Effizient arbeiten: "Es ist ein Mythos, dass wir durch Multitasking mehr schaffen."

Autor*innen
Julia Beil
Eine Frau wird von verschiedenen Geräten aus dem Arbeitsalltag – Block, Laptop, Taschenrechner, Bücher – umkreist [© master1305 – stock.adobe.com]

47 Sekunden lang kann sich der Durchschnitts-Büroarbeiter auf eine Sache konzentrieren. Wie Sie fokussiert arbeiten – trotz Mini-Aufmerksamkeitsspanne.

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Eine der produktivsten Zeiten ihres Berufslebens hatte die kalifornische Psychologin Gloria Mark in Deutschland. Damals, kurz vor der Jahrtausendwende, arbeitete sie zeitweise für eine Berliner Forschungseinrichtung. Das Besondere: "Ich habe dort die ganze Zeit über nur ein einziges Projekt betreut." 2000 ging Mark zurück in die USA – und ihr Arbeitsalltag wandelte sich drastisch. Sie lehrte, forschte, betreute parallel Studierende. "Nach kurzer Zeit war ich komplett ausgelaugt."

Längst ist Marks Problem von damals auch hierzulande angekommen. Die Digitalisierung ermöglicht es Berufstätigen, in der gleichen Zeit wie früher mehr Aufgaben zu erledigen – theoretisch. Praktisch ist sie ein Konzentrationskiller, sagt Mark, die nun seit mehr als 20 Jahren zu dem Thema forscht und darüber gerade ihr Buch "Attention Span" veröffentlicht hat. So habe sich die Aufmerksamkeitsspanne des Durchschnitts-Büroarbeiters seit 2004 von zweieinhalb Minuten auf mittlerweile 47 Sekunden verringert.

Wie Sie zurück zu mehr Fokus finden und was Sie dazu über die vier verschiedenen Stadien der Aufmerksamkeit wissen müssen, verrät Gloria Mark hier.

1. Lassen Sie nur zwei Arten der Aufmerksamkeit zu

"Viele Menschen hängen dem Irrglauben an, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder man ist konzentriert – oder man ist es nicht", sagt Psychologin Mark. Dabei sei Konzentration facettenreicher. Wesentlich für den Fokus seien zwei Faktoren: Wie sehr sind Sie mental in Ihre Aufgabe vertieft ("Engagement")? Und wie sehr fordert Sie die Aufgabe heraus ("Challenge")?

Daraus wiederum ergeben sich der Psychologin zufolge vier verschiedene Aufmerksamkeitsstadien. In Stadium eins sind Sie vertieft und kognitiv herausgefordert. Das entspreche dem, was wir unter "voller Konzentration" verstehen. Unser Gehirn könne sich allerdings nicht dauerhaft auf eine einzige, anspruchsvolle Aufgabe fokussieren. "Das ist genauso unrealistisch wie die Vorstellung, man könnte zehn Stunden am Stück Gewichte heben."

Darum braucht es Stadium zwei. In diesem Stadium sind Sie zwar vertieft, aber kognitiv nicht herausgefordert. So kann das Gehirn sich regenerieren. "Wenn ich zum Beispiel ein Buch lese oder ein Spiel auf meinem Handy spiele, gehe ich darin auf, bin aber kognitiv nicht sonderlich gefordert." Die Stadien drei und vier hingegen gelte es im Arbeitsalltag zu meiden. Stadium drei – man ist weder vertieft noch herausgefordert – komme Langeweile gleich. Stadium vier – eine herausfordernde Aufgabe, in der Sie aber nicht aufgehen – führe irgendwann zu Frustration. "Das tritt zum Beispiel ein, wenn ich ein Technikproblem habe, aber partout keine Lösung dafür finde."

Machen Sie sich bei der Arbeit regelmäßig bewusst, in welchem Stadium der Aufmerksamkeit Sie gerade sind, rät die Psychologin. "Und wechseln Sie, wenn möglich, zwischen den ersten beiden hin und her." Sie haben das Gefühl, sie können sich nicht länger auf eine anspruchsvolle Aufgabe fokussieren, zum Beispiel das Recherchieren für eine große Präsentation? Dann tun Sie etwas, das Ihre Konzentration verlangt, aber wenig fordernd ist – etwa die Abrechnung ihrer Reisekosten.

2. Multitasking nur unter einer Bedingung

"Es ist ein Mythos, dass wir durch Multitasking mehr schaffen", sagt Gloria Mark. Jahrzehntelange Forschung habe gezeigt: "Wer an etwas arbeitet und dabei regelmäßig seine Aufmerksamkeit auf andere Dinge lenkt, der macht Fehler." Grund für die Fehleranfälligkeit ist ein Faktor, den Mark "Switch Cost" nennt: die Zeit, die es nach einer Ablenkung braucht, um sich wieder auf die ursprüngliche Aufgabe zu konzentrieren.

Viele Berufstätige gingen dennoch davon aus, dass sie mehrere Tätigkeiten gleichzeitig ausführen könnten. Ein Irrtum, der sogar zu körperlichen Problemen führe. "Je schneller Menschen zwischen verschiedenen Aufgaben hin und her wechselten, umso höher wird auch ihr Blutdruck und ihre Herzfrequenz." In diversen Studien hätten Forscher diesen Zusammenhang nachgewiesen.

Eine Bedingung, unter der Multitasking funktioniert, gibt es aber laut der Psychologin doch: Wenn Sie die parallel auszuführenden Aufgaben vorher richtig auswählen – und eine der beiden Aufgaben kognitiv nicht anspruchsvoll ist. "Ich kann zum Beispiel spazieren gehen und dabei eine WhatsApp-Nachricht schreiben, weil das Gehen automatisiert passiert." Was dagegen nicht funktioniere: E-Mails schreiben und gleichzeitig in einem Zoom-Meeting zuhören.

3. Fragen Sie sich, warum Sie sich ablenken wollen

Oft hätten Berufstätige das Gefühl, sich nicht gegen Ablenkung wehren zu können, sagt Mark. Sie findet das verständlich. "Moderne Technologie hat Konzentration erschwert. Smartphones klingeln, Push-Nachrichten flackern auf, E-Mails kommen im Minutentakt rein." Wichtig sei dennoch, sich Selbstwirksamkeit zu bewahren – also das Gefühl, die Kontrolle über technische Hilfsmittel zu haben.

Sie nennt ein Beispiel. "Wenn ich nach meinem Handy greife, ist das in der Regel ein automatisierter Vorgang. Man kann ihn sich aber bewusst machen." Stellen Sie sich beim nächsten Mal selbst auf die Probe, wenn Sie mitten in einer Konzentrationsphase plötzlich den Drang verspüren, ihre Mails zu checken, rät Mark. "Fragen Sie sich: ,Warum will ich das jetzt? Bin ich gelangweilt, bin ich frustriert?‘"

"Vielleicht sind Sie erschöpft und brauchen eine Pause – mit einer Aufgabe, die Sie kognitiv weniger fordert. Oder Sie merken, dass Sie Ihre Aufgabe nur aufschieben wollten, weil Ihnen eine entscheidende Information zum Weitermachen fehlt." Egal, wo der Grund liegt: Wer einmal herausgefunden hat, warum er sich ablenken wollte, kann seine Handlungsoptionen besser einschätzen.

4. Arbeiten Sie mit Zielen

"Aufmerksamkeit funktioniert nur zielgerichtet", sagt Gloria Mark. Gezeigt hat sie das unter anderem in einem Experiment, das sie gemeinsam mit Forschern von Microsoft Research durchgeführt hat. Mark und ihre Kollegen entwickelten damals einen Chatbot. Er stellte den Büroarbeitern, die an dem Experiment teilnahmen, jeden Morgen zwei Fragen. Erstens: "Was willst du heute schaffen?" Zweitens: "Wie willst du dich heute fühlen?"

Beispiel-Antworten waren: "Ich möchte heute mit der Präsentation für die Geschäftsleitung fertig werden" oder: "Ich möchte gern ein Gefühl der Erfüllung haben". Die Besinnung auf solche Ziele habe die Befragten produktiver arbeiten lassen, sagt Mark. Aber: Der Effekt hielt stets nur für eine Stunde an. Danach wurden die Probanden wieder unproduktiver.

Marks Lektion aus dem Experiment: "Ich habe gelernt, dass ich mir meine Ziele mehrfach am Arbeitstag in Erinnerung rufen sollte." So habe sie es auch beim Schreiben ihres Buchs gemacht – mit Erfolg: Sie habe alle zwei Wochen ein Kapitel fertiggestellt.

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