Matching zur Berufsfindung: Traumjobs per Tinder
- Nadine Bös

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Im Internet gibt es viele Spielereien, die versprechen, Bewerber mit der perfekten Stelle zu verkuppeln. Kann die Berufsfindung wirklich funktionieren wie eine Partnerbörse?
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"Wir sagen einfach, wir hätten uns auf Linkedin kennengelernt" - so lautet eine Anzeige, die der Schweizer IT-Dienstleister Trivadis auf der Dating-Plattform Tinder geschaltet hat. Auf den ersten Blick ist klar: Hier geht es um die Karriere, nicht um die große Liebe.
Wer die Werbung nach rechts wischt, also Interesse signalisiert, landet in einer Art Frage-Antwort-Spiel, durch das man sich auf dem Smartphone in Tinder-Art "durchwischen" kann. Anders als auf der Dating-Plattform werden hier aber nicht Fotos nach dem Ja-Nein-Prinzip sortiert, sondern Fähigkeiten im Job. Denkt die Person auch mal unorthodox? Oder lieber logisch und rational? Setzt sie bei der Lösung von Aufgaben auf Bewährtes? Oder lieber auf neue Ansätze? 18 mal Wisch-wisch - danach steht das Ergebnis fest. Bestehen oder durchfallen ist nicht das Ziel.
Vorstellungsgespräch mit dem "Perfect Match"
Vielmehr die Frage: Welche Art Aufgabe im Unternehmen könnte zu dem Bewerber passen? Welche Ansprechpartner könnten dabei weiterhelfen. Ein mögliches Vorstellungsgespräch soll dann mit dem genau passenden Ansprechpartner stattfinden - sozusagen mit dem "Perfect Match", nicht mit der Personalabteilung. "Das passiert noch bevor der Bewerber überhaupt Unterlagen wie Lebenslauf oder Zeugnisse einreicht", sagt Ivana Leiseder, Marketingchefin des IT-Dienstleisters, der gerade händeringend Leute sucht; 150 Neueinstellungen sind bis September in den Niederlassungen in der Schweiz, in Deutschland, Österreich und Rumänien geplant.
Das Prinzip "Tinder" zur Suche nach Stellen, Arbeitnehmern oder beruflichen Aufgaben zu nutzen - das ist zwar keine neue Idee, aber eine, die im wieder größer werdenden Wettstreit um die besten Talente charmant klingt. Im Personaler-Denglisch heißt das wie in der Tinder-Sprache "Matching".
Ein umfassender Marktüberblick ist schwierig, handelt es sich bei den Anbietern doch zum Teil um kleine Start-ups, zum Teil um einzelne Apps oder Geschäftsbereiche von Recruiting-Unternehmen, die noch anderes im Programm haben. Joachim Diercks, Geschäftsführer von Cyquest, dem Recruiting-Dienstleister, der Trivadis die digitale Lösung zum IT-Fähigkeiten-Tindern verkauft hat, kann jedenfalls aus dem Stand rund ein Dutzend Unternehmen nennen, die ähnliche Bewerbungsspielchen aus seinem Haus nutzen.
"Knast-o-Mat" für Jobs hinter Gittern
So lässt Edeka Südwest potentielle Azubis auf seiner Karriereseite tindern, welcher Ausbildungsgang oder welches duale Studium zu ihnen passt. Auch die Postbank hat ein "Ausbildung-Navi" nach dem Wischprinzip, ebenso haben das die Berliner Verkehrsbetriebe und weitere Unternehmen. Aber nicht nur Cyquest hat sich tinderartige Lösungen fürs Recruiting ausgedacht. Ein sehr werbewirksames Programm nutzt etwa auch die Justiz NRW, die Interessenten mit dem "Knast-o-Mat" auf ihrer Seite ausprobieren lässt, ob ein Job hinter Gittern zu ihnen passt.
Daneben gibt es generalisierte Job-Tinder-Angebote, die wie Stellenbörsen versuchen, Interessenten mit ihren Traum-Arbeitgebern zu paaren. Der bekannteste Anbieter eines solchen Tools heißt Truffls und ist schon seit 2014 am Markt. Heute hat Truffls 55 Mitarbeiter, macht nach Aussage des Gründers Matthes Dohmeyer einen Umsatz im mittleren siebenstelligen Bereich und ist profitabel. Mittlerweile gibt es neben Truffls auch noch andere digitale Tools, beispielsweise das österreichische Hokify, das ebenfalls das Tinder-Prinzip nutzt, um Bewerber und suchende Arbeitgeber zusammenzubringen. Sie wenden sich nicht wie die Matcher von Diercks an Einzelunternehmen, sondern begreifen sich als Minikonkurrenten großer Anbieter wie Indeed, Stepstone oder Monster.
Sabine Massa ist Kundin von Truffls und hat gute Erfahrungen damit gemacht. Sie arbeitet als Personalentwicklerin bei Trurnit, einer mittelständischen Agentur für Energiekommunikation. 200 Mitarbeiter hat das Unternehmen insgesamt, sieben hat Sabine Massa bislang über Truffls gefunden, fünf von ihnen arbeiten bis heute für Trurnit. Keine gigantische Zahl, aber im immer enger werdenden Bewerbermarkt stimmt sie Massa zufrieden. Rund 800 Euro bezahlt sie für eine Standardanzeige auf Truffls - das findet sie im Vergleich mit anderen Portalen nicht teuer.
"Mit meinen 59 Jahren gehöre ich selbst eigentlich nicht zur Tinder-Generation", sagt die Personalentwicklerin. "Ich konnte mir anfangs gar nicht vorstellen, dass die Jobsuche über solch ein Tool funktionieren könnte." Inzwischen sieht sie das anders. "Wir brauchen kommunikationsstarke Bewerberinnen und Bewerber, die im Digitalen fit sind. Auf Truffls tummeln sich genau die Leute, auf die das zutrifft."
Jobs ohne Bewerbungsanschreiben
Zum Beispiel Tamara Waschipki. Die 26 Jahre alte Social Media Marketing Managerin hat ihre Stelle bei Trurnit vergangenen Oktober über Truffls gefunden. Bei ihrem alten Arbeitgeber, einem Schifffahrtsunternehmen, habe ihr "das Umfeld" nicht mehr gefallen, etwa die vielen Überstunden. Noch aus Studententagen hatte Waschipki die Truffls-App auf dem Handy, und als sie so richtig unzufrieden war, klickte sie einmal wieder darauf.
"Ich habe meinen Lebenslauf aktualisiert und angefangen durchzuswipen. Tatsächlich habe ich gar nicht viel gefunden, das zu mir passte. Aber die Stelle hier bei Trurnit war dabei." Sie signalisierte Interesse. Wenig später tat Sabine Massa auf der anderen Seite dasselbe. Es ergab sich ein Match, die beiden schickten sich E-Mails, es folgten ein Video-Gespräch, dann eine Einladung zum Kennenlernen des Teams. "Es hat einfach alles gepasst", sagt Waschipki heute. Besonders gut gefallen hat ihr, dass sie kein aufwendiges Bewerbungsanschreiben verfassen musste.
Große Skeptik unter Recruiting-Profis
Recruiting-Profis sind in Sachen Stellen-Tindern allerdings skeptisch. Tim Weitzel, Wirtschaftsinformatik-Professor an der Uni Bamberg, ist es wichtig, bei der Analyse von Truffls und Co. auf die dahinterliegenden "grundlegenden Recruitingprozesse" zu gucken. Sonst seien die Anwendungen "zwar lustig", aber: Er habe "nie richtig verstanden oder irgendwo in Zahlen gesehen", dass die Apps wirklich einen Unterschied machten. "Außer, dass es eine weitere Plattform ist, für die man bezahlen muss, damit letztlich Stellenanzeigen rausgeschickt werden."
Weitzel selbst ist wahrlich kein Gegner des Digitalen, im Gegenteil. Er baut seit 20 Jahren Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz (KI) zum Beispiel zu einer algorithmischen Vorselektion von Bewerbern, also zum berühmten "Aussieben". Die KI sucht dann die besten zehn Bewerbungen aus 1000, die eingehen. "Das können Maschinen genauso gut und viel, viel schneller als der Mensch", sagt Weitzel. "Zu verstehen, was genau gesucht wird, ist aber etwas ganz anderes. Das kann nur der Mensch, und wir sind relativ weit entfernt davon, dass die Maschine das kann. Das einzig wahre Tool im Recruiting heißt: Rekrutierungsexperte."
Anja Lüthy, BWL-Professorin an der TH Brandenburg und Gründerin des Personalerinnen-Netzwerks "Female HR Excellence", sieht das Phänomen ebenfalls kritisch. Sie zieht die Parallele zum Flirten: "Auf Tinder tummeln sich die Leute, die es im Café oder in der Kneipe nicht geschafft haben, einen Partner oder eine Partnerin kennenzulernen." Es sei wahrscheinlich, dass diese Situation bei Truffls und Co. nicht viel anders ist.
"Unklar bleibt aber die prognostische Validität." Damit meint die Professorin: Es ist kaum erforscht, ob Bewerber, die übers Tindern ihren Job fanden, wirklich bessere Leistungen bringen und/oder länger im Unternehmen bleiben als klassische Bewerber. Erfahrungsberichte von Recruiterinnen wecken bei Lüthy jedenfalls Zweifel: "In meinem Netzwerk haben sich spontan HR-Expertinnen gemeldet, deren Unternehmen keine guten Erfahrungen mit Truffls gemacht haben."
Recruiting-Tools im Überfluss
Auch unter Lüthys Studierenden stößt das Stellen-Tindern nicht durchweg auf Gegenliebe. "Ich verbinde das Prinzip nicht unbedingt mit Jobsuche", sagt etwa Aylin Basel, die im vierten Semester BWL studiert. Ihr Kommilitone Nils Schrader sieht "keinen Mehrwert zu Linkedin". Es gebe "mittlerweile so viele Tools auf dem Markt, dass es ein Überfluss ist", sagt auch Friedrich von Nottbeck, ebenfalls BWL-Student.
Viele der Studierenden aus Lüthys Vorlesung berichten, dass sie keine Notwendigkeit sähen, ein zusätzliches Tool neben den großen Karrierenetzwerken zu nutzen. Einige sagen, sie erhielten ohnehin ungefragt zwei bis vier Anfragen von potentiellen Arbeitgebern pro Woche über die sozialen Medien. Viele sind genervt von dieser Flut und wollen sie eindämmen, anstatt zusätzlich nach Jobs zu tindern. Etwa die Hälfte der Anwesenden kann sich immerhin vorstellen, ein Matching-Tool einmal auszuprobieren.
Sich etwas vorzustellen und es tatsächlich zu tun - das ist noch immer ein Unterschied, weiß Truffls-Kundin Sabine Massa. Viele Bewerber nutzten die Plattform eher, "um ihren Marktwert zu testen", als um wirklich zu suchen. "Zuletzt haben sich von 16 Matches auf eine Stelle nur acht wirklich bei mir zurückgemeldet", berichtet sie. "Viele swipen einfach schnell nach rechts, um auszuprobieren, was passiert."
Vorzüge des Self-Assessments
Für deutlich vielversprechender als die Stellensuche nach dem Tinder-Prinzip hält Wirtschaftsinformatiker Weitzel unternehmensspezifische Tools, die nach dem Ja-Nein-Prinzip arbeiten. Sie sollen Bewerbern eher bei der Selbsteinschätzung helfen, nachdem sie sich schon für einen bestimmten Arbeitgeber interessiert haben - etwa so wie im eingangs erwähnten Beispiel des IT-Dienstleisters Trivadis. "Self-Assessment" lautet der Fachbegriff dafür.
Zur Wirkung solcher Self-Assessments gibt es sogar ein wenig Forschung, die allerdings schon etwas älter ist. So evaluierte die Lufthansa einst ihr "Spiel zur Berufsorientierung", das kein wirkliches Spiel, sondern ein Matcher war. Er sollte jungen Menschen bestimmte Ausbildungsberufe zuordnen und lief zwischen 2011 und 2018 auf der Internetseite des Unternehmens.
Um die Wirksamkeit vor Einführung zu testen, gab die Fluglinie das "Spiel" rund 50 Auszubildenden, die sich schon für einen Beruf entschieden hatten. In rund 80 Prozent der Fälle gab das Tool als Ausbildungsempfehlung exakt den Beruf an, den die jeweilige Person tatsächlich ausübte. Ein noch älterer Test eines Matchers stammt aus der öffentlichen Verwaltung im Jahr 2009. Heraus kam damals, dass nach Einsatz eines Berufsfindungstools die Eignung der Bewerber anstieg. Gemessen wurde das daran, dass sich häufiger junge Leute mit besseren Schulnoten bewarben.
Grundsätzlich ist es aber schwierig, die Wirksamkeit von Berufs-Matchern wissenschaftlich zu überprüfen. Self-Assessment-Anbieter Diercks nennt dafür mehrere Gründe: Zwei Bewerbergruppen zu bilden und einer davon den Matcher "vorzuenthalten", um zu überprüfen, ob die andere Gruppe hinterher passendere Berufe findet, sei in der Praxis kaum umsetzbar. Ähnlich problematisch seien Laborexperimente, "da es sich um keine echten Bewerbenden handelt und der Auswahlprozess mit keinen Konsequenzen für die reale Karriere der Teilnehmenden verbunden ist". Quasiexperimentelle Feldstudien scheiterten dagegen an dem Problem, dass Bewerber in Self-Assessments gewöhnlich komplett anonym bleiben.
Ein Stück weit müsse man sich also auf Indizien verlassen, sagt Diercks. Unternehmen könnten zum Beispiel die Kandidaten, die ein Self-Assessment durchlaufen haben, hinterher mit Schulnoten bewerten lassen, ob es hilfreich war. Möglich sei auch, die Leistung von Bewerbern in Auswahltests zu messen - vor und nach der Einführung eines Matchers. Am Ende verweist Diercks unter anderem auf die Kraft der Intuition: "Je besser informiert, desto besser die Entscheidung."
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