"Scanner-Typen": Unendlich neugierig

Autor*innen
Ursula Kals
Mann springt von Klippe in etwas "neues".

Manche Menschen haben sehr viele Interessen und üben mehrere Berufe gleichzeitig aus. Diesen "Scanner-Typen" ist vor allem eines wichtig: dass nicht jede Arbeitswoche gleich abläuft.

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Veronika Becker liebt ihren Beruf als Kinderärztin. Aber wenn sie bei ihren Touren mit ihrem kleinen, feinen Kaffeemobil Station an Spielplätzen macht, fachsimpelt sie über Espresso. Sonst gerät der Kundenplausch zur Sprechstunde - verständlich, dass Mütter und Väter die Gunst der Kaffeestunde nutzen, um sich niederschwellig über Allergien oder Impfungen zu informieren. Dabei mag es die in Aachen lebende Medizinerin, sich in unterschiedlichen beruflichen Welten zu tummeln und zwischen ihnen zu wechseln. So wie der Mutter von zwei Teenagern geht es vielen Menschen. Dafür gibt es ein exotisch klingendes Wort - es sind "Scanner-Typen". Die Wissenschaft hält gebührend Abstand von diesem vagen Begriff, setzt sich mit klar definierten Persönlichkeitstypen auseinander, anders viele Coaches.

Geprägt hat die Bezeichnung die Amerikanerin Barbara Sher, die Ende der 1970er-Jahre diese unendlich neugierigen Menschen in ihrem Bestseller "Du musst dich nicht entscheiden, wenn du tausend Träume hast" beschreibt. Sie unterscheidet zwischen zyklischen und seriellen Scannern, die ersten greifen Themen noch mal auf, die anderen haken sie nacheinander ab, Tempo und Tiefe der jeweiligen Beschäftigung unterscheiden sich. Selbstredend sind die meisten Scanner Mischtypen. Was sie verbindet, ist eine andere Definition von Erfolg: Vielen geht es weniger um das Endergebnis als um den Weg, eine Aufgabe zu lösen. Ist das erledigt, kann sie den Reiz verlieren. Bezeichnet wird ein Scanner-Mensch als Generalist, Multitalent, Renaissance-Seele, weil in der Leonardo-da-Vinci-Epoche das Idealbild des Universalgelehrten geschätzt wurde.

"Die Frustration war riesig"

"Die Frau schreibt über mich und mein Leben", durchfuhr es Sandra Reekers, als sie vor 20 Jahren auf das Sher-Buch stieß. "Das Anderssein habe ich mein Leben lang gefühlt, nun bekam es einen Namen. Das war erleichternd und mental entlastend. Lange Zeit hatte ich das Gefühl, mit mir stimmt etwas nicht, mit mir ist etwas verkehrt. Ich fühlte mich wie ein Alien, der auf der Erde abgesetzt wurde. Aber es gibt auch andere Menschen, die so ticken wie ich." Plötzlich machte vieles einen Sinn, was sich durch ihr Leben zieht.

"Ich bin eine kreative Nudel, die es liebt, zu malen, zu tanzen, zu singen und Musik zu machen." Reekers lässt sich nicht in eine Schublade sortieren. Sie ist ausgebildete Erzieherin, studierte Diplom-Heilpädagogin, Diplom-Gemeindepädagogin und hat als Musiktherapeutin in einer Klinik mit Wachkoma-Patienten gearbeitet. Als Freiberuflerin hat sie nicht ein Standbein, sondern viele, sehr viele. Als Coachin berät sie andere Scanner, sie bietet Kurse zum Thema Kreativität und Musik an, ist außerdem ausgebildete Qi-Gong-Lehrerin, leitet Kurse für Autogenes Training, ist Schlaf- und Entspannungstherapeutin. Hinter diese biographische Flut muss man ein "unter anderem" setzen. Reekers schreibt Gedichte, gestaltet Poster, ist als Poetry-Slammerin und Märchenerzählerin gefragt und sagt: "Ich bin Projektjongleurin." Diese wilde Mischung provoziert sicherheitsbetonte Menschen. Oft wird Reekers gefragt: Womit verdienst du eigentlich dein Geld? Sie antwortet dann: "Wie es sich für eine anständige Scannerin gehört, verdiene ich mein Geld mit vielen verschiedenen Projekten, Kooperationen und Tätigkeiten." Damit ist sie seit zehn Jahren erfolgreich.

Die Neugier darauf, was die Welt alles zu bieten hat, hilft, mutig zu handeln. "Ich habe mich selbst überrascht, aus meiner Komfortzone herauszugehen, die Kaffeeidee beschäftigt mich schon so lange in meinem Kopf", erklärt Veronika Becker. "Sollte es nicht klappen, war es ein wichtiger Versuch." Von Rückschritten ließ sich die 51-Jährige nicht entmutigen. Ursprünglich wollte sie ein Café betreiben, hatte schon Räume, eine mündliche Zusage, als unerwartet eine Absage folgte. "Die Frustration war riesig, ich habe das mehrere Monate sacken lassen." In ihr reifte die Erkenntnis, dass es ohnehin schwer werden würde, parallel neben ihrer Arzttätigkeit ein Café zu führen. Sie entschied sich für ein rollendes Café, kaufte in Wien ein geeignetes Lastenrad, ein Niederländer baute die Siebträgermaschine ein. Bei der Genehmigung für ihre Kaffeetouren erlebte sie viel Gegenwehr, wurde aber in ihrem Stadtteil "mit offenen Armen empfangen". Rund lief es nicht. Trotz starkem E-Bike-Motor brauchte Becker für weite Auswärtstermine einen Anhänger. Die Lösung wirkt nostalgisch: Jetzt steuert sie eine Ape, ein dreirädriges Kult-Kleinkraftrad mit aufklappbarem Seitenflügel.

Bewegtes Berufsleben beugt Langeweile vor

Was die Ärztin macht, macht sie gründlich. "Ich bin keine gelernte Barista, habe aber viele Kurse belegt. Wenn der Schaum nicht perfekt genug, der Kaffee zu heiß war, habe ich geübt. Ich war sehr streng mit mir und habe viel Zeit und Herzblut investiert." Zum Beispiel ist sie mit Freundespaaren zu einer Rösterei in den Selfkant, den westlichsten Zipfel Deutschlands, gefahren, um die ideale Bohne zu finden, "die dem Durchschnitt sehr gut schmecken könnte".

Eine spinnerte Idee ist es nicht, wenn Frau Doktor strahlend mit dem Kaffee-Mobil losfährt. Es bereitet ihr und ihren Kunden Freude. Sie hofft, künftig für Familienfeste gebucht zu werden. Die Mundpropaganda auf Spielplätzen floriert. "Viele fragen: Wann bist du wieder unterwegs?" Unterwegs ist sie oft. Etwa wenn sie vier Tage in der Woche die zehn Kilometer zur Arbeit in die Klinik radelt. Sport ist ihr wichtig. Auch Altblockflöte spielt sie wieder intensiv. Manchmal sagt ihr Mann, ein Kardiologe, "komm, setz dich mal aufs Sofa". Er habe recht, aber sie beschäftigt sich liebend gern mit neuen Projekten. "Ich habe viele Ideen, für mich bedeutet das keinen Stress."

Entspannt spricht auch Nina Rodmann über ihr bewegtes Berufsleben. Die diplomierte Volkswirtin und promovierte Politologin war bis vor Kurzem als Korrektorin tätig, arbeitet nach mehrjährigen Weiterbildungen außerdem als Beraterin und Klinikclown: "Der Clown ist jederzeit im Moment, probiert aus und begegnet dem Leben mit Neugier." Passt also. Denn die Sozialwissenschaftlerin schätzt Herausforderungen. "Ich mag Veränderung, das gibt mir Energie, ich lerne gerne neue Sachen und genieße neuen Input. Die Vorstellung, dass jede Arbeitswoche gleich abläuft, finde ich schrecklich." Die 43-Jährige hat in der Entwicklungszusammenarbeit und der Wissenschaft gearbeitet, auf den Philippinen, in Mexiko und England gelebt. Bewegungsfreudig ist sie auch, tanzt, jongliert, macht Musik. "Folgt man nicht dem klassischen Lebenslauf, so bleibt man jünger und fühlt sich vor allem so." Wann hat sie gemerkt, dass sie so vielseitig ist? "So richtig klar geworden ist mir das erst, als ich mit Clownerie angefangen habe."

Eigene Strukturen schaffen statt an Strukturen anpassen

Nina Rodmann engagiert sich bei den Clown Doktoren Wiesbaden, die auf Kinderstationen in Krankenhäusern und in Altenheimen im Einsatz sind. "Beim Clown-Sein geht es nicht ums Denken, Clowns scheitern permanent und gucken, wie es weitergeht. Ich mag die Philosophie, die dahintersteht." Patienten zum Lachen zu bringen, gehetztem Klinikpersonal heitere Momente zu verschaffen, im besten Sinn die strengen Hierarchien zu stören, findet Rodmann reizvoll. "Ich habe nie verstanden, warum ein Lebensziel der unbefristete Arbeitsvertrag sein sollte. Bei mir ergeben sich die Sachen so. Ich kann mir nicht vorstellen, mich auf eine Vollzeitstelle zu bewerben." Auch sie wird immer wieder mal gefragt, ob sie keine Existenzsorgen habe. Nein, habe sie nicht. "Viele Menschen verstehen nicht genau, was ich mache.

Aber die Arbeitswelt ändert sich, und ich erlebe, dass Personalabteilungen offener geworden sind." Jetzt hat sie eine neue Herausforderung angenommen, eine Stelle in einer Jugendherberge. Eingestellt wurde sie von einer Chefin, die auch Quereinsteigerin ist und agile Laufbahnplanungen gut findet.

Offen zu sein, Räume aufzumachen, damit sich etwas entwickeln kann, das versucht Nina Rodmann auch den Ratsuchenden zu vermitteln, die an ihrem Leben etwas ändern möchten. Ihre Homepage hat sie teils selbst programmiert und sich das selbst beigebracht - das hat übrigens auch Sandra Reekers getan, die berichtet: "Scanner sind oft sehr gute Autodidakten, die schnell Strukturen und Zusammenhänge erkennen." Das hört sich gut an, prädestiniert aber keineswegs für alle beruflichen Tätigkeiten. "Mit ihrem hohen Freiheitsdrang und ihrem Wunsch nach Wachstum, Abwechslung und danach, Dinge mitgestalten zu können, sind Scanner nicht geeignet für starre Routinen. Mit festen hierarchischen Strukturen tun sie sich schwer", ordnet Reekers ein. Was die Sache nicht einfacher macht: Manche sind zudem hochbegabt und hochsensibel. "Das sind eigenständige Phänomene, die aber in Kombination miteinander auftreten können." Mit solchen "Labels", wie sie sagt, sei sie vorsichtig, "aber sie können hilfreich sein, um sich besser zu verstehen und zu erkennen: Wer bin ich eigentlich? Denn darum geht es am Ende des Tages."

Statt sich unfroh anzupassen, empfiehlt Reekers einen anderen Weg: "Es geht nicht darum, wie muss ich mich verbiegen, um in eine Struktur zu passen, sondern wie kann ich mir Systeme und Strukturen schaffen, die zu mir passen." Sie findet, dass aktuell gesamtgesellschaftlich eine sehr gute Zeit für Scanner sei, weil komplexe Aufgaben innovative Problemlösungen erfordern. Ganz konkret, in welchen Branchen entfalten Scanner ihr Potential? "In Berufen, die ein großes Maß an Abwechslung bringen, in projektbezogenem Arbeiten, wo es darum geht, den Gesamtüberblick zu behalten, Strategien zu entwickeln, Konzepte zu schreiben, zum Beispiel in Unternehmensberatungen, im Journalismus, im Coaching, Marketing, in künstlerischen, kreativen Bereichen, aber auch in Bereichen Entwicklung, Forschung. Sie brauchen Gestaltungsraum und sind ungeeignet für einen Bürojob, wo es nur darum geht, Zahlen in Exceltabellen zu hauen."

Selbsterkenntnis und Selbsterlaubnis

Was aber, wenn bei aller Neugier das Geldverdienen im Vordergrund steht? Reekers berichtet von Kunden: Eine Frau hat einen Friseursalon, macht Mediation und hat mit ihrem Mann eine zweite Firma aufgebaut, die Gehäuse für E-Bike-Akkus verkauft, dazu Sozialprojekte in Südafrika. Oder ein Multiunternehmer, "alles, was ihn interessiert, wandelt er in Business um". Sie betont: "Das Geld darf aus mehreren Quellen kommen. Lassen sich Scanner auf unterschiedliche Geldmodelle ein, bedeutet das große Freiheit." Natürlich kennt sie Menschen, die Verantwortung für ihre Familie haben und in einem Angestelltenverhältnis verharren, aber unglücklich sind. "Scanner sind nicht Burnout-, sondern eher Boreout-gefährdet, wenn sie sich im Job langweilen, kann das krank machen."

Den Schritt da raus zu wagen, zwei, drei Jobs zu haben, koste natürlich Überwindung. Wer groß geworden sei in einem Kind-lerne-was-Anständiges-Umfeld, reiße sich am Riemen. "Diese Menschen versuchen, sich in lineare Strukturen zu pressen. Sie können finanziell hoch erfolgreich sein, werden aber total unglücklich, weil sie das Leben eines anderen leben und innerlich Leere verspüren." Reekers zitiert den Satz einer Kundin, der ihr nicht mehr aus dem Kopf geht: "Ich ersticke in dem zu engen Leben und will mich in meinem Leben wieder zu Hause fühlen." Ein anderer Kunde hat ihr gesagt: "Es ist, als ob ich einen Porsche im Kopf habe, aber ich darf nur Tempo 30 fahren." Höchste Zeit, etwas zu ändern und sich nach anderen Aufgaben umzusehen, findet Reekers: "Ich erlebe dann, wie Menschen aufblühen und wieder Leichtigkeit und Vitalität in deren Leben kommt." Der Leidensdruck, sich unvollständig zu fühlen, schwinde.

Zwei Punkte sind ihr wichtig: Selbsterkenntnis und Selbsterlaubnis. "Ich ermutige meine Kunden, sich die Selbsterlaubnis zu geben, manche haben Angst. Das hängt mit unserem Wunsch nach Zugehörigkeit zusammen. Aber mein Leben so zu gestalten, wie es zu mir passt, hat nichts mit Egoismus zu tun, sondern mit gesunder Selbstfürsorge, dann können wir viel bewirken."

Nina Rodmann bekommt manchmal zu hören: "Du musst doch irgendwann ankommen!" Diesen Wunsch verspürt sie nicht: "Ich kann mir nicht vorstellen, einen Job zu machen, viel Geld zu verdienen und den Job nicht zu mögen. Es ist gut, nicht ängstlich zu sein. Irgendwas ergibt sich schließlich immer." Ihre Eltern finden es normal, dass ihre Tochter interdisziplinär unterwegs ist. "Ich fühle mich privilegiert, dass ich das ausleben kann." Die Rente hat sie im Blick. "Ich bin sehr gut im Planen und Organisieren. Das ist häufig ein Fluch und manchmal ein Segen." Reekers erinnert sich an ein Zoom-Gespräch mit einer Kundin, als deren Tochter reinkam und die Mutter vorstellte: "Das ist die Frau, die mein zukünftiges Leben gerettet hat."

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