Selbstsabotage: Warum wir uns selbst sabotieren

Autor*innen
Anne-Lena Leidenberger
Geschäftsmann mit einer Uhr als Kopf. Neben ihm steht ein Stapel Bücher und im Hintergrund ein Sofa.

Menschen sabotieren sich gerne selbst, sagt der Psychologe Malte Schwinger. Vor allem dann, wenn sie Angst haben zu scheitern. Doch es gibt Strategien dagegen.

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Den Frühjahrsputz erledigen, statt sich für ein wichtiges Meeting vorzubereiten, die Nacht vor der Abschlussprüfung durchmachen oder kurz vor dem Familienessen einen Streit auslösen – in vielen Situationen scheinen wir uns das Leben selbst schwer zu machen. Der Psychologe Malte Schwinger forscht zu der Frage, warum wir uns täglich selbst im Weg stehen.

Herr Schwinger, wie sabotieren wir uns im Alltag selbst?

Malte Schwinger

Malte Schwinger arbeitet am Fachbereich Pädagogische Psychologie der Universität Marburg. 2008 promovierte er zum Thema Self-Handicapping und forscht heute schwerpunktmäßig dazu, wie wir uns täglich selbst im Weg stehen.

Auf ganz unterschiedliche Weise. Wir schieben das Projekt auf der Arbeit bis einen Tag vor dem Ende der Deadline auf und sagen dann, wir hätten nicht genug Zeit gehabt. Wir hören nicht auf, in Partnerschaften zu klammern und schieben die Schuld am Scheitern der Beziehung dann auf unsere Eifersucht. Wir betrinken uns am Abend vor einem wichtigen Vortrag in der Uni mit unseren Kommiliton:innen, nur um die versemmelte Präsentation dann auf unseren Kater zu schieben.

Warum tun wir uns das an?

Um unseren Selbstwert zu schützen. Für den ist es nämlich weniger bedrohlich, wenn wir auf dem Weg zu einem bestimmten Ziel wegen Zeit- oder Schlafmangel scheitern und nicht wegen unserer mangelnden Intelligenz oder unserem Charakter. Wir bauen einen Sabotageakt ein, der später zu unserer Ausrede wird.

Aber warum müssen wir uns dafür tatsächlich selbst sabotieren – könnten wir nicht einfach Ausreden erfinden?

Auch dafür gibt es in der Forschung einen Begriff: Claimed Self-Handicapping. Es zeigt sich, dass das eher von Frauen als von Männern gemacht wird. Aber: Damit schützt man seinen Selbstwert vielleicht vor anderen, nicht aber vor sich selbst. Man muss auch andere verwandte Phänomene von Self-Handicapping abgrenzen. Es ist zum Beispiel ein Stück weit normal und gesund, im Nachhinein Erklärungen und Rechtfertigungen für das eigene Verhalten zu finden. Und auch nach bewusster Abwägung eine Entscheidung gegen etwas zu treffen, was Vorteile für einen gehabt hätte. Sich also zum Beispiel gegen einen lukrativen Job zu entscheiden, weil man sich den nicht zutraut. Das ist Vermeidung, nicht Self-Handicapping. Wenn aber eine vorinstallierte Ausrede dazu führt, dass man etwas gar nicht richtig probiert, dann kann man von Selbstsabotage sprechen.

Passiert das bewusst oder unterbewusst?

Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Die meisten Menschen erkennen erst mal nicht von allein, dass sie sich auf diese Art selbst sabotieren, und finden ihr Verhalten einfach irrational und unvernünftig. Wer den Mechanismus aber erklärt bekommt, kann ihn meistens verstehen und dann auch Beispiele aus dem eigenen Leben finden.

Vielleicht spüren wir unterbewusst, dass wir uns ein zu hohes Ziel gesteckt haben?

Wenn wir das Phänomen untersuchen, ist es in den seltensten Fällen so, dass die Ziele der Leute von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen wären. Das meiste hätte man gut schaffen können, wenn man ein klares Ziel verfolgt hätte. Dann kommt aber die Angst vor dem Scheitern und damit das Sabotageverhalten ins Spiel. Zum ersten Mal wurde das in den Siebzigerjahren mit Menschen in Alkoholentwöhnungskliniken untersucht. Man konnte beobachten, dass sich viele gerade dann betranken, wenn der Wochenendbesuch mit der Familie anstand. Der Druck, während dieser Wochenenden gut zu funktionieren, war so groß, dass es leichter war, das eigene Versagen zumindest auf den Alkohol zurückführen zu können. Auch heute kann man Self-Handicapping in Studien zeigen: Man lässt Studienteilnehmende eine Art Intelligenztest machen, gibt ihnen dafür schlechtes Feedback und anschließend mehr Zeit zum Üben. Dann sagt man: Je mehr du übst, desto akkurater misst dieser Test deine Intelligenz. Man wird dann feststellen, dass viele die Zeit zum Üben nicht nutzen werden.

Wenn wir das Phänomen untersuchen, ist es in den seltensten Fällen so, dass die Ziele der Leute von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen wären.
Malte Schwinger

Können wir uns mit dem Verhalten denn vor einem Selbstwerteinbruch schützen?

Kurzfristig ja. Langfristig bewirkt es das Gegenteil. Wir kommen so in einen Teufelskreis: Wenn ich einen geringen Selbstwert habe, traue ich mir weniger zu, investiere weniger Aufwand und sabotiere mich damit selbst. Dadurch zeige ich eine schlechtere Leistung und rechtfertige sie mit dem Sabotageakt. Erfolgserlebnisse bleiben aus und ich stehe bei den nächsten Herausforderungen vor demselben Dilemma. Langfristig führt das dazu, dass wir aufgeben, egal ob den Job, das Studium oder die Beziehung. Und es führt dazu, dass wir uns für inkompetent halten.

Wenn wir uns richtig anstrengen und damit trotzdem scheitern, verlässt uns aber doch erst recht der Mut?

Wer sich richtig anstrengt, wird seltener scheitern. Und auch wenn man sich mal ein zu hohes Ziel gesteckt hat, ist es wichtig, sich nicht selbst zu behindern. Denn so gibt man sich die Chance, die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit zu erkennen und die eigenen Ziele zu überdenken. Dadurch merkt man dann vielleicht: Dieses Studium, dieser Job oder diese Beziehung ist nichts für mich. Eigene Ziele sollte man generell hinterfragen. Und wegkommen von: Ich muss immer Nummer eins sein. Stattdessen hin zu: Ich will möglichst viel dazulernen. Wer die Einstellung vertritt: Ich kann mich immer verändern und dazulernen – für den gibt es Selbstwertbedrohung eigentlich gar nicht mehr. Mit der Einstellung kann man sich nämlich nicht mehr blamieren, sondern einfach nur noch dazulernen und sich verbessern.

Was ist entscheidend für ein gutes Selbstwertgefühl?

Im besten Fall hat man als Person generell das Gefühl, wertvoll zu sein, unabhängig von Beruf, Studium oder Liebesleben. Ein Stück weit ist es aber natürlich normal, den eigenen Selbstwert im Außen zu suchen. Von der Forscherin Jennifer Crocker gibt es eine Liste von möglichen Selbstwertquellen. Darunter fällt Zuspruch, den man sich selbst gibt, Anerkennung durch andere, akademische und berufliche Leistungen, gute Leistungen im Wettbewerb mit anderen, Aussehen, Tugendhaftigkeit, Religion und Familienunterstützung. Wie wichtig diese Bereiche sind, ändert sich häufig im Laufe des Lebens. Während unter Umständen der Beruf im jungen Erwachsenenalter total wichtig war, kommt danach vielleicht die eigene Familie als wichtige Selbstwertquelle dazu.

Was kann man für seinen Selbstwert tun?

Die gute Nachricht ist: Die Forschung zeigt, dass wir nur eine gute Selbstwertstrategie brauchen, um uns nach Misserfolgen wieder aufzurappeln. Und Strategien gibt es viele. Man kann sich täglich drei Dinge aufschreiben, die man gut gemacht hat, oder sich ein Kompliment bei Freund:innen abholen. Bei Misserfolgen funktioniert es außerdem gut, sich auf einen anderen Lebensbereich zu konzentrieren, der gerade gut läuft. Sich also so was zu sagen wie: Jetzt lief das Projekt auf der Arbeit schlecht, aber dafür bin ich beim Sport meine Bestzeit gelaufen. Der Versuch, Misserfolge in einem Lebensbereich mit Erfolgen aus demselben Bereich zu überlagern, funktioniert dagegen in der Regel weniger gut. Dafür braucht es mehr Abstand. Manche Lebensbereiche liegen außerdem viel mehr in der eigenen Kontrolle als andere. Ich kann zum Beispiel aktiv was dafür tun, wenig zu lügen, nett zu anderen zu sein und keinen Müll zu produzieren.

Die Arbeit am Selbstwert ist also wichtig. Was sind andere Tipps gegen Selbstsabotage?

Den meisten hilft es schon, das Konzept des Self-Handicapping zu kennen und sich selbst bei diesem Verhalten zu ertappen. Es hilft außerdem, sich vor allem auf sich selbst zu konzentrieren. Das klingt erst mal widersprüchlich, weil sozialer Vergleich ja auch eine mögliche Selbstwertquelle ist. Aber: Alle Bereiche, aus denen ich Selbstwert ziehen kann, sind eben auch mögliche Quellen für Selbstwertbedrohungen. Wenn ich also merke, dass die Lerngruppe oder das Ausgehen mit der besten Freundin mich unter Druck setzen und unglücklich machen, dann sollte ich das besser lassen. Außerdem können Achtsamkeitsübungen helfen. Zum Beispiel: Erkennen, wenn man mit den Gedanken in der Vergangenheit oder der Zukunft ist, und die Gedanken dann aktiv in das Hier und Jetzt zurückholen. Also weg von: Was könnte bei dem Projekt auf der Arbeit alles schiefgehen oder was ist beim letzten Mal alles blöd gelaufen, hin zu: Was kann ich in diesem Moment konkret für das Projekt machen?

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