Die Karrierefrage: Wie entkomme ich dem Arbeitsfrust?

Autor*innen
Isabel Schönfelder
Ein Mann sitzt auf seinem Arbeitstisch und über seinem Kopf sind viele Linien durcheinander

Anfangs motiviert, irgendwann resigniert: Fast ein Fünftel der deutschen Arbeitnehmer hat innerlich gekündigt. Welche Wege gibt es aus der Frustfalle?

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"Ich finde es echt traurig, dass das passiert ist", sagt Lea, "ich war am Anfang so motiviert." Vor einigen Monaten hat sie ihre neue Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einer Hochschule begonnen. Lea wollte dort einen neuen Karriereschritt gehen. Sogar anderthalb Stunden Pendelstrecke nahm sie in Kauf. Jetzt hat die 28-Jährige, die eigentlich anders heißt, ihren neuen Job innerlich gekündigt.

Damit gehört sie zu den 19 Prozent der Beschäftigten in Deutschland, die laut einer aktuellen Studie des Beratungsunternehmens Gallup keine Bindung mehr zum eigenen Arbeitgeber verspüren. Die Zahl dieser innerlichen Kündiger ist auf einem Zehn-Jahres-Hoch. Nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten hat demnach mit Sicherheit vor, in einem Jahr noch beim selben Unternehmen zu arbeiten. Eine innerliche Kündigung ist allerdings nur ein erster Schritt zu einer tatsächlichen Kündigung - irgendwann wird der Leidensdruck zu hoch. Laut einer Studie des Job-Netzwerks "Xing" hat jeder zweite Deutsche seinen neuen Job schon einmal im ersten Jahr gekündigt.

So auch David. Mit Ende zwanzig arbeitete er in der kommunalen Verwaltung einer deutschen Großstadt, Vertrag unbefristet. Zum Ende der Probezeit kündigte er spontan nach einem Mittagsspaziergang. Ganz überraschend kam das allerdings nicht, schon länger zuvor hatte er innerlich gekündigt, wie er erzählt: "Es gab nicht diesen einen Knall, dass ich dachte, ich muss jetzt gehen." Das passt ins Muster: Eine "innerliche Kündigung" passiere selten plötzlich, sagt Arbeitspsychologin Kerstin Schuller, sondern sei ein Prozess, der sich über Wochen bis Monate ziehen kann. Sie arbeitet für eine psychologische Online-Beratungsplattform namens Instahelp und berät dort Betroffene.

Was führt zur inneren Kündigung?

Als häufige Anzeichen einer inneren Kündigung bezeichnet Schuller Langeweile, Lustlosigkeit, Unzufriedenheit, Ausbleiben von Ideen und Eigeninitiative, abnehmende Arbeitsleistung und nur noch Dienst nach Vorschrift. Darunter leidet auch Lea. Dabei hatte alles noch gut angefangen. Sie wurde herzlich aufgenommen und gut eingearbeitet. "Da bin ich morgens noch gern aufgestanden", sagt sie rückblickend. Doch kurz darauf fehlten weitere Aufgaben, über Wochen hatte sie schlichtweg nichts zu tun. Sie zweifelte immer mehr am Sinn ihrer Arbeit, für sie erfüllten die Projekte nicht die Versprechen der Hochschule. "Das waren die ersten Punkte, bei denen ich richtig geknickt war."

Je nachdem, wie stark sich eine Person mit ihrer Stelle identifiziert, wiege der fehlende Sinn der Arbeit sehr schwer, sagt Kerstin Schuller. In Leas Team kamen ständige Lästereien und unkollegiales Verhalten hinzu - auch von den Führungskräften. Der Vorgesetzte sei zudem ständig abwesend, grüßt nicht im Büro, integriert sie als neue Mitarbeiterin nicht ins Team. Aussicht auf Besserung hat Lea keine, jedenfalls fällt ihr nichts ein, das ihr Hoffnung macht. Fehlende Perspektiven, schlechte Teamkultur oder Mobbing sind laut Schuller ebenfalls Auslöser für eine innere Kündigung.

"Fast alle haben mal im Büro geweint"

Die Stimmung im Team war auch für David, der ebenfalls anders heißt, problematisch. "Das Team war eigentlich von Anfang an total herzlich und nahbar. Aber da war ganz viel, was unter der Oberfläche rumorte." Eine plötzliche Entlassung im Kollegenkreis, verunsichernde Gespräche mit Vorgesetzten, mangelhafte Kommunikation, fehlende Wertschätzung, Struktur und Grundsatzfragen waren chaotisch. Irgendwann kochten unterschwellige Konflikte hoch. "Fast alle Mitarbeiter haben mal auf der Arbeit geweint", sagt David, seine Stimme stockt. "Ich habe eigentlich eine sehr hohe Leidensschwelle. Aber da war ich total verunsichert: Ist das jetzt das Berufsleben? Muss ich das einfach aushalten?"

Auch wenn es wohlwollende Gespräche gab, habe sich in Davids Job nichts tiefgreifend verändert, die dauerhafte Belastung ohne Aussicht auf Verbesserung zermürbte ihn. "Ich bin immer der Ansicht, dass Dinge veränderbar sind. Aber hier habe ich diese Zuversicht nicht mehr gehabt." Die Resignation ist typisch. Eine innere Kündigung läuft laut Kerstin Schuller in mehreren Phasen ab: Frustration, weniger Motivation und Leistung und Resignation. Schlussendlich verhielten sich einige - teils unterbewusst - durch den Frust so passiv aggressiv auf der Arbeit, dass sie durch ihr Auftreten sogar eine Kündigung durch den Arbeitgeber provozieren, sagt Schuller.

Was tun, wenn ich schon innerlich gekündigt habe?

Heike Haines erkennt diese Stufen in ihren Beratungen wieder, sie ist Berufsberaterin der Bundesagentur für Arbeit und hat sich dort auf Menschen spezialisiert, die schon mitten im Erwerbsleben stecken. Die Ergebnisse der Gallup-Studie spiegeln sich ihrem täglichen Geschäft wider, sagt sie. Mangelndes Gehalt, prekäre Arbeitsbedingungen, Überlastung und fehlende Wertschätzung all diese Faktoren führten dazu, dass Beschäftigte innerlich kündigen - und womöglich tatsächlich gehen.

Was tun? Haines plädiert immer zuerst für ein offenes Gespräch mit Vorgesetzten, wenn man sich in dieser Situation befinde. "Ich habe eine Steuerfachangestellte beraten, die schon über dreißig Jahre Berufserfahrung hatte. Sie war unzufrieden von ständigen Überstunden", sagt Haines, "als ich ihr ein Gespräch mit der Vorgesetzten vorschlug, sagte sie: ,Ach das bringt doch nichts'". Die Beraterin übte mit ihrer Klientin das Gespräch in vertauschten Rollen. Davon ermutigt habe die Angestellte tatsächlich den Dialog gesucht, und ihre Situation verbesserte sich deutlich.

Mangelnde Kommunikation sei oft ein Problempunkt: "Die wenigsten Führungskräfte führen Mitarbeitergespräche, dabei wäre das so wichtig, am besten alle ein bis zwei Wochen", sagt Haines. Vor einem solchen Gespräch sollten Arbeitnehmer genau reflektieren, was tatsächlich Kern des Problems sei und Ziele für sich definieren, sagt Psychologin Schuller. So könne man gemeinsam mit der Führungskraft gezielter Lösungen suchen.

Kündigen ohne Sperre im Ernstfall

Sowohl Lea als auch David brachten bei ihren Chefs eigene Vorschläge zur Verbesserung ihrer Situation ein und suchten das Gespräch - ohne große Resonanz, wie sie berichten. "Das hat mir dann langsam die Perspektive geraubt," sagt Lea. Mit Ende zwanzig wollte sie im Berufsleben durchstarten, Arbeitserfahrung sammeln, etwas bewirken und nicht tatenlos ihre Zeit absitzen. "Ich kann meinem Chef ja schlecht sagen, dass sie eine schlechte Führungskraft ist und möchte wirklich kein Drama. Wenn ich das Lästern anspreche, dann bin ich das nächste Lästerthema." Der Frust durch den Job belastet Lea stark und wirkt sich auch auf ihre Beziehung aus. "Das schlimmste Gefühl ist jeden Abend, wenn ich ins Bett gehe: Scheiße, nicht schon wieder morgen." Ein Warnzeichen, das sie womöglich im Vorfeld übersehen hatte: Die Person, die vor ihr in der Position arbeitete, hatte in der Probezeit gekündigt.

Eine professionelle Beratung sei bei Unzufriedenheit im Job hilfreich, um eine außenstehende und neutrale Perspektive zu bekommen und neue Ideen und Strategien zu finden, sagt Schuller. Spätestens bei Depressionssymptomen oder dem Gefühl "jeder Montagmorgen ist absolut grauenhaft", sei das dringend notwendig. "Manche haben seit Monaten nicht mehr durchschlafen, mussten fast erbrechen, wenn sie an die Arbeit denken oder wurden auf der Arbeit gemobbt," sagt Haines über ihre Beratungen. Bei solchen gravierenden Gründen könne man eine Kündigung auf ärztlichen Rat erhalten, dann entfällt die Sperrzeit für das Arbeitslosengeld.

Hauptsache weg, auch ohne neuen Job?

Finanzielle Sorgen und ihre Karrierevorstellungen halten Lea derzeit noch von einer Kündigung ab: "Ich bin auch noch in der Probezeit, schieße ich mir mit einer Kündigung ein Eigentor? Es bleibt nun mal ein Abhängigkeitsverhältnis, und ein Arbeitszeugnis wäre natürlich gut." Diese Zweifel hatte David auch: "Bin ich blöd einen unbefristeten Job zu kündigen - ohne etwas anderes zu haben?", habe er damals gedacht und die Kündigung immer wieder aufgeschoben.

"Sehr häufig schleppen Menschen das Gefühl Monate oder Jahre mit sich herum und kündigen nicht, weil sie wissen, dass sie den Job finanziell brauchen oder denken, sie haben persönlich versagt. Für die eigene Gesundheit ist das eine Katastrophe", sagt Schuller, "und auch für das Unternehmen." Die Psychologin empfiehlt Betroffenen, einen festen Zeitpunkt für eine Entscheidung zu setzen und bis dahin zu reflektieren, was sich verändern müsste.

"Wofür brennen Sie?"

Berufsberaterin Haines fragt ihre Klienten an diesem Punkt ganz direkt: "Wofür brennen Sie - und was sind Sie bereit zu investieren?" Manchmal seien finanzielle Abstriche auch eine Überlegung wert, um einen Job mit erstmal weniger Gehalt aber mehr Freude anzunehmen. Auch David war zu finanziellen Einbußen bereit und hat erst einmal ohne Alternative gekündigt. Danach hatte er das Gefühl, "endlich wieder steuern zu können, was passiert", sagt er. Sein Pokern hat sich ausgezahlt. Nur wenig später erhielt er die Zusage für eine andere Stelle.

Ob und wie schnell jemand kündigt, hänge stark vom Alter ab, sagt Haines. Dabei spiele etwa die finanzielle Verantwortung für eine Familie oder auch die restliche Dauer des Berufslebens eine Rolle. Ohne Aussicht auf eine neue Stelle habe in ihrer Beratung noch fast keiner gekündigt.

Auch für Lea kommt das nicht in Frage. Sie bewirbt sich gerade für andere Stellen, auch welche, bei denen sie deutlich weniger verdienen würde. "Jetzt ist es vorbei, ich habe innerlich mit dem Job abgeschlossen. Es könnte einiges passieren, aber meine Motivation ist jetzt verspielt." Die zwei Jahre bis zum Ende ihrer Befristung wird Lea nicht warten, ihre ganze Hoffnung liegt auf anliegenden Bewerbungsgesprächen. "Ich freue mich auf den Tag, an dem ich endlich kündige."

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