Wehrpflicht: "Ich könnte eingezogen werden. Ohne Chance, mich darauf vorzubereiten"

Autor*innen
Martin Hogger, Tülay Karakuş und Bastian Mühling
Ein Mann und eine Frau stehen nebeneinander. Ihre Köpfe sind durch gekritzelte Kreise ersetzt, wobei die des Mannes ordentlicher wirken als die der Frau.

Der Verteidigungsminister will den Wehrdienst zurück. Wir haben fünf Erstwähler:innen gefragt: Wollt ihr zum Bund? Einige wären dafür offen – wenn sich etwas ändert.

e‑fellows.net präsentiert: Das Beste aus ZEIT Campus

Lies bei uns ausgewählte Artikel aus ZEIT Campus, dem Magazin der ZEIT für alle Abiturient:innen, Studierenden, Absolvent:innen und Young Professionals.

Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe: Wie du deinen Eltern nah bleibst – und trotzdem deinen eigenen Weg gehst.

Der Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) möchte nächstes Jahr entscheiden, ob es in Deutschland wieder eine Wehrpflicht geben sollte. Eigentlich ist die seit 2011 ausgesetzt – doch jetzt ist Krieg in Europa. Betreffen würde die Entscheidung vor allem eine Gruppe: junge Menschen. ZEIT ONLINE spricht in diesem Jahr regelmäßig mit Erstwähler:innen über Politik. Diesmal haben wir Lasse, Leonie, Saied, Hannes und Kadira gefragt: Würdet ihr kämpfen?

"Verteidigen heißt, vielleicht jemanden töten zu müssen"

Lasse, 17, wohnt am Rand von Essen. Er will einmal Chemie studieren.

"Ich hätte nie gedacht, dass ich mich jemals mit der Wehrpflicht auseinandersetzen müsste. Doch jetzt hat der Verteidigungsminister die Frage aufgeworfen – und ich weiß nicht, wie ich meinen inneren, moralischen Konflikt auflöse.

Einerseits: Ich bin mir sicher, dass ich nicht in der Lage wäre, einen Menschen zu töten. Ich bin gegen Krieg. Natürlich darf man da nicht zu idealistisch sein, es braucht Leute, die dieses Land verteidigen, wenn andere Leute es angreifen. Aber ich wäre, glaube ich, völlig falsch für diese Aufgabe.

Andererseits habe ich natürlich Sorge, dass ein Land wie Russland auch Deutschland angreifen könnte. Noch ist die Sorge eher gering, ich vertraue darauf, dass die USA in der Nato bleiben – und im Verbund eine große Abschreckung besteht. Was aber, wenn Donald Trump gewinnt und die USA aus der Nato austreten? Da wäre es sicher gut, besser vorbereitet zu sein als Land. Und da kann ein Wehrdienst hilfreich sein.

Als Land wehrfähig zu sein, heißt, sich zu verteidigen. Das ist logisch für mich. Verteidigen heißt, vielleicht jemanden töten zu müssen. Das will ich nicht. Wie ich diese Widersprüche zusammenbringen soll, darauf habe ich noch keine Antwort.

Um die zu finden, bräuchte ich sicher noch Zeit. Aber Pistorius will eine Grundsatzentscheidung bis nächstes Jahr. Und diese Plötzlichkeit ist für mich der größte Kritikpunkt. Ich könnte eingezogen werden. Ohne Chance, mich darauf vorzubereiten. Für mich besteht ein Unterschied, ob ich das seit fünf Jahren weiß oder seit letzter Woche. So habe ich jetzt die kommenden Jahre schon verplant, ich will Chemie studieren, meinen Doktor machen. Mit einem möglichen Wehrdienst wäre die ganze Lebensplanung erst mal torpediert."

"Sollte die Wehrpflicht wiederkommen, würde ich mich verpflichten"

Leonie, 17, wohnt im bayerischen Eichstätt und macht eine Ausbildung zur Erzieherin.

"Wenn ich an die Bundeswehr denke, denke ich an Waffen, Ausdauertraining und daran, dass man an verschiedenen Orten stationiert wird. Aber wenn ich ehrlich bin, denke ich nicht oft an die Bundeswehr. Sie spielt in meinem Leben keine Rolle. Auch mit meinen Freund:innen spreche ich kaum darüber. Nur eine Freundin von mir wollte nach dem Schulabschluss zur Bundeswehr, ihre Eltern waren aber dagegen.

Ich würde eine Wiedereinführung der Wehrpflicht begrüßen. Wenn ein Weltkrieg ausbricht, sollten wir genügend Leute haben, die das Land verteidigen können. Dafür ist es aber auch wichtig, dass diese Leute gut ausgebildet werden. Ich finde eine Wehrpflicht mit einer Dauer von einem Jahr sinnvoll, und es sollten alle Männer und Frauen, die geeignet sind, eingezogen werden. Wir leben doch nicht mehr in einer Zeit, in der der Mann vorgibt, was getan wird.

"Bei der Bundeswehr würden wir lernen, was es heißt, sich an Regeln zu halten."
Leonie

Vielen in meinem Alter würde es nicht schaden, sich mehr mit der Bundeswehr auseinanderzusetzen. Dadurch beschäftigt man sich automatisch damit, was in der Welt so abgeht. Für die aktuelle Bedrohungslage haben viele in meiner Generation kein Bewusstsein, sie informieren sich nicht mehr.

Ich finde auch, dass eine Wehrpflicht dazu beitragen würde, dass alles wieder ein wenig strenger wird. In meiner Generation habe ich den Eindruck, dass jede:r machen kann, was er oder sie will, ohne bestraft zu werden. Selbst wenn man wirklich Mist gebaut hat, bekommt man nur eine milde Strafe. Früher hat man für Graffitisprühen in der Schule einen Verweis bekommen. Heute wird nur gesagt: Das machst du nicht mehr. Bei der Bundeswehr würden wir lernen, was es heißt, sich an Regeln zu halten.

Sollte die Wehrpflicht wiederkommen, würde ich mich verpflichten. Nach meiner Ausbildung könnte ich mir das vorstellen. Mich würde allein schon interessieren, was man dort überhaupt alles macht. Und auch dieses Gefühl, dem Land zu dienen."

"Es wäre ein Albtraum für mich gewesen, den Befehlen des Militärs folgen zu müssen"

Saied, 29, ist 2015 aus Syrien geflohen. Heute lebt er in Dresden. Seit Kurzem hat Saied die deutsche Staatsbürgerschaft.

"In Syrien gilt die Wehrdienstpflicht für alle Männer zwischen 18 und 42 Jahren. In den vergangenen Jahren wurden oft auch ältere Männer eingezogen. Gesetze wurden ignoriert, jeder konnte jederzeit verpflichtet werden. Ich habe das Land deshalb verlassen. Es wäre ein Albtraum für mich gewesen, den Befehlen des Militärs folgen zu müssen. Ich wollte auf keinen Fall einem Diktator dienen, eine Waffe auf Zivilisten richten und jemandem wehtun.

Wer den Befehlen nicht folgt, muss selbst mit einer Verhaftung, Folter oder dem eigenen Tod rechnen. Ich kenne viele Menschen, die in Syrien eingezogen wurden und dabei gestorben sind.

Ich weiß, in Deutschland ist die Meinung zur Wehrpflicht gespalten. Ich verstehe alle, die sie befürworten, um so im Ernstfall die deutsche Demokratie gegen Feinde verteidigen zu können. Es ist nicht abwegig, dass Russland in den nächsten Jahren andere Staaten angreifen könnte – schließlich haben sie auch Syrien angegriffen. Doch wenn ich die Wahl hätte, würde ich mich für einen Zivildienst entscheiden. Krieg löst nie Probleme, sondern schafft immer neue.

Ich frage mich, wie die Bundeswehr hier aussehen würde, wenn die AfD einmal die Regierung bilden sollte. Für welche Werte müsste man dann hier kämpfen? Die Bundeswehr hat ja jetzt schon ein Rechtsextremismusproblem."

Wie sieht deine Meinung dazu aus?

Welche Gedanken bewegen dich zu diesem Thema? Stell eine Frage in der e-fellows.net community und tausch dich mit anderen Stipendiat:innen und Alumni sowie Alumnae dazu aus.

Nur kein Zwang

"Wir müssen die Ausbildung zielgerichteter auf Spezialkräfte zuschneiden"

Hannes, 17, besucht ein berufliches Gymnasium in Berlin. In seiner Freizeit engagiert er sich bei den Jusos.

"Vor ein paar Tagen haben wir unseren Politiklehrer gefragt, ob er den Wehrdienst absolviert hat. Er hat uns erzählt, welche Fragen er vor einem Komitee beantworten musste und dass er letztlich als nicht geeignet eingestuft wurde. Die mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht beschäftigt mich und meine Mitschüler:innen. Wir sind es, die unmittelbar betroffen wären.

Ich selbst halte wenig von einer Wehrpflicht. Sie wiedereinzuführen, heißt nicht, automatisch eine gute Armee zu haben. An meiner Schule wären vielleicht gerade einmal 20 bis 30 Prozent der Schüler:innen fähig, in die Bundeswehr zu gehen. Davon hat aber fast keiner Lust. Vor allem aus politischen oder moralischen Gründen nicht. Und die meisten Menschen wären danach sowieso wieder weg.

"Was der Bundeswehr fehlt, ist ja nicht der einfache Soldat."
Hannes

Durch eine Grundausbildung ohne Spezialisierung entsteht keine Kompetenz, man lernt ein bisschen, wie man mit einer Waffe umgeht, wie man sich im Wald verhält. Aber letztlich nicht die Fähigkeiten, die in den Kriegen der nächsten Jahrzehnte notwendig sein werden. Was der Bundeswehr fehlt, ist ja nicht der einfache Soldat, der auf dem Feld steht und herumballert.

Ich finde, wir müssen die Ausbildung zielgerichteter auf Spezialkräfte zuschneiden, zum Beispiel im IT-Bereich. Ein guter Freund von mir hat nach der zehnten Klasse beschlossen, sich an der Bundeswehruniversität zum IT-Spezialisten ausbilden zu lassen.

Sollte die Wehrpflicht wiederkommen und Wehr- und Zivildienst gleich lang dauern, würde ich mich für den Zivildienst entscheiden – einfach weil ich die Grundausbildung in ihrer aktuellen Form nicht für sinnvoll halte. Das mag vielleicht naiv klingen, aber für mich ist das eine total abstrakte Vorstellung, dass wir in Deutschland in eine Situation kommen, wo wir unser Land verteidigen müssen. Sollte es aber so weit kommen, dass wir unsere Demokratie nur militärisch verteidigen können, würde ich dafür kämpfen."

"Vielleicht wäre es eine Idee, das Ganze etwas freier zu gestalten"

Kadira, 17, geht in die zwölfte Klasse einer kaufmännischen Schule. Sie lebt in Ehingen, Baden-Württemberg.

"Zur Bundeswehr fallen mir vor allem die Stichworte Unterbesetzung und mangelnde Transparenz ein. Deshalb finde ich richtig, zu überlegen, wie man die Bundeswehr wieder attraktiver und zukunftsfähiger machen kann.

Ich glaube aber nicht, dass dabei die Wiedereinführung der Wehrpflicht hilft. Es ist ja logisch, dass die Qualität der Bundeswehr leidet, wenn man Leute dazu zwingt, zur Bundeswehr zu gehen. Wenn man etwas nicht freiwillig macht, fehlt einfach die Leidenschaft.

Von vielen meiner Mitschüler:innen und Freund:innen höre ich, dass sie durch die Wehrpflicht ein weiteres Jahr verlieren würden. Und wir haben schon durch die Corona-Krise Zeit verloren. Deshalb bin ich auch auf einer persönlichen Ebene gegen die Wiedereinführung. Ich selbst würde vermutlich eher den Zivildienst machen, als zur Bundeswehr zu gehen.

Sollte die Wehrpflicht dennoch kommen, bin ich dafür, dass alle eingezogen werden – mit Ausnahme derjenigen, die gesundheitlich nicht dazu in der Lage sind. Vielleicht wäre es eine Idee, das Ganze etwas freier zu gestalten. Konkret könnte man uns nach eigenen Interessen entscheiden lassen und nicht nur eine allgemeine Grundausbildung anbieten. Mich persönlich würde zum Beispiel die strategische Planungsarbeit im Büro interessieren."

Bewertung: 3/5 (4 Stimmen)

Mehr Artikel zum Thema Leben