Erfolgsdruck: "Ich muss nicht der Beste sein und bin es auch nicht"

Autor*innen
Theresa Tröndle und Tülay Karakuş
Eine Frau klettert eine Leiter nach oben.

Hustlen, ackern, Überstunden schieben – nur um erfolgreich zu sein. Macht das echt glücklich? Fünf Menschen erzählen, warum es für sie besser ist, Durchschnitt zu sein.

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Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe: Lernen ohne Stress 

Nicht die große Karriere, sondern die Hobbys als Lebensmittelpunkt, lieber mehr Privatleben statt mehr Geld – viele junge Menschen entscheiden sich gegen den Druck der Leistungsgesellschaft und wir wollten von ihnen wissen: Wie fühlt es sich an, sich mit dem Durchschnitt zufriedenzugeben?

"Ich habe zwar Jura studiert wie meine Mutter, aber ich war nie besonders gut darin"

Stefanie, 33 Jahre alt, Juristin aus München

Meine Mutter war vorsitzende Richterin an einem Bundesgericht. Ich habe vorgelebt bekommen, im Beruf Erfüllung zu finden. Sie hat ihre Arbeit so geliebt, dass sie jetzt, als Rentnerin, wenig mit sich anzufangen weiß. Viele Jahre bin ich davon ausgegangen, dass das bei mir auch so läuft: dass mein Job ein wesentlicher Bestandteil meiner Identität sein wird. Dass ich beruflichen Erfolg habe und beruflich erfüllt bin.

Aber das ist nicht eingetreten. Ich habe zwar Jura studiert wie meine Mutter, aber im Gegensatz zu ihr war ich nie besonders gut darin. Ich musste die großen Prüfungen in Zivilrecht, Strafrecht und öffentlichem Recht drei- bis viermal wiederholen. Mit fünf Punkten im Staatsexamen habe ich die Uni irgendwann verlassen. Meinen Wunschjob im Bereich Urheber- und Medienrecht habe ich damit nicht bekommen. Die Wirtschaftskanzlei, bei der ich schon im Referendariat war, hat mich aber genommen.

Dort ging es eigentlich immer nur um zwei Dinge: Die Klient:innen wollten möglichst wenig Steuern zahlen, aber möglichst viel Rendite bekommen. Es waren jetzt nicht unbedingt die größten Schweine, für die ich da gearbeitet habe, aber es hat mich trotzdem frustriert. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr, morgens zur Arbeit zu fahren, alles war super anstrengend.

In dieser Zeit habe ich gemerkt, dass mir meine Freizeit viel mehr gibt: Ich nähe Kostüme für Live-Action-Rollenspiele und Cosplay, gehe damit regelmäßig auf Anime- und Manga-Messen. Mehrere Jahre lang war ich stellvertretende Kommandantin in einem Rollenspiellager mit mehr als 800 Leuten. Diese völlig andere Welt fasziniert mich. Im vergangenen Herbst habe ich auch meinen ersten Fantasyroman beendet, nebenbei bringe ich mir Buchsatz bei, um meinen Roman im Selfpublishing veröffentlichen zu können. Ich verstehe, dass meine Mutter als Arbeiterkind viel Wert auf akademische Leistung und auf ihren Beruf legt.

Mittlerweile habe ich aber erkannt, dass ich anders funktioniere: In meiner Freizeit erfahre ich mehr Bestätigung als in meinem Job. Seit ein paar Monaten arbeite ich in einer Consultingfirma als juristische Beraterin. Gerade sind es 36 Wochenstunden, ich möchte aber gerne weiter reduzieren, damit ich noch mehr Zeit für all die Dinge habe, die mir wichtiger sind als Karriere und Geld.

"Ich muss nicht der Beste sein und bin es auch nicht"

Colin, 31 Jahre alt, sportpsychologischer Coach aus Hamburg

Als Kind und Jugendlicher habe ich viel Fußball gespielt – und hatte den Wunsch, Profifußballer zu werden, wie vermutlich viele im Verein. Irgendwann wurde mir aber klar, dass dieser Traum unrealistisch war. Ich spielte gut, aber nicht herausragend. Da habe ich mir zum ersten Mal die Frage gestellt, ob ich wirklich versuchen möchte, Spitzenleistungen zu erbringen. Oder ob ich mit weniger sogar zufriedener wäre, gerade weil der Leistungsdruck von mir abfallen würde, den ich von außen unterschwellig spürte.

Zu Leistung im Allgemeinen hatte ich immer schon ein ambivalentes Verhältnis: In der Schule habe ich mich nicht besonders bemüht, wusste aber auch, dass ich mit wenig Aufwand gute Noten kriege. Es war mir nicht wichtig und gleichzeitig fiel es mir leicht. Ich lernte, weil es mir Spaß machte, und bestand das Abitur ziemlich erfolgreich.

Mittlerweile arbeite ich als sportpsychologischer Coach mit Hochleistungssportlern zusammen. Die Frage, unter welchen Bedingungen man herausragende Leistungen erbringen kann, finde ich unglaublich spannend. Gleichzeitig habe ich mich bewusst dagegen entschieden, viel Zeit in meinen Beruf zu investieren. Aber auch hier bin ich privilegiert: Ich verdiene gut und kann dadurch nur 20 Stunden die Woche arbeiten und trotzdem davon leben. Ich leiste in meinem Job trotzdem einiges und es erfüllt mich auch. Ich muss nur nicht der Beste sein und bin es auch nicht. Gerade weil ich weniger Zeit in die Arbeit investiere.

Viele meiner Freunde sind auf dem Papier erfolgreicher als ich.
Colin, 31 Jahre alt, sportpsychologischer Coach aus Hamburg

Ich verbringe viel Zeit mit meiner vierjährigen Tochter. Letztendlich habe ich trotzdem wenig Freizeit, mit einem Kind ist man schließlich immer beschäftigt. Care-Arbeit ist sehr zeitintensiv und die Leistungen in diesem Bereich werden gesellschaftlich einfach unterschätzt. Wie in so vielen anderen Bereichen auch.

Unsere Gesellschaft legt fest, welche Leistungen hoch angesehen und belohnt werden sollen und welche weniger oder gar nicht.

"Manchmal bin ich tatsächlich auch ein bisschen neidisch"

Thilo, 30 Jahre alt, Vermessungstechniker aus Esslingen

Nach meinem Abi wusste ich nicht, was ich machen soll. Mein Vater, ein studierter Banker, meinte, ein Studium sei sinnvoll. Also habe ich angefangen, Vermessung zu studieren, weil es dort keinen NC gab und weil es mir wichtig war, später viel draußen zu sein. Ich habe aber schnell gemerkt, dass ich keine Lust auf diese Art des Lernens hatte und dass ich unabhängig von den Vorstellungen meines Vaters sein wollte.

Ich habe dann mit einer Ausbildung zum Vermessungstechniker beim Landratsamt angefangen, wo ich während der Semesterferien hin und wieder gearbeitet hatte. Eigentlich war ich überqualifiziert für die Ausbildung, Voraussetzung war nur die Mittlere Reife. Mein Chef hatte am Anfang deshalb Angst, dass ich nach der Ausbildung gleich wieder abhaue.

Ich bin aber geblieben und habe noch den achtmonatigen Vorbereitungsdienst für die Beamtenlaufbahn absolviert. Seit 2020 bin ich Beamter auf Lebenszeit im mittleren Dienst. Ich kümmere mich vor allem um die Aufnahme von Gebäuden in das Grundbuch. Wenn ein Haus gebaut wird, fahre ich mit Maßband und Lasergeräten hin, konstruiere das Gebäude hinterher in einem Grafikprogramm und übertrage es dann in eine amtliche Karte. Höher aufsteigen kann ich eigentlich nicht, die nächste Stufe wäre der gehobene Dienst. Dort will ich aber nicht hin, weil das mehr Arbeit im Büro bedeuten würde.

Viele meiner Freunde sind auf dem Papier erfolgreicher als ich. Einer arbeitet bei Google, ein anderer bei Bosch. Der hat mit 29 Jahren schon zwei Autos, ein Motorrad und eine Eigentumswohnung. Als ich mich für die Ausbildung entschieden habe, war mir klar, dass ich verglichen mit ihm immer weniger Geld haben werde, und manchmal bin ich tatsächlich auch ein bisschen neidisch. Etwa wenn er mir von seinem neuen VW-Bus erzählt, mit dem er gerade vier Wochen in Norwegen war.

Wenn ich aber mitbekomme, wie lange und hart er dafür arbeiten muss, bin ich froh über meine Entscheidung. Ich kann um halb vier Feierabend machen, habe dann noch viel Zeit, um mit meiner Freundin, die auch im öffentlichen Dienst arbeitet, zum Beispiel eine Fahrradtour zu machen. Mein Beruf ist für mich nicht alles.

"Ich habe meinen Weg mit seinen vielen Schlenkern akzeptiert"

Marc*, 30 Jahre alt, Sozialpädagoge aus Aachen

Die große Karriere interessiert mich nicht. Diese Lebenseinstellung bringt mein Beruf als Sozialpädagoge ein Stück weit auch mit sich. Ich hatte aber schon immer das Bedürfnis, meine Zeit sinnvoll zu verbringen: Als Schüler habe ich in den Ferien in einem Jugendzentrum in der Nachmittagsbetreuung geholfen, mit 17 oder 18 wurde ich dort dann als Honorarkraft eingestellt.

Ich bin in einem kleinen Ort im Kreis Heinsberg aufgewachsen. Meine Schwester und ich waren die Ersten in unserer Familie mit Abitur. Mein Vater hat als Landschaftsgärtner gearbeitet, meine Mutter ist Näherin. Als ich zunächst eine Absage für meinen Studienplatz in Sozialer Arbeit bekam, haben sie mich fast gedrängt, eine Ausbildung in einem örtlichen Betrieb zu machen. Ich glaube, sie haben damals nicht so richtig verstanden, dass es für mich vor allem darum geht, etwas Sinnvolles zu tun.

Ich habe mich dann erst mal für ein Lehramtsstudium entschieden. In meinen Praktika habe ich Lehrer:innen kennengelernt, die mit 40 so kaputt waren, dass klar war: Bis zur Rente schaffen sie den Job nicht. Am Ende geht es in der Schule ja auch nur um Leistung. Deshalb habe ich 2019, nach neun Semestern, abgebrochen. Ich war damals 27, meine Freunde arbeiteten seit fünf Jahren oder länger, waren verheiratet, hatten ihr erstes Kind, manche ein Einfamilienhaus. Ich hatte nur mein Abi. Auch wenn ich mich nicht vergleichen wollte, hab ich's getan. Und das hat mich sehr belastet.

Ich habe es dann doch noch mal mit Sozialer Arbeit probiert und bin im vergangenen Sommer fertig geworden. Mittlerweile habe ich meinen Weg mit seinen vielen Schlenkern akzeptiert und sehe mein langes Studium sogar positiv: Ich hatte viel Zeit, mich auszuprobieren, habe mir Schlagzeug, Bass, Gitarre und Klavier beigebracht, habe erst in einer Rockband gespielt und dann in einer Jazz-Soul-Band.

Viele meiner Kindheitsfreunde haben sich die Freiheit, herauszufinden, was sie wirklich wollen, nie gegeben. Sie arbeiten im Ingenieursbereich oder machen etwas mit Informatik, weil die Eltern das auch schon gemacht haben. Ich glaube, das ist generell so eine Sache auf dem Dorf: Es geht weniger um Selbstverwirklichung und mehr darum, schnell Geld zu verdienen. Ich möchte diese Einstellung nicht bewerten, sie mag für viele passen und das ist vollkommen okay. Mich aber schreckt sie ab.

Verglichen mit meinen Freunden verdiene ich heute zwar unterdurchschnittlich. Aber was bringt mir ein Job, bei dem ich 5.000 Euro im Monat mehr bekomme, aber nicht glücklich bin?

"Aber klar ist auch, die Geldfrage ist entscheidend"

Sarah*, 27 Jahre alt, Apothekerin aus Hamburg

Mein Pharmaziestudium war unglaublich aufwendig und auch das anschließende praktische Jahr sehr zeitintensiv. Ich habe es in der gleichen Apotheke absolviert, in der ich bis heute angestellt bin.

Gearbeitet habe ich damals ab 8 Uhr morgens, zu Hause war ich erst nach 19 Uhr. Einmal unter der Woche frei bedeutete, dafür samstags zu arbeiten, meine gesamten Freizeitpläne haben sich am Sonntag geballt und Erholung war für mich nicht wirklich möglich. Ich fühlte mich wie im berühmten Hamsterrad.

Als das praktische Jahr vor ein paar Monaten zu Ende ging, wurde mir eine Vollzeitstelle angeboten, aber ich habe mich dagegen entschieden. Meine Gesundheit und mein Wohlbefinden sind mir sehr wichtig, denn gegen Ende meines Studiums hatte ich Depressionen und musste damals auch im Studium kurzfristig deutlich kürzertreten, um wieder gesund zu werden. Diese Erfahrung habe ich stets im Hinterkopf.

Jetzt arbeite ich 29 Stunden die Woche und bin damit sehr zufrieden. Zweimal die Woche kann ich ausschlafen, muss nicht mehr die freien Tage akribisch durchplanen, kann in Ruhe einkaufen gehen. Ich mache zu Hause Yoga, gehe klettern oder in die Sauna – oder ich sitze einfach den ganzen Vormittag gemütlich auf der Couch, trinke Kaffee und unternehme nichts.

Aber klar ist auch, die Geldfrage ist entscheidend: Ich verdiene relativ gut, kann trotz der Teilzeitstelle sparen und mir gleichzeitig ein gutes Leben leisten.

Bis jetzt genieße ich das alles sehr, aber ob ich das langfristig so leben möchte, weiß ich nicht. Hin und wieder zweifle ich: Wenn ich mit meinen Freund:innen aus dem Studium spreche, die alle jetzt in Vollzeit arbeiten und dann auch noch mit Anstellungen in der Industrie oder im Krankenhaus mehr verdienen. Dann frage ich mich, ob ich mich wirklich mit dem Durchschnitt zufriedengeben und weiterhin Teilzeit in der Apotheke arbeiten möchte. Ich könnte in anderen Branchen noch mal deutlich mehr verdienen.

Was wiederum auch meine Eltern beschäftigt: Dass ich mit einer Teilzeitstelle wenig für meine Rente einzahle, sagen sie mir oft. Und damit haben sie ja auch nicht unrecht. Doch gleichzeitig bin ich gerade einfach sehr glücklich. Und ich bin schließlich Berufsanfängerin und möchte zumindest das erste Jahr langsam angehen. Danach werde ich noch mal abwägen, wie es weitergehen soll.

* Protagonist*in möchte anonym bleiben, um die Privatsphäre zu schützen. Der Name ist der Redaktion bekannt.

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