Die Karrierefrage: Wie lerne ich, im Beruf gut zu improvisieren?

Autor*innen
Birgitta vom Lehn
Ein freigestellter sprechender Mund, aus dem farbige Blitze kommen. Daneben steht ein Wählscheibentelefon.

Mal eben eine Rede halten, einen Ortswechsel positiv nutzen, unerwartete Lösungen für ein Problem finden: in vielen beruflichen Situationen ist Spontaneität gefragt. Und die kann man lernen.

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Tagtäglich müssen wir planen, strukturieren, gestalten. Egal, ob es sich um den Tagesablauf im Beruf oder im Privatleben handelt. Ohne vorausschauendes Denken und Handeln, so die gängige Vorstellung, mit bisweilen minutiöser Einteilung funktioniert gar nichts. Natürlich ist da was dran. Aber wehe, ein Rädchen im Getriebe streikt, hakt, fällt aus. Stürzt dann unser ganzer schöner Plan wie ein Kartenhaus zusammen? Wie reagieren wir auf ungeplante Veränderungen, die wir nicht beeinflussen können?

Keine Frage, in so einem Moment sind jene im Vorteil, die über Improvisationstalent verfügen und die loslassen können, ohne in Panik zu verfallen. Die Frage ist nur: Wird einem dieses Talent in die Wiege gelegt oder kann man es auch erlernen? Experten sind sich da offenbar einig. "Ja, die Fähigkeit zur Improvisation und Spontaneität ist bei Kindern von vornherein vorhanden, sie muss nur wieder freigelegt werden. Dazu gibt es eine große Anzahl an Spielen und Übungen", sagt beispielsweise Nicole Erichsen, Geschäftsführerin des Improtheaters Bremen. Ihr 14-köpfiges Ensemble tourt regelmäßig durch ganz Deutschland und steht mit seinen Improvisationskünsten nicht nur auf der Theaterbühne, sondern vermittelt in Kursen auch die Techniken, Grundhaltungen und Wirkungsweisen der Improvisation. Die Veranstaltungen der Truppe werden bei Firmenevents, Kongressen und Tagungen gebucht.

Auch Harald Polzin, Schauspieler, Autor ("Die Kunst der Improvisation") Coach und Gründer des Berliner Improvisationstheaters "Life Game Company Berlin", betont, dass "jeder improvisieren kann". Ein Problem sei allerdings, dass wir es größtenteils verlernt haben. Genau wie Erichsen sieht Polzin bei Kindern das Improvisationstalent als gegeben. Entscheidender Improvisations-"Killer" sei diesbezüglich die Schule: ab da werde von ihnen nämlich die bewusste Trennung von Kopf, Bauch und Herz verlangt, wobei dem Kopf die bevorzugte Stellung zukomme.

"Wer stark im Kopf ist, kann oft nicht spontan sein"

Mit dieser Fokussierung auf die Kopfarbeit geschehe nach den Worten von Polzin aber Folgendes: "Wer stark im Kopf ist, kann oft nicht spontan sein." Deshalb müssten gerade Erwachsene "mit Köpfchen" erst wieder den Zugang zu Kopf, Herz und Bauch gleichermaßen bekommen. "Wir müssen den Spontaneitätsmuskel trainieren", bringt der Coach es auf den Punkt. In Improvisations-Workshops wird daher auch spielerisch trainiert. "Die Teilnehmer erlauben sich, wieder Kinder zu sein. Oft sind sie hochintelligent, aber eben konditioniert auf den Kopf. Improvisation war für viele von ihnen bis dahin eher negativ besetzt."

Polzin arbeitet seit zehn Jahren auch mit Menschen zusammen, die unter sozialer Phobie leiden. "Einige haben Angst vor sozialen Begegnungen und eine sehr starke Auftritts- und Redeangst. Dabei stehen sie voll im Leben, sind oft gut ausgebildete Führungskräfte und angesehene Spezialisten." Das spielerische Training mache sie lockerer, "selbst-bewusster" und führe sie zu ihren spontanen Wurzeln der Kindheit zurück.

Ein Hauptfehler liege darin, keine Fehler machen zu wollen, warnt Nicole Erichsen. "In der geschützten Umgebung des Improvisierens gibt es keine Fehler, nur Überraschungen und Entdeckungen. Tatsächlich lernen die Improvisierenden ein neues Mindset, in welchem Fehler als Chancen verstanden werden. Jeder 'Fehler' ist die Tür zu etwas Neuem."

"Scheiter heiter"

Ihr Kollege Polzin gibt ein Beispiel aus eigenem Erleben. Das Hotelzimmer, so stellt sich überraschend heraus, ist kürzer frei als eigentlich gebucht. Also muss er sich spontan neu organisieren und den telefonischen Gesprächstermin mit der Autorin dieser Zeilen an einem anderen Ort als geplant führen. "Das Entscheidende ist, die Situation erst mal so anzunehmen, wie sie ist. Häufig ist man dann ja verärgert, die negativen Emotionen sind stark." Allerdings ändere dies nichts an der Situation, deshalb sei es am wichtigsten, Ja zu dem zu sagen, was ist.

"Scheiter heiter" sei ein wichtiges Prinzip der Improvisation, das man verinnerlichen sollte, rät Polzin. Ist das Glas halb voll oder halb leer? Humor und positive Stimmung erleichtern den Zugang zur eigenen Spontaneität erheblich, so der Experte. In seinem konkreten Beispiel entpuppt sich die verkorkste Buchungslage dann sogar als Gewinn: "Ich sitze nun auf einer wunderbaren Bank mit herrlichem Blick und kann mich vermutlich viel entspannter auf das Gespräch einlassen, als wenn ich auf meinem Hotelzimmer gewesen wäre." Die zunächst verpönte "zweite Wahl" der Location wird plötzlich zur bevorzugten Alternative. Voraussetzung, es so sehen zu können, sei aber eben, seine negativen Gefühle zu kontrollieren und sich auf die neue Situation einzulassen.

Nicole Erichsen sieht hierin den größten Unterschied zwischen Menschen, die improvisieren können und denen, die dies nicht schaffen: "Das Unerwartete ist für die meisten Menschen unangenehm, und sie suchen nach alten Lösungen. Improvisierende dagegen lernen, das Unerwartete als etwas Positives zu sehen und es als Katalysator für neue kreative Lösungen zu verstehen." Konkret sei Improvisation daher sehr hilfreich in allen Berufen mit "Publikum", etwa Lehrer, Politiker, Redner sowie in allen Bereichen, wo Ideen ausgearbeitet werden müssen. Die Expertin nennt hier die Werbung, die Kreativbranche, Film, Design und Organisation. "Improvisation ist eine riesige soziale Ressource, sie erleichtert den Austausch und das positive Miteinander und bringt Spaß in Teams."

Die Themen gut beherrschen

Auch wer mit unterschiedlichen Hierarchie-Ebenen zu tun habe, profitiere von seiner Improvisationsgabe, betont Harald Polzin. "Je nach Status-Stufe im Betrieb benötige ich doch eine gewisse Status-Flexibilität." Denn es sei schließlich etwas anderes, ob man mit dem Vorstand essen gehe oder mit "normalen" Kollegen oder Freunden unterwegs sei. "Da zeige ich mich doch flexibel und passe mich selbstverständlich der jeweiligen Status-Stufe an, trage etwa Krawatte und achte besonders auf meine Gestik und Mimik, etwa bei einem gemeinsamen Geschäftsessen."

Jochen Mai, Gründer des Portals "Karrierebibel", weist auf einen weiteren Aspekt hin: "Nur wer Vieles kann, weiß und kompetent ist, kann in jeder Situation unmittelbar spontan und flexibel darauf reagieren oder kluge Entscheidungen treffen. Improvisieren eben. Nur wer seine Themen aus dem Effeff beherrscht, dem ist es möglich, eine Stegreifrede zu halten oder ein akutes Problem zu lösen." Den Kopf abzugeben, um Spontaneität zu gewinnen, ist eben auch keine gute Idee, im Gegenteil: erst ein kluger Kopf ermöglicht die Kunst der Improvisation.

Schlagfertigkeit und Improvisation sind nicht dasselbe

Und wie verhält es sich mit der Schlagfertigkeit? Wer schaut nicht neidisch auf manchen Talkrunden-Profi, der sämtliche verbalen Angriffen locker und treffsicher pariert? Hat das auch etwas mit Improvisation zu tun? "Nicht so viel, wie man auf den ersten Blick vermuten würde", erklärt Nicole Erichsen. "Improvisation versucht nicht, originell zu sein oder Gags zu machen, sondern lässt die Komik quasi von selbst entstehen." Das benötige manchmal Zeit, manchmal gehe es aber auch sehr schnell. Schlagfertigkeit hingegen sollte immer eine sehr schnelle und originelle Antwort sein. Man könne zum Beispiel wenig schlagfertig sein und trotzdem gut improvisieren.

Trotzdem schadet ein Blick in die Trickkiste der verbalen Kontertechnik sicher nicht, im Gegenteil. Schlagfertigkeit lässt sich nach Überzeugung von Kommunikationstrainer Benedikt Held, der darüber in Kürze ein Buch veröffentlichen wird, nämlich durchaus lernen und trainieren. Ein wichtiges Merkmal hat er für die Schlagfertigsten jedenfalls schon mal ausgemacht: Sie nehmen sich selbst und die Situation nicht so ernst. Und den Angriff auch nicht. Ein Kardinalfehler sei demnach "unvorbereitete Spontaneität": Vielmehr müsse man sich emotional und mental schon sehr gut vorbereiten. Auch hier gelte: Je mehr (inhaltliche) Expertise man habe, desto schlagfertiger und sicherer sei man. "Nehmen Sie die Sache nicht zu ernst und haben Sie Spaß dabei", rät Held. "Sie müssen nicht zwanghaft witzig oder schlagfertig sein."

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