Business Case in Dialogform: Optimierung von Qualifizierungskosten

Autor*innen
Dr. Fabian Gleisner und Dr. Karsten Engler
Eine Hand hält ein aufgeschlagenes Buch. Dort, wo der lesende Kopf wäre, befindet sich ein weißer Kreis, der einen Doktorhut trägt.

In dieser Fallstudie in Dialogform analysiert und optimiert der Bewerber die Ausgaben für Aus- und Weiterbildung eines Großkonzerns - und du kannst ein Caseinterview "live" miterleben.

Interviewer: Stellen Sie sich vor, Sie sind Teil eines Beraterteams, und Ihr aktueller Mandant ist ein deutscher Großkonzern. Im Rahmen eines konzernweiten Projekts zur Senkung der Sachkosten haben Sie bereits sehr erfolgreich zahlreiche Einsparpotenziale in mehreren Warengruppen identifiziert. Der Vorstand bittet Ihr Projektteam nun darum, sich die Ausgaben für die Mitarbeiterqualifizierung anzusehen, wo weitere Optimierungspotenziale vermutet werden. Wie würden Sie dabei vorgehen, was würden Sie sich anschauen, und wo vermuten Sie die größten Optimierungspotenziale?

HINWEIS: Für die Bearbeitung dieser bewusst offen formulierten Fragestellung ist kein Hintergrundwissen zur Mitarbeiterqualifizierung bzw. zur Sachkostenoptimierung nötig. Es geht primär um die Strukturierungsfähigkeit des Bewerbers. Daher zwei Tipps zur Bearbeitung: Der Bewerber sollte zunächst weitere Informationen zur Aufgabenstellung und zur Ausgangssituation erfragen und sich dann einen Moment Zeit nehmen, um seinen Lösungsansatz zu strukturieren.

Bewerber: Ein interessanter Case! Erlauben Sie mir vorab einige Verständnisfragen zu unserem Auftraggeber und zum Thema Mitarbeiterqualifizierung.

Interviewer: Sehr gerne.

Bewerber: Zu unserem Auftraggeber würde ich gerne wissen: Was ist der Geschäftszweck des Konzerns, in welchen Branchen ist er aktiv? Wie viele Mitarbeiter:innen gibt es, wie viele davon in Deutschland und im Ausland? Und bei der Mitarbeiterqualifizierung geht es um die Ausgaben für die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter:innen, also um Schulungen und Seminare?

Interviewer: Der Konzern mit Produktion und Handel in mehreren Branchen ist breit diversifiziert. Es gibt rund 100.000 Mitarbeiter:innen, etwa die Hälfte davon in Deutschland. Und Sie haben es richtig erfasst, es geht um die Ausgaben für die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter:innen.

Bewerber: Sollen die weltweiten Ausgaben betrachtet werden oder nur die für Deutschland? Werden die Qualifizierungsmaßnahmen intern erbracht oder extern eingekauft? Gibt es einen besonders hohen Qualifizierungsbedarf, vielleicht durch regulatorische Vorschriften?

Interviewer: Es sollen die Ausgaben für Qualifizierungsmaßnahmen in Deutschland untersucht werden. Es gibt sowohl interne als auch externe Maßnahmen; es gibt keinen außergewöhnlichen Qualifizierungsbedarf. Im Durchschnitt erhält jede:r Mitarbeiter:in in Deutschland eine Qualifizierungsmaßnahme im Jahr. Lassen Sie uns zur Vereinfachung ausschließlich auf die externen Maßnahmen schauen.

Bewerber: Ich würde mir gerne einen Moment Zeit nehmen und den Case strukturieren.

Interviewer: Sehr gerne.

Bewerber: Danke für Ihre Geduld. Die Frage war, wie ich bei einer Analyse der Kosten der Mitarbeiterqualifizierung vorgehen würde und was ich dabei untersuchen würde. Ich würde im Rahmen des Projekts in drei Schritten vorgehen:

  1. Kostentreiber: Was verursacht im Zusammenhang mit Qualifizierung Kosten?
  2. Produktangebot: Welche Kosten-Cluster werden für unterschiedliche Qualifizierungsmaßnahmen sinnvollerweise gebildet? Zu welchen Kosten werden Maßnahmen im jeweiligen Cluster eingekauft?
  3. Angebotsnutzung: Welche Maßnahmen werden wie intensiv genutzt? Welche Bereiche des Konzerns nutzen welche Qualifizierung?

Interviewer: Ein sehr guter erster Ansatz; das Vorgehen ergibt für mich Sinn. Angenommen, Sie hätten diese drei Schritte nacheinander sauber abgearbeitet und hier jeweils Transparenz geschaffen - was würde Ihnen dann in der Betrachtung noch fehlen?

HINWEIS: Der Interviewer signalisiert, dass ihm noch etwas fehlt. Der Bewerber sollte sich davon nicht aus der Ruhe bringen lassen. Eine gute Strategie ist manchmal, sich die Aufgabenstellung noch einmal präsent zu machen und mit dem eigenen Lösungsansatz abzugleichen.

Bewerber: Lassen Sie mich mein Vorgehen noch einmal zusammenfassen: Ich wüsste nun, welche Maßnahmenarten angeboten werden, zu welchem Preisniveau und welche Gesamtkosten entstehen. Und ich hätte analysiert, wie sich die Nachfrage nach Qualifizierungsmaßnahmen im Konzern grob darstellt, also welche Bereiche welche Maßnahmen nachfragen. Nun müsste ich für den Vorstand noch die Optimierungspotenziale abschätzen, um die Frage zu beantworten, wo die größten Potenziale liegen.

Interviewer: Ja, richtig. Eine Abschätzung der Potenziale ist ein wichtiges Ergebnis des Projekts. Aber was würden Sie sich noch anschauen, wenn Sie das Kostenmanagement von Qualifizierungsmaßnahmen betrachten? Ich will auf eine Analyse des Prozesses hinaus.

Bewerber: Danke für den Hinweis. Ich würde analysieren, wie der interne Prozess genau abläuft, um eine Qualifizierungsmaßnahme zu bestellen. Also wer darf bestellen, wo wird bestellt, wie wird das später abgerechnet. Und wer ist im Konzern für den externen Einkauf von Qualifizierungsmaßnahmen zuständig? Wie läuft dieser Prozess genau ab?

Interviewer: Gut, diese Betrachtung ist wichtig. Der Beschaffungsprozess bietet oftmals auch zahlreiche Optimierungspotenziale, beispielsweise wenn Rollen und Verantwortlichkeiten nicht klar definiert sind. Nun möchte ich mit Ihnen in ein Thema tiefer einsteigen: Angenommen, Sie erfahren bei Ihren Untersuchungen, dass es im vergangenen Jahr, wie auch in den Vorjahren, zu einer sehr hohen Stornierungsquote bei den Qualifizierungsmaßnahmen kam. Es wurden also Seminare zum Teil sehr kurzfristig abgesagt. Was schätzen Sie: Welche Kosten entstanden im letzten Jahr dadurch?

Bewerber: Um die Stornierungskosten abzuschätzen, müsste ich die Anzahl der Stornierungen kennen und die jeweils mit einer Stornierung verbundenen Kosten. Zur Anzahl der Seminare sagten Sie vorhin, die Hälfte der weltweit 100.000 Beschäftigten sind in Deutschland angestellt, und dass diese im Durchschnitt jeweils eine Qualifizierungsmaßnahme pro Jahr erhalten. Das wären also 50.000 Qualifizierungen. Aber was bedeutet eine sehr hohe Stornierungsquote?

Interviewer: Bitte treffen Sie eine Annahme.

Bewerber: Aus eigener Erfahrung, zum Beispiel bei Kursen an der Fachhochschule oder im Sportverein, würde ich 10 bis 15 Prozent als normale Stornierungsquote betrachten, eine sehr hohe Quote würde ich demnach mit 20 Prozent ansetzen. Das wären also bei 50.000 Qualifizierungen entsprechend 10.000 Stornierungen in einem Jahr.

Interviewer: Wie würde es dann mit den Kosten aussehen?

Bewerber: Bei den durchschnittlichen Kosten für eine Qualifizierungsmaßnahme bin ich mir unsicher. Die Kosten für eine Stornierung sind meiner Einschätzung nach abhängig von der jeweiligen vertraglichen Vereinbarung und sehr wahrscheinlich auch vom Zeitpunkt der Stornierung, das heißt, oftmals fallen bei sehr kurzfristigen Absagen die vollen Kosten an.

Interviewer: Treffen Sie auch hier bitte Annahmen. Eine kleine Hilfestellung: Bitte berücksichtigen Sie, dass die Stornierungen nicht alle kurzfristig erfolgt sind.

HINWEIS: Der Bewerber sollte nun plausible Annahmen treffen und seine Überlegungen dazu offen kommunizieren. Es empfiehlt sich allgemein, möglichst runde Zahlen zu wählen, um die weiteren Berechnungen möglichst einfach zu gestalten.

Bewerber: Ich habe Werbung für Seminare, Tagungen und Coachings gesehen und würde mich an diesen Preisen orientieren. Die Bandbreite meiner Referenzpreise für eine eintägige Veranstaltung geht von ca. 500 bis 1.500 Euro. Ich würde also zunächst mit dem Mittelwert von 1.000 Euro weiterrechnen und diese Annahme später noch einmal prüfen wollen. Weiterhin würde ich annehmen, dass ein Drittel der Stornierungen kurzfristig erfolgt. Damit wären die vollen Kosten entstanden. Bei zwei Drittel der Stornierungen wäre die Hälfte der Kosten fällig geworden. Diese Aufteilung entspricht meinen Erfahrungswerten bei Veranstaltungen, die ich selbst mitorganisiert habe.

Interviewer: Das klingt erst einmal plausibel, aber bitte rechnen Sie mit durchschnittlich 1.500 Euro für eine Qualifizierungsmaßnahme.

Bewerber: Für ein Drittel der 10.000 Stornierungen fallen die vollen 1.500 Euro an, das multipliziert sich zu fünf Millionen Euro. Bei zwei Drittel der 10.000 Stornierungen wird nur die Hälfte der Kosten fällig, also 750 Euro, das sind ebenfalls fünf Millionen Euro. In Summe sind im vergangenen Jahr also zehn Millionen Euro an Stornierungskosten entstanden.

Interviewer: Das ist korrekt. Wie steht das im Verhältnis zum Gesamtaufwand für Qualifikation in Deutschland?

Bewerber: Der Konzern würde bei 50.000 Mitarbeiter:innen und durchschnittlich je einer Qualifizierungsmaßnahme zu 1.500 Euro in Summe 75 Millionen Euro ausgeben. Hier ist jedoch noch zu berücksichtigen, dass das Unternehmen bei einem Teil der Stornierungen die Hälfte der Kosten wieder erstattet bekommt. Bei 10.000 Stornierungen wären Kosten von ursprünglich 15 Millionen Euro entstanden, es wurden Stornierungskosten von nur zehn Millionen Euro fällig, die Differenz sind fünf Millionen Euro. Somit hatte der Konzern noch 70 Millionen Euro Gesamtaufwand für Qualifizierung. Die zehn Millionen Euro entsprechen somit etwa einem Siebtel oder 14 Prozent des Gesamtaufwands.

Interviewer: Vielen Dank. Stellen Sie sich nun zusätzlich vor, Sie möchten der HR-Vorständin Ihres Kunden ein Projekt für die Reduzierung der Stornierungskosten anbieten. Wie würden Sie argumentieren?

Bewerber: Sie haben recht: Die Kostensicht interessiert eher den Finanzvorstand. Aus Sicht der Personalverantwortlichen würde ich sagen, dass wir bei einer Reduzierung der Stornokosten um 50 Prozent deutlich über 3.000 zusätzliche Trainingstage für die Mitarbeiter:innen ermöglichen könnten.

Interviewer: Sehr gut. Eine letzte Frage habe ich noch. Aber bitte beantworten Sie mir diese möglichst schnell und rechnen Sie im Kopf. Angenommen, das Unternehmen könnte ein IT-gestütztes Planungstool implementieren, um den konzernweiten Bedarf für Qualifizierungsmaßnahmen noch besser zu steuern. Die Kosten hierfür liegen bei 100.000 Euro. Um wie viel Prozent müsste das neue Tool die Stornierungskosten unmittelbar senken, damit sich das Investment bereits innerhalb eines Jahres rechnet?

Bewerber: 100.000 Euro Einsparungen entsprechen einem Prozent der Stornierungskosten von zehn Millionen Euro.

Interviewer: Prima! Herzlichen Dank.

Die Autoren der Case Study

Karsten Engler, Dr. rer. pol., Dipl.-Kfm., Jahrgang 1975, Principal der Commerz Business Consulting (CBC), der internen Beratung des Commerzbank-Konzerns. Nach zehnjähriger Tätigkeit in der externen Managementberatung verantwortet er aktuell das CBC-Projektportfolio mit und leitet ausgewählte Konzernprojekte. Gleichzeitig ist er seit einigen Jahren als Management-Coach und Wirtschaftsmediator tätig.

Fabian Gleisner, Dr. rer. pol., Dipl.-Kfm., Jahrgang 1979, war viele Jahre für verschiedene Management- und Inhouse-Beratungen tätig und arbeitet nun als Senior Account Executive bei Visa, dem weltweit führenden Netzwerk für digitale Zahlungen.

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