Methoden zur Stressbewältigung: Lässt sich Stress wegatmen?

Autor*innen
Dr. Sabine Nunius
Person hält die Hände wie zum meditieren. Ihr Kopf wurde durch eine Wolke ersetzt.

"Jetzt atme erst mal tief durch." Diesen Rat haben wir so oder so ähnlich vermutlich alle schon einmal bekommen, wenn wir unter Stress leiden. Doch hilft dieser Tipp wirklich? Was steckt hinter der These, man könne Stress über bestimmte Atemtechniken gewissermaßen wegatmen?  

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Vegetatives Nervensystem: Was passiert im Körper bei Stress?

Natürlich werden wir durch einmaliges Ein- und Ausatmen nicht sämtlichen Stress und Druck, der auf uns lastet, auf magische Weise los. Ebenso wenig wird eine bestimmte Atemtechnik allein uns plötzlich stressresistent und widerstandsfähig machen. Dennoch kann eine bewusste Atmung in unserem Körper viel Positives bewirken. Sie kann sogar als eine Art "Notfall-Tool" dienen, um Körper und Geist aus einem akuten Stresszustand zurück in die Balance zu bringen.

Doch warum ist das so? Die Erklärung dafür ist vergleichsweise einfach: Stehen wir unter Stress, laufen in unserem Körper eine Reihe automatischer Prozesse ab. Die meisten davon können wir nicht willentlich steuern. Es handelt sich um die klassischen "sympathischen" Reaktionen, die  unseren Körper in einen "fight-or-flight-Modus versetzen.

Der Sympathikus bewirkt unter anderem, dass sich unser Herzschlag beschleunigt, dass sich der Blutdruck erhöht und wir zu schwitzen beginnen. Dagegen werden für den Körper in diesem Moment "unnötige" Funktionen wie Darmtätigkeit oder Durchblutung der Haut heruntergefahren. Diese Prozesse bereiten uns perfekt auf eine Aktion (Kampf oder Flucht) vor. Wir wären also bestens dafür gerüstet, uns dem Säbelzahntiger zu stellen oder vor einem übermächtigen Angreifer wegzurennen.

Sabine N. von Sanu Health [Quelle: Sabine N.]

Über die Autorin

Dr. Sabine Nunius ist Personal Trainerin, Trauma-Yogatherapeutin und Gründerin von SANU HEALTH. In ihrer Arbeit geht es ihr vor allem um die Verbindung von theoretischem Wissen mit praktischer Erfahrung sowie um individuelle, persönliche Ansätze und Lösungen.

In der Praxis sehen die "Bedrohungssituationen" unserer heutigen Zeit jedoch meist anders aus. Statt mit konkreten Kampf- oder Fluchtsituationen sind wir eher mit Prüfungen, Stress im Job oder privaten Problemen konfrontiert. Die Anforderungen haben sich damit zwar stark verändert, die Reaktionen unseres Körpers sind jedoch gleich geblieben. Egal, ob es sich um eine konkrete physische Bedrohung oder um mentalen Stress handelt: Es findet in jedem Fall eine starke physische Aktivierung statt.

Evolutionsmäßig ist vorgesehen, dass wir diese physische Aktivierung und die dabei entstehende Energie durch eine nachfolgende körperliche Betätigung (Kampf oder Flucht) ausagieren. Bei mentalen Belastungen geschieht dies oft nicht – selbst wenn wir es uns manchmal vielleicht wünschen, unser Gegenüber für ein Duell vor die Tür zu bitten. Das aufgebaute Aktionspotenzial bleibt somit erhalten und wird im Körper gespeichert.  

Deswegen bedarf es heute anderer Strategien, um das Stressniveau zu senken und unseren Körper zurück in die Balance zu bringen. Der Einsatz bewusster Atemtechniken kann dabei ein Baustein sein.

Bewusste Atmung: Wie entspanne ich mich bei Stress schnell?

Atmest du gerade? Mit ziemlicher Sicherheit lautet die Antwort auf diese Frage: ja. Wahrscheinlich warst du dir darüber aber bis gerade eben aber überhaupt nicht bewusst und deine Atmung lief automatisch ab. Konzentrierst du dich stattdessen auf deinen Atem, bist du in der Lage, den Prozess bis zu einem gewissen Grad zu steuern und beispielsweise die Atemtiefe und -frequenz zu beeinflussen. Diesen Mechanismus können wir uns zunutze machen, um gezielt Stress abzubauen und Entspannungsprozesse einzuleiten.

Übung 1: Wahrnehmung der Atembewegung

Nimm dir einen Moment Zeit und konzentriere dich auf die Bewegung deines Atems im Körper. Versuch bei diesem Schritt nicht, etwas zu verändern, sondern atme möglichst genau so weiter wie zuvor. Beobachte, in welchen Bereichen deines Körpers du deinen Atem spürst, z. B. eher in der Brust oder eher im Bauchraum, und wie lange es vom Ein- zum nächsten Ausatmen dauert. Vielleicht wirst du auch feststellen, dass sich dein Atemmuster im Laufe der Übung verändert und dein Atem beispielsweise tiefer oder länger wird. Gib dir zwei bis drei Minuten Zeit, um ein erstes Gefühl für deine Atmung und dein bevorzugtes Atemmuster zu gewinnen.

Übung 2: Wechsel von der Brust- zur Bauchatmung

Atme nun zunächst ein paar Mal bewusst in den Brustkorb. Das funktioniert am besten, wenn du die Bauchmuskeln anspannst und dich auf die Hoch-/Tiefbewegung der oberen Rippen konzentrierst. Bei sehr starker Spannung wirst du feststellen, dass sich beim Einatmen der Bauch nach innen zieht und beim Ausatmen nach außen gedrückt wird. Vermutlich wird dich diese Art zu atmen eher anstrengen und vielleicht sogar ein Gefühl von Stress hervorrufen. Bleib deshalb nur kurz in dieser Form der Brustatmung.

Mach anschließend eine kurze Pause und wechsle dann zur sogenannten Zwerchfell- oder Bauchatmung. Finde hierfür einen für dich angenehmen Atemrhythmus und atme bewusst tief in den Bauch hinein. Unterstützend kannst du eine Hand auf den Oberbauch legen. So spürst du, wie sich beim Einatmen der Bauch leicht wölbt, beim Ausatmen dagegen wieder senkt – was also der exakten Umkehrung der Bewegung in der Brustatmung entspricht. Beobachte, welchen Effekt diese Form der Atmung auf deinen Körper hat. Stellt sich vielleicht bereits nach einigen Wiederholungen eine gewisse Ruhe und Entspannung ein?

Diesen Effekt kannst du bereits beim Wechsel von der Brust- zur Bauchatmung beobachten. Hier verändert sich nicht nur die Bewegung des Atems im Körper, sondern oft auch unsere Stimmung und unser Gesamtbefinden: Während starke Brustatmung mit Anspannung und Stress assoziiert wird, stellt sich mit der Bauch- und Zwerchfellatmung ein Gefühl der Ruhe und Entspannung ein. Thomas Loew, Professor für Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Regensburg, bringt diese Wirkung auf den Punkt: "Die Atmung ist der gemeinsame Nenner aller Entspannungsverfahren."

Lässt sich unsere Stimmung durch den Körper beeinflussen?

Umgekehrt kann es jedoch auch sein, dass Entspannung gerade deshalb nicht funktioniert, weil im Körper (chronische) Verspannungen vorliegen. Bei anhaltendem Stress verkrampft sich häufig das Zwerchfell, was im Extremfall dazu führt, dass eine entspannte Zwerchfellatmung nicht mehr möglich ist. Dies wiederum kann erhebliche Auswirkungen auf unsere Stimmung haben: "Atmung ist der zentrale Schlüssel, um Gefühle wahrzunehmen […]. Die Atmung bewegt die Resonanzräume des Körpers und diese Dynamik ist beteiligt daran, Emotionen zu entwickeln, zu halten und zum Ausdruck zu bringen", erklärt Psychologin Vita Heinrich-Clauer.

Behindert ein chronisch verspanntes Zwerchfell eine tiefe Bauchatmung und somit unser natürliches Ruhe-Atemmuster, fühlen wir uns oft angespannt, gestresst oder bedrängt. Mit gezielten Übungen können wir diesem Effekt entgegenwirken und über die Atmung Körper wie Geist in eine ruhige Balance bringen.

Übung 3 - Zwerchfell-Wahrnehmung

Stell dir vor, du möchtest eine vor dir stehende Kerze ausblasen. Das heißt: Du spitzt leicht die Lippen, atmest mit einem sanften Stoß aus und lässt anschließen den Atem von selbst wieder einströmen. Bei der dabei entstehenden Bewegung wirst du beim Ausatmen eine leichte Kontraktion des Zwerchfells im Oberbauch spüren. Beim Einatmen hebt sich der Bauch wieder und das Zwerchfell entspannt sich. Leg wenn du möchtest zusätzlich eine Hand auf den Oberbauch, um die Bewegung noch besser wahrnehmen zu können.

Beginne nun, die Frequenz des Atems zu variieren. Puste die Kerze also etwas schneller mehrmals hintereinander aus. Lass weiterhin den Atem mühelos wieder einströmen. Find so deinen eigenen Rhythmus. Mit etwas Übung wirst du dein perfektes Tempo finden und die Technik schrittweise mehrfach hintereinander ausführen können. Für den Anfang bieten sich relativ kurze Intervalle mit drei bis vier Wiederholungen á ca. 30 bis 60 Sekunden an. Sollte ein Gefühl der Anspannung oder Beklemmung eintreten, verkürze die Intervalle oder kehr zurück zur tiefen Bauchatmung.

Sobald du etwas Erfahrung mit dieser Atemtechnik gesammelt hast, kannst du sie mit einer kleinen Variation intensivieren. Der Ablauf bleibt der gleiche. Der einzige Unterschied ist, dass du nun durch die Nase ein- und ausatmest. Du wirst feststellen, dass diese kleine Veränderung die Wirkung deutlich intensiver macht.

Es lohnt sich, die vorgestellten Techniken zunächst dann zu üben, wenn du dich gerade nicht maximal gestresst fühlst. Sobald du die passende Form für dich gefunden und etwas Erfahrung gesammelt hast, wird es dir zunehmend gelingen, sie auch in Stresssituationen im Alltag abzurufen. Schaff dir so deine persönliche Kurzauszeit, wo und wann immer du möchtest. 

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