Berufswahl in Krisenzeiten: Mehr Geld oder mehr Glück?

Autor*innen
Caroline Becker
Eine Person von hinten. Sie steht vor einer Gabelung mit zwei Wegen. Um ihren Kopf schweben Fragezeichen.

Jüngere Arbeitnehmer legen mehr Wert auf Freizeit und ein gutes Arbeitsumfeld. Aber Krisen und Inflation machen auch sie nervös. Was bedeutet das für die Berufswahl?

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Manuela Kaczmarek war schon früh klar, dass sie Journalistin werden möchte. Nach dem Abitur studierte sie Media Publishing und machte anschließend ein Volontariat beim "Katholischen Sonntagsblatt", der Kirchenzeitung der Diözese Rottenburg. "Mir war bei der Studien- und Berufswahl am wichtigsten, dass es mich interessiert und mir Spaß macht", sagt die inzwischen Siebenundzwanzigjährige. Alena Brennig war es besonders wichtig, dass sie mit ihren Qualifikationen immer gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben würde. Die Fünfundzwanzigjährige ist gelernte Bankkauffrau und arbeitet als Firmenkundenberaterin in einer Volksbank.

Mathematik und Wirtschaft hatten ihr schon in der Schule Spaß gemacht, weshalb sie sich nach ihrem Abitur in diesen Bereichen nach Studiengängen und auch nach Stellenausschreibungen umschaute. So ist sie auf die Idee gekommen, ein duales Studium zu machen. "Ich muss nicht zwingend mein Leben lang denselben Job machen, aber mir war wichtig, dass ich mir Expertise in meinem Studium und Job aneigne, mit der ich immer etwas finden kann", sagt Brennig.

"Eine so stark psychisch belastete junge Generation hat es lange nicht gegeben"

"Die junge Generation ist zwiegespalten", sagt Maike Andresen. Sie ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und beschäftigt sich mit den Karrierezielen von Arbeitskräften. Für die junge Generation sind finanzielle Sicherheit und eine gute Work-Life-Balance beides sehr wichtige Karriereziele. "Das ist ein Spannungsfeld und passt eigentlich nicht ganz zusammen", sagt die Wissenschaftlerin. Eine richtige Strategie, beide Ziele gleichzeitig zu erreichen, gäbe es nicht. "Wenn wir näher hinschauen, finden wir aber, dass sich die Generation in zwei Gruppen einteilen lässt."

Die eine Gruppe sei eher traditionell, versucht bei einem oft großen Arbeitgeber zu bleiben und durch eine konstante Karriere dort finanzielle Sicherheit zu bekommen. Die andere Gruppe hingegen sei extrem mobil, versucht Abhängigkeiten von einem Arbeitgeber zu vermeiden und ihre Karriere selbst zu managen. Und diese mobile Gruppe würde auch auf Entwicklungen wie die Inflation reagieren, andere Jobs suchen oder gegebenenfalls die Branche wechseln. "Das sind zwei unterschiedliche Wetten auf die Zukunft", sagt Andresen.

"Sie sind psychisch angespannt"

Kaczmarek steht ein wenig zwischen diesen beiden Gruppen. Ihr Volontariat bei dem Kirchenblatt begann sie Ende 2019, kurz vor Beginn der Corona-Pandemie. Die Krise machte sie nachdenklich mit Blick auf den Arbeitsmarkt in der Medienbranche. "Ich fragte mich, ob ich es wohl schaffen würde, jemals eine Festanstellung zu finden, oder ob ich mich als freie Journalistin irgendwie von Auftrag zu Auftrag würde hangeln müssen." Als ihr Chef sie dann Anfang 2022 gegen Ende ihres Volontariats fragte, ob sie nicht bleiben möchte, sagte sie deshalb direkt zu. Immerhin seien unbefristete Verträge in der Medienbranche ein rares Gut. "Ohne die Pandemieerfahrung wäre ich sicher etwas risikofreudiger gewesen und hätte noch mal etwas anderes probiert", sagt sie heute. "Durch die Krisen hat die junge Generation gelernt, dass die Wirtschaft durchaus gnadenlos sein kann und dass es ihr Umfeld, die Familie und Freunde sind, die sie wirklich stützen", sagt Anja Robert.

Sie leitet das Career Center der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen und berät seit fünfzehn Jahren Studenten im Bereich Karriereplanung. Ihrer Erfahrung nach habe die hohe Inflation zumindest bei den Studenten mit MINT- oder Wirtschaftsschwerpunkt nicht zu neuen Prioritäten bei der Berufswahl geführt. Sie erlebt die junge Generation als sehr selbstbewusst: "Die haben einfach ein anderes Mindset und sind sich bewusst, dass es inzwischen ein Arbeitnehmermarkt ist." Statt um Gehälter gehe es in der Beratung eher darum, wie sich der Beruf zum Beispiel mit Familie vereinbaren ließe - und zwar geschlechterübergreifend. "Eine gute Work-Life-Balance ist den unter Dreißigjährigen nach wie vor im Vergleich zu anderen Generationen am wichtigsten", sagt auch Maike Andresen aus Franken.

"Die Wohlstandsjahre sind vorbei"

Klaus Hurrelmann ist Professor für Public Health und Education an der Hertie School und erstellt gemeinsam mit Jugendforscher Simon Schnetzer seit 2010 Studien über die Jugend in Deutschland – mittlerweile einmal jedes halbe Jahr. Dafür erforschen sie die Bedürfnisse und Ideen der Vierzehn- bis Neunundzwanzigjährigen. "Die Wohlstandsjahre sind vorbei" lautet der Titel der im November 2022 publizierten Trendstudie, in der die Forscher unter anderem die Auswirkungen der Inflation auf junge Leute untersuchen. "Sie sind psychisch angespannt, weil sie merken, dass sich ihre Lebensbedingungen erheblich verschlechtern könnten", sagt Hurrelmann.

Das sei schon durch die Pandemie und die Klimakrise zu beobachten gewesen, der Krieg in der Ukraine und die Inflation hätten da ihr übriges getan. Rund drei Viertel der Befragten gaben an, dass sie die Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln, Strom und Gas finanziell belasten würden. Als Reaktion gaben etwas mehr als die Hälfte an, deshalb ihren Energieverbrauch zu reduzieren und mehr reduzierte Ware zu kaufen. Jeweils ein Drittel erklärten, häufiger bei Discountern einzukaufen und auf viele Dinge zu verzichten.

Natürlich seien alle Altersgruppen von Krisen wie der hohen Inflation betroffen, doch Krisenerfahrungen träfen junge Leute stärker. "Sie treffen sie in einer äußerst sensiblen Phase der Persönlichkeitsentwicklung", sagt Hurrelmann. Zudem seien zwei Jahre für einen Zwanzigjährigen immerhin zehn Prozent seiner Lebenszeit. Deshalb hätten die Krisen der vergangenen Jahre insbesondere junge Menschen stark in ihrem Sicherheitsempfinden getroffen. Hurrelmann und Schnetzer stellten fest, dass sich im Vergleich zum Mai 2022 insbesondere die Werte zur psychischen Gesundheit, zur finanziellen Lage und zu den beruflichen Chancen verschlechterten. Auch die Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung für die kommenden zwei Jahre fiel negativer aus. Das Gefühl von Hilflosigkeit und Suizidgedanken hätten unter jungen Leuten stark zugenommen. "Eine so stark psychisch belastete junge Generation hat es lange nicht gegeben", sagt Klaus Hurrelmann.

Junge Leute schätzen ein gesundes Leben besonders

Manuela Kaczmareks Entscheidung für die feste Stelle bei der Wochenzeitung wurde durch den Krieg in der Ukraine und die Inflation bekräftigt. "Das hat mein Bedürfnis nach Sicherheit und etwas Festem noch mal verstärkt." In ihrem Job fühlt sie sich wohl, sie hat ein festes Einkommen und muss nicht täglich Artikel liefern, sondern kann sich die Arbeit etwas flexibler einteilen. "Die Zukunft ist unsicher. Erst die Pandemie, dann der Krieg und die Inflation und dazu kommt noch die Klimakrise – es kommt alles auf einmal." Deshalb wolle sie die Gegenwart genießen, "anstatt sich kaputtzuschaffen, um dann als Rentnerin tolle Reisen machen zu können".

Diese Einstellung ist laut Hurrelmann und Schnetzer ein genereller Trend bei der jungen Generation. Junge Leute schätzen wegen der Krisenerfahrungen ein gesundes und qualitätsreiches Leben besonders. Gleichzeitig sei ihnen durch die Inflation verdeutlicht worden, wie wichtig finanzielle Sicherheit ist. Geld stand bei den Teilnehmern der Jugendstudie als Entscheidungskriterium bei der Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit an erster Stelle. Dabei handle es sich jedoch nicht um Materialismus, sondern eine Form von Existenzialismus. "Junge Menschen sehen ihrer finanziellen Zukunft mit großer Sorge entgegen, und um sich für die Zukunft abzusichern, benötigen sie Geld", heißt es in der Studie.

Dennoch würden die klassischen Gutverdienerbranchen dadurch nicht automatisch mehr Zulauf bekommen. "Viele junge Leute haben quasi eine Art eingebaute Burnout-Sperre", sagt Hurrelmann. Sie seien einfach deutlich weniger als vorherige Generationen dazu bereit, für ein hohes Gehalt ihre psychische Gesundheit, ihr Wohlbefinden und ihre Work-Life-Balance zu belasten.

"Wer weiß, was morgen passiert"

Zudem, so ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit, fragen junge Menschen zunehmend nach der Sinnhaftigkeit beruflicher Tätigkeiten. Sie streben nach Tätigkeiten, deren Inhalte ihren persönlichen Werten entsprechen und einen nachhaltigen Lebensentwurf ermöglichen. Das zeigen auch die Erfahrungen von Anja Robert aus der Karriereberatung der RWTH. Das Interesse an der Tätigkeit und die Sinnhaftigkeit der Arbeit sind wichtige Komponenten und verhindern, dass nur wegen eines hohen Gehalts plötzlich viele Investmentbanker oder Anwalt werden wollen.

Alena Brennigs Job als Firmenkundenberaterin war durch die Pandemie und die Auswirkungen der Inflation nicht wirklich betroffen. Dennoch macht sie sich inzwischen mehr Gedanken über Geld. Sie habe sich immer mit ihrem Partner eine Immobilie kaufen sehen. "Dieser Wunsch ist für mich immer noch sehr präsent, aber die Verwirklichung deutlich ferner und unrealistischer geworden", sagt sie. Brennig ist zwiegespalten, denn jetzt, wo die Corona-Einschränkungen vorbei sind, neige sie dazu, Geld für schöne Erlebnisse auszugeben, denn sie sei ja nur einmal jung. So hat sie zum Beispiel gerade einen Urlaub gebucht.

"Wenn die Preise eh so stark steigen, dann nehme ich lieber noch mal alles mit, denn wer weiß, was morgen passiert", erklärt sie. Auf der anderen Seite wolle sie eigentlich mehr sparen, um sich vielleicht doch irgendwann den Traum einer eigenen Immobilie erfüllen zu können. Letzteres Vorhaben deckt sich mit den Ergebnissen von Hurrelmann und Schnetzer. Bei der Studie vom Sommer 2022 gaben noch knapp 60 Prozent an, kaum oder gar nicht zu sparen. Bei der Folgestudie vom Winter 2022/23 wollten deutlich mehr aufgrund der Krisenerfahrungen im Rahmen ihrer Zukunftsplanung sparen. Die angespannte wirtschaftliche Situation könnte zu einem Umdenken beim Sparverhalten von jungen Leuten geführt haben, vermuten die Studienmacher.

Innerhalb der Branche mehr rausholen

Ohne Erbe sei es laut Hurrelmann dennoch für junge Arbeitnehmer fast unmöglich, sich zum Beispiel eine Immobilie zu leisten, da die Reallöhne in den vergangenen Jahrzehnten strukturell gesunken sind. "Dieses Wissen führt dazu, dass junge Leute bereit sind, weniger zu verdienen, wenn sie dafür andere Vorteile haben," sagt er. Laut Beraterin Anja Robert verfalle die junge Generation dennoch nicht in eine Schockstarre, nur weil zum Beispiel Immobilienerwerb unerreichbar geworden sei. Veranstaltungen zu Vermögensaufbau würden an ihrer Universität inzwischen stark nachgefragt. "Ich nehme sie eher als eine Generation wahr, die dann einfach versucht, das Beste für sich rauszuholen, und zupackt", sagt Robert. "Obwohl sie erwarten, dass sich die wirtschaftliche Lage deutlich verschlechtert, bewerten sie ihre beruflichen Chancen ziemlich positiv", heißt es auch von Hurrelmann und Schnetzer.

Zwar ist Geld durch die Krisen der vergangenen Jahre und insbesondere die Inflation für Berufseinsteiger wichtiger geworden, aber "junge Leute lassen sich nicht mehr mit Geld trösten", sagt Robert. Statt in klassische Gutverdienerbranchen zu wechseln, würden sie eher versuchen, innerhalb ihrer Branche mehr für sich rauszuholen, schätzt Hurrelmann.

Zuweilen lässt sich sogar beim aktuellen Arbeitgeber mehr herausholen – durch gute Gehaltsverhandlungen. Wichtig sei dabei, dem Arbeitgeber die Gründe für den Wunsch nach mehr Geld mitzuteilen, das dahinterstehende Interesse deutlich zu machen, nicht nur eine bloße Forderung, erklärt die Rechtsanwältin Sophia Habbe von der Kanzlei Noerr, die seit Jahren Seminare zum Thema gibt. "Teilweise kann man hinter Positionen, die sich vermeintlich ausschließen und gegensätzlich sind, dann gleich gelagerte Interessen finden und so eben dann zu einer guten Lösung kommen", sagte sie im F.A.Z.-Podcast "Beruf und Chance". Dass sich in Gehaltsgesprächen zwischen Arbeitgebern und jungen Mitarbeitern solche Win-win-Situationen ergeben, hält Klaus Hurrelmann heute sogar für deutlich wahrscheinlicher als früher. Schließlich sei diese Arbeitnehmergeneration wegen des demographischen Wandels so umworben wie lange nicht mehr.

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