Psychologin im Interview: "Effizienz nur am Morgen ist ein Mythos"
- Felix Schwarz
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Die Arbeit ist der Hauptauslöser von schlechtem Schlaf, sagt die Psychologin Jette Völker. Was dagegen hilft und wie Führungskräfte Schlafvorbilder sein können.
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Frau Völker, wie sieht Ihre Schlafroutine aus?
Ich probiere zu ähnlichen Zeiten ins Bett zu gehen, zumindest unter der Woche. Aber teilweise wird es am Wochenende schon mal ein bisschen später. Mir hilft es sehr, vor dem Einschlafen noch ein Hörbuch zu hören oder einen Podcast. Das bringt mich runter und auf andere Gedanken. Auch der richtige Start in den Morgen ist mir wichtig. Ich bin kein Morgenmensch. Deswegen versuche ich, Termine um 8 Uhr morgens zu vermeiden. Am liebsten fange ich erst um 9 Uhr mit der Arbeit an und lege wichtige Termine auf 10 Uhr.
So geht es vielen Menschen . . .
In einer idealen Welt wäre es natürlich besser, wenn alle genau zu den Zeiten arbeiten könnten, zu denen sie sich am besten fühlen. Wir wissen aus der Forschung, dass manche Menschen eher früher am Tag oder eher später am Tag produktiver sind. Realistisch ist das leider nicht, weil in bestimmten Berufen wie etwa bei der Polizei oder in der Schule bestimmte Zeiten den Arbeitstag prägen. Aber natürlich gibt es noch viel Spielraum. In manchen Schichtsystemen können die Beschäftigten viel stärker ihre eigenen Wünsche verwirklichen.
"Ich bin am produktivsten, wenn ich morgens früh aufstehe." Ist das nicht ein Glaubenssatz, an dem nicht nur Chefs, sondern auch Mitarbeiter hängen?
Eine Studie von uns hat gezeigt: Wenn Menschen davon überzeugt sind, dass es besser ist, früher aufzustehen und früher zu arbeiten, dann halten sie sich tatsächlich auch daran – und zwar unabhängig davon, ob sie von Natur aus Langschläfer oder Frühaufsteher sind. Allein weil Beschäftigte glauben, dass Menschen am Morgen am produktivsten sind, fühlen sie sich schlecht und sind unproduktiver, wenn das gar nicht zu ihrem eigenen Leben passt. Wer aber langfristig gegen seinen eigenen Rhythmus schläft, riskiert seine Gesundheit. Das ist vergleichbar mit dem Jetlag beim Reisen. Was mich überrascht, ist, dass auch jüngere Erwachsene an diesem Irrglauben festhalten. Auf Instagram und Tiktok zeigen manche ihre Fünf-Uhr-Morgenroutine und preisen das als allgemeingültige Lösung. Der Glaube an Effizienz am Morgen für alle ist ein hartnäckiger Mythos.
Viele Frühaufsteher schlafen gerne dann am Wochenende länger. Ist das gut für unsere Leistungsfähigkeit?
Kurzfristig kann es sinnvoll sein, zumindest am Wochenende ein bisschen mehr Energie zu tanken. In eigenen Studien haben wir herausgefunden, dass sich solche Menschen aber langfristig am Montag schlechter auf die nächste Woche einstellen können. Sie sind dann erschöpfter – und wenn sie dann am nächsten Wochenende wieder Schlaf nachholen müssen, kann es sein, dass sich daraus ein Teufelskreislauf entwickelt. Grundsätzlich rate ich Menschen unabhängig von ihrem Schlaftyp und Schlafproblemen: Gehen Sie jeden Tag zur selben Zeit ins Bett, und stehen Sie möglichst zur selben Uhrzeit am Morgen auf. Wer mit unregelmäßigen Schlafens- und Aufstehzeiten gute Erfahrungen gemacht hat und gut damit leben kann, kann natürlich davon abweichen
Was schadet dem Schlaf von Arbeitnehmern?
Zum einen, wenn sie ihre Arbeitszeit ausdehnen und dafür Schlaf opfern. Ein weiteres Thema ist Grübeln, zum Beispiel wenn Beschäftigte das Gefühl haben, viele Aufgaben des Arbeitstages noch nicht beendet zu haben. Diese unerledigten Aufgaben können den Schlaf rauben. Generell können Schlafprobleme entstehen, wenn Mitarbeitende nicht gut genug von der Arbeit abschalten können.
Was lässt sich dagegen tun?
Der Feierabend sollte auf jeden Fall möglichst frei von Gedanken an Arbeit sein. Auf das richtige Abschalten kommt es dabei an. Dabei tickt jeder Mensch natürlich anders. Manchen hilft Sport, andere brauchen kreative, künstlerische Hobbys oder Treffen mit Bekannten und Freunden. Wichtig ist, dabei wirklich entspannen zu können. Idealerweise lassen sich diese Aktivitäten vorher planen. Das hilft besonders an Tagen, wenn wir besonders gestresst sind, denn dann ist es besonders schwer, sich entspannen zu können. Mit einem Eintrag in den Kalender, einer Erinnerung oder einem konkreten Treffen lässt sich dagegen ankämpfen. Eine große Hilfe können auch Achtsamkeitsübungen sein. Sie unterstützen dabei, die Aufmerksamkeit von den Problemen zu nehmen, und unterbinden damit Grübeln. Mit Meditation und Atemübungen kann das gelingen.
Am Abend ein bisschen an die Arbeit zu denken, kennt ja jeder. Wann wird das problematisch?
Sobald ein gewisser Leidensdruck entsteht. Für manche ist es völlig in Ordnung, am Abend an die Arbeit zu denken und auch mit anderen darüber zu reden. Andere brauchen eine viel stärkere Trennung zwischen Freizeit und Arbeit. Gerade für solche Menschen ist es dann entscheidend, sich am Feierabend anderweitig zu beschäftigen, damit es gar nicht erst zu diesen Gedanken kommt.
Seit der Corona-Pandemie und dem Aufstieg des Homeoffice ist in vielen Bürojobs die Trennung zwischen Arbeit und Beruf verschwommen. Welche Auswirkung hat das auf unseren Schlaf?
Die Trennung ist nicht mehr so scharf – und das kann negative Auswirkungen haben wie etwa eine schlechtere Erholung. Beschäftigte sind dem aber nicht ausgeliefert. Sie können zum Beispiel versuchen, zu Hause immer an einem festen Platz zu arbeiten und die Arbeitsgeräte nicht mit ins Schlafzimmer zu nehmen. Es kann auch hilfreich sein, mit Vorgesetzten und Kollegen zu vereinbaren, wann man erreichbar ist und wann nicht. Aber die Verschmelzung von Arbeit und Freizeit kann auch Vorteile haben, vor allem dann, wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Dazu zählt, das Kind abzuholen oder die Waschmaschine auszuräumen. Jeder muss für sich abwägen: Was sind die Vorteile, wenn Arbeit und Freizeit ineinander übergehen? Wann schadet es mir? Homeoffice an sich ist jedenfalls kein Risikofaktor für Schlafprobleme.
Wie wichtig sind getrennte Zimmer zum Schlafen und Arbeiten?
Das ist auf jeden Fall sinnvoll. Man sollte generell im Bett wenig andere Dinge tun als schlafen, also erst recht nicht arbeiten. Idealerweise haben Sie ein eigenes Arbeitszimmer oder zumindest einen Schreibtisch, die wirklich nur zum Arbeiten da sind. Aber auch hier kommt es immer auf individuelle Wünsche und Bedürfnisse an.
Was genau hält uns wach, wenn wir im Bett liegen? Ist es wirklich der Stress auf der Arbeit oder die Angst davor, am nächsten Tag nicht gut genug arbeiten zu können?
Beides kann zum Problem werden. Angst vor dem Einschlafen tritt aber eher bei Menschen auf, die schon eine Schlafstörung entwickelt haben. Besonders solche Menschen denken sich dann auch: Wenn ich nicht acht Stunden schlafe, kann ich am nächsten Tag kaum etwas leisten. Klassiker sind auch Konflikte mit Kolleginnen und Kollegen, die einen am Abend nicht loslassen wollen.
Was sollte man tun, wenn man nicht einschlafen kann?
Vor dem Schlafengehen negative Gedanken über die Arbeit aufzuschreiben, ist eine Möglichkeit. Ich würde das aber nicht kurz vor dem Schlafengehen machen, weil dann die Gefahr groß ist zu grübeln. Am besten wäre es direkt nach dem Arbeitsschluss. Generell ist es sinnvoll, konkrete Pläne für den nächsten Tag aufzuschreiben etwa in Form einer To-do-Liste: Was sind die Punkte, die ich morgen früh noch bedenken muss? Was muss ich für die Präsentation vorbereiten?
Und wenn das auch nicht klappt?
Dann würde ich es mit Achtsamkeitsübungen probieren. Einen Podcast zu hören oder ein Hörbuch, entspannt auch viele. Hauptsache, man fährt irgendwie herunter. Geduld beim Ausprobieren ist auch wichtig.
Angenommen, jemand schläft regelmäßig gut, und dann gibt es diese eine Nacht vor einer wichtigen Präsentation, in der es sich überhaupt nicht schlafen lässt. Wie wirkt sich eine schlaflose Nacht auf unsere Leistungsfähigkeit aus?
Also prinzipiell ist es natürlich nie gut, wenn man nicht oder kaum geschlafen hat. Aber eine schlechte Nacht ist nicht so schlimm, besonders wenn es einen bestimmten Grund dafür gab, der schnell wieder verschwindet, zum Beispiel ein superwichtiges Meeting.
Was kann man am nächsten Morgen tun, um nach einer schlechten Nacht gut arbeiten zu können?
Wer schlecht schläft, reagiert schlechter auf stressige Situationen. Achtsamkeitsübungen am Morgen können helfen. Was auch sinnvoll sein kann, ist, morgens darüber nachzudenken: Was steht heute eigentlich an? Was muss ich heute erledigen? Wie könnte dieses Meeting ablaufen? Sich gedanklich auf die Arbeit einzustellen und mehr Pausen oder längere Pausen einzulegen, kann auch wichtig sein. In der Pause mal in die Natur zu gehen oder weniger anstrengende Aufgaben anzugehen, ist ebenso hilfreich. Was ich außerdem rate: Man sollte am nächsten Tag ein bisschen netter zu sich selbst sein und beispielsweise außerhalb dieses wichtigen Meetings darauf achten, weniger anstrengende Aufgaben zu erledigen. Auch mehr Pausen einzulegen, sich eine längere Mittagspause zu gönnen und vielleicht ein bisschen früher mit der Arbeit aufzuhören, lohnt sich.
Welche Bedingungen sind notwendig, damit Arbeit erst gar nicht zum Schlafproblem wird?
Der Idealfall ist, wenn Arbeit herausfordert, Abwechselung bietet und in einer angemessenen Zeit zu bewältigen ist. Wer mit dem Gefühl nach Hause geht, eine explodierende To-do-Liste zu haben, wird wohl kaum richtig zur Ruhe kommen. Auch ein vertrauensvolles Umfeld mit Kolleginnen und Kollegen ist entscheidend, gegenseitiges Vertrauen zwischen Führungskräften und Beschäftigten natürlich auch.
Wie können Führungskräfte ein Vorbild beim Thema Schlaf sein?
Führungskräfte sind sehr wichtige Vorbilder. Wenn sie vorleben, Schlaf für die Arbeit zu opfern, dann ist es wahrscheinlicher, dass sich die Mitarbeitenden danach richten. Auf der anderen Seite können sie auch den Schlaf ihrer Mitarbeitenden fördern, indem sie selbst gute Schlafroutinen haben und darüber sprechen, flexiblere Arbeitszeitmodelle einführen und darauf verzichten, Beschäftigte nach Feierabend noch zu kontaktieren und Arbeit in der Freizeit einzufordern.
Ist Schlaf am Arbeitsplatz immer noch ein Tabuthema?
Ja, auf jeden Fall. Es ist aber auch nicht sinnvoll, immer darüber zu reden. Studien haben gezeigt, dass es manchen Menschen guttut, über ihr Privatleben auf der Arbeit zu sprechen - andere brauchen eine stärkere Trennung zwischen Arbeit und Privatleben. Prinzipiell sollte eine Führungskraft offen für solche Gespräche sein. Das Thema wird leider immer noch viel zu stiefmütterlich behandelt. Arbeit ist der Hauptauslöser von Schlafproblemen.
Wann sollte man mit dem Chef oder der Chefin über Schlafprobleme sprechen?
Wenn spürbar die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit leiden, ist ein Gespräch angesagt. Das gilt insbesondere dann, wenn ein konkreter Auslöser am Arbeitsplatz vorliegt. Nicht nur Schlaf ist ein Tabuthema, sondern psychische Probleme generell. Natürlich ist so ein Gespräch mit der Chefin nicht einfach. Aber wenn es mir nicht gut geht, sollte ich das meiner Vorgesetzten mitteilen. Wenn Schlafprobleme zu Schlafstörungen werden, sollten Sie hingegen direkt in eine Arztpraxis gehen und/oder in eine Praxis für Psychotherapie. Prinzipiell ist es gut, wenn Unternehmen Arbeitnehmenden Strategien an die Hand geben, wie sie sich zum Beispiel besser erholen können. Aber der Arbeitgeber muss auf jeden Fall in die Verantwortung genommen werden, dafür zu sorgen, dass die Arbeit kein zu hoher Stressfaktor ist. Wenn zum Beispiel Konflikte in Teams immer wieder auftreten, muss eine Führungskraft eingreifen. Nur dem Beschäftigten die Verantwortung zuzuschieben, wäre verantwortungslos.
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