Lerntricks: "Ich stelle mir die Hormonachse wie eine chaotische WG vor"

Autor*innen
Laura Binder
Mann zeigt nach oben. Dabei hat er ein geöffnetes Buch auf seinem Kopf liegen. über dem Buch fliegen Buchstaben durcheinander herum.

Ein Arzt, ein Musiker und eine E-Sportlerin verraten, mit welchen Lerntricks sie sich endokrine Achsen, komplizierte Songzeilen und Spielzüge merken.

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"Ich spürte schon früh die Power von Melodien"

Ennio, 25, ist als Singer-Songwriter mit Songs wie "Kippe" oder "Fühlst du gar nichts?" erfolgreich. Im Herbst 2024 erschien sein Album "Schlaraffenland", auf dem auch Features mit RIN und Nina Chuba sind. Ennio hat per Fernstudium Musikproduktion in London studiert.

Ich spürte schon früh die Power von Melodien: In der fünften Klasse sollten wir im Erdkundeunterricht die Strukturen eines Gebirges lernen, mit all den komplizierten Begriffen für die Schichten und Platten. Ich konnte mir das einfach nicht merken. Dann gab mir meine Mutter den Tipp: Mach doch ein Lied daraus!

Das Gehirn verarbeitet Musik mit beiden Hirnhälften: Die linke Hälfte denkt und singt, die rechte fühlt und hört die Melodie. Als Musiker hilft mir das enorm, und ich glaube, alle kennen das: Einen Liedtext können viele nach ein paarmal hören mitsingen, aber es dauert ewig, etwas von einem Blatt Papier auswendig zu lernen. Weil ich meine Songs selbst schreibe, sind die Texte für mich fest mit einer Geschichte verbunden. Der Song "Fühlst du gar nichts?" erzählt zum Beispiel von Schmerz und Entfremdung in einer Beziehung. So speichere ich mir den Text automatisch viel besser ab.

Außerdem probe ich viel. Manchmal beim Chillen zu Hause oder unter der Dusche, aber es bringt mir mehr, mich konzentriert ins Studio zu setzen und das Handy auszumachen. Das ist auch nötig: Früher hatte ich 30-minütige Konzerte, heute dauern sie an die zwei Stunden. Ich muss mir also viermal mehr Wörter merken. Ich hatte noch nie einen Blackout auf der Bühne, aber ich höre mir vor Shows die kritischen Stellen noch mal über Kopfhörer an und singe sie immer wieder mit. Meinen Song "Die Erde dreht sich (ohne mich)" zum Beispiel. Da gibt es viele gesprochene Teile, die viel mehr Wörter enthalten. Ende Mai startet meine Sommer-Open-Air-Zeit in Braunschweig. Die Songtexte sitzen.

"Ich brauche viel Strategie und Wissen, um bestimmte Monster zu schlagen"

Mareike Burg, 26, war die erste Frau in der Prime League des Strategie-Games "League of Legends". Aktuell konzentriert sie sich auf ihre Masterarbeit in Informatik an der Leibniz-Uni Hannover.

Ich war 14 Jahre alt, als ich anfing zu spielen. League of Legends ist ein kompetitives Game. Zehn Leute spielen in zwei Teams auf einer Map gegeneinander. Das Ziel ist es, den gegnerischen Teil zu erobern. Es gibt viele Figuren wie Magier:innen oder Assassins, die alle einzigartige Fähigkeiten haben. Während des Spiels besiege ich Gegner:innen, kaufe stärkere Ausrüstung und arbeite mich vor. Ich brauche viel Strategie und Wissen, etwa wie ich bestimmte Monster schlagen kann. Vieles war Learning by Doing. Seit ich angefangen habe, professioneller zu spielen, habe ich gezielt Spielzüge trainiert. Zum Beispiel muss ich mir merken, an welchen Stellen ich Wards einsetze. Das sind kleine Augen, die man in der Welt platzieren kann, um Überraschungsangriffe zu vermeiden.

Einfach nur Fakten auswendig zu lernen, hat mir noch nie geholfen. Besser ist es, Wissen in einer logischen Struktur zu verankern. Ich stelle mir dafür einen verästelten Baum vor: Ich starte mit einem Thema und verzweige es in alle Unterthemen. Den Baum kann ich gedanklich abgehen. So lerne ich auch in meinem Informatikstudium, wenn ich mir Prozesse und Formeln merken muss. Das Spiel hat mir auch geholfen, besser mit Emotionen umzugehen. In Wettkämpfen verliert man auch mal, oft reichen auch schon wenige verlorene Spiele, um aus der laufenden Season auszuscheiden. In meinem letzten E-Sports-Team haben wir fast täglich Games analysiert. So habe ich gemerkt: Fehler und Niederlagen sind nicht nur Rückschläge, sondern auch eine Form des Lernens. Und noch ein wichtiger Tipp: Ich halte mich an Routinen, esse vor Wettkämpfen nur etwas Leichtes wie Toast mit Ei oder gehe eine Runde spazieren. Das macht selbstsicherer und fokussierter.

"Ich stelle mir die Hormonachse wie eine chaotische WG vor"

Mertcan Usluer, 27, arbeitet als Arzt in Köln. Er vermittelt auf Instagram und TikTok als @gynaekollege Medizinwissen und klärt über Diskriminierungsstrukturen auf. Mertcan hat an der Uni Duisburg-Essen promoviert.

Am Anfang ist ein Medizinstudium sehr viel trockene Theorie. Deshalb habe ich mir visuelle Geschichten gebaut: Zum Beispiel stelle ich mir die Hormonachse wie eine chaotische WG vor. Der Hypothalamus ist der genervte Mitbewohner, der die Aufgaben verteilt. Die Hypophyse ist die zuverlässige Mitbewohnerin, die die Leute managt. Die Eierstöcke sind die hart arbeitenden Mitbewohnerinnen, die unerfreuliche Aufgaben übernehmen und die WG, also den Zyklus, aufräumen.

Bei komplizierten Fachbegriffen habe ich mir Eselsbrücken gebaut. Ein bekannter Merkspruch in der Medizin ist: "Anton Pulmann trinkt Milch um 22.45 Uhr." Damit merkt man sich die Herzklappen und an welchen Stellen man sie abhört, also zum Beispiel im zweiten, vierten oder fünften Rippenzwischenraum. Außerdem habe ich mir feste Räume für Fächer geschaffen. Ich habe viel zu Hause gelernt: für Biochemie nur in der Küche, für Anatomie nur im Schlafzimmer. Dort habe ich dann Lernzettel verteilt und konnte mich in der Klausur besser erinnern: Ah, die Lösung für Frage 51 steht unter der Grafik auf dem Merkzettel an meinem Kühlschrank!

Schon früh im Studium habe ich außerdem immer wieder meinen Freund:innen erzählt, was ich gerade so gelernt hatte. Wenn ich etwas so herunterbrechen konnte, dass es für Fachfremde verständlich wurde, wusste ich: Jetzt habe ich es wirklich verstanden. Das ist bis heute ein wichtiger Teil meiner Arbeit, besonders bei meiner medizinischen Aufklärung auf TikTok und Insta.

Ich arbeite seit drei Jahren als Arzt in der Gynäkologie. Natürlich gibt es auch Situationen, in denen ich mich nicht an alles erinnern kann. Es ist okay, wenn ich etwas nachschauen oder andere Ärzt:innen fragen muss. In der Medizin ist es wichtiger, ehrlich zu sein, als so zu tun, als hätte man immer jede Antwort parat. Patient:innen erinnern sich nicht daran, ob ich die gesamte pharmakologische Tabelle auswendig konnte. Sondern daran, wie gut ich ihnen zugehört und geholfen habe.

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