Professor im Interview: "Man merkt es den Arbeiten an, wenn sie mit KI verfasst wurden"

Autor*innen
Oke Carstens
Ein Mann sitzt an einem Schreibtisch und schreibt an einem langen Dokument, das sich schon am Boden aufrollt. Über ihm schwebt eine Sprechblase, in der Gekritzel geschrieben ist.

Hochschulprofessor Fabian Lang darüber, wie Studenten Künstliche Intelligenz sinnvoll nutzen, was derzeit schiefläuft – und woran er erkennt, dass eine Hausarbeit von ChatGPT geschrieben wurde.

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Herr Lang, Sie sind Professor an der Hochschule Hannover und haben gerade ein Buch zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Seminar- und Abschlussarbeiten veröffentlicht. Das Buch soll ein "Praxisleitfaden" sein, inklusive Prompt-Beispielen. Bringen Sie Ihren Studenten damit nicht das Schummeln bei?

Tatsächlich führen wir an den Hochschulen die Diskussion, ob das Arbeiten mit Künstlicher Intelligenz noch eine Eigenleistung ist. Schummeln heißt beispielsweise, dass ich einen Ghostwriter für mich schreiben lasse, im Fall von KI ist das der Chatbot. Und das ist genau das, was wir nicht wollen. Die Studenten sollen KI nicht als Textautomaten verwenden, sondern sie sollen lernen, wie sie diese Technologie einsetzen können, um selbst besser zu werden. Das heißt zum einen natürlich, um produktiver zu werden bei Routinearbeiten wie der Formatierung oder der Rechtschreibkontrolle, zum anderen aber auch um die Arbeit besser zu formulieren. Das sind Dinge, für die man viel Zeit aufwenden kann, die aber im Kern nicht wissenschaftlich sind. Es geht auch nicht darum, zu sagen, "ChatGPT, gib mir alle Quellen", sondern darum, das Tool zu nutzen, um noch mehr Quellen zu finden und die Lücken zu besetzen, wo man in der eigenen Recherche nicht weitergekommen ist. KI soll ein Werkzeug sein, um einen zu unterstützen. In diesem Sinne bringen wir den Studenten nicht das Schummeln bei.

Was bezwecken Sie denn dann mit Ihrem Buch?

Ich versuche, Studenten beizubringen, KI kritisch reflektiert und nuanciert einzusetzen. Mit KI meine ich Sprachmodelle wie ChatGPT, Copilot oder Gemini, die im Alltag der Studenten die größte Rolle spielen. Es soll nicht mehr heißen, "ChatGPT, bitte schreib mir die Hausarbeit", sondern "Ich muss eine Hausarbeit schreiben, wie könnte eine Struktur dazu aussehen?" oder "Schlag mir fünf weitere Schlagworte für die Literatursuche vor". Ich möchte, dass Studenten die KI als Hilfsmittel und nicht als Ersatz für sich selbst einsetzen. Das Schöne daran ist: Die Eigenleistung verschiebt sich zu wissenschaftlichen Themen und weg von administrativen Aufgaben und Formsachen. Mit der KI habe ich immer einen Tutor dabei, der mich unterstützen kann. Das heißt, mit dem richtigen KI-Einsatz erwarte ich auch eine bessere wissenschaftliche Qualität.

Wie nutzen Ihre Studenten die Möglichkeiten der KI denn aktuell, und was stört Sie daran?

Es gibt nicht den einen Studenten oder die eine Studentin in der Nutzung von KI. Es gibt verschiedene Gruppen. Problematisch ist, dass es oftmals an der Reflexion fehlt. Einige Studenten verwenden KI mit blindem Vertrauen. Man merkt das weniger in den Hausarbeiten als eher in Präsentationen und Referaten. Es wird etwas vorgestellt, und wenn man fragt, wie denn diese Zahlen zustande gekommen sind, lautet die Antwort: Wir haben ChatGPT gefragt. Das ist der Blinde, der Unreflektierte. Dann gibt es noch die Ängstlichen, also solche, die sich gar nicht trauen, KI-Sprachmodelle einzusetzen, weil sie Angst haben, etwas falsch zu machen. Sie denken, es könnte zu Fehlern kommen, und haben Schuldgefühle, wenn sie sich helfen lassen. Manche sind in der Nutzung auch schon ganz gut – das haben sie sich dann aber hauptsächlich selbst in der Freizeit angeeignet.

Und wie sollten sie es in Ihrer Idealvorstellung zukünftig tun?

Für mich ist eine idealtypische Nutzung eine, bei der Studenten das Denken nicht an die KI auslagern. Durch die KI habe ich immer einen Gesprächspartner, mit dem ich diskutieren kann, um mir eine eigene Meinung zu bilden. Natürlich muss ich die Aussagen der KI danach noch auf Richtigkeit überprüfen, und am Ende kann ich immer noch etwas machen, das mir das Sprachmodell gar nicht gesagt hat. Aber durch die Diskussion komme ich selbst auch auf neue Gedanken. Und wenn ich vorher schon eigene Gedanken habe, kann ich beispielsweise einen Faktencheck durch die KI machen lassen. Gerade Studenten können sich so noch einmal bestätigen lassen, ob sie die Dinge verstanden haben. In meinem Buch steht dazu ein Zitat von Christian Lange: Die Technologie ist ein nützlicher Diener, aber ein gefährlicher Meister. Wir sollten nicht die Diener der Technologie werden.

Welche drei Tipps können Sie Studenten geben, um ihren Umgang mit Künstlicher Intelligenz im Studienalltag zu verbessern?

Nummer eins ist: Ausprobieren. Schauen, was die Tools können und wie sie sich weiterentwickeln. Immer neugierig bleiben! Ein zweiter Tipp wäre, sich mit der Funktionsweise der Sprachmodelle zu beschäftigen. Vielen ist nicht bewusst, dass Sprachmodelle eigentlich nicht denken können – es wirkt nur so. Wir erkennen in den Antworten Muster, aber im Grunde sind die Sätze nur durch Wahrscheinlichkeiten aneinandergereihte Wörter. Das Dritte ist der Punkt Verantwortung. Am Ende gebe ich eine Arbeit ab, halte eine Präsentation oder schreibe eine E-Mail, unter der mein Name steht. Die KI kann keine Autorenschaft, keine Verantwortung übernehmen. Am Ende trage ich die Verantwortung dafür, dass alles richtig ist. Dessen muss man sich bewusst sein.

Ein großer Teil Ihrer Handlungsempfehlung bezieht sich auf das "Prompt-Engineering". Wie sieht denn ein guter Prompt aus – haben Sie ein Beispiel?

Der Prompt sollte grundsätzlich den Kontext der Anfrage erklären, weil das Modell dann treffender eine Antwort berechnen kann. Außerdem sollte man auch eine Schritt-für-Schritt-Instruktion skizzieren, wie das Ziel erreicht werden soll. Im besten Fall gibt man auch noch ein oder mehrere Beispiele vor. Veranschaulichen lässt sich das anhand eines Prompts, der Studenten dabei helfen kann, eine Idee für ein Thema ihrer Abschlussarbeit zu entwickeln. Man beginnt damit, den Kontext und die Rolle für die KI vorzugeben. In diesem Fall heißt das in etwa: "Du bist ein erfahrener Professor für Mittelstandsforschung. Deine Aufgabe ist es, Branchenberichte systematisch auszuwerten, um darin Trends zu identifizieren. Das Ziel ist die Entwicklung von Themenideen für eine Abschlussarbeit über den Mittelstand." Danach folgt die konkrete Aufgabenstellung: "Bitte recherchiere die drei letzten Jahresberichte der Deutschen Industrie- und Handelskammer im Internet. Analysiere die Berichte anschließend und arbeite die zentralen Themen und Trends, wie beispielsweise Bürokratiekosten oder Digitalisierung, für den Mittelstand heraus." Zum Abschluss kann man dann noch Vorgaben zum Format machen, wie etwa: "Präsentiere die Trendthemen nach absteigender Bedeutung. Begründe jeweils deine Bewertung der Relevanz. Gib bei jedem Thema zentrale Zitate aus den Quellen an." Auf diese Art können sich Studenten schnell und einfach Inspirationen einholen. Bevor man sich für ein Thema entscheidet, sollte man sich natürlich selbst dazu einlesen.

Wie können Sie sich denn noch sicher sein, ob eine Abschlussarbeit nicht doch vollständig von ChatGPT verfasst wurde?

Sicher sein können wir uns nicht. Es gibt zwar die KI-Detektoren, aber die sind recht unzuverlässig und geben manchmal sogar menschliche Arbeiten als KI aus. Wenn wir jemanden des Täuschungsversuchs bezichtigen, müssen wir uns schon sehr sicher sein. Allerdings dürfen die Studenten KI ja nutzen. Sie sollen es eben nach einer wissenschaftlichen Art und Weise dokumentieren. Eigentlich noch viel wichtiger ist: Man merkt es den Arbeiten immer noch an, wenn sie mit KI verfasst wurden. Nicht wenn man nur einen Absatz liest – dann klingt das alles ganz gut. Aber häufig fehlt einfach der rote Faden. Früher konnte man die schlechten Arbeiten teilweise schon an der Form erkennen: Rechtschreibung, Zeichensetzung und Ähnliches waren "Kraut und Rüben". Heute sehen auch schlechte Arbeiten auf den ersten Blick super aus, aber wenn man dann darin liest, erkennt man, dass es einfach nur verschiedene Bruchstücke aus KI-Antworten sind. Daran merkt man, dass die Arbeit KI-generiert ist. Das ist aber irrelevant, weil die inhaltliche Qualität in diesen Fällen meist ohnehin nicht den Mindestanforderungen entspricht. Wenn die KI irgendwann so weit ist, dass ich den Unterschied zwischen einem guten Studenten und einer KI-Antwort nicht mehr sehe, müssen wir darüber sprechen, ob wir die Form der Prüfung nicht grundlegend ändern wollen.

In Ihrem Buch fordern Sie ein besseres Konzept der Universitäten zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz, nicht nur für Studenten, sondern auch in der Forschung. Wie sähe ein solches Konzept aus?

Der Trend geht mittlerweile wieder dahin, nicht nur schriftliche Arbeiten zu bewerten, sondern die Studenten auch mündlich zu befragen. Dafür könnte man die Kolloquien, also wissenschaftliche Fachgespräche, wieder zur Regelprüfung machen. Zusätzlich ließe sich ein begleitendes Seminar zu den Abschlussarbeiten anbieten, in dem die Studenten erzählen, woran sie gerade arbeiten und welche Herausforderungen sie haben. Wir an der Hochschule haben aber auch kleinere Studentenzahlen als Universitäten. In einem Massenstudiengang stelle ich es mir schwierig vor, mit jedem Einzelnen ein Kolloquium oder ein begleitendes Seminar zu machen. Deshalb reden wir natürlich auch darüber, ob wir langfristig überhaupt noch klassische Abschlussarbeiten haben werden.

Würde das nicht die gesamte Wissenschaft auf den Kopf stellen?

Einige Beobachter sagen jetzt schon voraus, dass die Masterarbeit mittelfristig verschwinden wird. Was mich dann beschäftigt, ist: Wenn die Masterarbeit wegfällt, sind wir nur ein paar Jahre des technologischen Fortschritts davon entfernt, dass die Dissertation auch wegfällt. Die Dissertation ist aber schon Forschung auf Publikationsniveau. Wenn die KI also irgendwann eigenständig neue Erkenntnisse produzieren kann, wird sie so leistungsstark sein, dass sie in der Forschung eingesetzt werden kann. Das würde die Wissenschaft wirklich von Grund auf verändern!

Das heißt, Künstliche Intelligenz macht die Forschung effizienter?

Ob KI eine maßgebliche Rolle in der Forschung spielt, hängt nicht von der Effizienz ab, sondern von der Qualität und der Effektivität. Erreiche ich, bei gleicher wissenschaftlicher Sorgfalt, meine Forschungsziele besser mit KI? Effizienter heißt nur, dass ich schneller bin. Der Vorteil ist, dass ich mich durch die gewonnene Zeit mehr auf die Qualität fokussieren kann.

Welches KI-Modell – von ChatGPT über Claude bis Deepseek – empfehlen Sie Ihren Studenten?

Das muss man differenziert betrachten. Aus persönlicher Erfahrung sind für bestimmte Aufgaben auch bestimmte Modelle geeignet. Welches Modell gerade wo führend ist, wechselt regelmäßig. Für die meisten Aufgaben nutze ich ChatGPT, auch weil ich dort das Abo habe. Für kreative Aufgaben, wenn ich beispielsweise für eine Vorlesung den Prototyp einer Website bauen möchte, nutze ich aber Claude von Anthropic. Man ist schon auf dem richtigen Weg, wenn man sich Gedanken darüber macht, welches Modell wofür genutzt werden sollte. An dieser Stelle müssen wir über die ethische Nutzung von KI sprechen: Es dürfen auf keinen Fall personenbezogene Daten in irgendeine Plattform geladen werden. Auch sollte man das Thema Urheberrecht zumindest im Hinterkopf behalten. Im akademischen Bereich gibt es daher meist KI-Systeme, die auf einem lokalen Hochschulserver laufen. Aus ethischer Perspektive ist das eigentlich die beste Wahl.

Ganz ehrlich: Haben Sie Ihr neues Buch denn selbst geschrieben, oder war das ChatGPT?

Selbst geschrieben mit ChatGPT, das heißt, ich habe die Literatur selbst herausgearbeitet, aber mich natürlich bei der Formulierung von ChatGPT unterstützen lassen. Sonst wäre es auch ein viel längeres Projekt gewesen. Die KI hat mir sehr dabei geholfen, das Thema verständlich darzustellen. Aber auch inhaltlich konnte KI einen Beitrag leisten: Das Buch ist sehr praktisch orientiert, und es finden sich darin 50 Prompts zum Ausprobieren. Bei der Gestaltung der Prompts habe ich mir natürlich helfen lassen. Ich wurde also auch gedanklich ein bisschen unterstützt, kann aber guten Gewissens sagen: Es ist mein Buch!

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