Vorstandskarrieren in Dax-Konzernen: Auf Wiedersehen, Herr Doktor!

Autor*innen
Kirstin von Elm
Person steht auf einem Papierflieger und zeigt in die Ferne.

Betriebszugehörigkeit plus Promotion: Das war in Deutschland lange die ideale Kombination für eine Karriere im Topmanagement. Vorbei. Wer heute ganz nach oben will, muss Internationalität vorweisen – und den dazu passenden akademischen Abschluss.

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Sarena Lin hat viele Qualifikationen. Sie hat Informatik in Harvard studiert, verfügt dank leitender Positionen bei McKinsey und Cargill über ein weltumspannendes Netzwerk sowie internationale Managementerfahrung, und sie kennt sich aus mit digitaler Transformation.

Seit Februar 2021 ist die 51-Jährige als Chief Transformation & Talent Officer Mitglied des Vorstands beim Dax-Konzern Bayer, zuständig für Strategie und Personal. Die gebürtige Taiwanesin spricht fließend Mandarin und Englisch. Deutsch eher weniger. "Grundkenntnisse" vermerkt das LinkedIn-Profil der seit rund einem Jahr in Leverkusen tätigen Topmanagerin. Vor wenigen Jahren wäre das kaum denkbar gewesen.

Karrieresprungbrett MBA

Lins Vita belegt einen Trend bei der Neubesetzung von Führungspositionen in der Beletage der deutschen Industrie: Rekrutiert wird zunehmend von außerhalb des eigenen Unternehmens sowie über Länder- und Branchengrenzen hinweg. Knapp 40 Prozent aller neu berufenen Dax-Vorstände kamen 2021 aus dem Ausland. Erstmals war auch weniger als die Hälfte aller neu ernannten Dax-Chefs "Eigengewächse". Das zeigt der aktuelle Dax-Vorstandsreport von Odgers Berndtson, für den die Personalberatung seit 2005 regelmäßig die Lebensläufe der deutschen Wirtschaftselite auswertet.

Und noch etwas hat sich verändert: das akademische Profil des Spitzenpersonals. Immer mehr Dax-Vorstände können den internationalen Wirtschaftsabschluss Master of Business Administration (MBA) vorweisen. Seit 2013 hat sich die Zahl der Dax-Vorstände mit MBA-Abschluss nahezu verdoppelt. Fast jeder vierte Neuzugang hat inzwischen ein solches General-Management-Studium an einer internationalen Business-School absolviert (siehe Grafik). So auch Sarena Lin. Sie hati hren MBA-Abschluss in Yale gemacht.

Im Gegenzug hat sich die Zahl der Topmanager mit Doktortitel seit 2005 halbiert. Für Katja Hanns-Terrill, Geschäftsführerin bei Odgers Berndtson in Frankfurt, drückt dieser Wandel nicht nur die nachlassende gesellschaftliche Anerkennung einer Promotion aus. "Der Praxisbezug und die besseren Möglichkeiten, den zusätzlichen akademischen Abschluss parallel zum Berufsleben zu erwerben, sprechen für den MBA-Titel", sagt sie.

Säulendiagramm der akademischen Abschlüsse von DAX-Vorständen [Quelle: Handelsblatt]

Einflussreiche Dax-Vorstände

Prominente Beispiele in Dax-Konzernen gibt es inzwischen reichlich. Bei Bayer haben gleich vier der sechs Vorstandsmitglieder einen MBA, Siemens hat mit Cedrik Neike und Judith Wiese zwei MBA-Absolventen im obersten Führungsgremium. Der langjährige Allianz-Chef Oliver Bäte kann einen Abschluss der renommierten Stern School of Business in New York vorweisen, Thomas Saueressig, oberster Produktmanager bei SAP, hat einen Doppelabschluss der französischen Wirtschaftshochschule ESSEC und der Mannheim Business School in der Tasche. Die vollständige Liste umfasst allein bei den 30 Dax-Unternehmen - die Erhebung fand noch vor der Erweiterung statt - rund 40 Namen. Tendenz steigend.

Für die Business-Schools sind die prominenten Alumni ein willkommenes Aushängeschild, denn sie bewerben den MBA weltweit als eine Art Priority Boarding für Spitzenkarrieren. Dank Professoren, die in Wirtschaft und Politik bestens verdrahtet sind sowie eines weltumspannenden Netzwerks erfolgreicher Ehemaliger bieten speziell die Topunis ihren Absolventen beste Karriere- und Gehaltsperspektiven. Von Letzterem profitiert indirekt auch wieder die Hochschule: Je höher das spätere Gehalt ihrer Studierenden, desto besser schneidet sie in den wichtigen globalen Rankings ab.

International hat der MBA dem Doktor ohnehin längst den Rang abgelaufen. Weltweit hat jeder dritte Vorstand eine MBA-Urkunde an der Wand hängen, in Nordamerika sogar mehr als jeder zweite. Das zeigen Auswertungen der Strategieberatung PwC.

Für die Chance, karrieretechnisch auf die Überholspur zu wechseln, müssen MBA-Anwärter jedoch tief in die Tasche greifen. US- Eliteuniversitäten wie Harvard, Stanford oder Yale verlangen Studiengebühren von 150.000 bis 160.000 Dollar - die Lebenshaltungskosten für Boston, Connecticut oder Kalifornien nicht eingerechnet.

Eigene Regeln im Mittelstand

Auch an den europäischen Business-Schools sind die Preise zuletzt spürbar gestiegen: In der Zeit der Trump-Regierung wuchs die Zahl der internationalen Bewerber, die sich in den USA nicht mehr willkommen fühlten. Wer etwa wie Siemens-Vorstand Cedric Neike an der Insead in Fontainebleau studieren möchte, zahlt inzwischen rund 91.000 Euro für das zehnmonatige Programm. Spitzenreiter in Europa ist die London Business School mit umgerechnet 117.000 Euro. Das Gros der international akkreditierten MBA-Anbieter verlangt zwischen 40.000 und 80.000 Euro.

Angesichts solcher Summen stellt sich die Frage, ob sich der Titel wirklich auszahlt. Eva Haeske-Braun, Direktorin bei der Personal- und Managementberatung Kienbaum, warnt vor überzogenen Erwartungen: "Im deutschen Mittelstand ist ein MBA kein Beförderungsargument." Bei der Besetzung von Führungspositionen komme es den meisten Firmen auf Fachwissen und relevante Berufserfahrung an, der Abschluss sei weniger entscheidend.

Auf internationaler Ebene, insbesondere in den USA, sehe das schon anders aus. Branchen- und Funktionswechsel, etwa vom Marketingleiter zum Finanzvorstand, seien dort nicht ungewöhnlich. Ein General-Management-Studium kombiniert mit einem globalen persönlichen Netzwerk gelte als Ausweis einer starken persönlichen Entwicklung und fördere die Karrierechancen, so Haeske-Braun.

Wer also den Ehrgeiz hat, es in einem international ausgerichteten Unternehmen ganz nach oben zu schaffen, sollte durchaus über ein hochkarätiges MBA-Studium nachdenken. Karlheinz Schwuchow, Managementprofessor an der Hochschule Bremen, empfiehlt ambitionierten Bewerbern, sich an internationalen Rankings zu orientieren und sich nicht vorschnell von hohen Studiengebühren abschrecken zu lassen. "Ich habe noch nie erlebt, dass ein vielversprechender Kandidat an der Finanzierung gescheitert ist", sagt er. "Wenn Sie an einer Eliteuniversität angenommen werden, finden sich in der Regel Wege und Möglichkeiten"- beispielsweise über Stipendien, günstige Studienkredite oder finanzielle Unterstützung durch den Arbeitgeber.

Gezielte Kooperationen

Immer mehr international aufgestellte Großunternehmen arbeiten bei der Entwicklung von Führungskräften inzwischen gezielt mit renommierten Kaderschmieden zusammen. Bayer-Vorständin Sarena Lin hat ihren MBA mit Unterstützung ihres damaligen Arbeitgebers McKinsey gemacht. Henkel kooperiert bei der internen Personalentwicklung mit der Harvard Business School. Ein spezielles Programm richtet sich dabei an Kandidaten mit Vorstandspotenzial. Henkel-CEO Carsten Knobel und CFO Marco Swoboda, beide seit Januar 2020 im Amt, zählen zu den Teilnehmern.

Siemens hat für herausragende MBA-Absolventen sogar eine Art internationales Trainee-Programm entwickelt: Anwärter für das Chief Executive Opportunity Program, kurz CEO-Program, rekrutiert der Münchener Konzern gezielt an internationalen Business-Schools - Digitalchef Neike warb an seiner Alma Mater bereits persönlich auf dem Campus dafür.

Bei der Besetzung von Vorstandsposten könnte ein MBA-Abschluss von einer der weltbesten Business-Schools künftig durchaus zum relevanten Einstellungskriterium werden, glaubt der Sozialforscher Michael Hartmann. Für seine Studien hat der emeritierte Professor für Soziologie die deutsche Wirtschaftselite ausgiebig untersucht und befragt. Topmanager bevorzugen demnach für Führungspositionen oft unbewusst Personen, die ihnen selbst ähnlich sind - ohne dass ihnen jemand dabei reinredet. "Es gibt keinen Bereich, wo ein so kleiner Kreis von Personen darüber entscheiden kann, ob jemand dazugehört oder nicht", sagt Hartmann über die Vorstandsetagen der Großkonzerne. Bei der Frage, wer an Bo(a)rd kommt, können Gemeinsamkeiten beim Studienabschluss also durchaus helfen.

Deutschkenntnisse? Nebensache.

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