Kulturschock in Deutschland: Andere Unistädte, andere Sitten

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e-fellows.net Redaktion
Mann mit Umhängetasche fährt auf einem Cityroller durch große Ringe.

Dass das E in Erasmus für "Ernstzunehmender Kulturschock" steht, ist bekannt. Weniger geläufig ist jedoch, dass du dir auch beim Umzug in eine innerdeutsche Hochschulstadt vorkommen kannst wie auf einem anderen Planeten – lokalen Unsitten, Umständen und Unwägbarkeiten sei Dank. Fünf Lektionen, die Studenten über ihre deutsche Unistadt erst lernen müssen.

Kiel

Die Gebäude der Uni Kiel kommen so manchem frisch Eingeschriebenen irgendwie befremdlich vor – und das hängt nicht nur an den notorisch knappen Kassen der Hochschule (Stichwort #Uniohnegeld), sondern auch daran, dass der komplette Campus unter Denkmalschutz steht und sich damit nur mäßig bis gar nicht an die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts anpasst. Das Ergebnis: ein amüsantes bis groteskes Studienumfeld, an das man sich als Neuankömmling erst gewöhnen muss. Egal wie unpraktisch der Status Quo oder wie praktisch eine angedachte Neuerung – über allem steht in Kiel der Denkmalschutz.

Wer sich beispielsweise an der Pforte nach etwas erkundigen möchte, muss sich an der denkmalgeschützten Pförtnerloge bis auf Tischhöhe herunterbeugen: Denn dort befindet sich der Sprech- und Horch-Schlitz, der aus Denkmalschutzgründen leider nicht nach oben wandern kann. Wer hingegen im Sommer vor der Mensa etwas essen möchte, muss das leider im Stehen verrichten, denn Tische und Bänke waren im architektonischen Gesamtkunstwerk nicht vorgesehen. Ebenfalls nicht angedacht: eine etwa zapfsäulengroße Fahrradreparaturstation, die den Denkmalschützern aus der Vogelperspektive ein Dorn im Auge ist.

"Was wäre wenn"-Gedankenspiele sollten sich Wahl-Kieler Studenten also schleunigst abgewöhnen und sich stattdessen lieber an dem erfreuen, was ihnen beschert ist – ein Campus nämlich, der Architekturpuristen zu gefallen weiß und es bis in überregionale Satiremagazine geschafft hat.

Mainz

Zugezogene Studenten in Mainz leben gefährlich, und das nicht nur, wenn sie unbedarft von "Karneval" statt "Fastnacht" sprechen. Auch an die Uni und das ihr innewohnende Gefahrenpotenzial müssen sich Neu-Mainzer erst gewöhnen. Denn der Campus der Uni Mainz beherbergt einen Atomreaktor – den einzigen aktiven Kernreaktor in Rheinland-Pfalz. Bei Neuankömmlingen sorgt die Kunde vom "Forschungsreaktor TRIGA Mark II" regelmäßig für Beklommenheit – man könnte sich in der Tat schönere Campus-Features vorstellen. Tatsächlich jedoch gibt es keinen Grund zur ganz großen Besorgnis: Zumindest eine Kernschmelze ist nämlich aufgrund der Zusammensetzung der Brennelemente unmöglich.

München

Wer nach München zieht, den dürfte das Oktoberfest samt zugehöriger Exzesse nicht unvorbereitet treffen. Wie sehr und wie lange das Volksfest aber eine ganze Stadt in Atem hält, merkst du hingegen erst, wenn du selbst ein Münchner Kindl geworden bist. Oder wusstest du, dass der Auf- und Abbau des lediglich 16-tägigen Volksfests den Fußgängern, Rad- und Autofahrern Münchens ganze vier Monate lang in die Quere kommt? Wenn im Sommer nämlich der Aufbau der Zelte beginnt, verwandelt sich die Theresienwiese in eine Großbaustelle, die die halbe Stadt von Juli bis November zu Umwegen zwingt. Während des Oktoberfests lassen Einheimische den Drahtesel übrigens gleich ganz zuhause. Denn den Kampf Fahrradschlauch gegen Bierflaschenscherbe gewinnt in der Regel die Scherbe – für dein Portemonnaie kein guter Start ins neue Semester.

Doch auch abgesehen vom Thema Fortbewegung wirst du in Sachen Oktoberfest Phänomene erleben, die du so nicht hast kommen sehen – allen voran die legendäre Wiesngrippe. Wer nach all den Extrakilometern und Scherbenausweichmanövern noch auf den Beinen ist, wen auch überfüllte Bahnen, Lokale sowie die astronomischen Preise nicht erschüttern konnten, den wird spätestens das legendäre Wiesn-Virus in die Knie zwingen. Was Millionen Oktoberfestbesucher nämlich im Bierzelt ausgebrütet und anschließend in der Stadt verteilt haben, fesselt pünktlich zum Semesterstart die halbe Studentenschaft ans Bett – und den Rest der Stadt gleich mit. Fakt oder Fiktion? Dafür, dass München jedes Jahr schon in Kalenderwoche 41 und 42 schnieft, während der Rest des Landes noch kerngesund ist, gibt es "keine andere vernünftige Erklärung als das Oktoberfest", so Ulrike Protzer, Chefin des Instituts für Virologie an der TU München.

Stuttgart

Dass du dir mit Stuttgart das Epizentrum der schwäbischen Sparsamkeit als Studienort auserkoren hast, war dir hoffentlich klar. Dass das allzu oft aber auch bedeutet, dass du deine freie Zeit mit Schneeschippen und Dachbodenfegen verbringst, konntest du aus der Ferne nicht ahnen. Doch als sparsames Völkchen übertragen die Schwaben das Verrichten dieser gesamtgemeinschaftlichen Pflichten natürlich nicht einer Hausmeisterei, sondern kümmern sich im fein säuberlich geregelten Turnus selbst um diese Aufgaben.

Gewiss, die Kehrwoche spart Geld, kostet Neu-Schwaben aber umso mehr Nerven. Wer sich diese sparen und lieber ein paar Groschen mehr berappen möchte, sollte schon bei der Wohnungssuche darauf achten, dass derartige Pflichten nicht im Mietvertrag verankert sind. Oder du siehst es schwäbisch-sportlich – denn Fegen und Schneeschippen sind garantiert günstiger als das günstigste Studentenangebot im Fitness-Studio!

Berlin

"Kaiserswerther Str. 16-18, 14195 Berlin", so unschuldig kommt die Anschrift der Freien Universität Berlin daher. Mal eben noch die WG in Friedrichshain oder Pankow klargemacht, und schon kann es losgehen, das Studium in Berlin. Oder? Berliner schmunzeln regelmäßig über die Naivität der Kleinstadt-Kids, die es zum Studieren in die Hauptstadt zieht. Mehr als alles andere müssen Neu-Berliner Studenten nämlich lernen, was das Wort "Distanz" wirklich bedeutet.

In Berlin kannst du im selben Stadtteil wohnen wie dein bester Kumpel und trotzdem zwanzig Minuten radeln müssen, um ihn zu besuchen. Und du kannst an einer Berliner Uni studieren und trotzdem zwischen 45 Minuten und einer Stunde mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sein, um deinen Campus zu erreichen – der wohlgemerkt nicht in Potsdam liegt!

Du weißt, dass du in Berlin angekommen bist, wenn du bei kurzfristigen Ausfallbenachrichtigungen von Seminaren automatisch sauer wirst: Denn die liest du immer erst, wenn du schon längst im Zug Richtung Uni sitzt. Aber du weißt auch, dass du in Belin angekommen bist, wenn du dir anschließend den beschwerlichen Rückweg mit einem Wegbier versüßt – in Berlin liebevoll Fußpils genannt. Denn so gewöhnungsbedürftig unsere Hochschulstädte auf ihre jeweils ganz eigene Art auch sein mögen: Für jede Unsitte gibt es mindestens zwei schöne Seiten, die aus einer Adresse auf dem Studienausweis ganz schnell deine neue Heimat machen!

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