Job Crafting: "Der eigene Job lässt sich fast immer verändern"

Autor*innen
David Gutensohn und Maike Huckschlag
Eine Hand zeigt auf einen riesigen Kugelschreiber, auf dem ein Geschäftsmann balanciert.

Immer mehr Menschen suchen einen neuen Job. Doch zu kündigen, ist oft ein Fehler, findet der Coach Christian Thiele. Stattdessen könne jeder seinen Job gestalten.

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Christian Thiele ist Coach und hat ein Buch über das Konzept des Job Craftings geschrieben. Er trainiert Führungskräfte und hat einen Podcast zu positiver Psychologie im Berufsleben

Viele Menschen finden, dass ihr Job nervt, zu schlecht bezahlt ist oder sie nicht erfüllt. Warum sollten sie trotzdem nicht kündigen?

Man sollte sich erst einmal fragen: Wieso will ich eigentlich aufhören? Was fehlt mir und was müsste bei einer neuen Stelle besser sein? Danach kann man schauen, ob es wirklich unmöglich ist, diesen Bedürfnissen auf der aktuellen Stelle näher zu kommen. In den meisten Fällen lässt sich der eigene Job verändern.

Wenn ich erkannt habe, was mir guttun würde, heißt das allerdings nicht, dass meine Vorgesetzten das auch so sehen.

Man sollte keine Angst davor haben, mit der Führungskraft darüber zu sprechen, dass man unzufrieden ist. Angestellte sind momentan in einer guten Verhandlungsposition. Viele Unternehmen suchen Personal und wollen wegen des Fachkräftemangels keine Angestellten verlieren. Das heißt, gute Chefinnen und Chefs hören zu und wollen Lösungen finden.

Man sollte darüber sprechen, wenn man sich nicht wohlfühlt.
Christian Thiele

Man sollte seinem Arbeitgeber also erzählen, wenn einem der Job keinen Spaß mehr macht?

Ich weiß nicht, ob Spaß das ist, was man von Montag bis Freitag in der Arbeit suchen muss. Aber man sollte darüber sprechen, wenn man sich nicht wohlfühlt, keinen Sinn in seinem Job sieht oder das Gefühl hat, sich nicht richtig einbringen zu können. Wenn mehrere dieser Punkte nicht erfüllt sind, sollte man das dem Vorgesetzten rückmelden.

Und dann?

Wenn man einen guten Vorgesetzten hat, kann das Job Crafting beginnen. Darunter versteht man einen Prozess, in dem der eigene Job optimiert und verändert wird. Wir sollten unsere Arbeit eher als etwas Wachsartiges denn als festbetoniert verstehen – Wachs lässt sich formen. Der Begriff des Job Craftings hat seinen Ursprung in amerikanischen Krankenhäusern. Wissenschaftler haben damals mit Reinigungskräften auf Komastationen gesprochen und festgestellt, wie unterschiedlich sie ihre Arbeit bewerten. Die einen haben sich als wenig qualifizierte, schlecht bezahlte Arbeitskräfte gesehen, die anderen als wichtiger Teil des Heilungsprozesses von Menschen.

Wie kommt es, dass Menschen den gleichen Job derart verschieden wahrnehmen?

Das ist normal, auch Sie werden Kollegen haben, die als Journalisten keine Kommentare schreiben wollen oder Konferenzen für gemeinsame Projekte schrecklich finden. Und andere, die genau das gerne machen. Menschen haben unterschiedliche Fähigkeiten und gehen Aufgaben deshalb anders an als andere – und bewerten sie auch dementsprechend. Sie sind unterschiedlich schnell gefrustet oder zufrieden mit dem, was sie machen. In vielen Fällen lässt sich genau diese Erkenntnis nutzen, um den Job zu verändern.

Angenommen, ich sehe noch Potenzial in meinem Job. Wie gehe ich vor?

Nehmen Sie sich zehn Klebenotizzettel, ein DIN-A4-Blatt und einen Stift. Auf die Zettel schreiben Sie insgesamt zehn Aufgaben, die Sie in den vergangenen zwei Wochen erledigt haben. Für jede Aufgabe vergeben Sie ein Stichwort, jeweils auf einen Zettel. Dann nehmen Sie das DIN-A4-Blatt und malen ein großes Kreuz, also eine x- und eine y-Achse drauf, damit Sie vier Quadranten haben. Die x-Achse steht für die Zeit, die man für die Aufgaben aufgewandt hat, und die y-Achse für die Energie, die man dafür aufwenden musste. Ganz unten bedeutet: Man hat viel Energie aufgewandt, oben, dass man Energie daraus gezogen hat. Der linke Teil der x-Achse steht für wenig Zeit, der rechte für viel. Nun kann man jede seiner Aufgaben zuordnen und beobachten, wo welche Zettel landen.

Man sollte sich zuerst fragen, was und wie man arbeiten will.
Christian Thiele

Und wenn die meisten Zettel unten rechts landen?

Dann hat man eindeutig zu viele Aufgaben, die anstrengend sind, lange dauern und nicht zufrieden machen. Man sollte schauen, ob man sie ein Stück weit reduzieren kann.

Wie sollte man dabei vorgehen?

Man kann sich dabei an den drei Dimensionen des Job Craftings orientieren. Das Was, das Mit-Wem und das Wofür. Man sollte sich also zuerst fragen, was und wie man arbeiten will: Wann möchte man morgens beginnen und wie viele Stunden in der Woche haben? Welche Aufgaben macht man gut und gerne – welche eher nicht? Gerade in Teams ist es außerdem wichtig, herauszufinden, mit wem man gut zusammenarbeiten kann und ob man sich mit der Person nicht häufiger Projekte teilen könnte. Und zuletzt: Wozu will man überhaupt in seinem Job sein? Was will man erreichen und bewirken?

"Vielen Menschen ist bewusst, dass Arbeit unzufrieden machen kann"

Wie lange kann ein solcher Prozess dauern?

Das kann ganz schnell gehen, denn viele Dinge kann man selbstständig umsetzen. Zum Beispiel, wenn ein Angestellter Aufgaben oder Zuständigkeiten mit einem Kollegen tauscht oder sich überlegt, welche Fortbildungen er angehen kann, um neue Arbeitsschritte zu erlernen. Dazu muss man oft auch keine Führungskraft fragen, sondern kann das informell lösen und seinen Arbeitsalltag verbessern.

Job Crafting klingt nach einem sehr privilegierten Konzept. Inwieweit kann beispielsweise eine Reinigungskraft denn wirklich ihren Job an ihre Bedürfnisse anpassen?

Ironischerweise stammt das Konzept ursprünglich ja aus einer Studie unter Reinigungskräften einer Komastation. Dort haben es die Angestellten geschafft, ihre Arbeit individuell zu verändern – beispielsweise dadurch, dass die Patientenzimmer umgestaltet oder Angehörige stärker eingebunden wurden. Aktuelle Studien zeigen auch, dass Job Crafting etwa in der Logistik umgesetzt werden kann, beispielsweise in den Niederlanden. Dort haben große Betriebe gute Erfahrungen damit gemacht, die Gesundheit der Belegschaft zu verbessern, indem sie Sicherheitsregeln angepasst haben.

Job Crafting darf auf keinen Fall missverstanden werden.
Christian Thiele

Im Umkehrschluss soll also jeder selbst dafür sorgen, dass die eigene Arbeit erträglich wird.

Das Job Crafting darf auf keinen Fall missverstanden werden. Also dass schlechte Arbeitsbedingungen normal sind und der Einzelne dafür verantwortlich ist, sie für sich zu ändern. Es braucht Betriebsräte, Gewerkschaften und Arbeitgeber, die für gute Arbeitsbedingungen sorgen – und Angestellte, die für sich überlegen, was sie darüber hinaus verbessern wollen.

Die Gegenwart ist stark davon geprägt, gesellschaftliche Probleme individuell zu lösen: indem wir weniger fliegen und auf Fleisch verzichten oder Achtsamkeitsübungen machen, um den Burn-out zu verhindern. Ist Job Crafting ein Zeitgeistphänomen?

In gewisser Weise ja, denn das Konzept beruht darauf, dass der Mensch bei sich selbst nachfühlt, wie zufrieden er mit seinem Job ist und was sich ändern muss. Immer mehr Menschen wird bewusst, dass Arbeit auch krank und unzufrieden machen kann – und dass sich Jobs gerade in Zeiten des Fachkräftemangels verändern lassen. Gleichzeitig suchen viel mehr Menschen als früher einen Sinn in ihrem Job.

Im Arbeitsumfeld bin ich als Individuum ja nicht alleine. Was kann mein Arbeitgeber tun, damit Job Crafting gelingt?

Es gibt eine psychologische Theorie der Selbstbestimmung von Edward Deci und Richard Ryan, an die ich immer wieder denken muss. Sie besagt, dass wir alle – mehr oder weniger stark ausgeprägt – die gleichen drei Grundbedürfnisse haben. Der Theorie nach sind das Autonomie, soziale Eingebundenheit und Kompetenz.

Das heißt?

Wir alle wollen mitreden und mitentscheiden, wann, wo und wie wir unsere Tätigkeiten verrichten. Meine Frau ist zum Beispiel Anästhesistin, arbeitet in einem OP und kann eigentlich kein Homeoffice machen. Aber sie kann ein wenig mitbestimmen, wann oder wo sie ihren Papierkram macht. Dann brauchen wir alle die soziale Einbindung. Der Mensch will Teil von etwas sein – auch am Arbeitsplatz. Und wir wissen, dass die Beziehung zur Führungskraft und den Kolleginnen und Kollegen wichtig ist, damit man zufrieden ist und nicht kündigt. Es ist also entscheidend, dass Arbeitgeber das Miteinander fördern. Und zuallerletzt ist es wichtig, dass unsere Kompetenzen gefragt sind und wir das Gefühl bekommen, wichtige Arbeit zu machen und auch wirklich etwas voranzubringen. Ein Stück weit kann ich aber auch selbst dazu beitragen.

Ich rate, immer mal wieder einen Check-in mit sich selbst zu machen.
Christian Thiele

Wie?

Es muss nicht jeder ein Erfolgstagebuch führen, aber ich rate, immer mal wieder einen Check-in mit sich selbst zu machen. Sprich, sich zu fragen: Was habe ich diese Woche oder diesen Monat gut hinbekommen? Wo stehe ich im Vergleich zu vor einem Monat? Wo habe ich mich weiterentwickelt und wie kann sich mein Job verändern?

Was kann ich tun, wenn ich merke, dass ich in einer Aufgabe nicht gut bin und auch nicht mehr besser werde? 

Mein erster Tipp wäre, sich zu fragen, worin man gut ist, und das auszubauen. Also auf die Dinge zu achten, die mir leicht fallen und die ich gerne tue, anstatt nur daran zu denken, was nicht gelingt. Man sollte sich fragen: Wie relevant ist diese Schwäche wirklich und könnte ich sie ein Stück weit kompensieren? Gibt es vielleicht auch jemanden von meinen Kolleginnen und Kollegen, der oder die genau das kann, was mir schwerfällt?

Bevor Sie Coach wurden, haben Sie als Journalist gearbeitet. Wieso haben Sie Ihren Job nicht verändert, sondern gekündigt?

Nicht jeder Job ist veränderbar, auch wenn man es immer versuchen sollte. Das habe ich auch getan, beispielsweise habe ich im Fernsehen und Radio gearbeitet, aber festgestellt, dass mir das zu technisch ist. Oder mit Texten und dann bemerkt, dass ich zum Beispiel ungern Kommentare schreibe. Es ist legitim, im Prozess des Job Craftings herauszufinden, dass ein ganz anderer Job geeigneter ist. Das kann auch eine Erkenntnis sein. Aber sie sollte nicht am Anfang stehen.

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