Arbeitsalltag: "Wir auf der Treppe sind anders als die im Büro"

Autor*innen
David Gutensohn, Christine Haas, Daniel Sander und Rebekka Wiese
Eine Frau trägt Arbeitsklamotten und hat einen Hammer in der Hand, mit dem sie einen Nagel hämmert

Ohne sie geht nichts, nur kommen sie selten zu Wort: Fabrikarbeiter, Malerinnen und Umzugshelfer erzählen, wie hart körperliche Arbeit ist – und wie glücklich sie macht.

Sie reinigen Hotelzimmer, prüfen Rohre oder schleppen Pakete: Hier erzählen sechs Arbeiterinnen und Arbeiter, was ihr Job für sie bedeutet – und weshalb sie niemals nur im Büro sitzen wollen.

Viele sagen zu mir, dass ich mir dann ja das Fitnessstudio sparen könnte
Sandra Haase, 31 Jahre, arbeitet als Paketzustellerin für die Deutsche Post.

Ich bin gelernte Restaurantfachfrau und habe lange das Restaurant eines Ministeriums geleitet. Als ich in der Corona-Krise in Kurzarbeit war, habe ich mich nach anderen Jobs umgeschaut. So bin ich als Paketzustellerin zur Post gekommen. Voraussetzung für die Tätigkeit ist der normale Führerschein Klasse B. Weil ich während der Pandemie angefangen habe, war die Einarbeitung auf gut zwei Wochen verkürzt. In dieser Zeit bin ich auch bei einem Kollegen mitgefahren. Normalerweise ist diese Phase intensiver und findet im DHL-Ausbildungszentrum in Großbeeren südlich von Berlin statt. Gezahlt wird nach Tarif, zum Einstieg bekommt man rund 2.400 Euro brutto pro Monat.

Mir gefällt die Arbeit, weil man so viel mit Menschen zu tun hat. Ich liefere im Schnitt 150 Pakete am Tag aus, viele Empfänger sind sehr freundlich und haben Lust zu plaudern. Manchmal merkt man, wie sehr sie sich freuen, dass endlich die tollen Dinge kommen, die sie bestellt haben. Oft höre ich: "Wow, eine Frau als Paketzustellerin hatten wir noch nie." Andere geben mir ein oder zwei Euro Trinkgeld, eine Tafel Schokolade oder  vor allem im Sommer  ein kaltes Getränk.

Ich freue mich, wenn mir mal jemand entgegenkommt.
Sandra Haase, 31 Jahre, Paketzustellerin

Es gibt natürlich auch einzelne Kundinnen und Kunden, die weniger freundlich sind. Für sie ist es selbstverständlich, dass ich ihre Weinkiste bis in den fünften Stock schleppe. Das ist kein Vergnügen. Manche sagen auch: "Dann können Sie sich das Fitnessstudio ja sparen." Aber das ist schwere körperliche Arbeit und kein Sport. Zum Ausgleich mache ich in meiner Freizeit Rückenübungen. Umso mehr freue ich mich, wenn mir mal jemand entgegenkommt, das Paket abnimmt und sagt: "Ich weiß, dass das nicht die einzige Treppe ist, die Sie laufen müssen."

Verärgert sind die Leute manchmal, wenn wir mit unseren Lieferwagen die Straße blockieren oder sie ihr Paket in einer Filiale abholen müssen, wenn sie bei der Auslieferung nicht zu Hause waren. Hier würde ich mir mehr Verständnis wünschen, denn es geht oft nicht anders. Ich versuche immer, die Pakete bei einem Nachbarn abzugeben, wenn niemand da ist. Aber in einem Achtparteienhaus kann ich nicht alle durchklingeln dann würde ich meine Route nicht schaffen. In den meisten Fällen schaffe ich das in den normalen acht Stunden. Wenn es doch mal länger dauert, kann ich die Überstunden später abbauen.

Ich mache einen Job, ohne den die Gesellschaft nicht funktionieren würde.
Sandra Haase, 31 Jahre, Paketzustellerin

Ich weiß, dass manche Menschen auf uns Zusteller herabschauen und denken, wir müssten ja nur ein bisschen Auto fahren und Pakete schleppen. Aber ich sehe mich als Arbeiterin, die einen Job macht, ohne den die Gesellschaft nicht funktionieren würde. Viele haben in der Pandemie gemerkt, wie praktisch es ist, sich Dinge nach Hause liefern zu lassen. Allein die DHL-Boten bringen bundesweit jeden Tag fast sechs Millionen Pakete zu den Menschen. Wenn es uns nicht gäbe, wären viele aufgeschmissen.

Es ist ein gutes Gefühl, eine sinnvolle Aufgabe zu haben. Man trifft Leute und hat einen strukturierten Tagesablauf. Mir ist aber auch wichtig, genügend Freizeit zu haben. Deshalb bin ich jetzt viel zufriedener als in der Gastronomie: Überstunden sind seltener und werden ausgeglichen, ich arbeite relativ genau 38,5 Stunden in der Woche. Und einmal im Monat habe ich vier Tage hintereinander frei. So ein langes Wochenende finde ich unheimlich toll, um einen Kurztrip zu machen oder mich einfach zu entspannen.

Wenn ich Frühschicht habe, fängt mein Tag um sechs Uhr morgens an
Dennis Hübner, 26, Schaltarbeiter bei Siemens

Schon in der Schule wusste ich, dass ich etwas Praktisches machen will, was mit den Händen. Ich habe Industriemechaniker gelernt und arbeite seitdem als Fertigungsprüfer in einem Werk bei Siemens. Wir stellen Vakuumschaltröhren her, die in Schaltanlagen eingebaut werden. Die sind zum Beispiel da, um die Energieverteilung in Kraftwerken sicherzustellen. Unsere Arbeit ist also ziemlich wichtig, damit bei der Stromversorgung in Städten und Industrieanlagen nichts schiefgeht.

Für mich bedeutet Arbeit, dass ich ein festes Gehalt habe.
Dennis Hübner, 26, Schaltarbeiter bei Siemens

Ich arbeite im Schichtdienst, mit meinem 40-Wochenstunden-Vertrag bedeutet das immer acht Stunden Arbeit am Tag mit ein bis zwei Pausen für insgesamt 45 Minuten. Wenn ich Frühschicht habe, fängt mein Tag beispielsweise um sechs Uhr morgens an.

Ich sorge für einen reibungslosen Ablauf.
Dennis Hübner, 26, Schaltarbeiter bei Siemens

Meine Aufgabe ist es zu schauen, ob die Röhren richtig aufgebaut wurden und ob sie ihre Funktion erfüllen. Dafür gibt es verschiedene Prüfanlagen, die sich auf zwei große Hallen verteilen. In einer der Anlagen laufen die Röhren auf einem Förderband durch verschiedene Stationen und werden geprüft. Ich bin an dieser Anlage eingesetzt und sorge für einen reibungslosen Ablauf. Bei Störfällen gibt es eine Fehlermeldung. Dann schaue ich nach der genauen Ursache des Problems. Meistens ist dies schon durch eine kleine Justierung zu beheben. Im schlimmsten Fall kann es jedoch sein, dass eine Röhre fehlerhaft ist und somit aussortiert werden muss. Manche Prüfstationen verlangen viel Bewegung, da wir die Röhren von Hand rein- und rausheben müssen. Diese können bis zu zwölf Kilo wiegen. Wenn es schwerer wird, nutzen wir ein Liftsystem.

Um gut in meinem Beruf zu sein, muss man zuverlässig und fleißig sein, aber auch physisch belastbar. An manchen Tagen kann es beispielsweise passieren, dass nur große Röhren zur Prüfung kommen, das kann auch körperlich fordernd sein. Außerdem muss man teamfähig sein, wir sprechen uns eng mit anderen Abteilungen ab. Es ist wichtig, mit allen zu kommunizieren, damit die Prozesse ineinandergreifen und alles reibungslos läuft.

Bei meinen ersten Hochspannungsröhren war ich noch sehr aufgeregt.
Dennis Hübner, 26, Schaltarbeiter bei Siemens

Besonders interessant ist es, wenn wir Hochspannungsröhren prüfen, die zum Beispiel in Umspannwerken im Einsatz sind. Die stehen später unter extremer Spannung. Wir prüfen diese mit bis zu 430 Kilovolt. Das ist wahnsinnig viel, eine normale Steckdose hat nur 230 Volt, unsere Röhren müssen also über 1.800-mal mehr Spannung aushalten. Täten sie es nicht, könnte es im Kraftwerk zu einem Stromausfall kommen. Es ist mein Job, das zu verhindern. Bei meinen ersten Hochspannungsröhren war ich noch sehr aufgeregt, das ist schon viel Verantwortung, aber genau das reizt mich auch daran.

Wenn ich mit meinem Chef spreche, kommt es oft vor, dass er mir auf die Schulter klopft und mich lobt. Ich habe auch häufig die Chance, an Schulungen oder Weiterbildungen teilzunehmen. In meinem nächsten Schulungsprogramm lerne ich einen Roboter zu programmieren und zu steuern. Ich habe auch das Gefühl, dass ich in meinem Betrieb wertgeschätzt werde und hier gesehen wird, dass ich gute Arbeit leiste. Und auch für die Gesellschaft ist mein Beruf wichtig. Ohne Industrie geht nichts, das weiß jeder. Für mich ist ein abwechslungsreicher und technisch spannender Beruf sehr wichtig. Gleiches gilt für einen geregelten Tagesablauf. Arbeit bedeutet für mich aber auch, ein festes und gutes Gehalt zu haben – das gibt mir Freiheit. Ich bin froh, dass ich einen krisensicheren Job habe. Die Industrie wird halt immer gebraucht.

Für manche klingt mein Job monoton, aber so fühlt sich das nicht an
Ana Divic, 30, Pickerin bei Flink

Ich bin gelernte Sprachtrainerin, helfe also eigentlich anderen Menschen dabei, wie sie ihr Deutsch verbessern können und bin vor einem Jahr nach Berlin gezogen. Eigentlich wollte ich einen Job in meiner Branche finden, doch dann hörte ich von Flink, einem Start-up, das Lebensmittel auf Fahrrädern ausliefern lässt. Ich wollte den Job nur testen und war recht schnell von der Arbeit begeistert. Es ist abwechslungsreich und vor allem gefällt mir die tolle Stimmung hier in unseren Warenlagern, den sogenannten Hubs. Da treffen junge Leute aus etlichen Ländern aufeinander. Darunter sind viele Studierende, aber auch Menschen wie ich, die einfach mal einen anderen Job haben wollten.

Der Job macht Spaß! Genau das brauche ich gerade.
Ana Divic, 30, Pickerin bei Fink

Ich selbst bin eine sogenannte Pickerin. Das heißt: Ich fahre nicht in die Stadt und bringe unsere Waren mit dem Rad zu den Kundinnen und Kunden. Und ich bin auch froh, dass ich das nicht mache, so gerne bin ich dann doch nicht auf dem Rad unterwegs. Ich arbeite lieber im Hub, sortiere die Waren und sorge dafür, dass alles bereitliegt, damit die Rider die Lebensmittel schnell mitnehmen können. Die Flink-Idee besteht ja darin, dass wir besonders schnell liefern. Wer etwas einkauft, soll seine Produkte 10 bis 15 Minuten später an der Haustür entgegennehmen können. Deshalb müssen sich auch wir Picker besonders beeilen, wenn wir die Lebensmittel im Lager aus den Regalen in die Tüten packen.

Man muss sich schon oft bücken, Kisten tragen und Lebensmittel verpacken. Doch genau das gefällt mir.
Ana Divic, 30, Pickerin bei Fink

Das klingt anstrengend, vor allem, wenn man das einen ganzen Arbeitstag macht. Man muss sich schon oft bücken, Kisten tragen und Lebensmittel verpacken. Doch genau das gefällt mir, ich will abends nach Hause kommen und spüren, dass ich etwas geleistet habe. Für manche klingt mein Job auch zu monoton, aber so fühlt sich das gar nicht an. Im Gegenteil: Jeder Tag ist anders, alleine schon, weil wir immer wieder neue Teams sind und uns bei der Arbeit kennenlernen. Zwischen Säften und Salami kann man erstaunlich gute Gespräche führen – ich lerne jeden Tag dazu und es wird nie langweilig.

Aktuell arbeite ich halbtags, habe also keine volle Stelle. Ich verdiene 12,50 Euro die Stunde und komme damit gut zurecht. Das alles passt zu meinem Leben gerade, da ich mich auch in anderen Dingen ausprobieren will. Ich weiß deshalb auch nicht, ob ich den Job bei Flink für immer machen will. Ich könnte dort Schichtleiterin werden oder irgendwann in die Zentrale wechseln, ich halte mir das offen. Für jetzt ist der Job auf jeden Fall die beste Lösung für mich. Ich bin neu in der Stadt, lerne an den Standorten viele Leute kennen und habe Freude bei dem, was ich tue. Gerade mit Blick auf den Tag der Arbeit denke ich darüber nach und stelle fest, dass genau das ja eigentlich alles ist, was ich gerade von einem Job erwarten kann.

Ich könnte mir keinen Bürojob vorstellen
Mirko Heitmann, 37, arbeitet im Housekeeping im 25hours Hotel Bikini Berlin.

Ich habe Kaufmann gelernt, doch im Jahr 2012 war es für mich an der Zeit, etwas Neues zu wagen. Zufällig landete ich dann im Hotelwesen, ich hatte eine Stellenanzeige gesehen und konnte mir das irgendwie gut vorstellen. Heute arbeite ich in einem Hotel im Westen Berlins – und bin mehr als zufrieden damit!

Ich bin ein sogenannter Housekeeping-Assistent, also jemand, der sich darum kümmert, dass die 149 Zimmer unseres Hotels sauber und ordentlich sind. Eine meiner vielen Aufgaben ist es, die Reinigungskräfte, die über einen Dienstleister zu uns kommen, einzuteilen. Morgens gehe ich mit ihnen die Zimmerliste durch und weiß genau, was in welchem unserer Räume gemacht werden muss. Später gehe ich dann durch die Flure, in jedes Stockwerk, und schaue mir an, ob die Zimmer nach der Reinigung auch wirklich unseren Standards entsprechen.

Jedes unserer Zimmer muss gepflegt sein.
Mirko Heitmann, 37, Housekeeping-Assistent

Jedes unserer Zimmer muss gepflegt sein, wenn ein neuer Gast ankommt. Die oberste Devise ist: kein Haar, kein Staub, keine Flecken. Das gilt aber natürlich nicht nur für die Zimmer, sondern auch für die Rezeption, den Aufenthaltsbereich, das Restaurant und unsere Bar mit Blick auf das Affengehege des Berliner Zoos, die auch Menschen besuchen können, die nicht in unserem Hotel eingecheckt sind.

Dort überall für Ordnung zu sorgen ist mein Job, auch am Wochenende oder spät abends. Ich bin im Schichtdienst, manchmal beginnt mein Arbeitstag morgens, dann stehe ich um halb acht Uhr früh im Hotel, an anderen Tagen erst mittags, dann verlasse ich das Hotel nach 20 Uhr. Ich arbeite in Vollzeit, aber wir testen im Hotel seit April ein neues Modell: die Viertagewoche! Ich arbeite also vier Tage lang in längeren Diensten als vorher. Dafür habe ich den Rest der Woche frei, bei gleichem Gehalt. Insgesamt arbeite ich vier Stunden in der Woche weniger als vorher. Und ich kann mir gut vorstellen, dass ich das nach der Testphase weiter mache. Dann kann ich mich länger am Stück erholen und bekomme an den anderen Tagen mehr geschafft.

Ich mache lieber etwas Körperliches.
Mirko Heitmann, 37, Housekeeping-Assistent

Ich liebe meinen Beruf, vor allem, weil ich unsere Zusammenarbeit im Team sehr schätze und ich mir keinen Bürojob vorstellen könnte. Ich mache lieber etwas Körperliches, laufe kilometerlange Strecken durch die Hotelflure, bücke mich, um unter den Betten zu gucken oder stelle mich auf die Leiter, um den Staub auf den Deckenlampen zu sehen. Und ich packe auch selbst mit an, reinige mal ein Zimmer oder die Bar, damit alles schick aussieht. Das habe ich vor allem im letzten Lockdown getan, damit wir das Hotel weiter offen halten konnten.

Natürlich gibt es auch Dinge, die mich ärgern, zum Beispiel wenn wir Gäste nicht zufriedenstellen konnten oder etwas mit dem Zimmer nicht in Ordnung war. Auch ärgert es mich, wenn Gäste abreisen und Plastikflaschen und Essensreste überall im Zimmer verteilt sind, obwohl es drei Mülleimer im Zimmer gibt, die leer bleiben. Aber zum Glück sind das alles Ausnahmen. Und ich erlebe so viele tolle Momente, die den Stress überwiegen: glückliche Gäste, die sich bedanken und immer wieder kommen. Für mich hat sich der Quereinstieg gelohnt, ich habe einen Job, der mich zufriedenstellt – auch wenn ich dafür am Feiertag, dem Tag der Arbeit, nicht in der Sonne liege, sondern im Dienst bin.

Auf den Baustellen war es immer ein Thema, dass da eine Frau stand
Sabine Otto, 32 Jahre, Malerin und Lackiererin im Malereibetrieb Jakob Dahms

Nach dem Abitur wollte ich Innenarchitektur studieren und habe zur Vorbereitung ein Praktikum in einem Berliner Malerbetrieb gemacht – und bin dann für die Ausbildung gleich dageblieben. Mein Vater ist Elektrikermeister, deswegen kam mir der Weg ins Handwerk ganz natürlich vor. Ich habe aber schnell festgestellt, dass ich ein Sonderfall war: fast immer die einzige Frau und die einzige mit Abitur.

Man muss sich auch die Hände schmutzig machen.
Sabine Otto, 32, Malerin und Lackiererin

Auf den Baustellen war es immer ein Thema, dass da eine Frau stand. Die meisten Kollegen waren sehr lieb, aber natürlich fallen immer auch Sprüche – von höflich bis sexistisch. Wie alle anderen habe ich Eimer geschleppt, Fassadenputz angerührt und Treppen abgeschliffen, auch bis die Finger blutig waren. Ich musste immer 120 Prozent geben, um ernst genommen zu werden. Die Arbeit war nicht immer leicht, aber sie hat mir unglaublich viel Spaß gemacht: Es ist ein vielseitiger und kreativer Job, du siehst sofort ein Ergebnis. Man kann ein bisschen seinen Fingerabdruck in der Welt hinterlassen. Bis heute liebe ich das.

Ich hatte in der Ausbildung oft das Gefühl, dass ich eine andere Sprache spreche als die Kollegen.
Sabine Otto, 32, Malerin und Lackiererin

Ich hatte in der Ausbildung oft das Gefühl, dass ich eine andere Sprache spreche als die Kollegen, dass sie mich nicht immer verstehen und umgekehrt – ich glaube, die fanden mein Abiturientendeutsch seltsam und ich musste mich an den derberen Baustellenjargon gewöhnen. Den habe ich dann ganz automatisch selbst teilweise angenommen.

Nach der Ausbildung kam eine zweijährige Weiterbildung zur staatlich geprüften Technikerin, damit habe ich mich im Betrieb für verantwortungsvollere Aufgaben qualifiziert. Doch später hatte ich das Gefühl, dass es für mich nicht mehr in die richtige Richtung ging. Ich brauchte einen Schnitt und wollte es doch in der Akademikerwelt versuchen. So habe ich einen Bachelor in Bildungs- und Erziehungswissenschaften gemacht, inspiriert von meiner Mutter, die Lehrerin war. Ich hatte mir überlegt, das mit meinem Beruf zu verbinden – also später etwa Schulen umzugestalten. Das Studium war eine schöne Erfahrung, aber ich habe weiter jede Gelegenheit genutzt, mir Bauprojekte zu suchen, von der Kinderzimmer- bis zur Fassadengestaltung.

Heute bin ich Assistentin der Geschäftsleitung in einem Malerbetrieb in Lüneburg und arbeite in Berlin daran, eine Zweigstelle der Firma zu eröffnen. Dort gibt es eine Menge zu organisieren und vor allem in dieser Anfangsphase ist es wichtig, viel auf den Baustellen mit anzupacken – stilecht in einem eigens geschneiderten Malerkleid. Diese Arbeitshosen haben mir einfach nie richtig gepasst.

Ich wünschte, in den Schulen und den Familien würde ein positiverer Blick auf das Handwerk vermittelt. Auch die Arbeitsagenturen könnten den Leuten mal sagen, dass man sich hier wirklich etwas aufbauen kann. Ja, man muss sich auch die Hände schmutzig machen und die Bezahlung ist am Anfang mäßig. Aber der Beruf bietet eine tolle Perspektive und man kann selbst bestimmen, was man daraus macht. Und wenn der aktuelle Mangel an Handwerkerinnen und Handwerkern etwas Gutes hat, dann dass man nicht mehr so oft von oben herab behandelt wird. Die Menschen haben gemerkt, wie wichtig wir für sie sind.

Es gibt Kunden, die gucken mir bei der Arbeit über den Rücken
Dominik Blumberg, 22, Umzugshelfer bei Zapf Umzüge

Als Kind wäre ich nicht auf die Idee gekommen, Umzugshelfer zu werden, das ist jetzt nicht der Beruf, an den man als Erstes denkt. Aber vielleicht wollte das Schicksal, dass ich hier lande. Ich bin ganz zufällig auf den Beruf gestoßen, bei einem Termin im Jobcenter. Da wurde die Ausbildung zur Fachkraft für Möbel-, Küchen- und Umzugsservice vorgestellt. Ich habe mir das angehört und dachte: Warum nicht?

Um ein guter Umzugshelfer zu sein, braucht man handwerkliches Geschick, das ist das Allerwichtigste. Wir bauen die Möbel auseinander und später wieder zusammen. Das ist jedes Mal was Neues, es ist ja nicht so, dass alle Leute Ikea-Schränke hätten. Und Freundlichkeit ist auch sehr wichtig, wir haben viel Kundenkontakt. Wenn wir mit dem Lkw in eine Straße einfahren, stehen die Leute oft schon an der Straße oder schauen aus dem Fenster. Es gibt Kunden, die gucken mir bei der Arbeit über den Rücken, ob ich alles richtig mache. Das kann ein bisschen nerven, aber das muss man aushalten. Die meisten Kundinnen und Kunden sind aber echt cool drauf. Dann macht der Job besonders viel Spaß. Früher war es mir wichtig, dass man mich siezt, um es auf einer professionellen Ebene zu halten. Aber mittlerweile muss ich sagen, dass ich das Du viel cooler und angenehmer finde.

Ich habe Kollegen, die sind ganz klein und geschmeidig.
Dominik Blumberg, 22, Umzugshelfer

Das Laufen ist schon sehr anstrengend, besonders wenn man Fünfte-Fünfte macht – also einen Umzug aus der fünften Etage in die fünfte Etage, ohne Aufzug. Aber das gehört dazu. Für meinen Beruf muss man fit sein, aber es geht nicht darum, sich im Studio irgendwelche Bizeps anzutrainieren. Ich habe auch Kollegen, die sind ganz klein und geschmeidig, das sind nicht nur Bodybuilder. Ich selbst bin so der Mitteltyp. Gestern sagte noch eine Kundin zu uns: "Sie sehen ja gar nicht so kräftig aus!" Aber sie war dann doch begeistert, wie gut ich alles gewuppt bekommen habe. Beim Tragen geht es eben um die Technik, es ist halt ein richtiger Ausbildungsberuf. Kartons tragen wir zum Beispiel auf der Schulter, nicht vorm Bauch. Sowas lernt man dann in der Ausbildung. Die dauert normalerweise drei Jahre, weil ich mich besonders gut angestellt habe, war ich aber schon nach zwei Jahren fertig.

Meine Arbeit bedeutet mir sehr viel, es ist der größte Bestandteil meines Lebens. Ohne Job wüsste ich gar nicht, was ich den ganzen Tag machen sollte. Ich habe auch nach der Arbeit viel mit meinen Kollegen zu tun, man arbeitet ja nicht nur zusammen, man wird zu Freunden im Team.

Ich kann von meiner Arbeit leben, aber sicher, mehr Gehalt wäre immer gut. Gerade mache ich noch meine Ausbildung zum Meister, dann bekomme ich später auch mehr Geld. Um Klassenunterschiede mache ich mir eigentlich nicht viele Gedanken, aber wir auf der Treppe sind schon anders als die Leute im Büro. Es ist halt was anderes, ob ich am Rechner sitze oder ob ich jeden Tag arbeiten gehe, also körperlich arbeiten. Über die Leute im Büro sagen wir schon mal so was wie "die Sesselfurzer", aber das ist nicht böse gemeint. Und ich könnte mir nicht vorstellen, im Büro zu arbeiten, immer nur sitzen, das ginge einfach nicht.

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