"Zero Waste Campus": Die Uni und der Müll

Autor*innen
Deike Uhtenwoldt
Hand wirft ein zerknülltes Stück Papier in einen Mülleimer, auf dem ein Recycling-Symbol angebracht ist.

Wie ist das, auf einem sogenannten „Zero Waste Campus“ zu studieren? Wir haben uns den in Kiel näher angeschaut und uns umgehört.

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Politik in einem internationalen Umfeld und möglichst nah am Meer studieren, nach diesen Kriterien hat Hannah Schmidt die Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel ausgewählt. Eine Hochschule, an der Studierende kostengünstig surfen und segeln lernen können und wo sie erfahren, welche Müllberge Ostseetouristen hinterlassen. "Oder wie groß der Abrieb an Autoreifen ist, wenn ein Tourist über die Autobahn rast", berichtet Schmidt. In ihrem zweiten Studienjahr ist sie in die Hochschulpolitik eingestiegen, inzwischen im Ökologiereferat des AStA tätig – und mit der Klimapolitik ihrer Uni zufrieden: "Die Uni ist auf einem richtig guten Weg", findet sie und lobt die Fahrradfreundlichkeit, das Gebäudemanagement, aber auch den "Zero Waste Teller" in der Mensa. Bei dem wisse man "nicht so genau, was man bekommt", aber dafür sei er "viel günstiger".

Der Teller passt gut in eine Stadt, die sich "Deutschlands erste Zero Waste City" nennen darf. Das heißt erst mal nur, dass Abfälle vermieden, die Kreislaufwirtschaft gestärkt werden soll und Kiel für seine Vorhaben die erste Zertifizierung im internationalen Netzwerk "Zero Waste" überstanden hat. Der gleichnamige Teller ist ein Angebot des Studentenwerks Schleswig-Holstein und richtet sich an Nachzügler an den Mensatischen: 15 Minuten nach der regulären Essensausgabe werden zu viel produzierte Speisen neu zusammengestellt und ab 2,50 Euro verkauft. "Solange der Vorrat reicht", sagt Sprecherin Kerstin Klostermann. Es gehe nicht darum, die Verkaufszahlen in die Höhe zu treiben, sondern Lebensmittelverschwendung entgegenzutreten.

Hochschulen treiben die Nachhaltigkeit voran

Vor rund einem Jahr wurde der "Zero Waste Teller" zunächst in der Kieler Mensa I eingeführt. Die Abfallmenge konnte von 50 auf unter 10 Kilogramm täglich reduziert werden, sagt Klostermann. Daraufhin sei der Teller auch in anderen Mensen eingeführt und vor Kurzem durch ein Pendant aus dem Cafeteria-Sortiment ergänzt worden: die "Zero Waste Tüte" mit übrig gebliebenen Snacks, von süß bis salzig.

Nachhaltigkeit ist nicht nur in aller Munde, sondern wird gerade von den Hochschulen vorangetrieben, sagt Thimo von Stuckrad, Referatsleiter für Transformation bei der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Das betrifft jeden einzelnen Standort und auch die Infrastruktur: "Machen wir als Hochschule eine Rückstellung, um einen neuen Parkplatz zu bauen oder um ein nachhaltiges Konzept für Campusmobilität zu entwickeln?", fragt er stellvertretend für die 271 Mitglieder und kennt auch die Antwort: "Alle Hochschulen denken nicht nur darüber nach, sie führen auch Veränderungen herbei."

Kiel hat es schwerer als andere Unis

Die HRK sammelt Best-Practice-Beispiele und nennt die Leuphana Hochschule Lüneburg, weil die klimaneutral ist, oder die TU Berlin, die am Campus Charlottenburg Klimaanpassung praktiziert und das Umfeld einbindet. "Hochschulen sind Reallabore der Transformation", sagt von Stuckrad. Kiel hat es ungleich schwerer: Die CAU ist eine Volluniversität, bald 360 Jahre alt, und muss sich mit Denkmalschutz und Waschbetonbauten aus den 70er-Jahren herumschlagen. "Der Campus ist eine Betonwüste", findet Laura Falk, VWL-Studentin und ebenfalls im Ökologiereferat des AStA tätig. Sie wünscht sich mehr Grünflächen, auch auf Dächern und Fassaden, sowie ein personell stärker aufgestelltes Nachhaltigkeitsteam: "Klik macht gute Arbeit", lobt die 23-Jährige das Klimaschutzteam, das aus zwei hauptamtlichen Mitarbeitern und zwei studentischen Hilfskräften besteht. Aber das Thema und das Ziel der Klimaneutralität seien zu groß, um es mit so wenig Personal zu stemmen.

Die Kieler Abkürzung "Klik" steht für "Klimakonzept 2030" – bis dahin will die Uni klimaneutral werden. Festgelegt hat das vor elf Jahren ein Präsidium, das nicht mehr im Amt ist. Umsetzen soll es vor allem das kleine Team um Projektmanager Sebastian Starzynski. "Wir haben auch eine Vorbildfunktion für unsere Studierenden", sagt der Geograph. "Man kann nicht auf der einen Seite über Klimaschutz lehren und forschen, aber auf der anderen Seite den schmutzigsten Strom der Republik einkaufen", findet er. Beim Strom geht das auch relativ einfach: 28.000 Megawattstunden Ökostrom kauft die Uni für den Betrieb der knapp 200 Gebäude ein. "Aber bei der Wärme sind wir an das Fernwärmenetz der Stadt Kiel gebunden – und damit noch an fossile Energieträger", sagt er.

Radfahrquote von 55 Prozent

Zum Ausgleich will die Universität auf ihren Flächen Windräder aufstellen, die Abwärme aus dem neuen Rechenzentrum ins eigene Netz einspeisen oder einen Wärmespeicher im Erdboden anlegen. Aber auch wenn Baumaterialien alter Gebäude recycelt werden sollen, wird es nicht ohne Neubau und damit CO2-Verbrauch gehen. "Wir müssen als Universität wachsen", sagt Starzynski. Schließlich gehe es bei einer Hochschule um Wissenschaft und Fortschritt, sagt der Klimamanager: "Energie zu produzieren ist nicht unsere Kernaufgabe."

Dennoch müsse man sich dem Thema stellen, zugleich sparen und kompensieren, um das "Klik"-Ziel in nur noch sieben Jahren zu erreichen. Noch sind es jeweils rund 5.000 Tonnen CO2, die jährlich in der Wärmeversorgung und Mobilität an der CAU anfallen – trotz des fahrradfreundlichen Campus. "Wir konnten 500 Pkw-Stellplätze zurückbauen, weil wir eine Radfahrquote von 55 Prozent erreicht haben", so Starzynski.

"Gute Anlaufstelle für alle"

Was man alles aus öden Parkflächen machen kann, demonstriert der AStA Kiel jährlich mit einem sogenannten "Parking Day". Statt abgestellter Wohnwagen werde dann die Kreislaufwirtschaft mit Kleidertauschbörse und Pflanzentauschregal unterstützt und die Fläche mit Live-Band und "Wikinger Schach" belebt, sagt Hannah Schmidt. Sie meint ein Outdoorspiel mit Klötzen und Stäben, auch "Kubb" genannt. Hauptanliegen der 25-Jährigen ist es aber, dauerhaft auf dem Campus für mehr studentisch bestimmten und gewidmeten Raum zu sorgen. Dafür steht die AStA-Initiative "Nestbau", die Kieler Studierende zu Ideen wie einer Kletterwand oder einer Kunstgalerie und damit mehr Campusleben auch nach Vorlesungsende befragt.

Denn auch wenn die Hochschulen insgesamt bei der Nachhaltigkeit schon "Next Level" sind und Studierende, das im konkreten Fall der "Zero Waste Teller" und "Zero Waste Tüten" positiv bewerten, kommen Studierende, Beschäftigte der Uni und Stabstellen für Klimaschutz organisatorisch zu wenig zusammen. "Seit drei Jahren sollen wir ein studentisch geführtes Green Office bekommen, aber das dauert", beklagt Schmidt. Das Green-Office-Modell soll Bildung für nachhaltige Entwicklung weltweit an Hochschulen verankern und wird durch die Hochschulen finanziert. In Kiel soll es noch in diesem Sommer damit klappen. "Das wäre schon cool und eine gute Anlaufstelle für alle", sagt Laura Falk. Vielleicht bekommt dann die Studentin in ihrem Master für Umweltökonomie doch noch die Hochschule, die sie sich wünscht: mit grün bewachsenen Fassaden vor blauer Kieler Förde.

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