Erholung: So wird der Urlaub länger erholsam

Autor*innen
Jan Schwenkenbecher
Frau meditiert vor Bergen

Strand oder Wandern, City oder Natur – nicht jeder Urlaub entspannt und macht gute Laune. Diese acht psychologischen Aspekte entscheiden, ob die Auszeit Kraft gibt.

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Urlaub, endlich Urlaub. Beine baumeln lassen, Akku aufladen, Kraft schöpfen. Doch nicht immer gelingt das. Der Urlaub wird nur … najaasolala, zur Enttäuschung, vielleicht sogar zu einer Tortur. Und allzu oft ist die Entspannung binnen weniger Tage oder spätestens Wochen verpufft.

Doch das muss nicht so sein. Psychologen erforschen seit Jahrzehnten, worauf es ankommt, damit ein Urlaub das Wohlbefinden erhöht – womit sie meinen, dass er zufrieden und glücklich macht, aber auch Selbstverwirklichung oder gar Sinn stiftet. Lange Zeit griffen Fachleute dazu auf das sogenannte Dramma-Modell zurück, das den Erfolg oder Nichterfolg auf sechs psychologische Mechanismen zurückführte. Drei Psychologinnen um Jessica de Bloom von der Universität Groningen, eine der führenden Urlaubspsychologinnen, haben den Forschungsstand zu Urlaub und Erholung jüngst noch mal gesichtet und das Modell erweitert. Demnach sind es acht verschiedene psychologische Bedürfnisse, die Ausschlag geben, ob ein Urlaub Wohlbefinden schafft. Hier sind sie – samt Tipps zu ihrer Befriedigung.

1. Bedürfnis: Verbundenheit

Soziale Beziehungen tun Menschen gut. Das gilt auch für den Urlaub – vielleicht sogar besonders. Schließlich sind Reisen eine tolle Gelegenheit, bestehende Beziehungen zu festigen und zu vertiefen oder gar ganz neue aufzubauen. Wer mit diesem Ziel aufbricht, ist nach dem Urlaub nachweislich positiver gestimmt.

Ein recht simpler Weg, das zu schaffen: Fotos knipsen. Fotos von Freunden, Fotos mit der Familie, Fotos, um später gemeinsam in Erinnerungen an den Moment und die Reise zu schwelgen. Je mehr Fotos, desto stärker die Beziehung und höher das Wohlbefinden.

2. Bedürfnis: Meisterung

Schonmal beobachtet, wie stolz ein Kind ist, wenn endlich klappt, was es schon den halben Nachmittag probiert? Uns Erwachsenen geht das nicht anders. Die Erfahrung von Mastery, wie Psychologen es nennen, wenn wir eine Herausforderung erfolgreich bewältigen oder etwas Neues lernen, macht uns ebenfalls ziemlich zufrieden.

Wobei die Herausforderung verschieden sein kann. Zunächst mal körperlich: Wer im Aktivurlaub Berge besteigt oder einen Tenniskurs macht, der trainiert sowohl Fitness als auch Abseil- oder Aufschlag-Technik. Neben Bewegung kann Kultur, etwa ein Konzertbesuch, ein Opernabend oder ein Museumstag, unser Bedürfnis befriedigen, uns weiterzubilden, was sich wiederum im Wohlbefinden niederschlägt. Und auch alles Kreative zahlt hier ein. Malen, Musizieren oder Handwerken sind nicht nur feinmotorische Herausforderungen, sie kosten uns parallel auch einiges an kognitiver Kraft – was grundsätzlich dabei hilft, vom stressigen Alltag abzuschalten – und in fast jedem Fall lernen wir dazu. Im Idealfall gerät man in eine Flow-Erfahrung, also das Gefühl, vollständig in einer Tätigkeit aufzugehen. Das passiert meist dann, wenn etwas gerade so schwierig ist, dass es zu den eigenen Fähigkeiten passt. Nicht zu schwer, nicht zu leicht. Die Aufgabe absorbiert einen nahezu, nachher ist man glücklicher.

3. Bedürfnis: Neuigkeit

Wer den Urlaub nur auf der Liege verbringt, der verpasst womöglich: Neues. Und damit die Chance, sich nachher zufriedener zu fühlen – denn genau das passiert mit Menschen, die im Urlaub auf Entdeckungstour gehen. Neues kann sein: Etwas, das wir sehen, riechen, schmecken, hören oder fühlen, etwas, das wir ausprobieren oder erleben: das Zischen eines vietnamesischen Hotpots, der Tierpark im Nachbarlandkreis, wo man schon immer mal hin wollte, ein Fallschirmsprung.

Noch dazu helfen uns ein fremdes Essen, eine ungewohnte Landschaft oder eine andere Sprache dabei, dass uns der Urlaub besonders gut im Gedächtnis bleibt. Denn: Meist wecken neue Erlebnisse Emotionen und sind bei einem Ereignis Gefühle im Spiel, speichern wir es stärker ab.

4. Bedürfnis: Autonomie

Was vermutlich jeder Mensch als erholsam empfindet: keine Verpflichtungen zu haben. Etwas freiwillig zu tun, weil man Lust dazu hat. Der Mensch strebt nach Autonomie, die gemäß der Selbstbestimmungstheorie neben sozialer Eingebundenheit und Kompetenz eines der drei menschlichen Grundbedürfnisse darstellt. Der Urlaub bietet die perfekte Möglichkeit, diesem Bedürfnis nachzukommen.

Selbst das Steuer in die Hand zu nehmen, beschränkt sich also nicht nur auf die Anreise. Strand oder Stadtbummel, Pool-Tag oder Fahrradausflug, schickes Restaurant oder Streetfood, Schweden oder Italien, Zelten auf dem Balkon oder jeden Tag ins Freibad – wer solche Entscheidungen selbstständig treffen kann, fühlt sich zunehmend autonom. Ein Urlaub ist da gefährlich, wird er doch allzu schnell zur Dauer-Kompromiss-Suche, zusammengeknetet aus den Wünschen von Eltern, Kindern, Großeltern oder ganzen Freundeskreis-Reisegruppen. Tatsächlich ist es dann psychologisch ratsam, sich auch mal aufzuteilen.

5. Bedürfnis: Eskapismus

Weckerklingeln, Frühstück, Arbeit, Einkaufen, Wäsche waschen, Spinning, Gesichtsmaske, Licht aus: Die Routinen des Alltags vereinfachen das Leben immens, sie nehmen Stress raus und verhindern erfolgreich das Chaos. Doch ab und zu kann es erfrischend sein, vor den gewohnten Lebenspfaden zu fliehen. Eskapismus vom Alltag meint sowohl die wohltuende Distanz zur Arbeit als auch, alltägliche Verpflichtungen wie Hausarbeit, die Pflege von Angehörigen oder das Kümmern um Kinder ausblenden zu können. Dieses Abschalten nicht geschafft zu haben, geben tatsächlich die meisten Deutschen als Grund an, wenn sie sich im Sommerurlaub nicht gut erholen konnten. Was helfen kann: Handy aus, nicht in die Mails schauen, Fantasy lesen, meditieren lernen.

6. Bedürfnis: Emotionen

Dieser Ausblick vom Gipfel: überwältigend. Löwen, hautnah: beängstigend. Endlich den Garten auf Vordermann gebracht: beglückend. Die fremde Metropole: aufregend. Heimweh: melancholisch. Reisen haben die Möglichkeit, dass sie in uns Emotionen wecken, die wir im Alltag nicht erleben – für viele Menschen macht das eine Reise erst so richtig besonders.

Grundsätzlich lassen sich dabei vier Gefühlskategorien unterscheiden, die für sich genommen alle das Wohlbefinden im Urlaub steigern. Erstens Hedonismus, also das schiere Vergnügen, das ein Erlebnis bietet – etwa die Entspannung im Spa oder der Luxus, einmal öfter im Restaurant zu essen. Zweitens: Entspanntheit (siehe Eskapismus). Drittens: das Gefühl, einen glücklichen Zufall zu erleben, etwas Neues, Überraschendes – der Brite spricht von Serendipity (siehe Neuigkeit). Und viertens: authentischer Stolz, der aus den eigenen Leistungen erwächst (siehe Meisterung).

7. Bedürfnis: ein positives Selbst

Manchmal ist man ganz zufrieden mit sich selbst, anderntags nicht. Ein Urlaub wird umso schöner, wenn er dazu beiträgt, dass man sich selbst eigentlich ganz gut findet. Ein positives Selbst nennen Psychologen das. Reisen bieten die Chance, dieses Selbst zu stärken. Wenn wir in den Urlaub aufbrechen, um uns selbst zu finden (wer bin ich eigentlich, wenn ohne die Pflichten des Alltags?). Oder um unserem eigentlichen Selbst endlich besser nachzukommen (liebt die Berge, wohnt in Berlin). Und auch, wenn wir uns nach einem Urlaub wieder verbundener mit der Welt fühlen (wow, es gibt ja so viel mehr auf der Welt als meine Wohnung, mein Viertel, meinen Arbeitsweg).

8. Bedürfnis: Sinn

Wenn man eines aus der Geschichte von Religion und Philosophie gelernt hat, dann vielleicht das: Menschen suchen Sinn. Psychologen wiederum meinen damit den Prozess, etwas im Leben zu finden oder zu erreichen, was der oder die Suchende als wichtig oder wertvoll erachtet. Sie schaffen das, indem sie das Klima schützen oder einen Berg besteigen, indem sie neue Freunde finden oder alte besser kennenlernen. Das ist für jeden anders. Aber: Gelingt es, bei einer Tätigkeit Sinn zu empfinden, dann tut das Menschen gut.

Und im Urlaub gibt es viele Möglichkeiten, sinnstiftende Erfahrungen zu machen. Zum Beispiel, wenn man im Urlaub die Verbundenheit mit der Familie stärkt, mit den Kindern balgt und bondet, mit dem Partner endlich mal längere Gespräche führt. Oder wenn man mit doppeltem Selbstvertrauen aus dem Backpacking-Trip zurückkehrt oder beim Retreat Meditieren gelernt hat. Oder wenn man – es soll Leute geben, denen es so ergeht – im Urlaub feststellt, dass es zu Hause doch am schönsten ist und angesichts dieser Erleuchtung selig schwelgend heimkehrt zu seinem Platz in der Welt.

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