Die Karrierefrage: Wie stoppe ich das Gedankenkarussell?

Autor*innen
Selma Schmitt
Ein Geschäftsmann mit leicht gequältem Gesichtsausdruck, dessen obere Kopfhälfte zur Seite aufgeklappt ist. Daraus explodiert ein Gehirn.

Berufliche Entscheidungen können schwierig sein, vor allem, wenn sich die Überlegungen im Kreis drehen. Wie Grübler die Dauerschleife durchbrechen können.

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Jeder Mensch trifft täglich etwa 20.000 Entscheidungen, schätzen Psychologen. Die meisten davon unbewusst, weil das Gehirn automatisiert, um die Komplexität zu reduzieren. Wir merken also gar nicht, wie wir morgens unsere Schuhe anziehen, denken nicht darüber nach, welchen Bäcker wir ansteuern. Auch auf der Arbeit folgen viele Menschen immer gleichen Mustern: Sie wählen trotz Open-Desk-Policy denselben Schreibtisch, schalten den PC an oder hängen die Jacke an die Garderobe. Und das alles, ohne tiefer darüber nachzudenken. Steht allerdings eine folgenschwere Entscheidung an, etwa ein Stellenangebot anzunehmen oder abzusagen, dann setzt ein intensiver Denkprozess ein.

15,5 Prozent der Deutschen haben Angst davor, eine falsche Entscheidung zu treffen, hat eine Statista-Umfrage im Jahr 2016 ergeben. Wenn sie aber zu lange und ohne Ergebnis über einer Sache grübeln, können sie irgendwann gar nicht mehr entscheiden und stecken in einem Gedankenkarussell fest. Sie wälzen scheinbar nicht zu bewältigende Probleme immer weiter, ohne loszulassen. Das Wort der Stunde: "Overthinking" – zu Deutsch übermäßiges Nachdenken.

"Grundsätzlich ist es nicht negativ, Gedanken zu wiederholen", sagt Oliver Weigelt, Arbeits- und Organisationspsychologe an der Universität Leipzig. Nach Feierabend die eigenen beruflichen Erfolge zu reflektieren, kann beispielsweise helfen, den eigenen Job als besonders sinnvoll zu erleben. "Wenn Angestellte aber gar nicht mehr abschalten können und sich auch in ihrer Freizeit immer weiter mit ihrer Arbeit beschäftigen, kann das negative Folgen haben", sagt Weigelt.

Betroffene schlafen schlecht, liegen nachts wach und können auch in ihrem Privatleben kaum noch Entscheidungen treffen. Der Dauerstress steigert den Pegel von Stresshormonen wie Cortisol, kann langfristig zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck beitragen. "Overthinking steht im Verdacht, die seelische und körperliche Gesundheit zu beeinträchtigen", sagt der Arbeitspsychologe.

Den Ursprung kennen

Wer Overthinking überwinden will, muss zunächst verstehen, woher es kommt. Bei vielen Menschen ist das Sich-Gedanken-machen in der Persönlichkeit verankert, sie grübeln einfach mehr als andere. Laut Eva Boos, Business-Coach aus Berlin, liegt das vor allem daran, dass Betroffene die Konsequenzen ihrer Entscheidungen nicht abschätzen können. Sie wollen den richtigen Weg wählen – nur wer sagt, was richtig ist? Manchmal ist es auch die Angst vor den Folgen, die sie am Entscheiden hindert: Wie reagiert meine Kollegin, wenn ich eine Aufgabe alleine erledigen möchte? Was sagt meine Führungskraft, wenn ich mehr Geld fordere?

Boos nennt das Mangeldenken: "Grübelnde konzentrieren sich immer auf das Schlimmste, das passieren kann." Anschließend in eine Schockstarre zu verfallen, sei aber keine Lösung. "Schlechte Gefühle kommen oft daher, dass man keine Wahl trifft, obwohl einem klar ist, dass eine getroffen werden müsste", sagt die Expertin.

Ihr Tipp dagegen: sich selbst ernst nehmen. Boos nennt das die Kraft der erwachsenen Haltung. Wie würde ich handeln, wenn mir egal wäre, wie andere darauf reagieren? Wenn ich keine Angst vor den Konsequenzen hätte? "Die meisten merken dann, dass sie die Entscheidung schon getroffen haben."

Alternativ kann es auch helfen, den Worst-Case gedanklich durchzuspielen. Was passiert, wenn das Projekt scheitert? Die Führungskraft wird wohl nicht glücklich darüber sein, doch in den meisten Fällen geht es nicht darum, Leben zu retten oder ein Land zu regieren. "Es ist okay, auch mal Fehler zu machen. Wenn man anschließend Feedback bekommt, kann man daraus etwas lernen."

Die Chance ergreifen

Statt sich nur auf mögliche negative Konsequenzen zu konzentrieren, sollten Mitarbeiter versuchen, ihre Aufgaben als Chance zu sehen. Wenn der Chef einem zutraut, Entscheidungen zum Wohle des Projekts zu treffen, ist das ein Vertrauensbeweis. "Die Führungskraft hat eine Person schließlich ausgewählt, weil sie denkt, dass sie dazu in der Lage ist. Das sollten sich Grübelnde bewusst machen", sagt Boos.

Wer trotzdem nachts stundenlang wachliegt und über ein Problem nachdenkt, kann es mit der sogenannten Stopp-Methode versuchen: Sobald die Grübel-Gedanken kommen, sollten Betroffene laut "Stopp" sagen, aus dem Bett aufstehen und ihre Gedanken aufschreiben. "Das Wort laut auszusprechen, hat eine ganze andere Wirkung, als es nur zu denken", sagt Boos. "So lassen sich die Gedanken wieder aktiv steuern." Das Verschriftlichen wiederum hilft dem Geist, loszulassen. Man kann eine klassische Pro-Contra-Liste machen oder einfache Stichpunkte in einem Notizheft. Boos schlägt dafür eine Kategorisierung vor: in nützliche und schädliche Gedanken – und das, was man eben sonst noch so denkt.

Sie empfiehlt, auch Gefühle einzubeziehen. "Die Intuition ist meist ein guter Indikator", sagt sie. "Sie sollte genauso wie harte Fakten Teil der Überlegungen sein." Wer das Gefühl hat, vom ganzen Nachdenken gar nicht mehr zu wissen, was er eigentlich von einem bestimmten Thema hält, dem rät sie, zurück an den Anfang zu gehen. "Oftmals erinnert man sich noch an das erste Gefühl, das man hatte", sagt sie. War das positiv oder negativ? Das gehört als ein Posten in die Liste.

Abstand schaffen

Lassen sich die Gedanken so nicht im Zaum halten, könnte Ablenkung helfen. Ein Spaziergang, ein Kurzurlaub oder ein neues Hobby: Mit etwas Abstand fallen Problemdenkern oft ganz neue Lösungswege ein. Wer keine Zeit hat, mehrere Stunden oder gar Tage Pause zu machen, dem empfiehlt Boos, sich drei bis fünf Minuten intensiv auf etwas anderes zu konzentrieren – etwa auf das Geräusch einer Baustelle, auf die Wolken am Himmel oder das Rattern der Spülmaschine. Das reiche manchmal schon aus, um einen frischen Blick auf das Problem zu bekommen. "Am besten sind Aktivitäten, die den vollen Fokus der Aufmerksamkeit auf sich ziehen", erklärt Arbeitspsychologe Weigelt. Er empfiehlt Sport oder Pausen in der Natur – am besten weit weg vom Schreibtisch. "Räumlicher Abstand hilft, auch psychisch Abstand von der Arbeit zu gewinnen und sich zu entspannen."

Ansonsten rät er, klare Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben zu ziehen, um das Gedankenkarussell zu stoppen. Das kann etwa der Weg vom Büro zur Wohnung sein, auf dem man gedanklich Abstand nehmen kann. "Dieser Ortswechsel fällt im Homeoffice leider weg", sagt er. "Alternativ können Angestellte ein symbolisches Übergangsritual machen." Das könne beispielsweise sein, den Laptop vollständig abzubauen oder das Zimmer zu wechseln.

Auch autogenes Training kann gedankliche Distanz schaffen. Das ist ein Entspannungsverfahren in Form einer Selbsthypnose. Wem das noch schwerfällt, der sollte progressive Muskelentspannung versuchen, rät der Arbeitspsychologe. Dabei machen Grübelnde eine Faust und halten die Spannung für fünf Sekunden. Anschließend lassen sie für zwanzig bis dreißig Sekunden locker und konzentrieren sich darauf, welche Empfindungen die Übung in ihnen auslöst.

Für bessere Rahmenbedingungen sorgen

"Eine Ursache für Overthinking können auch Diskrepanzen sein, etwa wenn wir ein Ziel nicht erreichen", sagt Arbeitspsychologe Weigelt. Steht eine wichtige Deadline in der kommenden Woche an und man liegt hinter dem Zeitplan, löst das Stress aus und man denkt auch in der Freizeit an die Abgabe. Um Druck rauszunehmen, empfiehlt Weigelt die 80/20-Strategie. Heißt: Auch mal mit der 80-Prozent-Version seiner Arbeit zufrieden zu sein und nicht überall 100 Prozent Energie reinzustecken. Dabei kann es helfen, sich ein Zeitlimit für eine bestimmte Aufgabe zu setzen und nicht ewig an ihr herumzuschrauben. "Bei manchen Dingen muss man pragmatisch sein und seinen Perfektionismus ablegen", sagt er.

Das Gedankenkarussell kann sich aber auch drehen, weil die Arbeit einfach zu viel ist. Dann sollten Mitarbeiter versuchen, das Pensum zu reduzieren. "Angestellte sollten kritisch reflektieren, wie viele Verpflichtungen, Aufgaben und Termine in einer Arbeitswoche realistisch und vernünftig sind", sagt er. "Das kann dann auch heißen, mal Nein zu neuen Aufgaben zu sagen."

Damit Belastungsspitzen nicht zum Dauerzustand werden, sollten Mitarbeiter offen mit ihrer Führungskraft sprechen und ihr ehrliches Feedback geben, was machbar ist. Denn auch die Unternehmensleitung hat Interesse daran, dass das Arbeitsumfeld funktioniert. "Kurzfristig mag es erfolgreich sein, wenn jemand über seine Belastungsgrenze arbeitet", sagt Weigelt. "Langfristig laufen aber hohe Kosten dafür an." Für Betroffene, deren Gesundheit beeinträchtigt ist, genauso wie für Organisationen, die mit einem hohen Krankenstand umgehen müssen.

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