Gründertum an Universitäten: Universitäten ringen um Start-up-Kultur

Drei junge Leute setzen ein Puzzle zusammen. Auf dem zentralen Puzzleteil ist eine Glühbirne zu sehen.

Deutschland steht für wissenschaftliche Exzellenz. Doch oft wird die im Markt nicht umgesetzt, Ausgründungen sind selten. Was sich ändern muss.

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Die Gründergeschichte von Jerome Lange, Marco Trippler und Lasse Steffen zeigt, wie viel Potenzial an Hochschulen entstehen kann: Sie kündigten ihre Studentenjobs, um 2020 die Firma Koppla aufzubauen und eine Software für Großbaustellen zu entwickeln. Doch das Geld war knapp. "Am Anfang hatte ich weniger als 100 Euro auf meinem Konto", sagt Lange.

Dass sie es geschafft haben, verdanken die drei der Universität Potsdam. Katharina Hölzle, ehemalige Professorin an der Digital-Engineering-Fakultät, half den Studenten bei den Anträgen für Gründerstipendien, diskutierte mit ihnen über das Geschäftsmodell und vernetzte sie mit erfahrenen Unternehmern.

"Die Universität hat uns motiviert weiterzumachen", sagt Lange. Das lohnte sich: Koppla ist heute ein Start-up mit 20 Mitarbeitern. Die Wagniskapitalgeber Earlybird und Coparion investierten im vergangenen Jahr 1,6 Millionen Euro.

Viele deutsche Jungunternehmer erzählen solche Geschichten. Die Softwarefirma Celonis wurde von drei Studenten der Technischen Universität München (TUM) gegründet und erreichte eine Bewertung von 11 Milliarden Dollar. Auch der Flugtaxi-Entwickler Lilium und der Mobilitätsanbieter Flix Mobility entstanden an Hochschulen. "Das Innovationspotenzial an deutschen Universitäten ist immens", sagt Nicola Breugst, TUM-Professorin für Entrepreneurial Behavior. Doch würde dieses im internationalen Vergleich oft nicht eingesetzt. Viele Ideen scheiterten bei der Entstehung.

An den Universitäten entscheide sich, ob ein Start-up Erfolg habe, sagt Breugst. Dort gebe es "unzählige spannende Forschungsergebnisse, die darauf warten, kommerziell eingesetzt zu werden. Doch in den seltensten Fällen gelingt das auch."

Das hat bedeutsame Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft, zeigt eine McKinsey-Analyse. Zwar ist Deutschland stark in der Grundlagenforschung, doch werden die Ergebnisse zu selten in konkrete Anwendungsfälle übersetzt. Die Zahl der US-Technologiefirmen mit einem Umsatz von mehr als einer Milliarde Dollar übersteigt die der deutschen Unternehmen um das 4,5-Fache.
Mehr als doppelt so hoch ist die unternehmerische Aktivität in der Frühphase. Diese bezieht sich auf den Bevölkerungsanteil aller 18- bis 64-Jährigen, die als Unternehmer aktiv oder Teil der Geschäftsführung eines neu gegründeten Unternehmens sind.

Berechnungen des Wagniskapitalgebers Earlybird kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Jedes Jahr werden zwischen 45.000 und 60.000 neue Technologien an europäischen Universitäten entwickelt. Immerhin die Hälfte der Ideen wird genutzt, um ein Start-up zu gründen. Doch nur die Hälfte dieser Start-ups bemühen sich anschließend um eine Finanzierung. "75 Prozent des Innovationspotenzials gehen verloren", urteilt Earlybird.

"Universitäten müssen ihren Elfenbeinturm verlassen und sich zu einem gelebten Gründergeist bekennen", sagt TUM-Präsident Thomas Hofmann. Dabei müsse der "unternehmerische Mut von der Hochschulspitze in alle Bereiche der Universität getragen werden".

Doch wie lässt sich das erreichen? Vor allem drei Faktoren spielen eine Rolle, um Start-ups den Weg vom Vorlesungssaal zum Büro zu ebnen.

1. Ein neues "Mindset" schaffen

TUM-Professorin Breugst kennt die Probleme, mit denen Gründer konfrontiert sind. Sie begleitete bislang mehr als hundert Start-ups. Ihr Fazit: Mentale Faktoren – das "Mindset" – werden in der akademischen Welt zu wenig beachtet. Es liege nicht an mangelnden Ideen, sondern "am falschen Anreizsystem der Universitäten", sagt sie.

Forscher konzentrierten sich eher auf die nächste Publikation als auf die Entwicklung eines neuen Geschäftsmodells. Gründungswillige müssten die Kluft zwischen der akribischen Denkweise als Forscher und der pragmatischen Herangehensweise als Unternehmer überwinden. "Perfektionismus ist nicht das ideale Mindset zum Gründen", sagt Breugst.

Wie verschieden das Denken an Hochschulen und in der freien Wirtschaft ist, war oft Thema in Hölzles Vorlesungen. Sie baute an der Digital Engineering Fakultät von Universität Potsdam und Hasso-Plattner-Institut (HPI) einen Lehrstuhl für IT-Unternehmertum auf. Strategien zu vermitteln, wie Studenten gute Noten schreiben, "gibt es bei mir nicht", sagt die 48-Jährige.

Vor ihrer Habilitation war Hölzle Wirtschaftsingenieurin beim Halbleiterproduzenten Infineon, anschließend arbeitete sie für eine Unternehmensberatung und ein US-Start-up. Dort habe sie Pragmatismus gelernt und den Ehrgeiz, Kundenbedürfnisse zu erfüllen. "Schafft meine Arbeit einen Mehrwert für den Abnehmer?", fragte sie ihre Studierenden oft.

Sie will ihnen auch beibringen, in interdisziplinären Teams zusammenzuarbeiten. Nicht der einsame Wissenschaftler oder das geniale Spezialteam sei gesucht, sondern diverses Wissen. Darauf fußt die Fähigkeit, Geschäftsmodelle zu entwickeln. Gründen funktioniere nur im Team. Breugst bestätigt das: Gründer seien auf das Wissen verschiedener Fachrichtungen angewiesen. Menschen mit technischem Hintergrund fokussierten sich auf das Produkt, Betriebswirte verstünden, wie Märkte funktionieren.

2. Universitäten am Erfolg beteiligen

In den USA ist es selbstverständlich, dass Wissenschaft und Unternehmertum verschmelzen. Häufig sind Fakultäten sogar Teil des Gründerteams. An der Universität Stanford etwa gibt es ein eigenes Segment "faculty-associated Start-ups".

Wie das funktioniert, erlebte Isabel Schellinger. Sie hat im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsaufenthalts in Stanford Mechanismen zur Krankheitsentstehung des Bauchaortenaneurysmas erforscht. Die Ergebnisse ließen sie und ihr Team sich in den USA patentieren.

Nach ihrer Rückkehr gründete die Wissenschaftlerin in Deutschland Angiosolutions. Die Firma entwickelt Innovationen wie etwa Implantate zur Behandlung von Gefäßerkrankungen. "Hätte die Universität uns nicht darauf aufmerksam gemacht, dass unsere Forschungsergebnisse Gründungspotenzial haben, hätten wir vermutlich nie an ein eigenes Unternehmen gedacht", sagt sie. "Das Patent war der Anstoß, aus der Forschung ein Produkt zu entwickeln."

Auch in Deutschland ist die Beteiligung von Universitäten möglich, aber kompliziert, sagt Patentanwalt Thomas Kitzhofer, der mit der Initiative "UnternehmerTUM" Gründungsinteressierte zum Gesellschafts- und Patentrecht berät. Denn dann greift das Gesetz über Arbeitnehmererfindungen. Die Patentrechte lägen hier gemeinsam bei der Hochschule und bei den Gründern, sodass die sich gegenseitig im Weg stehen könnten.

Verfügen Start-ups nicht über das Recht, Patente anzumelden, zu übertragen und zu nutzen, seien sie häufig handlungsunfähig und für Investoren unattraktiv. Verhandlungen zwischen der Universität und den Unternehmern seien aber möglich, so Kitzhofer.

Aus Perspektive der Gründer könne eine Beteiligung der Uni sehr nützlich sein. Sie würden vom Netzwerk und der Erfahrung der Professoren profitierten, sagt Kitzhofer. Für Universitäten ist eine Beteiligung auch finanziell lukrativ und "ein Ansporn, Gründertum zu fördern".

Auch die Universitäten lernen, unternehmerisch zu denken. Stanford etwa hat eine interne Technologietransferstelle, die wissenschaftliche Arbeiten vor der Publikation auf Patentmöglichkeiten prüft. "Das waren ein paar E-Mails", sagt Medizinerin Schellinger – "kein großer bürokratischer Akt." Der nämlich schrecke Wissenschaftler ab, die ohnehin das Potenzial der eigenen Forschung häufig verkennen. "Wir hatten ein System, das an uns geglaubt hat, sonst hätte ich weder ein Patent noch eine eigene Firma."

Technologietransferstellen gibt es auch an deutschen Hochschulen. Die Universität Potsdam eröffnete im vergangenen Jahr sogar eine Transferprofessur. "Deutschland wird immer gründerfreundlicher", findet Schellinger. Für TUM-Präsident Hofmann ist es ein "sich gegenseitig bestärkender Prozess". "Wenn Universitäten Start-ups hervorgebracht haben, können sie auch neue Gründergenerationen unterstützen", sagt er.

Schließlich will sich auch die neue Bundesregierung mit der "Deutschen Agentur für Transfer und Innovation" (DATI) des Themas annehmen. Sie soll dafür sorgen, dass sich Innovationen aus Hochschulen und Forschungsorganisationen schneller zu neuen Geschäftsideen für Start-ups entwickeln. Eine externe Agentur soll also innovative Professoren unterstützen.

3. Zugang zu Investoren und Infrastruktur

Auch mangelnde Investitionen sind eine Ursache, weshalb Deutschland beim Thema Gründung hinter seinem Potenzial zurückbleibt, erklärt Thomas Prüver, Partner der Wirtschaftsprüfung EY. Laut dem Start-up-Barometer 2022 erhielten deutsche Start-ups im vergangenen Jahr mehr als 17 Milliarden Euro Risikokapital.

Damit habe sich das Gesamtvolumen zwar mehr als verdreifacht, sagt er. Doch werde in Deutschland "im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) noch immer wenig investiert". An der Wirtschaftskraft gemessen müssten Start-ups in Deutschland 100 Milliarden Euro zur Verfügung stehen – mehr als fünfmal so viel wie bisher.

Ist das Unternehmen erst gegründet, brauchen Start-ups Zugang zu Investoren und räumliche Infrastruktur, etwa Büroräume oder Labore, um das Produkt fortzuentwickeln, sagt TUM-Professorin Breugst. Ein Beispiel hierfür ist das Künstliche Intelligenz Entrepreneurship Zentrum (KIEZ), ein durch das Wirtschaftsministerium finanziertes Modellprojekt der Berliner Universitäten. Es betreut wissenschaftsnahe Unternehmen, insbesondere vielversprechende KI-Firmen.

Der sogenannte Accelerator bietet Start-ups Infrastruktur an, etwa Büroräume, Zugang zu Jobportalen sowie Mentoring durch KI-Experten. Am Ende des halbjährigen Programms steht eine Präsentation gegenüber Risikokapitalgebern und Industrievertretern.

Eins der Start-ups ist Levity. Es hilft Unternehmen, Routineaufgaben und Auswertungen zu automatisieren, etwa E-Mails im Kundenservice nach Relevanz zu sortieren. Durch das Programm habe Levity Zugang zu Experten erhalten, sagt Mit-Gründer Gero Keil. Die hätten der jungen Firma beispielsweise bei der Marktforschung geholfen. Durch das Programm habe er auch schwer verfügbare Fachkräfte gewinnen können.

In München verschafft UnternehmerTUM Start-ups mit einem eigenen Wagniskapitalfonds Zutritt zum Markt. Der Frühphaseninvestor fördert gezielt technologiebasierte Unternehmen und wird unter anderem von erfolgreichen Start-ups finanziert. Gründer von Celonis und Flixbus sowie die TUM-Wirtschaftsprofessorin Ann-Kristin Achleitner sind beteiligt.

In Potsdam war es Hölzle, die Koppla Investoren vorstellte, andere kamen aber auch von allein auf die Gründer zu. Mit ihrem Geld will Lange seine Software weiterentwickeln, um langwierige Bauprojekte zu beschleunigen. Jetzt muss der Gründer noch die passenden Fachkräfte finden. Sorgen mache er sich nicht. An der Universität habe er gelernt, "mit Unsicherheit umzugehen".

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