Unethisches Verhalten im Job: "Ich habe die Akten so frisiert, dass alles vorschriftsgemäß schien"

Autor*innen
Katja Diepenbruck und Hannah Scherkamp
Mann, der laut schreit. Sein Kopf ist oben geöffnet und Konfetti fliegt heraus. Er wirkt überrascht.

Sie haben Asbest auf dem Bau vergraben, Berichte manipuliert und Rezensionen gefälscht: Fünf Menschen erzählen, wie sie sich in ihren Jobs unethisch verhalten haben.

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Malte Bergridner* erinnert sich noch gut, dass ihm die ganze Situation äußerst suspekt vorkam, als sein Chef ihn zu einer einsamen Baustelle fuhr und von ihm verlangte, einen Haufen Material zu verbuddeln. Doch er war erst 19, es war sein erster Aushilfsjob nach dem Abitur, und der Chef der Baufirma war mit seinem Vater befreundet. Bergridner war überrumpelt, unsicher. Sein Chef verriet ihm auf Nachfrage, dass es sich um Asbest handelte. Mit einem unguten Gefühl tat der junge Mann, was von ihm verlangt wurde. Und fragte sich danach, ob er Anzeige erstatten sollte. Heute, da ist er sich sicher, würde er das tun.

ZEIT ONLINE fragte kürzlich seine Leserinnen und Leser, ob sie bei der Arbeit schon mal unmoralisch gehandelt haben. Einige gaben in den Antworten offen zu, sich dadurch Vorteile für ihre Karriere erhofft zu haben. Andere fühlten sich unter Druck gesetzt. Laut einer Studie sind vier von zehn Menschen zu unethischem Verhalten im Job bereit.

Wie Angestellte sich verhalten, wenn Vorgesetzte etwas Illegales oder moralisch Verwerfliches von ihnen fordern, hänge von vielen Faktoren ab, sagt Hannes Zacher. Er ist Professor für Arbeitspsychologie an der Universität Leipzig. "Wie Mitarbeiter damit umgehen, ist abhängig vom Alter, von der Berufserfahrung, von der Position in der Hierarchie, vom Vertrauensverhältnis zu ihren Vorgesetzten, aber auch vom grundsätzlichen Klima in einem Unternehmen", sagt Zacher.

Auch Tina Müller* stand vor einer schweren Entscheidung. Als von ihr verlangt wurde, in ihrem Konzern über einen Kollegen Unwahrheiten zu verbreiten, weigerte sie sich. Und bekam bald die Konsequenzen zu spüren: Ihr wurde wenig später gekündigt, genauso wie zuvor ihrem Kollegen, den sie zu Unrecht schlechter Arbeit beschuldigen sollte. "Führungskräfte gefährden mit solchen Forderungen die eigene Organisation. Wer als Mitarbeiter etwas tun muss, das er ethisch verwerflich findet, wird in seiner Berufsethik verletzt und kann sich rächen wollen", sagt Zacher. Zum Beispiel, in dem der Mitarbeiter schlecht über den Chef redet, etwas klaut oder kündigt.

Für die Unternehmen lohne es sich langfristig nicht, wenn Vorgesetzte Angestellte zu unethischem Verhalten drängten, sagt Zacher. Damit versprächen sie sich kurzfristigen Gewinn. Aber den Schaden, den sie sich damit auf Dauer selbst zufügten, hätten sie oft nicht im Blick. Auch deshalb komme es immer wieder zu Situationen, in denen Mitarbeiter etwas tun müssten, was sie eigentlich ablehnten.

Lesen Sie in fünf Protokollen, welche Erfahrungen unsere Leserinnen und Leser mit unethischem Verhalten im Job gemacht haben.

"Ich habe den Unfallbericht gefälscht"

Richard Terbetner*, 52

Ich habe in einer Produktionsfirma gearbeitet, wo wir eine berühmte Serie gedreht haben. Die Firma war toll, die Arbeit hat Spaß gemacht, aber der Chef war eine Pfeife. Eigentlich habe ich etwas ganz anderes studiert. Ich bin in den Laden reingerutscht und habe mich hochgearbeitet. Mein Job bestand unter anderem darin, die zeitlichen Ablaufpläne, auch Dispositionen genannt, für die Drehtage zu schreiben. Zeit ist Geld. Aber es gibt beim Film strenge Regeln, beispielsweise für die Ruhezeiten der Mitarbeiter oder für die Dreharbeiten mit Kindern. Wir haben mit Kindern oft überzogen. Statt an zwei Tagen zu drehen, haben wir einen sehr langen Tag gemacht. Erlaubt war das nicht. Danach habe ich auf Weisung meines Chefs einen gefälschten Ablaufplan für die Aktenordner geschrieben. Ich habe die Akten so frisiert, dass alles vorschriftsgemäß schien.

Das Gleiche haben wir mit Ruhezeiten praktiziert: Wir haben früh am Morgen angefangen zu drehen, obwohl wir erst spätabends zuvor Feierabend gemacht hatten. Wenn sich dann aber einer am Set in den Finger geschnitten hat, der eigentlich laut Arbeitsschutz noch Ruhezeit gehabt hätte, habe ich den Unfallbericht gefälscht und eine andere Uhrzeit aufgeschrieben. Denn wenn rauskommt, dass ein Unfall in der vorgesehenen Ruhezeit geschehen ist, zahlt keine Versicherung, und es können hohe Geldstrafen verhängt werden.

Warum habe ich all das gemacht? Weil ich den Job brauchte. Meine Frau und ich hatten schon Kinder und gerade ein Haus gekauft. Die Anweisungen zu illegalem Handeln habe ich mir immer schriftlich geben lassen, damit ich mich nicht strafbar mache. Dadurch, dass ich alles für meinen Chef getan habe, hatte ich auch viele Privilegien und Freiheiten. Zum Beispiel hat mein Chef mir große Entscheidungsfreiheit gelassen, und ich konnte während der Arbeitszeit zwischendurch auch mal privat etwas erledigen. Ich bereue nichts, denn am Set ist in meiner Zeit nie jemand ernsthaft zu Schaden gekommen. Bei den Kindern, die vor der Kamera standen, waren immer die Eltern dabei, die bestimmen durften, ob wir weiterdrehen und was wir ihren Kindern zumuten können.

"Ich sollte Kundenrezensionen fälschen"

Nina Bauer*, 34

2015 habe ich als Studentin ein Pflichtpraktikum an einer Sprachschule in England gemacht. Die Schule stellte sich als riesiges Großraumbüro heraus, in der nur fünf Festangestellte mit entsprechender Ausbildung saßen. Alle anderen Mitarbeitenden waren Praktikanten aus der ganzen Welt.

Ich habe BWL studiert und wollte dort im Bereich Marketing, Sales und Operations unterstützen. Wie eine ausgebildete Festangestellte durfte ich direkt Vertragsverhandlungen führen, neue Sprachlehrer einstellen und im Kundenservice mitarbeiten. Ich sollte auch Kundenrezensionen fälschen, diese Aufgabe wurde mit völliger Selbstverständlichkeit an mich herangetragen. Dazu mussten wir uns Fake-Accounts auf einer Rezensionsplattform anlegen und dort frei erfundene positive Erfahrungsberichte über die Sprachschule schreiben. Ich habe zwei- oder dreimal solche falschen Rezensionen geschrieben und habe gemerkt: Ich kann das nicht, ich finde es moralisch verwerflich. Das habe ich auch so kommuniziert. Es wurde kommentarlos hingenommen, und ich habe keinerlei Konsequenzen zu spüren bekommen.

Alle anderen Praktikanten, die damals mit mir gemeinsam dort waren, haben ohne Widerspruch die Rezensionen gefälscht. Es war ihnen wohl nicht so wichtig. Ich bin stolz darauf, dass ich es abgelehnt habe.

Das Praktikum habe ich nach vier Monaten abgebrochen. Meiner Meinung nach wurden wir dort ausgenutzt, wir haben nichts verdient, nur eine Aufwandsentschädigung erhalten. Aber mit so vielen jungen Leuten aus aller Welt zusammenzuarbeiten – das hat Spaß gemacht. Ich habe viel gelernt, nicht nur über Moral- und Wertvorstellungen. Weil ich sofort Verhandlungen auf Englisch führen durfte, habe ich meine Englischkenntnisse verbessert.

"Ich habe geholfen, Bilanzen zu manipulieren"

Sven Hochturmer*, 35

Ich habe zwei Jahre bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gearbeitet. Wirtschaftsprüfer sollen bestätigen, dass die Zahlen im Jahresabschluss eines Unternehmens plausibel sind. Ist das der Fall, stellen sie ihm einen Bestätigungsvermerk aus. Natürlich prüfen Wirtschaftsprüfer nicht haarklein, ob die Rechnungslegung des Unternehmens bis auf den letzten Cent stimmt. Das wäre schlicht unmöglich.

Deshalb bestimmen Prüfer vorab Wesentlichkeitsgrenzen. Bleiben Abweichungen in einem gewissen Rahmen, gilt ein Jahresabschluss trotzdem als formell korrekt. Eigentlich ist gegen dieses Prinzip nichts einzuwenden, doch in der Praxis werden Spielräume oft genutzt, um das Ergebnis so hinzubiegen, dass am Ende ein positives Ergebnis herausspringt. Das habe ich in meiner Zeit in der Branche schnell gelernt – und habe dabei geholfen, Bilanzen zu manipulieren.

Ein Problem ist, dass Unternehmen zwar verpflichtet sind, sich prüfen zu lassen, Prüfungsgesellschaften um diese Mandate jedoch buhlen müssen. Sie versuchen, Mandate so lange wie möglich zu halten und ein gutes Geschäft zu machen. Dazu müssen sie ihre Kosten klein halten und den Mandanten gefällig sein. Und jeder entdeckte Fehler bedeutet, dass man seine Prüfung ausweiten muss, und das kostet beide Seiten Zeit und Geld.

Faktisch gibt es zwischen Prüfern und Mandanten oft eine stillschweigende Übereinkunft: Wir schauen nicht genau hin, dafür zahlt ihr unsere Honorare. Die ganze Kultur der Branche funktioniert so. Als Mitarbeitender wird man angehalten, effizient zu arbeiten, aber auch, Wege zu finden, um weniger Fehler abbilden zu müssen und die Prüfung schlank zu halten.

Damit eine Prüfung schnell abläuft, habe auch ich Probleme in der Rechnungslegung unserer Mandanten ignoriert oder Daten manipuliert, zum Beispiel Lieferscheine. Meistens blieb die Erwartung von oben, so zu handeln, unausgesprochen, doch ich habe auch erlebt, dass Kollegen einen Vorgesetzten auf Unstimmigkeiten hingewiesen haben, und dieser sagte: "Das habe ich jetzt nicht gehört!" Die Mitarbeiter werden so gezwungen, sich die Hände schmutzig zu machen, während die Führungsriege so tut, als wüsste sie von nichts.

Natürlich war mir bewusst, dass es moralisch falsch ist, was ich tat. Allerdings war ich zum ersten Mal Vater geworden, und die Stelle war mein erster Job. Ich war froh, meine Familie versorgen zu können. Trotzdem habe ich das nicht lange ausgehalten, nach wenigen Jahren habe ich die Branche gewechselt."

"Ich war 19 Jahre alt, und der Chef war mit meinen Eltern befreundet"

Malte Bergridner*, 27

Nach dem Abitur habe ich auf dem Bau gearbeitet. Ich wollte Geld verdienen, um vor dem Studium nach Indien reisen zu können. Eines Tages fuhr mich mein Chef zu einer Baustelle, wo eine Grube ausgehoben war. Daneben lag ein großer Haufen eines merkwürdigen Materials und Erde. Er wies mich an, beides in die Grube zu schaufeln. Das Ganze war mir suspekt, und ich fragte ihn, was das denn für ein Material sei. Daraufhin gab er offen zu, dass es sich um Asbest handelte und die ordnungsgemäße Entsorgung viel zu teuer wäre.

Was soll ich sagen? Ich hab's gemacht. Danach habe ich schon darüber nachgedacht, ob ich ihn anzeigen oder irgendwo melden sollte. Aber ich war 19 Jahre alt, und der Chef war mit meinen Eltern befreundet, wir lebten in dörflichen Strukturen, man kannte sich. Ich habe mich einfach nicht getraut, zu widersprechen. Ich brauchte das Geld. Über die gesundheitlichen Risiken, wenn man Kontakt zu Asbest hat, habe ich damals auch nicht näher nachgedacht. Meine Erfahrung ist: Arbeitsschutz wird auf dem Bau nicht allzu genau genommen. Wenn ich mal Atemschutzmaske und Handschuhe trug, haben sich manche der Bauarbeiter über mich lustig gemacht.

Eine Zeit lang habe ich beides parallel gemacht: zwei Tage in der Woche war ich Praktikant in der Softwareentwicklung, drei Tage arbeitete ich auf dem Bau. Das war ein toller Ausgleich. Man arbeitet mit den Händen, ist draußen und sieht, was man am Ende des Tages geschafft hat. Mittlerweile bin ich Softwareentwickler und stehe viel sicherer im Leben. Ich bin selbstbewusster und würde definitiv anders handeln, wenn jemand etwas Illegales und noch dazu Gefährliches von mir verlangt.

"Sie forderten mich auf, das Gerücht zu verbreiten, dass mein Kollege schlechte Arbeit leiste"

Tina Müller*, 45

Ich war lange Abteilungsleiterin in einem Konzern. Eines Tages rief mein Chef mich für einen gewöhnlichen Jour fixe zu sich, eine Kollegin aus der Personalabteilung saß neben ihm. Die beiden forderten mich auf, im Unternehmen das Gerücht zu verbreiten, dass mein Kollege schlechte Arbeit leiste. Sie suchten einen Grund, um ihn ohne Abfindung kündigen zu können.

Was genau ich tun sollte, sagte mein Chef mir nicht. Nur: "Ich bin mit ihm nicht zufrieden und bitte Sie, das mitzutragen! Denken Sie sich etwas aus!" Ich wehrte mich, ich verstand mich bestens mit dem Mitarbeiter, er hatte immer gute Arbeit geleistet. Dann sagte die Personalerin noch, dass wir so lange sitzen bleiben würden, bis ich ihnen zusagte, mitzuhelfen. Doch ich blieb standhaft, sagte, dass ich nie Unwahrheiten verbreiten würde.

Kurz danach wurde dem Kollegen gekündigt, sie hatten irgendeinen Grund gefunden, mussten ihm aber eine Abfindung zahlen. Auch ich wurde etwa eineinhalb Jahre nach dem Gespräch entlassen. Ich erfuhr von Kollegen, dass mein Chef auch in meinem Fall versucht hatte, herauszufinden, wann ich schlechte Arbeit geleistet hatte. Aber sie fanden nichts, kündigten mir trotzdem und mussten mir nach einem Rechtsstreit eine sechsstellige Summe zahlen. Das war eine Genugtuung!

Schlussendlich habe ich also nicht für meinen Chef gelogen, sollte es aber tun, und das fand ich schockierend genug. Wer möchte für so eine Führungskraft arbeiten? Warum er mich und meinen Kollegen loswerden wollte, obwohl wir stets gute Arbeit gemacht hatten, kann ich nur vermuten. Ich habe beispielsweise länger Elternzeit genommen und bin auf eine Mutter-Kind-Kur gefahren. Mein Kollege hat eng mit mir zusammengearbeitet, mich als alleinerziehende Mutter unterstützt und unserem Chef auch mal widersprochen. Das hat unseren Vorgesetzten gestört, vermute ich. Er umgibt sich lieber mit mittelmäßigen Kolleginnen und Kollegen, die ihm folgen. Womöglich hat er das mit mehreren Entlassungen geschafft.

*Der Name des Gesprächspartners wurde geändert, da die Personen berufliche Nachteile fürchtet. Der echte Name ist der Redaktion bekannt.

Bewertung: 4/5 (5 Stimmen)

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