Künstliche Intelligenz: Softwareentwickler weisen höchste Betroffenheit gegenüber generativer KI auf

Autor*innen
Holger Schmidt
Eine Person, deren Kopf durch einen Monitor ersetzt ist, schwebt auf dem Rücken liegend wie im freien Fall. Um sie herum sind Planeten zu sehen.

Softwareentwickler und Mathematiker weisen das höchste Risiko auf, von generativer KI ersetzt zu werden. Berufe, die remote ausführbar sind, sind besonders anfällig.

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Softwareentwickler und Mathematiker weisen das höchste Risiko auf, von generativer KI ersetzt zu werden, während Kraftfahrer und Kosmetiker kaum betroffen sind. Zu diesem Ergebnis kommt der Abgleich der in 55 Millionen Stellenausschreibungen geforderten Qualifikationen mit den Fähigkeiten, die generative KI aktuell aufweist. Nach dieser Berechnung der Job-Plattform Indeed fallen 20 Prozent der Ausschreibungen in die Hochrisikoklasse, während knapp 35 Prozent nur ein geringes Risiko aufweisen.

Die Indeed-Analysten haben aus den Stellenausschreibungen 2600 individuelle Fähigkeiten identifiziert. In rund einem Fünftel aller analysierten Jobanzeigen konnten mindestens 80 Prozent der Fähigkeiten "gut" oder "ausgezeichnet" von der generativen KI ausgeführt werden können. In Jobs mit einer moderaten Betroffenheit kann die KI zwischen 50 und 79 Prozent der Fähigkeiten gut oder ausgezeichnet ausführen, während in Jobs mit einer niedrigen potentiellen Betroffenheit weniger als die Hälfte der Fähigkeiten gut oder ausgezeichnet von der neuen Technik ausgeführt werden können.

Unter allen von Indeed analysierten Berufsgruppen hatten Jobs für Kraftfahrer das geringste potentielle Risiko, von der GenAI ersetzt zu werden. Nur 29 Prozent der geforderten Fähigkeiten in diesen Berufen können von der generativen KI – mehr oder weniger gut – erledigt werden. Für den Rest ist diese KI nicht zu gebrauchen – was nicht ausschließt, dass autonome Autos trotzdem künftig große Teile dieser Jobs erledigen können.

Am anderen Ende der Skala haben Softwareentwickler die höchste potentielle Exposition gegenüber Fähigkeiten: 95 Prozent der in den Stellenanzeigen geforderten Qualifikationen kann die KI nach eigener Einschätzung ebenso erledigen. Das bedeutet natürlich nicht, dass nun alle Softwareentwickler arbeitslos werden, sondern vielmehr, dass sich ihr Berufsbild verändert und die Entwickler Vorteile gewinnen, die generative KI über ihre Zwecke sinnvoll einsetzen.

Die Analysten haben auch herausgefunden, dass Berufe, die sich remote erledigen lassen, einem besonders hohen Risiko unterliegen. Berufe mit der geringsten Exposition gegenüber GenAI (einschließlich Fahren, Reinigung & Hygiene und Beauty & Wellness) zeigten sich am wenigsten für Fernarbeit geeignet. Je höher die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Arbeit remote erledigt werden kann, desto höher ist auch ihre potentielle Anfälligkeit für einen Ersatz durch generative KI.

Nachdem in der Vergangenheit vor allem die Produktion von Gütern automatisiert wurde, werden nun die Dienstleister disrupted. Naheliegend betroffen sind Texter, Übersetzer, Fotografen und Programmierer. Aber auch Buchhalter, Steuerberater, Finanzanalysten, Journalisten oder Anwälte stehen auf der Liste der Berufe, die nun digitale Konkurrenz bekommen.

Eine empirische Studie der Universität Pennsylvania mit OpenAI-Research zeigt, dass die GPT-Modelle sogar die Kraft einer Basistechnologie entfalten können, die ähnlich wie Elektrizität weitreichende ökonomische, soziale und politische Auswirkungen haben kann. Bei etwa 80 Prozent der US-Arbeitskräfte sind mindestens 10 Prozent ihrer Arbeitsaufgaben von den GPT-Modellen betroffen. Bei 19 Prozent der Arbeitnehmer sind sogar mindestens 50 Prozent ihrer Tätigkeiten ersetzbar. Der Einfluss erstreckt sich über alle Lohnstufen, wobei der Einfluss auf Arbeitsplätze mit höherem Einkommen potenziell höher ist.

Stanford-Forscher Erik Brynjolfsson hat diese Entwicklung in seinem Bestseller „Second Machine Age“ schon 2014 vorausgesagt – aber das Tempo überrascht auch ihn: „Wir waren weder optimistisch genug in Bezug auf die Technologie noch pessimistisch genug in Bezug auf unsere Institutionen und Fähigkeiten.“ Das Spektrum der betroffenen Berufe sei viel breiter als angenommen. Seine Botschaft: Die Menschen müssen aufpassen, nicht von den Maschinen abgehängt zu werden. Und sie müssen beginnen, diese Maschinen für ihre Zwecke zu nutzen.

Die wachsende KI-Kenntnislücke

„KI ist nicht länger eine Laborkuriosität oder etwas, das man in Science-Fiction-Filmen sieht“, sagt Brynjolfsson. „Aber Regierungen und andere Organisationen haben mit den Entwicklungen nicht Schritt gehalten – und unsere Fähigkeiten auch nicht. Die Kluft zwischen unseren Fähigkeiten und dem, was die Technologie ermöglicht und erfordert, hat sich vergrößert. Ich denke, dass in dieser Kluft die meisten der großen Herausforderungen – und Chancen – für die Gesellschaft im nächsten Jahrzehnt liegen werden.“

Mehr Berufe betroffen als gedacht

Brynjolfsson räumt ein, dass das Spektrum der betroffenen Berufe „viel breiter ist als früher angenommen. Es wird Gewinner und Verlierer geben. In vielen Fällen werden Arbeitsplätze aufgewertet werden, aber einige werden auch wegfallen. Routinearbeiten werden zunehmend automatisiert werden – und es wird auch eine Blüte fantastischer Kreativität geben. Wenn wir diese Instrumente richtig einsetzen, wird es zu positiven Veränderungen kommen. Wenn wir das nicht tun, könnte sich die Ungleichheit verschärfen, was zu einer weiteren Konzentration von Reichtum und politischer Macht führen würde.

Wie man KI am Arbeitsplatz einsetzt

Zunächst müssen sie das vermeiden, was Brynjolfsson als Turing-Falle bezeichnet hat. „Eines der größten Missverständnisse über KI – übrigens vor allem unter KI-Forschern – ist, dass sie alles tun muss, was Menschen tun, und sie ersetzen muss, um effektiv zu sein“, erklärt er und argumentiert, dass der berühmte Test für maschinelle Intelligenz, der 1950 von Alan Turing vorgeschlagen wurde, „eine inspirierende, aber fehlgeleitete Vision“ ist.

Brynjolfsson ist der Ansicht, dass ein Umdenken auf allen Ebenen – von Wissenschaftlern und politischen Entscheidungsträgern bis hin zu Arbeitgebern und Arbeitnehmern – erforderlich ist, um die Möglichkeiten der KI für eine positive Gestaltung der Gesellschaft nutzbar zu machen. „Wir sollten uns fragen: ‚Wozu brauchen wir diese mächtigen Werkzeuge? Und wie können wir sie einsetzen, um unsere Ziele zu erreichen?‘ Nicht die Werkzeuge entscheiden, sondern wir.“

„Nach 2035 kein Job mehr ohne KI“

„Ab 2035 wird es keinen Job mehr geben, der nichts mit Künstlicher Intelligenz zu tun hat“, sagt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. KI werde zur kritischen Ressource auf dem Arbeitsmarkt. Recht hat er. Schon im ersten Quartal ist die Nachfrage nach KI-Fachleuten sprunghaft gestiegen, da mit ChatGPT die Einsatzfelder spürbar gewachsen sind.

Der Effekt ist aber auch in die andere Richtung spürbar: IBM-CEO Arvind Krishna geht von einem Einstellungsstopp für Positionen in der Verwaltung aus, deren Tätigkeiten in den kommenden Jahren von der KI erledigt werden könnten. „Ich könnte mir gut vorstellen, dass in einem Zeitraum von fünf Jahren 30 Prozent der Jobs durch KI und Automatisierung ersetzt werden“. IBM ist kein Einzelfall: Weltweit arbeiten Unternehmen daran, ihre Produktivität mit dieser KI hochzutreiben. Die Künstliche Intelligenz als die neue Dampfmaschine der Informationsgesellschaft wird die Strukturen der Wirtschaft grundlegend ändern.

KI-Berufs-Exposure

In einer aktuellen Untersuchung haben Wissenschaftler um Ed Felton (Princeton) jetzt den Einfluss der Sprachmodelle auf Jobs und Branchen berechnet. Sie haben dafür auf das „KI-Berufs-Exposure“ (AIOE) zurückgegriffen und um die Fortschritte in den Sprachmodellen ergänzt. „Exposure“ bedeutet aber nicht automatisch eine Substitution der Arbeit, sondern kann auch eine Bereicherung oder Unterstützung sein. Auf jeden Fall löst die KI aber Änderungen in den Berufen oder Branchen aus.

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