Künstliche Intelligenz: Jetzt will der Computer Ihren Job

Autor*innen
Patrick Bernau
Person schwebt in der Luft, in einer Pose, die an den Bauchstand aus dem Yoga erinnert. Aus ihrem Kopf führen vier Kabel zu vier Röhren-Computerbildschirmen.

Plötzlich wird deutlich, was die Künstliche Intelligenz schon kann. Nicht mal kreative Arbeitsplätze sind noch sicher. Wir müssen uns mit der Technik verbünden.

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Dieses Bekenntnis kommt lieber gleich am Anfang: Das hier ist zwar ein Beitrag über die Fortschritte von Künstlicher Intelligenz, aber er ist nicht von einem Computer geschrieben worden. Der Autor dieses Textes möchte Ihnen beste Qualität liefern und hat die Chuzpe, zu glauben, dass er selbst immer noch bessere Beiträge schreibt als der Computer. Wie lange noch? Keine Ahnung. Aber darauf kommt es vielleicht auch gar nicht so sehr an.

Den gebildeten Schichten jedenfalls ist in den vergangenen Wochen der Schreck in die Glieder gefahren. Dass die Künstliche Intelligenz immer schlauer wird, wusste man im Prinzip schon lange. Aber seit Anfang Dezember lassen sich ihre Fähigkeiten ganz einfach bestaunen, dank der neuen Software mit dem unaussprechlichen Namen "ChatGPT". Ein paar Wochen zogen ins Land, jetzt ist der Hype auf seinem Höhepunkt: Es gibt kaum noch einen Autor, der nicht ein paar Sätze dem Computer entnommen hat. Kaum einen Professor, der seinen Seminarplan nicht schon mal der Künstlichen Intelligenz überlassen hat (und kaum einen Studenten, der sich in der Seminararbeit nicht mit gleicher Technik revanchiert). In einem an Neujahrsempfängen nicht armen Januar gab es kaum einen Manager, der nicht Teile seiner Rede aus der Technik geholt hat. Mancher spürt dabei eine Kränkung: So einzigartig bin ich gar nicht, der Computer ist schon fast so gut wie ich! Dann kommt leichtes Gruseln: Bin ich nicht doch ein bisschen ersetzbar? Was soll aus meinem Arbeitsplatz werden? Auf solche Fragen gibt es keine sicheren Antworten. Aber wer die Geschichte des technischen Fortschritts betrachtet und die Fähigkeiten Künstlicher Intelligenz versteht, kann erahnen, was auf die Arbeitswelt zukommt. Auf den gebildeten Teil, genauer gesagt, denn dieses Mal ist er es, den die Technik aufs Korn nimmt.

In den vergangenen Jahrzehnten lief der Fortschritt so: Computer wurden immer weiter entwickelt, sie übernahmen mehr Routinetätigkeiten von mittelmäßig gebildeten und bezahlten Büroarbeitern, während die gut gebildeten Leute die Computer zu ihrem Vorteil nutzen konnten. In vielen Ländern der Welt wuchs die wirtschaftliche Ungleichheit. Die Künstliche Intelligenz, die ChatGPT der Welt zeigt, kehrt die Verhältnisse um. Zuerst trifft es diejenigen, die von der Computer-Revolution bisher am meisten profitiert haben: die Programmierer. Nichts kann ChatGPT so gut, wie Computercode zu verfassen. Deutschlands größter Softwarekonzern SAP frohlockt schon. "ChatGPT kann dabei helfen, eine neue Stufe der Automatisierung und Produktivität zu erreichen", sagt Technologievorstand Jürgen Müller. Und: "Wir sehen in der Technologie großes Potential."

Was in solchen Situationen passiert, ist aus der Geschichte schon lange bekannt. Die eine Seite der Medaille ist: Bisher ist noch kaum ein Beruf ganz ausgestorben. Selbst der Beruf des Liftboys hat sich gewandelt, wie Googles Chefökonom Hal Varian gern erzählt: Der Liftboy hat ja einst nicht nur die Knöpfe im Aufzug gedrückt, er war auch Wegweiser und freundliches Gesicht des Hauses. Und vergleichen Sie doch mal das, was eine Sekretärin in den 70er-Jahren gemacht hat, mit den persönlichen Assistenten von heute!

Die andere Seite der Medaille ist: In manchen Berufen fallen große Teile der Arbeit weg. Das gibt den Menschen Freiheit – aber auch die Chance, mehr Kunden auf einmal zu bedienen. Und so manchem Laien die Möglichkeit, ganz auf professionelle Dienste zu verzichten. Gleichzeitig werden Qualifikationen entwertet. All das drückt das Gehalt der Betroffenen. An der Universität Oxford verweist der Wirtschaftshistoriker Carl Benedikt Frey auf Taxifahrer in den Vereinigten Staaten, die sich nicht so gegen Uber wehren konnten wie die deutschen Taxifahrer. Dank Uber und Navis konnte plötzlich jeder andere Leute chauffieren, das Gehalt amerikanischer Taxifahrer sank um rund 10 Prozent.

Frey hat die Verbreitung von technischem Fortschritt in der Wirtschaft immer wieder aus unterschiedlichen Blickwinkeln untersucht, er hat zum Beispiel gezeigt, wie die Industrialisierung des 17. und 18. Jahrhunderts mehrere schwierige Jahrzehnte nach sich zog. Vor zehn Jahren machte er Furore, als er zusammen mit seinem Kollegen Michael Osborne zeigte: 50 Prozent der Arbeitnehmer konnten schon damals vom Computer ersetzt werden. Viele arbeiten bis heute noch in ihren alten Berufen – aber nicht aus technischen Gründen, sondern weil die Menschen diese Aufgaben aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht den Computern übertragen wollen. Insofern ist der genaue Zeitplan des technischen Fortschritts am Ende gar nicht so wichtig, es geht immer auch um die menschliche Reaktion darauf.

So wird es auch diesmal gehen. Wahrscheinlich ist Deutschland ganz froh, wenn einige der offenen Arbeitsstellen vom Computer besetzt werden können. Doch die größeren Lohnsteigerungen versprechen Berufe, in der die Künstliche Intelligenz keine Arbeit machen kann.

Noch ist es nicht so weit. Nicht alles, was technisch machbar ist, wird sofort passieren. Und nicht alles, was die Künstliche Intelligenz in ein paar Jahren kann, funktioniert jetzt schon. Bilder kann der Computer nur dann gut zeichnen, wenn er sehr genaue Anweisungen bekommt. Die Illustrationen auf dieser Seite zeigen, was die Künstliche Intelligenz aus unterschiedlichen Anfragen gemacht hat – und viele davon sind deshalb so klein, weil sie größer nicht brauchbar waren.

ChatGPT und seine Kollegen sind vor allem "Papageien erstaunlicher Art", wie die Künstliche-Intelligenz-Forscherin Iryna Gurevych von der TU Darmstadt sagt. Sie haben im Prinzip nur gelernt, wie Wörter zusammenhängen. Tieferes Verständnis im menschlichen Sinn haben sie nicht, und das zeigt sich sofort, wenn ChatGPT voller Überzeugung behauptet, das Landsäugetier mit den größten Eiern der Welt sei "die Straußenei-legende Kreatur, das Straußenei". (Bevor Sie jetzt lange nachdenken: Praktisch kein Säugetiere legt Eier, das Straußenei jedenfalls ist sicher kein Säugetier.) Meistens tickt die KI – weil sie aus veröffentlichten Texten aller Art lernt – linksliberal, manchmal kommen hanebüchene Klischees durch.

Doch davon lässt sich niemand mehr täuschen. Jeder weiß: Das wird sich ändern. Die Künstliche Intelligenz lernt schnell, allein in den Schöpfer von ChatGPT investiert Microsoft jetzt Milliarden von Dollar, die nächste Version der Software ist schon geplant. Die Konkurrenz will zu ihren Sätzen künftig auch Quellen mitliefern – auch das wäre ein großer Fortschritt in naher Zukunft.

Trotz allem gibt es einige Dinge, mit denen die KI grundsätzlich Schwierigkeiten hat und die auch in absehbarer Zeit nicht gelöst werden. Die hat der Ökonom Michael Webb von der Stanford University gesammelt. Die wichtigsten schließen schon den einen oder anderen Beruf aus. Erstens: Künstliche Intelligenz braucht Daten zum Trainieren. Sie muss Zugang zu Texten, Zahlen, Bildern oder Videos haben. Wo die wegen Datenschutz oder technischer Unmöglichkeit nicht vorliegen, fällt das Training schwer. Schwer fällt es auch dort, wo sich die Grundlagen der Arbeit ständig ändern.

Zweitens: Künstliche Intelligenz braucht eine klare Vorstellung davon, wann sie eine Arbeit gut gemacht hat und wann nicht. Je klarer der Erfolg bei der Arbeit definiert ist, desto eher kann sie die Arbeit lernen – bei vielen Managern aber zum Beispiel ist Erfolg nicht so eindeutig.

Drittens braucht die Künstliche Intelligenz einen Weg, die Ergebnisse ihrer Überlegungen in die Welt zu bringen. Bei digitalen Medien ist das unproblematisch, aber je mehr es um körperliche Interaktion mit der echten Welt geht oder um persönliche Gespräche mit Menschen, umso schwieriger wird das. Webb spricht zum Beispiel über Rechtsanwälte: Die verbringen am Ende viel Zeit mit Mandantenbesprechungen und Verhandlungen – Dinge, die der Computer so schnell nicht übernehmen kann. Die Schriftsätze und Briefe bereiten oft Rechtsanwaltsfachangestellten vor, deren Arbeit würde kräftiger umgewälzt als die ihrer Chefs.

Aus all diesen Erkenntnissen hat Webb eine Liste mit Berufen generiert, die sich mit der Künstlichen Intelligenz besonders verändern werden. Dazu gehören zum Beispiel Chemieingenieure, Fahrdienstleiter und Kraftwerksoperateure (die oft tatsächlich schon ersetzt sind). Bestattungsunternehmern und Friseuren kann die Künstliche Intelligenz dagegen egal sein (dafür sollten Tierpfleger und Köche darauf achten, welchen Fortschritt Roboter machen). 

Und was ist mit der Kreativität? ChatGPT hat Erstaunliches im Bereich der Dichtkunst erreicht, schon vor Jahren hat eine Künstliche Intelligenz Beethovens "Unvollendete" vollendet, und künstliche Illustratoren können im Stil fast jedes Malers zeichnen – doch am Ende bleibt ihnen immer nur die Neukombination von Bekanntem. Ob der Computer je in der Lage ist, ganz Neues zu schaffen, das ist hochumstritten.

Sicher ist jedenfalls: Auch die Zahl der Menschen, die wirklich Neues schaffen, ist gar nicht so groß. Zum Beispiel, wenn es um Mode und Design geht. "Es gibt einige wenige Spitzendesigner, da kommt kein Computer hin", sagt KI-Forscherin Iryna Gurevych. "Die Arbeit von Durchschnittsdesignern kann ein Computer inzwischen automatisieren." Wirtschaftshistoriker Carl Benedikt Frey sieht das so ähnlich: "Es wird mehr Märkte geben, auf denen ein Sieger alles bekommt", sagt er: derjenige, der das Neue in die Welt bringt, das von Computern nachgeahmt und in neue Formen gegossen wird.

So ist es kein Wunder, dass die meisten Ökonomen glauben: Die reichsten zehn Prozent in den meisten Gesellschaften werden verlieren und sich wieder der Mittelschicht annähern. Doch das reichste Prozent, das könnte sich in einer KI-Welt weiter vom Rest der Bevölkerung absetzen. Den Leuten, auf deren Job es die Künstliche Intelligenz demnächst abgesehen hat, denen bleibt da nur eines: Sie müssen dafür sorgen, dass sie sich die Arbeit der KI schnell selbst untertan machen. Experimentieren, lernen – und bald selbst sinnvoll einsetzen.

Und dann müssen die meisten mit der großen Kränkung der KI leben: wenn man eines Tages erkennen muss, dass man doch nicht zu den Spitzenkreativen gehört, sondern die eigene Arbeit wirklich an den Computer abgeben kann.

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