spitzensportler mit Schulabschluss. Das ergab eine gemeinsame Befragung der Deutschen Sporthilfe und der Sporthochschule Köln aus dem Jahr 2018. Doch es ist nicht leicht, Hochleistungssport mit einem Studium zu vereinbaren. Die richtige Unterstützung ist entscheidend. Den Hochschulen kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

Obwohl Leistungssport eigentlich ein Vollzeitjob ist, entscheiden sich viele junge Athleten dafür, parallel dazu eine akademische Laufbahn anzufangen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens ist die Karriere im Leistungssport zeitlich begrenzt. Ein Beispiel: Die ehemalige 100-Meter-Läuferin Verena Sailer sprintete 2010 zum EM-Titel, gewann mit der Staffel WM-Bronze und nahm zweimal an den Olympischen Spielen teil. Im Jahr 2015 beendete sie dann im Alter von nur 29 Jahren ihre Karriere. "Die Zeit im Leistungssport ist einfach limitiert", erklärt die Leichtathletin. "Irgendwann muss man aufhören." Denn mit dem Alter nimmt die Leistungsfähigkeit von Sportlern ab – das unterscheidet sie beispielsweise von Musikern, die quasi ihr Leben lang spielen können. Sailer hat neben ihrer sportlichen Karriere ein Studium in Sportmanagement und Wirtschaftspsychologie abgeschlossen und ist mittlerweile Marketing-Managerin beim Sportartikelhersteller Nike. Ein Vorzeigebeispiel dafür, wie eine duale Karriere im Spitzensport aussehen kann.

Überschaubare Einkommen

Ein weiterer Grund, warum viele Leistungssportler in Deutschland parallel studieren, ist die überschaubare finanzielle Situation. Gerade Athleten, die in den Medien nicht so präsent sind wie Fußballer oder Tennisspieler, verdienen wenig Geld. Im Jahr 2018 lag der durchschnittliche Stundenlohn der durch die Sporthilfe geförderten Spitzensportler bei 7,41 Euro – und das, obwohl darunter zahlreiche Weltmeister und Olympiasieger waren. Für Spitzensportler ist also ein zweites Standbein durchaus hilfreich.

Damit die duale Karriere im Spitzensport gelingt, sind Sportlerinnen und Sportler meist auf die Unterstützung der Hochschulen angewiesen. Im Jahr 1999 gründete deswegen der Allgemeine Deutsche Hochschulsportverband gemeinsam mit dem DOSB, dem Deutschen Studentenwerk, der Deutschen Sporthilfe, der Hochschulrektorenkonferenz und dem Leichtathletikverband die Initiative "Partnerhochschule des Spitzensports". Es ist ein Programm, das Spitzensportlern den Zugang zur Hochschule und das anschließende Studium erleichtern soll. 115 Hochschulen nehmen daran teil. Gängige Unterstützungsmöglichkeiten sind zum Beispiel: ein erleichterter Aufnahmeprozess, eine individuelle Abstimmung von Kursen mit der Saisonplanung und alternative Prüfungstermine. Trotzdem sollen die studierenden Spitzensportler gleich behandelt werden wie die übrigen Studierenden. Das heißt, sie müssen die Kurse wie alle anderen auch bewältigen und bei Fehlzeiten Ersatzleistungen erbringen.

Das funktioniert ganz gut, sagt Dominik Meffert, der Spitzensportbeauftragte der Deutschen Sporthochschule Köln. "Solange die Sportler frühzeitig mit den Dozenten kommunizieren, gibt es dabei keine Probleme." Bei der Zusammenarbeit mit studierenden Athleten will Meffert eine Vorreiterrolle einnehmen: "Mir wäre es unangenehm, wenn es insbesondere hier an der Sporthochschule in der dualen Karriere Behinderungen gäbe, weil Dozenten den Spitzensportlern nicht entgegenkommen", sagt er. An den verschiedenen Hochschulen funktioniere das Förderkonzept nicht immer gleich gut. "Teilweise fehlt dort der Bezug zum Leistungssport, deshalb ist das Verständnis für die Doppelbelastung bei den Lehrpersonen nicht immer gegeben", erklärt Meffert.

Viel Zeit und Energie nötig

Eikermann und Sailer haben erfolgreich neben dem Sport studiert. Damit das gelingt, müssen Athleten allerdings auch viel Zeit und Energie aufbringen. Denn Training und Studium müssen gut strukturiert und aufeinander abgestimmt sein. Fehlzeiten durch Wettkämpfe und Trainingslager verstärken die Doppelbelastung der Spitzensportler. So war das auch bei Eikermann: Zu Beginn des Sommersemesters in diesem Jahr fehlte er wegen eines Trainingslagers in Florida fünf Wochen am Stück. "Ich fand es dadurch unheimlich schwer, in das Semester reinzukommen", erzählt er. "Weil ich direkt so viel gefehlt habe, war die Struktur weg." Umso wichtiger war es für ihn, dass die Dozierenden Verständnis zeigten und die Abwesenheit tolerierten.

Wie der Hürdenläufer verbindet auch Verena Sailer die Doppelbelastung vor allem mit einer weiten Vorausplanung und guter Struktur im Trainingsalltag. Die Athletin absolvierte während ihrer aktiven Sportkarriere ein virtuelles Studium an der Hochschule für angewandtes Management in Erding – heute in Ismaning. "Das ging ganz gut, weil viele Termine im Jahr langfristig planbar waren, also die Prüfungstermine im Semester und die sportliche Jahresplanung", erinnert sich die ehemalige Sprinterin. "Die Flexibilität in der Semesterplanung war entscheidend dafür, dass das für mich so gut funktioniert hat." Für sie war eigenständiges Arbeiten eine der wichtigsten Voraussetzungen, um das Studium nebenbei zu schaffen.

"Es hat mir aber auch nichts ausgemacht, mich zu Hause alleine hinzusetzen und den Stoff durchzuarbeiten", erzählt sie. Trotzdem sollte die Planung für das spätere Berufsleben nicht von den sportlichen Zielen ablenken, sagt Sailer. Denn im Spitzensport sei jede Kleinigkeit entscheidend. "Ich finde es wichtig, dass man sich trotzdem komplett auf den Sport konzentrieren kann und nicht zu sehr mit den Gedanken woanders sein muss."

Eine wichtige Rolle nehmen auch die Olympiastützpunkte ein. Sie sind wichtige Vermittler zwischen den Hochschulen, Sportverbänden und Athleten. An den Trainingsstandorten bauen sie Netzwerke für Spitzensportler auf, Laufbahnberater helfen bei der Kommunikation mit den akademischen Fachbereichen. Daniel Müller, Leiter des Olympiastützpunktes Rheinland, sieht die Stützpunkte stark in der Verantwortung, die Spitzensportler zu unterstützen. "Wir müssen dafür sorgen, dass wir die Sportlerinnen und Sportler, denen wir bei Wettkämpfen zujubeln, im Studium möglichst gut fördern, damit für sie eine Karriere nach der Karriere möglich ist."

Gute Förderung in den USA

In anderen Ländern werden Spitzensportler ganz anders gefördert. Zum Beispiel in den USA: Hier trainieren Athleten in Elite-Trainingsgruppen unter optimalen klimatischen Verhältnissen.

Viele amerikanische Hochschulen versuchen, deutsche Nachwuchssportler für sich zu gewinnen. Vermittlungsagenturen werben mit Stipendien für die verschiedensten Sportarten. Und das oft mit Erfolg: Gina Lückenkemper, Europameisterin im 100-Meter-Sprint, zog 2019 nach Florida. Konstanze Klosterhalfen, Europameisterin im 5.000-Meter-Lauf, trainiert seit knapp vier Jahren in Oregon.

Auch Verena Sailer bekam während ihrer aktiven Sportkarriere mehrfach Anfragen aus dem Ausland. Sie entschied sich jedoch, bei ihrem "Erfolgstrainer" Valerij Bauer in Mannheim zu bleiben. Nachwuchstalent Eikermann ist ebenfalls von seinem deutschen Trainingsort überzeugt und will in Leverkusen bleiben. Außerdem studiert er aktuell ja noch in Köln. "Mir ist sehr bewusst, dass ich irgendwann meine sportliche Karriere beenden werde, und ich möchte in der Lage sein, selbst zu bestimmen, wann ich aufhöre", sagt er. Deshalb lautet sein Ziel: Alles soll für die Karriere nach der Karriere bereit sein.

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