Kolumne "Uni live": Zu schüchtern fürs Studentenleben

Autor*innen
Lina von Coburg
Person mit Laptop sitzt auf einem Würfel und blickt konzentriert auf den Bildschirm. Die Person daneben gestikuliert zu ihr, als ob sie etwas erklärt.

Oje! Ein Vortrag im Seminar vor weitgehend fremden Kommilitonen und einem streng blickenden Dozenten! Für manche ist das die reinste Horrorvorstellung. Dabei steckt in schüchternen Studierenden oft so viel.

e‑fellows.net präsentiert: Das Beste aus der F.A.Z.

Lies bei uns ausgewählte Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und von FAZ.NET.

Stellen wir uns mal diese Situation vor: Eine Studentin im zweiten Semester soll in einem Seminar einen Vortrag halten. Es geht um eine Matheaufgabe, die gelöst werden soll. Die Studentin ist gut vorbereitet. Sie hat die Aufgabe durchgerechnet und ist sich sicher, zur richtigen Lösung gekommen zu sein. Da gibt es nur ein Problem: Der Vortrag findet natürlich nicht zu Hause in ihrem WG-Zimmer statt und auch nicht vor ihren Freunden. Im Gegenteil: Fast 20 weitgehend fremde Augenpaare starren die Studentin erwartungsvoll an, der Dozent schaut streng gen Tafel, und im Seminarraum ist es so leise, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Horrorszenarien tun sich vor den Augen der Studentin auf. Was ist, wenn sie anfängt zu stammeln, rot anzulaufen oder einfach weinend rausrennt?

Für viele Leser mag dieses Szenario erst mal harmlos klingen. Die Möglichkeiten, was bei dem Vortrag so alles passieren könnte, sind entweder von außen betrachtet halb so schlimm oder aber gänzlich unwahrscheinlich. Sicherlich erkennen dennoch viele in dieser Situation sich oder jemanden aus ihrem Umfeld wieder. Studien untermauern dieses Bild. So bezeichnet sich laut Umfragen fast jeder vierte Deutsche als schüchtern und gehemmt.

Schüchtern oder introvertiert?

Man könnte nun annehmen, dass es sowohl im Uni- als auch in anderen Kontexten kein Problem mehr ist, schüchtern zu sein. Doch entgegen dessen wird Schüchternheit sowohl im gesellschaftlichen als auch im kleineren Studi-Universum häufig noch als Manko oder jedenfalls als seltsamer Charakterzug wahrgenommen.

Doch was heißt Schüchternheit überhaupt? Schüchternheit wird oftmals mit Introvertiertheit gleichgesetzt. In beiden Fällen werden Personen eher als ruhig und besonnen wahrgenommen, und tatsächlich sind schüchterne Menschen häufig auch introvertierte Persönlichkeiten. Dennoch hat die ruhige Ader in beiden Fällen ganz unterschiedliche Ausgangspunkte. Während Introvertiertheit einen Persönlichkeitstyp beschreibt, bei welchem Menschen zum Energietanken das Alleinsein bevorzugen, ist bei dem Charakterzug Schüchternheit vor allem ein Gefühl bestimmend: die Angst. So schleicht sich diese lästige Emotion in zwischenmenschliche Beziehungen ein und erschwert das Miteinander. Als Folge dessen vermeiden schüchterne Menschen oftmals Blickkontakt, lachen nervös, beginnen zu zittern und rot anzulaufen oder fühlen sich schlicht fehl am Platz, wenn sie mit fremden Menschen agieren sollen.

Schüchternheit scheint eine Eigenschaften zu sein, die zwischen betroffenen Studierenden und einer erfolgreichen Uni-Karriere stehen kann. So kann es ziemlich hinderlich sein, den Seminarvortrag nicht ohne Schweißausbruch bewältigen zu können. Aber auch das Kennenlernen anderer Kommilitonen, Besprechungen mit Dozenten oder Beteiligungen an Diskussionen können für schüchterne Menschen schnell zur Belastungsprobe werden.

Es gibt auch positive Seiten

Die Betonung liegt hier auf dem Wort "können". Denn obwohl es oft so wirkt, als würde Schüchternheit mehr hemmen als helfen, können Studierende durchaus Positives aus diesem Charakterzug ziehen: Zum Beispiel sind meine schüchternen Kommilitonen die besten Zuhörer! Das kann nicht nur bei Diskussionen helfen, den Überblick zu bewahren, sondern auch spätestens beim Büffeln für die nächste Klausur von Vorteil sein. Schüchterne Menschen überlegen sich oft dreimal, ob sie wirklich etwas sagen. Demnach kann man darauf setzen, dass das Gesagte wohldurchdacht und wirklich relevant ist. Und sprechen ist ja auch nicht die einzige Möglichkeit, zu kommunizieren. Oft reicht schon ein kleines Lächeln oder zustimmendes Nicken aus, um unter Kommilitonen einen positiven Eindruck zu hinterlassen.

Ein bisschen Auftrittsangst ist total normal!

Problematisch wird es natürlich, wenn Personen ihre Schüchternheit als Belastung erfahren. Wächst der Leidensdruck stetig an und mündet vielleicht sogar in einer Sozialphobie, rät es sich, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Meist reichen aber schon kleinere Schritte, um sich als schüchterne Person im sozialen Uni-Miteinander schnell wohler zu fühlen.

Zum Beispiel kann es helfen, negative Gedankenspiralen zu Ende zu denken. Denn meist wird man zu dem Schluss kommen, dass selbst das Schlimmste, was man sich ausmalt, nicht den absoluten Gesichtsverlust bedeutet. Ein weiterer wichtiger Punkt ist das gezielte Suchen von Situationen, die einem Angst bereiten. So könnte unsere schüchterne Studentin beispielsweise häufiger Vorträge in Seminaren halten, um eine gewisse Routine zu entwickeln. Besonders im Uni-Kontext gibt es an einigen Unis aber auch weitere externe Unterstützung. Gezielte Kompetenztrainings können besonders zurückhaltenden und ängstlichen Studenten helfen, in Vortrags- oder Gesprächssituationen souveräner zu werden.

Zuletzt ist wichtig, vor allem eines festzuhalten: Egal ob es einem schwerfällt, in neuen Gruppen Anschluss zu finden, man Vorträge scheut oder Angst hat, in der Uni etwas Falsches zu sagen – jeder fühlt sich ab und an unsicher oder unwohl. Das ist doch völlig normal! Und selbst wenn man wirklich mal rot anläuft, zittert oder etwas Unpassendes sagt: Jede noch so unangenehme Situation ist nur eine Momentaufnahme und geht vorbei. Die Leute im Seminarraum haben's vermutlich spätestens mit dem Raumwechsel und dem Beginn der nächsten Veranstaltung schon wieder komplett vergessen.

Lina von Coburg

Lina von Coburg (23 Jahre alt) studiert im Masterstudiengang "Theorien und Praktiken professionellen Schreibens" in Köln. Neben ihrem Studium schreibt sie Gedichte, philosophiert über das Leben und macht sich Gedanken darüber, wie man als angehende Journalistin bestehen kann.

Alle Rechte vorbehalten. Copyright Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.

Bewertung: 5/5 (6 Stimmen)

Weitere Artikel zum Thema Studium