Strategien im Beruf: Gesucht: Die Vorstandsformel

Autor*innen
Milena Merten, Julia Beil, Tanja Kewes und Ben Mendelson
Eine Mann steht auf einer Leiter, die aus einem Loch zu kommen scheint. Ebenfalls aus dem Loch kommen eine nach oben zeigende Hand, zerknülltes Papier, ein Buch und ein Pfeil nach oben.

Das Handelsblatt hat die Lebensläufe der Dax-Vorstände ausgewertet, mit Aufsichtsräten und Personalberatern gesprochen. Herausgekommen ist eine Strategie, mit der sich die Chance auf eine Vorstandskarriere maximieren lässt.

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Der Schlüssel zum Erfolg liegt auf der Fensterbank von Manfred Knofs Büro, im 48. Stock des Commerzbank-Turms in Frankfurt. Jeder Vorstandsvorsitzende der Bank erhält den übergroßen goldenen Schlüssel zu seinem Amtsantritt weitergereicht, ein Symbol für die Machtübergabe an den neuen Unternehmenslenker. Seit Januar 2021 ist er in Knofs Besitz – und öffnete ihm, der zuvor eine Ebene unter dem Vorstand das Privatkundengeschäft der Deutschen Bank leitete, die Tür zu einem mächtigen Klub. Die Vorstände und Vorstandschefs der 40 Dax-Konzerne verantworten zusammengenommen 1,8 Billionen Euro Umsatz und führen weltweit vier Millionen Mitarbeiter.

Wie wird man Mitglied in diesem Klub? Gibt es eine Aufstiegsformel, die den Weg in den Vorstand ebnet? Ein Bündel aus Bildungs- und Berufsstrategien, das eine gelungene Laufbahn im Management zumindest wahrscheinlicher macht? Diese Aufstiegsformel zu kennen wäre nicht nur für jene hilfreich, die nach ganz oben wollen. Sie könnte auch schon auf den beruflichen Stufen davor gute Dienste leisten.

Das Handelsblatt Research Institute hat die Lebensläufe von 231 Dax-Vorständen in 38 Konzernen ausgewertet – ausgenommen waren lediglich die beiden nach niederländischem Recht organisierten Konzerne Airbus und Qiagen. Die Handelsblatt-Redaktion hat zudem mit zahlreichen Menschen gesprochen, die die Vorstandspositionen im Dax innehaben oder innehatten. Hat Aufsichtsratsmitglieder und Personalberater befragt, die ihrerseits Vorstandspositionen besetzen, aber auch Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft.

Das Ziel: Herauszufinden, aus welchen Faktoren sich die Aufstiegsformel in der jetzigen Vorstandsgeneration zusammensetzt – und welchen Veränderungen sie derzeit unterworfen ist. Denn die Strategien, die die Wirtschaftslenker von heute nach oben gebracht haben, sind wahrscheinlich nicht dieselben, die für die Chefs von morgen gelten.

1. Ausbildung: BWL schlägt Jura

Einer, der eigentlich alles über den Weg nach oben wissen muss, ist Joe Kaeser. Er war selbst Vorstandschef von Siemens und ist heute Vorsitzender der Aufsichtsräte von Daimler Truck und Siemens Energy – also jenen Gremien, in denen darüber entschieden wird, wer es in die entsprechenden Konzernvorstände schafft. Kaeser mag sich nicht pauschal festlegen, welche Kriterien den Ausschlag geben, wenn es um die Besetzung von Vorstandsposten geht. "Das kommt im Grunde auf die Aufgabe an", meint er. "Es gibt einen Unterschied, ob es sich um ein fokussiertes oder ein Unternehmen mit einem breiten Spektrum handelt. Ob es um starkes Wachstum oder eine Restrukturierungsaufgabe geht. Um eine Fachfunktion oder Generalistenaufgabe."

Auch Matthias Scheiff, Deutschlandchef des Topmanagement-Vermittlers Russell Reynolds, ist der Meinung, dass man eine solche Karriere nur bis zu einem gewissen Punkt planen kann: "Da gehört vor allem Leistung, aber auch Glück und ein bisschen Zufall dazu."

Und dennoch: Schaut man sich die Lebensläufe der Dax-Vorstände an, entdeckt man auffällig viele Gemeinsamkeiten. Knapp die Hälfte der Vorstände ist auf den ersten Blick ein biografisches Abziehbild von Commerzbank-Chef Knof (Seite 48): männlich, zwischen 50 und 60 Jahre alt, deutscher Staatsbürger.

Allerdings ist Knofs Aufstieg an die Spitze der Commerzbank gleich in dreierlei Hinsicht ungewöhnlich. Erstens übersprang er die Stufe des einfachen Vorstandsmitglieds und wurde direkt Vorstandschef – zwei Drittel der Dax-Konzernchefs hatten zunächst einen anderen Vorstandsposten inne. Zweitens kam Knof von außen. Die Hälfte der Dax-Vorstände gelangte von leitenden Positionen innerhalb des Unternehmens auf ihre Posten. Bei BASF, BMW, Porsche, RWE und Sartorius wurden sogar ausnahmslos alle Vorstände von intern auf ihre Positionen befördert.

Und drittens stammt Knof, im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, aus "einfachen Verhältnissen", wie er selber sagt. Er ist der Erste aus seiner Familie, der studiert hat. Einer Studie des Elitenforschers Michael Hartmann zufolge kommen mehr als vier Fünftel der Vorstandsvorsitzenden aus bürgerlichen oder großbürgerlichen Familien.

"Ich hatte nie das Ziel, Vorstand zu werden", sagt Knof. Und doch traf er viele für dieses Ziel richtige Entscheidungen. Zunächst schrieb er sich 1985 für ein Studium ein, das damals als Erfolgsgarant galt: Jura. Mit einem Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung studierte er in Köln, Genf und Straßburg, promovierte schließlich. So wie Knof hat ein Drittel der Vorstände einen Doktortitel.

Jahrzehntelang galt Jura als das Standardfach für angehende Vorstände, heute ist es Wirtschaft: Mehr als die Hälfte der analysierten Dax-40-Vorstände haben BWL, VWL oder ein anderes Fach im Bereich Wirtschaftswissenschaften studiert. Mit deutlichem Abstand folgen technische Studiengänge wie Maschinenbau, Ingenieurwesen oder Informatik (26 Prozent). Erst danach kommen Naturwissenschaften (18 Prozent) und, inzwischen weit abgeschlagen, Rechtswissenschaften mit neun Prozent. Noch seltener sind nur sozial- und geisteswissenschaftliche Fächer (sechs Prozent). "Juristen haben an Einfluss verloren", sagt eine Aufsichtsrätin, die über jahrelange Erfahrung bei der Besetzung von Toppositionen in Dax-Konzernen verfügt. Es zähle heute Erfahrung in Produktion oder Verkauf – typische BWLer-Positionen. Kenntnisse etwa im Bereich Personal – dort tummeln sich Juristen besonders häufig – reichten nicht mehr.

Manfred Knof glaubt, dass sich die Gewichte künftig noch einmal verschieben werden: "Das Verständnis von IT, Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz wird wichtiger. Informatik, Naturwissenschaften und technologische Studiengänge werden gefragter sein."

Einer, der für diese Zukunft steht, ist Thomas Saueressig. (Seite 49). Mit 38 Jahren ist er der jüngste Vorstand im Dax. Schon den Bachelor in Wirtschaftsinformatik absolvierte er dual bei SAP und legte im Anschluss eine steile Konzernkarriere hin: 15 Jahre nach seinem Einstieg beim Technologiekonzern rückte er in den SAP-Vorstand auf. "Ich habe mich seit meiner Kindheit für Informatik und Wirtschaft interessiert und früh mit dem Programmieren begonnen", sagt er. "Diese Leidenschaft ist aus meiner Sicht wichtig, um Höchstleistungen zu erzielen."

Fazit: Wer Konzernkarriere machen will, fährt mit einem wirtschaftswissenschaftlichen Studienfach am sichersten, im Idealfall mit Informatikanteil.

2. Berufserfahrung: Der Siegeszug der Ex-Berater

Ein Fünftel der Dax-Vorstände hat Erfahrung bei Beratungen gesammelt, davon die Hälfte bei McKinsey (mehr dazu auf Seite 51). Das hat Gründe. Von anderen Bewerbern heben sich Berater laut Joe Kaeser immer stärker ab: "Ihnen ist gemeinsam, dass sie neben einer typischerweise sehr guten Ausbildung im Beraterumfeld systematisch die Management-Tools, auch 'Practices' genannt, lernen." Der frühe Kontakt mit Vorstandsetagen mache sie zudem geübter darin, "sich in unterschiedlichen Situationen darzustellen und zu behaupten". Ein Problem allerdings attestiert Kaeser den Beraterinnen und Beratern: "Oft sind Merkmale wie soziale Konformität oder Empathie unterdurchschnittlich ausgeprägt."

Harm Ohlmeyer ist Finanzvorstand bei Adidas – und war nicht nur Berater, sondern ist auch einer der vielen Betriebswirte unter den Vorständen (Seite 50). "BWL erschien mir am besten geeignet, um Karriere machen zu können", sagt er und ist zudem überzeugt: "Wer Berater gelernt hat, hat gezeigt, dass er sehr belastbar und leistungsbereit ist."

Fazit: Trotz aller Vorurteile ihnen gegenüber – eine frühe Berufsstation bei einer großen Unternehmensberatung ist ein zuverlässiger Karriereturbo.

3. Auslandserfahrung: Unbedingt – aber richtig

Fast ein Drittel der Dax-Vorstände hat einen (zusätzlichen) Hochschulabschluss im Ausland gemacht, am häufigsten einen Master of Business Administration an einer europäischen oder US-Hochschule. Und sogar die Hälfte der Dax-Vorstände hat im Ausland gearbeitet.

Headhunter Scheiff rät dazu, eine Auslandsstation möglichst früh in der Karriere einzubauen, nicht aufs Geratewohl in die Welt zu ziehen: "Man sollte vorab mit dem Management einen ganz klaren Plan vereinbaren. Was ist die Erwartungshaltung, wenn ich ins Ausland gehe? Was soll ich dort erreichen – etwa ein konkretes Wachstumsziel? Und wenn ich dieses Ziel erreicht habe, welcher Karriereschritt resultiert daraus nach meiner Rückkehr?" Denn sonst droht der vermeintliche Karrierepush zum Rückschlag zu werden.

Auf die eigene Sichtbarkeit "zu Hause" sollten Führungskräfte unbedingt achten, während sie ins Ausland entsandt sind, sagt Elke Hofmann von der Top-Personalberatung Egon Zehnder: indem sie den Kontakt zur Konzernzentrale halten, sich regelmäßig bei eigenen Förderern melden und idealerweise ein- oder zweimal im Jahr eine Woche im Hauptquartier verbringen. Es könne außerdem sogar ein Vorteil sein, nicht immer nur in Wachstumsmärkten Erfahrungen zu sammeln: "Wenn ich im Ausland zum Beispiel eine Restrukturierung vorantreibe, sammle ich nicht nur internationale Erfahrung, sondern auch Erfahrung im Umgang mit Krisen."

Fazit: Eine Auslandsstation im Studium und/oder im Beruf gehört dazu. Im Job sollte der Auslandsaufenthalt früh erfolgen und Teil einer planmäßigen Personalentwicklung sein – sonst droht man fern der Zentrale in Vergessenheit zu geraten.

4. Diversität: Der Aufstieg der Frauen – und seine Grenzen

Elisabeth Staudinger reizte vor allem eines, als sie sich Ende der 1980er-Jahre für ein Studium der Sinologie entschied: "die Lust auf Unbekanntes" (Seite 49). Die gebürtige Österreicherin war noch nie in China gewesen und sprach kein Wort Chinesisch. Doch ihre Spezialisierung wurde zum Karrierevorteil: Bereits zwei Jahre nach dem Einstieg bei Siemens wechselte sie 1999 für den Industriekonzern nach Shanghai. Im Vorstand von Siemens Healthineers kümmert sich Staudinger heute nicht nur um das wichtige Chinageschäft, sondern auch um Technologiethemen und Qualitätskontrolle.

Glaubt man den Top-Personalern, werden Profile wie ihres künftig häufiger in Dax-Vorständen vertreten sein. In von Polykrisen geprägten Zeiten seien Führungsteams auf Vielfalt angewiesen, so Zehnder-Beraterin Hofmann: "Je diverser die Meinungen, Erfahrungen und Kompetenzen in einem Vorstand sind, desto besser kann er mit dieser Komplexität, die es zu managen gilt, umgehen." Inzwischen liegt der Frauenanteil in den Dax-Vorständen bei 23,4 Prozent.

Doch freiwillig erfolgte der Wandel bei den meisten Unternehmen nicht. "Dass der Frauenanteil steigt, ist vor allem auf stärkeren gesellschaftlichen Druck zurückzuführen", so Wiebke Ankersen, Geschäftsführerin der Allbright Stiftung, die jährlich den Anteil von Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen börsennotierter Unternehmen dokumentiert. "Einige Unternehmen waren auch durch die gesetzliche Vorgabe gezwungen, frei werdende Posten mit einer Frau zu besetzen." Sie befürchtet, dass der Frauenanteil in den Vorständen in naher Zukunft stagnieren wird, da bald alle Dax-40-Vorstände mindestens eine Frau im Vorstand haben. Und die wirtschaftliche Unsicherheit tue ihr Übriges: "In schwierigen Zeiten werden Lebensläufe, die den eigenen ähneln, bevorzugt. Mehr Vielfalt zu wagen ist die gefühlt riskantere Entscheidung."

Wenn Frauen es auf eine Position im Vorstand schaffen, dann übernehmen sie in vielen Fällen das Personalressort: 63 Prozent der Personalvorstände sind Frauen. Eine von ihnen ist Stephanie Coßmann, die dieses Ressort beim Duft- und Aromahersteller Symrise verantwortet (Seite 51). Die Juristin studierte in Paris und Münster und arbeitete nach ihrer Promotion zunächst als Anwältin. 2004 stieg sie beim Chemiekonzern Lanxess ein. Im Februar 2023 wechselte sie dann zu Symrise und übernahm das neu geschaffene Ressort Personal und Recht. Zugleich ist die Personalerin Coßmann "extrem genervt" davon, dass Frauen meist auf das Personalressort gesetzt werden: "Als ob das der einzige Kompetenzbereich ist, der uns Frauen zugetraut wird."

Während die Dax-Führungsgremien nur langsam weiblicher werden, werden sie zügig internationaler: Der Anteil nicht deutscher Staatsbürger ist auf ein knappes Drittel gestiegen. Elke Hofmann von Egon Zehnder beobachtet "eine viel größere Offenheit dafür, auf Regionalisierung zu setzen, also etwa einen asiatischen Vorstand für Asien zu installieren". Matthias Scheiff von Russell Reynolds begründet die Internationalisierung der Vorstände auch mit dem Kampf um knappe Top-Führungskräfte: "Die Unternehmen stehen vor immer komplexeren Herausforderungen und fragen sich: Wo kriegen wir die besten Talente her? Sie suchen dabei auch nach internationalen Kandidaten."

So wie Fabrizio Campelli. Der Deutsche-Bank-Vorstand hat sowohl die britische als auch die italienische Staatsbürgerschaft. Nach dem BWL-Studium in Italien und den USA beriet er bei McKinsey Finanzunternehmen wie Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter. Vor ziemlich genau 20 Jahren erhielt er ein Angebot von der Deutschen Bank: "Ich habe auf einer deutschen Schule Abitur gemacht, hatte also eine Affinität zur Sprache und zur Kultur. Das hat einfach gepasst." Denn zu exotisch darf die Herkunft für die Karriere auch nicht sein. Die meisten Dax-Vorstände mit nicht deutscher Staatsangehörigkeit kommen aus anderen europäischen Staaten oder den USA. Fazit: Die allmähliche Öffnung für Frauen und Nichtdeutsche aus westlichen Staaten ist derzeit die wichtigste Veränderung in den Dax-Vorständen – und eröffnet neue Karrierechancen.

5. Soft Skills: Die Meister der Gratwanderungen

Danach gefragt, was in zehn Jahren von Vorständen verlangt werden wird, sagt Joe Kaeser: "Die kognitive Ebene dürfte sehr stark durch die Künstliche Intelligenz unterstützt werden und damit weniger Bedeutung als bisher haben." Grundsätzlich würden in Zukunft die Anforderungen "eher in Richtung affektiver Werte wie Empathie, Intuition, Gewissenhaftigkeit, Beharrlichkeit, soziale Konformität, Engagement und Selbstwirksamkeit gehen".

Aber was bitte heißt das konkret? Wie lernt man Empathie, Selbstwirksamkeit oder Konformität, also Verträglichkeit? Und wie verträgt sich das mit klassischen Managertugenden wie Analysestärke, Entscheidungsfreude und Durchsetzungsfähigkeit?

Expertinnen und Experten sind sich einig: Wer in Zukunft Topmanager werden will, muss immer stärker ein Meister der Gratwanderungen sein – muss die eine Eigenschaft besitzen und bei Bedarf zugleich das Gegenteil davon abrufen können. Muss Widersprüche aushalten und sogar produktiv nutzen können.

So zum Beispiel beim richtigen Maß an Nähe und Distanz im Führungsteam. Innerhalb von Konzernvorständen und in den Teams, die den jeweiligen Vorständen direkt zuarbeiten, beobachtet der CEO-Berater Klaus Schweinsberg oft zwei Extreme – und plädiert für einen Mittelweg: "Es gibt einerseits eine Dynamik, die ich gern ,die Bubenumkleide‘ nenne. Da sind dann alle Freunde und gehen gemeinsam Ski fahren." Das könne zu "Group Think" führen, also dem Problem, dass die Gruppe schlechtere Entscheidungen treffe, weil sie mehr Wert auf ihren Zusammenhalt als auf die Fakten legt: "Man ersäuft harte Kritik in Freundschaftssoße."

Das andere Extrem seien Topmanagement-Teams "aus Diven und Egoshootern", so Schweinsberg. Sie seien häufig etwa in Investmentbanken zu beobachten: "Da hat jeder nur die eigenen Interessen im Blick, und die Zusammenarbeit ist nicht mehr als eine unvermeidbare Notwendigkeit." Gute Chefinnen und Chefs strebten stattdessen nach "Erwachsenheit" innerhalb ihrer engsten Zirkel. "Da gibt es Vertrautheit, aber keine Kumpelhaftigkeit. Und es gibt Raum für regelmäßige Meinungsverschiedenheiten." Es gilt also als Vorstand, Interesse und Nahbarkeit zu zeigen – das aber nicht mit Freundschaft zu verwechseln.

Ähnliches gilt für die richtige Mischung aus Durchsetzungskraft und Verträglichkeit. Anastasia Hermann hat dazu eine Prognose. "Ich vermute, dass es in zehn Jahren viel mehr begnadete Kommunikatoren in den Vorstandsetagen gibt", sagt die Professorin für Personalmanagement von der Internationalen Hochschule Bad Honnef. Wer es nicht vermag, seine Mannschaft zu motivieren und ihr Verständnis für die Transformation abzuringen, werde als Vorstand schlechte Karten haben. Aber auch Wissen um die eigene Distanz zum Rest der Mannschaft ist wichtig. "Der dümmste Satz, den ich ständig höre, lautet: 'Meine Tür ist immer offen'", sagt Berater Schweinsberg. "Da sage ich: Machen Sie sich Ihren Status bewusst! Ab dem Tag, an dem Sie Vorstand werden, kommt keiner mehr einfach in Ihr Büro und schüttet sein Herz aus." Als Vorstand einmal pro Woche durch die Produktionshalle zu laufen oder ab und zu in der Mitarbeiterkantine zu essen, sei zwar oft gut gemeinte Symbolpolitik, aber nur als Teil einer größeren Strategie wirksam.

Unabhängig von der Hierarchiestufe bleibt allerdings genaues Zuhören eine Schlüsselqualifikation. Gefragt nach dem größten Fehler, den ein angehender Vorstand sich im Bewerbungsprozess und später im Dialog mit der Belegschaft nicht erlauben sollte, antwortet Joe Kaeser: "Nicht auf Fragen einzugehen beziehungsweise nicht zuzuhören."

Die nächste Karriere-Gratwanderung, die es zu bewältigen gilt, ist die zwischen Spezialist und Generalist. "Eine Spezialisierung, zum Beispiel auf Technologie, ist immer sinnvoll", sagt Russell-Reynolds-Deutschlandchef Scheiff. "Als Chief Technology Officer im Vorstand muss ich ein tiefes technologisches Verständnis haben, aber vor allem ein Team aus echten Fachexperten aufbauen, das mich berät." Das setzt voraus, zu wissen, was man nicht weiß – und im richtigen Moment auf die Expertise im Team zu vertrauen.

Das heißt allerdings nicht, dass man sich zurückziehen sollte. "Sowohl intern als auch extern mit Förderern, Mentoren, Verbündeten in Kontakt bleiben und diese Beziehungen aktiv erhalten, das darf man wirklich nicht außer Acht lassen", sagt Scheiff.

Auch zwischen Leistungsbereitschaft und Selbstfürsorge gilt es in jedem Stadium der Karriere das richtige Maß zu finden. Berater Schweinsberg, so berichtet er es, wurde kürzlich von einem frischgebackenen CEO gefragt: "Was ist die größte Gefahr im ersten Jahr?" Geantwortet habe er: "Dass Ihnen die Puste ausgeht, weil Sie sich schon in den ersten zwölf Monaten verausgaben." Der Topmanager habe selbstbewusst erwidert, dass er Ausdauersportler sei. Er musste dann allerdings auf Schweinsbergs Nachfrage zugeben, dass er seit Beginn seiner Amtszeit nur noch ein einziges Mal zum Laufen gekommen war.

Was für diesen CEO das Laufen war, kann für andere die Regel sein, auf Dienstreisen immer einen Abend für Kino oder Museum zu blocken Schweinsberg: "Solche Oasen müssen im normalen Arbeitsbetrieb einen festen Platz haben." Topmanager, die sich dafür keine Zeit einräumten, brennen nicht nur schneller aus, sondern kommen irgendwann auch nicht mehr auf neue Ideen für ihr Geschäft. Schweinsberg: "Sie kochen dann nur noch in Ihrer Industrie, in Ihrer Branche, in Ihrer Peergroup – und erkennen bestimmte Trends oder Alarmzeichen gar nicht mehr." Fazit: Kommunikations- und Netzwerktalent sind für Vorstandskarrieren ein Muss. Bei den übrigen Soft Skills kommt es darauf an, das individuell und für die Situation richtige Maß zu finden.

6. Der Weg ist das Ziel

CEO-Berater Schweinsberg ist zwar dafür, dass Führungskräfte ihre nächsten Schritte möglichst strategisch planen. Übertreiben sollten sie dabei allerdings nicht, denn: „"So ein Aufstieg ins Topmanagement ist nur bedingt planbar. Das werden Ihnen auch alle sagen, die dorthin gekommen sind – wenn sie wirklich ehrlich sind."

Am Beispiel der Auslandserfahrung macht der Managementexperte deutlich, was er meint. "Ausland kann eine Chance sein, aber auch eine Sackgasse." Blicke man in die Vergangenheit, seien oft diejenigen in Toppositionen gekommen, "die näher an den Konzernzentralen herumgeschwirrt sind". Aber: "Ich würde raten: Machen Sie es trotzdem, wenn es Sie als Persönlichkeit weiterbringt und Ihnen Fähigkeiten verschafft, die Sie sonst nicht hätten."

Auch Matthias Scheiff von Russell Reynolds rät dazu, sich nicht in einen streng festgezurrten Plan zu verbeißen. "Es gibt zu viele Unwägbarkeiten: Macht die Gesundheit mit? Macht die Familie mit? Stellt sich Ihr Unternehmen strategisch anders auf und Sie haben eine Spezialisierung, die dem diametral entgegensteht?" Siemens-Healthineers-Vorständin Elisabeth Staudinger ist ein Beispiel für eine Topmanagerin, die nicht durch akribische Planung an die Unternehmensspitze kam. Sie sei bei wichtigen Entscheidungen stets ihrem Bauchgefühl gefolgt. "Ich würde nie ein Studienfach wählen, weil es die besseren Job-Aussichten hat", sagt die Sinologin.

Denn zur Wahrheit gehört auch: Wer die Bestandteile der Aufstiegsformel berücksichtigt, erhöht zwar seine Chancen auf eine Vorstandskarriere. Doch auch von den Ex-Beratern mit Wirtschaftsstudium und den richtigen Soft Skills schafft es nur ein kleiner Prozentsatz in einen Konzernvorstand. Umso wichtiger, dass man jede einzelne Stufe der eigenen Laufbahn als interessant und persönlich bereichernd wahrnimmt – und nicht nur als durchlittene Phase auf dem Weg zu einem Ziel, das womöglich nie erreicht wird.

Selbst Thomas Saueressig, der SAP-Vorstand, dessen Lebenslauf so bemerkenswert geradlinig wirkt, hat laut eigener Aussage nie explizit den Plan verfolgt, Dax-Vorstand zu werden. Er habe zwar irgendwann gemerkt, dass er leistungsstark sei, dass auch seine Förderer ihm früh viel zutrauten. "Aber um in so eine Position zu kommen, müssen viele Dinge zusammenkommen." Auch, so Saueressig, ein Quäntchen Glück.

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