Studentenverbindung: Aus dem Leben eines Verbindungsstudenten

Ein Mann hält einen Telefonhörer und ruft hinein. Der Hörer wurde teilweise durch eine Banane ersetzt. Über der gehobenen anderen Hand des Mannes schwebt ebenfalls eine Banane.

Studentenverbindungen sind konservativ bis rechts, frauenfeindlich, freiheitsberaubend und undemokratisch – kurzum: ein Sammelbecken für Reaktionäre und Sozialversager. Ihre Mitglieder saufen bis zum Erbrechen und setzen auf Seilschaften statt Leistung. Oder etwa nicht? Ein anonymer e-fellow und Corpsstudent gewährt Einblicke.

Ich bin Mitglied einer schlagenden Studentenverbindung, sprich: der ganz üblen Sorte. Seit ich einmal eine Phase latenter Unproduktivität damit überbrückte, die e-fellows.net community nach dem Thema "Verbindungen" zu durchforsten, war mir klar: Ich möchte eine Lanze brechen. Inzwischen bin ich klüger und habe eingesehen, dass das völlig unmöglich ist – aus verschiedenen Gründen. Zunächst ist Corps nicht gleich Burschenschaft, CVer nicht gleich Turnerschaft. Konzentriere ich mich also auf die Gemeinsamkeiten? Davon gibt es zu wenige. Nur Corps, weil ich einem angehöre? Auch hier gibt es große Unterschiede! Nur auf uns? Das gleiche Problem. Nur auf mich? Wen interessiert das!

Der anonyme Autor ist Mitglied einer schlagenden Verbindung. Während seiner dreisemestrigen Zeit als Aktiver soff er bis zum Umfallen, focht und ordnete sich zahlreichen Zwängen unter. Trotzdem bereut er nichts.

Saufen und Fechten? Stimmt!

Außerdem: An jedem der Vorurteile ist etwas dran. Ich zum Beispiel habe schon mal getrunken bis zum Umfallen. Mehrmals. Selbst auf 100 Seiten könnte ich niemanden davon überzeugen, dass das nötig ist – ähnlich wie das alte Thema Fechten. Trotzdem will ich beides beibehalten. Diskussionen weiche ich mit meinem Totschlagargument aus: "Wer es nicht erlebt hat, wird es nicht nachvollziehen können." Ein feiger Schachzug, auch wenn ich das tatsächlich ernst meine.

Ich werde euch also unmöglich dazu bringen können, bei Facebook "Gefällt mir" zu klicken, sobald es um Verbindungen geht. Das will ich auch gar nicht, ich selbst finde manche Verbindungen grauenhaft und sehr viele Verbindungen peinlich. Einige gehören verboten. Ich kann euch aber ein paar Gedanken mitteilen, die möglicherweise zu einem differenzierteren Bild beitragen. Sofern ihr nach dem Wort "Erbrechen" noch weitergelesen habt.

Teilnahme am Programm ist Pflicht

Vorweg möchte ich (nicht ohne Freude) das Klischee noch ein bisschen bedienen und wahrheitsgetreu aus unserer Aktivität berichten. Sie dauert drei Semester, außerhalb der Semesterferien gibt es nur äußerst wenig Freizeit. Getrunken wird fast täglich, häufig exzessiv. Jeden Tag stehen außerdem gemeinsame Mahlzeiten auf dem Programm und eine Stunde Fechtunterricht. Kaum ein Abend oder Wochenende vergeht unverplant.

Studentenverbindung, Burschenschaft  [Quelle: flickr.com, Kollegiatenrat; pexels.com, tookapic; Wikimedia Commons, Wolfram]
Bilder und Eindrücke, die wir mit Verbindungen assoziieren.

Alle Programmpunkte sind verpflichtend, sofern man nicht krank oder aus Studiengründen befreit ist. Wenn ich zum Geburtstag meiner Tante will, muss ich das zunächst besprechen. Im ersten Semester, als "Fuchs", habe ich von überhaupt nichts eine Ahnung, darf an keiner Entscheidung mitwirken, werde immer wieder verarscht und bin für sämtliche niederen Arbeiten zuständig.

Und das alles nur wegen eines billigen Zimmers?

Man kann uns viel vorwerfen, aber: Die Entscheidung für den Eintritt in eine Verbindung ist in den seltensten Fällen der Weg des geringsten Widerstands. Wir stehen erstens unter ständigem Rechtfertigungszwang; hinzu kommen die hohen Anforderungen des Verbindungslebens, und studieren will man ja nebenbei auch noch. Die Aussicht auf ein günstiges Zimmer in Uninähe und das abstrakte Versprechen von "Vitamin B" wiegen das nicht auf und können keinen Menschen klaren Verstandes dazu bewegen, meiner Verbindung beizutreten. Aber was dann?

Die Freiheit der Verbindung geopfert?

Vielen Verbindungsstudenten geht es um die Erlebnisse, die vielen Wochenendfahrten mit einer lustigen Truppe, um enge Freundschaften, die in dieser Zeit zustande kommen. Ich persönlich war und bin ein freiheitsliebender Mensch und wollte mich zu Studienbeginn eigentlich nicht gleich wieder unterordnen. Dabei hatte ich im Nachhinein einiges nicht begriffen. Zum einen, dass es bereits Freiheit bedeutet, sich überhaupt für oder gegen eine Aktivität zu entscheiden. Zum anderen, dass Freiheit nicht fehlinterpretiert werden sollte als die Option, sich ständig alles offenzuhalten. Das ist Vergeudung.

So sprang ich über meinen großen Schatten und habe mich für das Verbindungsleben entschieden. Drei Semester à 16 Wochen, also netto knapp zehn Monate meiner Lebenszeit habe ich geopfert – natürlich am Ende für mich selbst. Was hat es mir gebracht? Viel mehr, als ich dachte. Die Wochenendfahrten, das Abendprogramm, die Partys waren alle klasse. Aber das macht das Leben in einer Verbindung nicht aus. Erneut die Frage: Was dann? Hier meine Auswahl:

Grenzerfahrungen

Alkoholkonsum. Fechten. Schlafentzug. Programmzwang. Konflikte. Das Ganze in einer Gruppe von Jungs, die 24 Stunden am Tag miteinander zu tun haben und meist verschiedener sind, als es den Anschein hat. Warum all diese Zwänge? Weil sie die Zeit intensiver machen. Ich habe mal gelesen, dass Kostümpartys erfolgreicher sind als "normale" Feten, weil die Gäste mit ihrem Outfit einen Beitrag leisten müssen. Ergo: Mehr Input bedeutet mehr Output. Es schweißt enger zusammen, wenn jeder bestimmte Dinge durchmachen muss. Die Identifikation mit einer Gruppe wird gestärkt, wenn jeder Opfer bringt. Gruppenzwang? Auf jeden Fall!

Wenn ich von meiner Aktivität erzähle, gilt folgende Faustformel: Je ätzender und anstrengender die Situation war, desto größer das Lächeln, mit der ich an sie zurückdenke. Natürlich hat das auch kompetitive Gründe. Trinkgeschwindigkeit und -kapazität tragen als Aktiver in einem nicht von der Hand zu weisenden Umfang zum Selbstwertgefühl bei. Das ist vielleicht ein bisschen traurig, aber auch ein kleines bisschen komisch. Warum gehen Menschen an ihre Grenzen? Um sich selbst besser kennenzulernen. Es ist überraschend, was man alles zustande bringt, wenn man nur muss!

Kostenloses Konfliktmanagement-Training

Ich bin nach wie vor ein rechthaberischer Mensch. Methodisch allerdings habe ich mich gebessert: Früher versuchte ich, andere Meinungen plattzuwalzen – eine Strategie, die vielleicht auf dem schnellsten, selten aber auf dem besten Wege zum Ziel führt.

Das ist heute anders, denn Verbindungen sind eine gute Schule der Streitkultur. Nach außen entsteht schnell der Eindruck einer Gesinnungsgleichschaltung ohne Konfliktpotential. Doch dieser Anschein entsteht nur, weil Kritik und Konflikte ausschließlich intern ausgetragen werden. Tatsächlich habe ich nie zuvor derart persönliche Kritik einstecken müssen, häufig auch vor einer ganzen Gruppe. In anderen Lebenslagen wäre ich solchen Situationen aus dem Weg gegangen. Unter Aktiven aber war das nicht möglich – zu sehr hockt man aufeinander. Schnell lernte ich daher, auch substanzielle Kritik konstruktiv zu äußern und zu verarbeiten. Wer nur Dampf ablässt, gibt seinem Gegenüber kaum eine andere Wahl, als auf stur zu schalten. Und wer bei Kritik auf stur schaltet, landet in einer Sackgasse – und lernt daraus. Auch heute nervt mich Kritik natürlich ganz ungemein. Aber ich habe dazugelernt.

Hilfe beim Studium dank "Alter Herren"

Die meisten Verbindungen haben inzwischen eingesehen, dass neben der Aktivität auch ein erfolgreiches Studium möglich sein muss. Ob Lerntage, Alkoholverbot oder Tutorien: Es gibt viele Möglichkeiten, das Verbindungsleben mit dem Studium zu vereinbaren. Ehemals Aktive (die sogenannten "Inaktiven" und "Alten Herren") bieten außerdem ein hilfreiches Netzwerk, egal ob es um Tipps für die Hausarbeit oder die Praktikumsbewerbung geht, um ein Auslandssemester oder einen Studienortwechsel.

Zeit zum Lernen trotz Programm

Natürlich ändert das alles nichts daran, dass die Voraussetzungen unterm Strich schwieriger sind als ohne Verbindungsleben. Doch auch wenn es viele Beispiele von im Studium scheiternden Verbindungsstudenten gibt: Ein ordentliches bis gutes Studium während der drei Semester Aktivität ist möglich. Es erfordert bloß ein wenig mehr Effizienz und gutes Zeitmanagement. Außerdem legen viele unmittelbar nach der Aktivität erst so richtig los. Das schlechte Gewissen, gegenüber den Kommilitonen aufholen zu müssen, drängt einen nicht selten auf die Überholspur.

Die Juristen beispielsweise, die innerhalb der letzten Jahre in meiner Verbindung aktiv waren, haben ausnahmslos den Freischuss wahrgenommen und ihr Studium im Durchschnitt mit einem Staatsexamen von über 9 Punkten abschlossen. Durchfallquote: 0 Prozent. Gewiss sind andere Studiengänge weniger aktivitätskompatibel. Trotzdem glaube ich, dass Studienerfolg in den meisten Fällen an einem selbst liegt – auch wenn man bei Misserfolgen gerne die Gründe andernorts sucht.

Soft Skills im Härtetest

Verbindungsstudenten arbeiten also an ihrer Kritikfähigkeit, ihrem Zeitmanagement und ihrer Effizienz. Doch die Liste der Soft Skills, über die in Zusammenhang mit Verbindungen zu selten gesprochen wird, ist noch länger. So üben wir uns zum Beispiel in freier Rede, ob bei Vorträgen oder auf den berüchtigten Kneipen. Häufig wird gerade Füchsen ohne Vorwarnung ein Stichwort gegeben, zu dem sie eine Rede halten sollen. Bloßstellung vor der Gruppe? Manchmal vielleicht. Exakt dieselbe Aufgabe hat man allerdings meinem Bruder in einem Assessment-Center gestellt. Im schlimmsten Fall bleibt immerhin die Erfahrung, dass eine Blamage nicht das Ende der Welt ist, sondern zutiefst menschlich. Denn irgendwann erwischt es jeden mal.

Demokratie versus Gruppenzwang

Auch Teamgeist ist unerlässlich – was häufig den Vorwurf des Kollektivismus hervorruft. Letztlich fußt unsere Haltung aber bloß auf der Einsicht, dass man sich manchmal nicht zu wichtig nehmen darf und/oder einem Gruppenzweck unterordnen muss. Überraschend, wie viel Kritik diese simple Sportlerweisheit hervorruft! Obwohl natürlich auch in einer Verbindung die Entscheidungsfindung demokratisch verläuft: Zwar darf man nicht von Anfang an mitentscheiden – doch das darf man im Leben ja auch nicht.

Fazit

Was will ich euch also sagen? Erst einmal möchte ich erklären, warum ich anonym schreibe. Kaum eine Gruppe steckt so schnell in einer Schublade wie wir Verbindungsstudenten. Die Berichterstattung zu besorgniserregenden Vorgängen innerhalb der Deutschen Burschenschaft hat zwar glücklicherweise nicht das Geringste mit mir zu tun, färbt aber auf das gesellschaftliche Bild der gesamten Verbindungslandschaft ab. Wer noch alle Tassen im Schrank hat, ist daher gut beraten, sich nicht bei jeder Gelegenheit zu outen.

Vor allem aber will ich für einen differenzierten Blick werben. Eine Verbindung besteht wie jede andere Gruppe aus Individuen, die als solche betrachtet und bewertet werden möchten. Ich habe beschrieben, welche Erfahrungen und Lehren einem die Verbindungszeit bescheren kann. Man kann viel über sich selbst und andere lernen, Qualifikationen für Studium und Beruf teilweise spielerisch erwerben und enge Freundschaften knüpfen, die verblüffend häufig verblüffend lange halten.

Keine Reue

Natürlich bleibt viel Raum für Kritik. Häufig hilft es aber, das ganze Brimborium mehr als großes Spiel denn als bitteren Ernst zu betrachten. Überraschend gering ist die Quote derjenigen, die ihre Entscheidung für eine Verbindung bereuen. Überraschend hoch hingegen die Quote derjenigen, die ihre Aktivität als intensivste und prägendste, häufig auch schönste Zeit ihres Lebens beschreiben. Und für alle, die das trotzdem beim besten Willen nicht nachvollziehen können: Das kann ich sehr gut verstehen. Aber was soll's – lasst uns einfach den Spaß!

Anmerkung der Redaktion: Das Verbindungshaus und die Farben des Burschenschaftlers im Artikelbild stehen in keinem Zusammenhang mit der Identität des Verbindungsstudenten, der hier berichtet.

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