Hochschulranking: Osten for Future

Autor*innen
Jannik Deters und Dominik Reintjes
Ein Mann steht am Anfang eines gezackten Weges und blickt durch ein Fernrohr.

Das exklusive Ranking der WirtschaftsWoche zeigt, dass die Hochschulen in den neuen Bundesländern der Konkurrenz aus München, Aachen und Co. hinterherhinken. Noch. Denn jetzt kommen Tesla, Intel und Bosch. Lassen sie Dresden und Leipzig, Jena und Magdeburg zu Deutschlands Bildungsorten der Zukunft reifen?

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Dreizeller. So nennen sie das Büro von Udo Buscher. Damals haben zwei Wände den Raum in drei Zellen getrennt, man kann ihre Überreste noch an der Decke erkennen. Die Nazis nutzten das Gebäude der Technischen Universität (TU) Dresden einst als Haftanstalt, brachten in den zwölf Jahren des braunen Terrors im Innenhof mehr als 1300 Menschen um. Eine Gedenkstätte erinnert an die Opfer.

Heute hat Buscher hier viel Platz für einen Schreibtisch, einen Konferenzbereich. Die Fenster sind nicht mehr vergittert, sondern verziert mit Jalousien. Und die Türen der ehemaligen Haftanstalt stehen der Wirtschaft sperrangelweit offen.

Buscher ist Professor für industrielles Management an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und wird gern von Firmen angesteuert, die Fachkräfte suchen. Erst vor zwei Tagen rief ein früherer Absolvent an, der für einen Autohersteller Masterstudenten rekrutiert. Der Hochschullehrer darf das Interesse der Industrie als Güte - beweis verstehen. Die Helmholtzstraße 10 ist kein Ort des Grauens mehr. Sondern seit der Wiedervereinigung schnell zur Top-Adresse für akademische Höchstleistungen gereift.

Die Wirtschaftsingenieure und -informatiker, die Buscher und seine Kollegen hier ausbilden, zählen seit Jahren zu den begehrtesten ihrer Zunft, zeigt das Hochschulranking der WirtschaftsWoche.

Absolventen werden zu Recruitern

"Viele unserer Absolventen", sagt Buscher, "wachsen jetzt gerade in Führungspositionen hinein und denken bei der Personalplanung an uns, sie rekrutieren unsere Absolventen, starten gemeinsam mit uns Forschungsprojekte." Seine Studentinnen und Studenten haben etwa Algorithmen entwickelt, mit deren Hilfe die Deutsche Bahn jetzt die Schichten ihrer Zugbegleiter im Regionalverkehr plant.

Die TU Dresden ist ein seltener Leuchtturm der deutschen Hochschulbildung im Osten der Republik; die Universitäten und Fachhochschulen (FH) in den neuen Bundesländern, die nun auch nicht mehr so neu sind, stehen noch immer im Schatten der Konkurrenz aus dem Westen. München und Berlin, Bonn und Heidelberg sind akademische Hochburgen mit Bildungsstätten von internationaler Strahlkraft. Wer dagegen Hochschulen aus Chemnitz, Magdeburg oder Erfurt in seinem Lebenslauf stehen hat, kann bei großen Firmen damit bislang kaum Eindruck schinden. Das zeigt das Hochschulranking, das die Employer-Branding-Beratung Universum für die WirtschaftsWoche erstellt hat. Es basiert auf einer Befragung von mehr als 500 Personalern.

Das Ergebnis in Kurzform: Recruiter stellen besonders gern junge Betriebswirte, Volkswirte und Juristen von der Ludwig-Maximilians-Universität München ein. Die TU München schafft es in Wirtschaftsinformatik und Maschinenbau auf den ersten Platz, die TU Berlin in Informatik und in den Naturwissenschaften. In Wirtschaftsingenieurwesen und Elektrotechnik sind die Absolventen der RWTH Aachen am begehrtesten (siehe Tabellen).

Unter den ostdeutschen Unis erreicht allein die TU Dresden mehrere Spitzenplätze. Sie ist die viertbeliebteste Universität für Wirtschaftsinformatik und schafft es in in Wirtschaftsingenieurwesen auf den fünften Platz. In der Elektrotechnik belegt sie den siebten Platz, in Informatik den achten. Auch die Universität Leipzig schafft es vereinzelt in die Top Ten des Rankings – auf hintere Plätze in Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik.

Bei den Fachhochschulen sieht das Bild ähnlich aus. Hier dominiert die FH Aachen die Bestenlisten, ist der Favorit von Personalern in gleich drei Studienfächern: Maschinenbau, Elektrotechnik, Informatik. Die FH München erobert zwei Spitzenplätze: in Wirtschaftsingenieurwesen und Wirtschaftsinformatik (siehe Tabellen).

Warum haben die ostdeutschen Hochschulen noch immer nicht den Anschluss geschafft? Ein Kriterium des Rankings ist eine starke Wirtschaft vor Ort. Wenn eine Hochschule also "in einer wirtschaftsstarken Region und in der Nähe großer Unternehmen" sitzt, erhöhen sich die Chancen, im Ranking "stark abzuschneiden", sagt Axel Keulertz, Berater bei Universum und verantwortlich für die Bestenliste.

Ich kann verstehen, dass Absolventen der Wirtschaftswissenschaften nach Frankfurt oder München ziehen.
Ursula Staudinger - Rektorin der Technischen Universität Dresden

Dresden kann Wirtschaft. Am nördlichen Stadtrand fertigen Infineon und Globalfoundries seit Jahrzehnten Halbleiter für Autobauer und Techfirmen; Mitte 2021 lief auch der Betrieb in einem neuen Halbleiterwerk von Bosch in der Nähe des Flughafens an. Und natürlich: "Wir sind als Universität eng mit der Wirtschaft verflochten", sagt Ursula Staudinger, seit 2020 Rektorin der TU Dresden. "Die Personaler kennen uns." Auch sie selbst spreche regelmäßig mit Geschäftsführern der "großen und kleinen Unternehmen in der Region".

Das Problem Ostdeutschlands, bis heute: Kein Dax-40-Konzern sitzt in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern. Deshalb fliegt das Gros der dortigen Unis und ihrer Absolventen noch immer etwas unter dem Radar vieler Personaler.

Das soll sich nun ändern – dank der Ansiedlungen großer Techunternehmen, die den Aufholprozess beschleunigen. Tesla hat in Grünheide bei Berlin Ende März seine Gigafactory eröffnet, das chinesische Unternehmen CATL südlich von Erfurt eine Batteriefabrik hochgezogen; Mitte März gab der amerikanische Chiphersteller Intel bekannt, ein Werk in Magdeburg eröffnen zu wollen. Die Neuankömmlinge elektrisieren die Regionen und ihre Hochschulen, wecken riesige Hoffnungen für einen ökonomischen Aufschwung und einen Bildungsschub. Avanciert der Osten zur zentralen Ausbildungsstätte der Zukunft? Legen die Universitäten dort jetzt den Turbo ein, um den Hochschulen im Westen sukzessive den Rang abzulaufen?

Euphorie in Intel City

Oliver Holtemöller, stellvertretender Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), begreift die Ansiedlungen als "Chance". Es werde sich in Magdeburg und Erfurt jedoch "nichts von allein entwickeln". Die Hochschulen müssten besser forschen, wenn sie mehr Studenten gewinnen und ihren Ruf verbessern wollen: "Und das ist ein Kraftakt."

Diejenigen, die global unterwegs sind, sehen, dass Sachsen-Anhalt ein zentrales Land in Europa ist.
Reiner Haseloff - Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt

In Magdeburg haben sie derzeit kein Ohr für skeptische Stimmen. Hier entsteht die neue Elbstadt Intel City. Der größte Chiphersteller der Welt kommt in die Hauptstadt Sachsen-Anhalts, will 17 Milliarden Euro in ein neues Werk investieren. Und Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) platzte schier vor Stolz, als er die Ansiedlung verkündete, sprach von einem "Quantensprung" und tat fast so, als sei Magdeburg gut 1000 Jahre nach den Ottonenkaisern wieder der Nabel der Welt: "Wir sollten in puncto Wirtschaft nicht mehr länger vom Osten sprechen. Diejenigen, die global unterwegs sind, sehen, dass Sachsen-Anhalt ein zentrales Land in Europa ist."

Ein zentrales Land in Europa: Geografisch betrachtet stimmt das. Doch bis Intel in Magdeburg und Umgebung die erhoffte Wirtschaftskraft auslöst, werden Jahre vergehen. 2023 beginnt der Bau. Der Produktionsstart ist für 2027 geplant. Was soll’s. Fürs Durchstarten ist es nie zu früh.

Anne Lequy zum Beispiel. Die Französin leitet seit acht Jahren die Hochschule Magdeburg-Stendal. In wenigen Wochen tritt sie ab, doch ihre letzten Monate waren noch einmal besonders spannend. Lequy, Anfang 50, Professorin für Fachkommunikation Französisch, leichter Akzent, steht kerzengerade vor ihrem Bildschirm. Sie hätte sich gewünscht, dass jemand vom Unternehmen den Campus besucht hätte, erzählt sie. Stattdessen hätten sie sich mit Vertretern der Stadt und des Ministeriums ausgetauscht.

Am Tag der Entscheidung für Magdeburg, immerhin, bekam sie einen Brief von Intel-Deutschland-Chefin Christin Eisenschmid: "Wir würden uns freuen, mit Ihnen gemeinsam Forschung und Innovation in Magdeburg und Sachsen-Anhalt voranzutreiben", heißt es darin.

Damit neben den Hochschulen auch die Regionen von den Ansiedlungen profitieren, braucht es diese gemeinsame Forschung, so viel steht fest. Die Produktion allein verspricht Arbeitsplätze. Nur ist sie nicht so wissensintensiv wie die Entwicklung neuer Produkte, für die Unternehmen Akademiker benötigen. Und "damit Unternehmen wie Intel mit den Hochschulen in der Region kooperieren wollen, muss die Forschung an den Universitäten exzellent sein", sagt Ökonom Holtemöller.

Intel arbeitet weltweit mit vielen Hochschulen zusammen. Aus der gemeinsamen Forschung fließt "manches zurück in die Firma, manches bleibt in der Wissenschaft", so Eisenschmid.

Aber was braucht es für exzellente Forschung an Universitäten? Drittmittel, klar, also Forschungsboni jenseits von Betrieb und regulären Investitionen. Die Exzellenzuniversitäten der Republik werden von Bund und Ländern mit jährlich gut 148 Millionen Euro gefördert. Sie ziehen junge Leute an, beschleunigen Ausgründungen und Entwicklungen mit Unternehmen, so Holtemöller. Einzig: Im Osten zählt bislang nur die TU Dresden zu den elf Exzellenzuniversitäten der Republik. Dieser Status bringt der TU 13 Millionen Euro Fördermittel ein.

Die Forschungslandschaft wird sich allerdings ändern, darauf setzt auch Ministerpräsident Haseloff in Magdeburg. Die Schwerpunkte von Lehrstühlen würden überprüft, technische Fächer gezielt beworben, um Intel bei der Rekrutierung zu helfen.

Ranking der besten Universitäten für BWL, Elektrotechnik, Informatik [Quelle: WirtschaftsWoche]
Ranking der besten Universitäten für Jura, Maschinenbau, Naturwissenschaften [Quelle: WirtschaftsWoche]
Ranking der besten Universitäten für VWL, Wirtschaftsinformatik, Wirtschaftsingenieurwesen [Quelle: WirtschaftsWoche]
Lesehilfe für die Tabellen: 21,6 Prozent der befragten Personaler benannten die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München als die Universität, von der sie besonders gerne Mitarbeiter mit einem Abschluss im Fach Betriebswirtschaftslehre einstellen (Mehrfachnennungen möglich). Wo ein Platz wegen der Prozentzahl doppelt vergeben wurde, entfällt der folgende Rang. Quelle: Universum

Techniker sind gefragt

Doch wie viele hoch Qualifizierte der US-Chipproduzent am Ende braucht, ist offen. Eines Tages, in zehn, zwölf Jahren, sollen am Intel-Standort Magdeburg 12 000 Menschen ihr Geld verdienen. Wie viele davon einen Uniabschluss brauchen, weiß Intel nicht. Oder sagt es zumindest nicht. Firmenvertreter betonen, die Nähe zu Unis mit starkem technischem Fokus und Einrichtungen wie dem Fraunhofer-Institut in Magdeburg seien ein wesentlicher Faktor für die Ansiedlung. Konkrete Angaben zu Kooperationen und Studiengängen macht der Konzern noch nicht. "Das ist zu früh", sagt Deutschlandchefin Christin Eisenschmid. Nur so viel: Besonders gefragt seien Fachleute für "Halbleitertechnologie, Mathe, Physik, Chemie, aber auch Softwareentwickler".

Vier von fünf Mitarbeitern haben einen technischen Hintergrund, sagt Intel, die meisten seien Akademiker. Überträgt man diese Zahl auf Magdeburg, käme man auf 9600 Hochschulabsolventen, die Intel fürs Werk in Sachsen-Anhalt benötigte.

Zum Vergleich: An der Uni Magdeburg studierten im vergangenen Wintersemester rund 13 000 junge Erwachsene, an der Hochschule Magdeburg-Stendal 5400. Tendenz rückläufig. Zumindest bisher. Denn dass der Konzern großen Einfluss auf das Stadtbild und die Unis haben wird – davon geht hier jeder aus: "Ich bin überzeugt, dass Intel Magdeburg attraktiver, internationaler macht", sagt Unirektor Jens Strackeljan.

Wir müssen aufpassen, dass die großen Player nicht anfangen, die Curricula inhaltlich zu bestimmen.
Anne Lequy - Rektorin Hochschule Magdeburg-Stendal

Hochschulchefin Anne Lequy ist sicher: "Wenn Intel uns nicht verändern würde, wären wir nicht angewandt." Und wenn der Aufschwung in Magdeburg von der Halbleiterindustrie bestimmt sei, "sollten wir das berücksichtigen". Gleichwohl, schränkt Lequy ein, die Institute müssten "aufpassen, dass die großen Player nicht anfangen, die Curricula inhaltlich zu bestimmen". Eine Intelisierung der Uni dürfe es nicht geben.

Lequy und ihre Nachfolgerin befinden sich in einem Zwiespalt. Einerseits müssen sie die nötige Distanz zum Konzern wahren. Andererseits wirbt Lequy für das "breite Portfolio" der Hochschule und will Intel "etwas bieten".

Im Wirtschaftsingenieurwesen ist gerade der erste Studiengang komplett auf Englisch gestartet. Auch ein erweitertes duales, berufsbegleitendes Angebot könne sie sich "sehr gut für Intel vorstellen". Einen neuen Studiengang aufzusetzen brauche so lange wie ein Baby, sagt die Rektorin, "etwa neun Monate, bis er alle Gremien der Hochschule passiert". Genügend Zeit also, sich auf die Bedürfnisse des Neuankömmlings einzustellen. Auch in Dresden hat es einige Jahre gedauert, bis die Uni spürbar von den Ansiedlungen der Großindustrie profitierte.

Chips der nächsten Generation

Uwe Gäbler kennt die Geschichte der Halbleiterindustrie in Sachsen aus erster Hand; in diesem Jahr steht sein 25-jähriges Jubiläum bei Infineon an. "Schon früher, noch zu DDR-Zeiten, war Dresden das Herz der Mikroelektronik in Ostdeutschland", sagt Gäbler. Siemens und AMD, die heute als Infineon und Globalfoundries firmieren, schrieben den Erfolg des Standorts dann nach der Wiedervereinigung fort.

Um unseren Personalbedarf auch in Zukunft decken zu können, braucht es mehr Absolventen in den Mint-Fächern.
Uwe Gäbler - Leiter des Infineon-Entwicklungszentrums in Dresden

Jeder dritte Mikrochip in Europa wird in Sachsen hergestellt. Doch erst seit 2019 leitet Gäbler ein neu geschaffenes Entwicklungszentrum, für das er dringend Absolventen benötigt. Gemeinsam mit der TU Dresden arbeite Infineon "an KI-Chips der nächsten und übernächsten Generation".

In den kommenden fünf Jahren sollen zu den 80 Mitarbeitern im Entwicklungsbüro 170 dazukommen. Noch könne Infineon den akademischen Personalbedarf gut mit Absolventen aus der Region decken, sagt Gäbler. Aber der Kampf um Talente spitze sich zu.

Das spürt auch Hans-Jürgen Neufing. Fünf Kilometer von Infineons Standort entfernt ist er für das Recruiting bei Globalfoundries verantwortlich. Der US-Konzern arbeitet auf der grünen Wiese im Norden der Stadt, samt eigenem Erdgaskraftwerk. Globalfoundries forscht neben der TU Dresden auch mit der TU Chemnitz und der TU Bergakademie Freiberg. 42 Prozent der 3300 Mitarbeiter sind Akademiker. "Wir haben hier in der Region und auch in Deutschland insgesamt zu wenig Absolventen in den Mint-Fächern", konstatiert Neufing.

Im April treffen sich Vertreter des Chipherstellers mit Studenten der TU Dresden, um über die Arbeit und Karriere bei Globalfoundries zu sprechen. Auf dem Programm steht auch eine gemeinsame Wanderung in den Pillnitzer Weinbergen: „Hike 2 Network“ nennt sich das Event.

Kreativität ist erst recht geboten, seit Bosch Mitte 2021 ein neues Halbleiterwerk in Dresden eröffnete – gerade mal zwei Bushaltestellen vom Globalfoundries-Werkstor entfernt. "Zwar verlieren wir vielleicht mal ein Talent an Bosch oder Infineon", räumt Neufing ein. Doch Konkurrenz belebe ja bekanntlich das Geschäft. Sie könne langfristig sogar ein Mittel gegen den Fachkräftemangel sein: Mehrere gute Arbeitgeber auf engem Raum ziehen "junge Menschen auch aus den alten Bundesländern und dem Ausland in die Region", meint Neufing.

Top-5-Ranking der besten Hochschulen in Europa [Quelle: WirtschaftsWoche]
Ranking der besten Fachhochschulen in BWL, Informatik, Wirtschaftsingenieurwesen [Quelle: WirtschaftsWoche]
Ranking der besten Fachhochschulen in Elektrotechnik, Wirtschaftsinformatik, Maschinenbau [Quelle: WirtschaftsWoche]

Fachkräfte verzweifelt gesucht

In Magdeburg sorgt Peggy Dietrich dafür, dass Unternehmen, die unter dem Fachkräftemangel leiden, einen Ausweg finden. Die Beraterin der Personalvermittlung Fischer & Partner weiß: Gerade auf Stellen als Elektroniker oder Werkzeugmechaniker bewerben sich immer weniger Menschen. Noch sei von der Intelisierung des Arbeitsmarktes in der Region nichts zu spüren. "Großartig Akquise müssen wir nicht machen", sagt Dietrich, die Unternehmen kämen von allein auf sie zu – weil sie verzweifelt Fachkräfte suchten. Im Bezirk Sachsen-Anhalt Nord, zu dem Magdeburg gehört, waren laut Agenturen für Arbeit im März mehr als 8700 Stellen offen. Die Zahl ist seit März 2016 um mehr als die Hälfte gestiegen. Als Hauptgrund nennt die Agentur die Demografie: Die Geburtenrate ist auf dem Stand der Neunzigerjahre.

Die Arbeitsplätze können nicht so schnell nachbesetzt werden, wie Menschen in den Ruhestand gehen. Gleichzeitig entstehen aber auch neue Jobs. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten steigt trotz des negativen demografischen Trends.

Die Anziehungskraft von Konzernen, die für Arbeitnehmer wegen ihrer Großzügigkeit besonders attraktiv sind, und die Überalterung der Gesellschaft – für manch kleine Firma kann das in den nächsten Jahren zur Bedrohung werden. Kleine und mittlere Unternehmen werden "sich neu sortieren müssen", prophezeit die Wahl-Magdeburgerin Lequy. Sie hoffe, dass Intels Präsenz höhere Löhne in der Region nach sich ziehe, dass weniger hoch qualifizierte Kräfte in den Westen abwandern – und dass am Ende auch kleine Betriebe davon profitierten. Ökonom Holtemöller geht davon aus, dass die großen Ansiedlungen wie eine "Produktivitätspeitsche" für kleine Betriebe wirken: Wenn diese bald noch schwerer an Personal kämen, seien sie gezwungen, effizienter zu produzieren, so Holtemöller. "Oder sie überleben langfristig nicht."

Tesla: streng – und beliebt

Auch in Berlin-Brandenburg ist die ohnehin erhöhte Nachfrage nach Arbeitskräften weiter gestiegen, von 21 400 im Märzvergangenen Jahres auf zuletzt 28 000. Die deutlich gewachsene Lücke, heißt es aus der Arbeitsagentur, habe vor allem mit den Investitionen von Tesla zu tun. Für den Standort Grünheide hat der Autobauer aktuell rund 400 Jobs ausgeschrieben.

Das Unternehmen von Elon Musk gilt als strenger, aber durchaus beliebter Arbeitgeber. Im vergangenen Jahr landete der US-Elektroautobauer aus dem Nichts gleich unter den begehrtesten Adressen des Universum-Arbeitgeberrankings, einer Befragung von Zehntausenden Studenten, unter Ingenieurwissenschaftlern hinter Porsche auf Platz zwei. Andererseits haben ehemalige Mitarbeiter der WirtschaftsWoche von langen Arbeitszeiten und einem hohen Druck berichtet, keine Fehler machen zu dürfen. Manche, auch hochrangige Angestellte, verließen das Unternehmen nach wenigen Wochen – oder wurden gefeuert.

Tesla bietet an der gerade eröffneten Gigafactory in Grünheide vier duale Studiengänge an. Bei drei der Ausschreibungen ist keine Hochschule angegeben. Das vierte Inserat verweist auf eine Partnerschaft mit der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, die im aktuellen Ranking dreimal unter den Top Sieben auftaucht.

Nach Tesla-Angaben startet zudem bald ein Studiengang mit der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft, die in allen sechs Fachrichtungen des aktuellen Rankings unter den besten drei FHs landet. Aber auch die TH Wildau, keine 20 Kilometer südwestlich vom Fabrikgelände gelegen, nennt Tesla als Partner.

Erfolgsfaktor Empathie

Die für einen Einstieg bei Tesla wichtigsten dualen Studiengänge? Maschinenbau, Elektro- und Automatisierungstechnik. Ein abgeschlossenes Studium sei aber keine zwingende Bedingung, teilt Tesla auf Anfrage mit. Man könne die eigenen Fähigkeiten auch ohne Abschluss unter Beweis stellen, etwa durch erfolgreiche Projektarbeit.

Tesla und Intel locken mit prominenten Namen, guten Gehältern, Aktienpaketen, hauseigenen Fitnessstudios – und können auch noch Ansprüche an Bewerber stellen. Im Hochschulranking hat die Beratung Universum Personaler auch dazu befragt, auf welche Kriterien sie bei Bewerbern neben dem Studienfach Wert legen (siehe Tabelle unten). Wie schon in den Vorjahren zeigt sich, dass die Recruiter vor allem auf die Persönlichkeit eines Bewerbers achten. Ob jemand einen Master in der Tasche hat oder nur den Bachelor vorweisen kann, ist für die Personaler dagegen von zunehmend nachrangigem Interesse.

Und wie sieht es mit den Soft Skills aus? Axel Keulertz liest die Ergebnisse des Rankings auch im Spiegel einer sich wandelnden Arbeitswelt: "Selbstständigkeit belegt zum ersten Mal den zweiten Platz bei den weichen Faktoren, die sich Personaler wünschen. Auch die Empathie hat an Bedeutung gewonnen. Ob die Bewerber teamfähig sind, ist ihnen hingegen weniger wichtig als noch im vergangenen Jahr." Ganz klar: Diese Entwicklung ist eine Art Echo der Coronapandemie: Im Homeoffice braucht es halt mehr Selbstständigkeit als Teamfähigkeit. Viele Jobs, das hat die Pandemie gezeigt, lassen sich gut aus der Ferne erledigen. Viele Unternehmen bieten ihrer Belegschaft inzwischen die Option auf ein paar Tage im Homeoffice. Und doch braucht gerade die Arbeit auf akademischem Niveau, in Forschung und Entwicklung, die Begegnung, den regen Austausch.

Deshalb ist es so reizvoll für Unternehmen, Absolventen nahe gelegener Hochschulen zu rekrutieren: Sie sind der Region verbunden, oft sogar mit ihr verwachsen – für viele Studentinnen wird der Ausbildungsort zur neuen Heimat. Zwar tun sich viele Städte im Osten noch schwer mit dem Zuzug aus dem Westen. Doch akademische Hochburgen wie Leipzig und Dresden wachsen bereits seit Jahren. Und die Zeichen stehen gut, dass auch andere Regionen mit niedrigen Mieten und geringen Lebenshaltungskosten allen voran junge Menschen anlocken. Die thüringische Stadt Jena wuchs zwischen 2010 und 2020 gegen den Trend um mehr als fünf Prozent; in keiner anderen ostdeutschen Region leben so wenige Geringverdiener wie hier.

Bei Ursula Staudinger, Rektorin der TU Dresden, war es vor allem die Kultur, die sie vor einem Kulturschock bewahrte, als sie 2020 von New York in die sächsische Stadt kam: "Das Angebot kann bestens mit dem einer Millionenstadt mithalten, die Wege sind kurz, die Lebensqualität hoch."

Tabelle mit Kriterien, die bei der Auswahl eines Bewerbers außer dem Studienfach wichtig sind [Quelle: WirtschaftsWoche]

Berufliche Perspektivlosigkeit

Jeder fünfte Student an der TU Dresden stammt aus dem Westen Deutschlands. Sebastian Körner ist einer von ihnen. Er wuchs ein paar Kilometer nördlich von Karlsruhe auf, verbrachte nach dem Abitur ein Jahr in Neuseeland, und ihm war klar: "Ich wollte für das Studium unbedingt mal von zu Hause wegkommen und zwar weiter als nur ein oder zwei Autostunden." Jetzt sind es fast sechs geworden.

Körner steht vor seiner Diplomarbeit in Wirtschaftsingenieurwesen. Und kurz vor dem Umzug. Zurück in den Westen. Schon für ein Praktikum zog es ihn 2020 nach Sindelfingen zu Mercedes-Benz. "Ich wollte in die Entwicklungsabteilung" des Konzerns – "und die steht nun mal in Westdeutschland".

Diesmal geht es nach Mannheim: "Zurück in die Region, aus der ich komme." Ein Muss sei das für ihn nicht gewesen. Aber in Dresden und Umgebung fehle ihm nun mal die berufliche Perspektive.

Hannes Klette, der in Dresden einen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften erworben hat, ist bereits umgezogen. Er wollte unbedingt in einer guten Beratung arbeiten. Und wusste: In Dresden wäre das nicht drin. Nun absolviert er seinen Master in Wien. An einer Wirtschaftsuniversität mit einem klaren Fokus. Am Angebot der TU Dresden lag es nicht. 124 Studiengänge – mehr als an den meisten Universitäten. Für den Master aber wollte Klette sich spezialisieren. Und "in der Beratung spielt die Reputation der Universität eine große Rolle". In technischen Fächern mag die TU Dresden renommiert sein, sagt Klette. "In der wirtschaftlichen Ausbildung kann sie nicht mithalten."

Rektorin Staudinger kennt das. "Ich kann verstehen, dass viele Absolventen der Wirtschaftswissenschaften nach Frankfurt oder München ziehen", sagt sie. "Dort haben große Dax-Konzerne ihren Hauptsitz, die Karrierechancen scheinen höher." Dresden kommt da noch nicht hinterher. Aber: "Eine Universität allein kann nicht alle Absolventen in der Region halten, das gelingt auch München und Berlin nicht."

Und doch entwickeln sich andere Städte im Freistaat dynamischer als Dresden. Leipzig etwa. Zwischen 2015 und 2020 wuchs die Dresdner Bevölkerung um gut 2,3 Prozent, in Leipzig waren es 6,6 Prozent.

Und daran haben auch die Universitäten ihren Anteil. Dank der Ausbildung an der privaten Universität HHL Leipzig Graduate School of Management zum Beispiel gilt Leipzig inzwischen als Hochburg für Gründer. Lukasz Gadowski, der das Start-up Spreadshirt hochzog, und Hannes Wiese, Mitgründer von About You, studierten hier. "Leipzig ist ein erstklassiger Standort für Gründungen", sagt Utz Dornberger, der den Gründungsservice der staatlichen Universität in Leipzig leitet und auch von dem guten Ruf der HHL profitieren will. Zuletzt brachte seine Uni im Jahr gut 30 Ausgründungen hervor. Und "es könnten noch mehr sein", so Dornberger.

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