Quarterlife Crisis: Bin ich auf dem richtigen Weg?

Autor*innen
Max Wetterauer
Eine Person sitzt auf dem Boden und hält verzweifelt ihre Hände über das Gesicht. Über ihr eine Wolke mit Blitzen und Regen, sowie ein Regenschirm, der von einer Hand gehalten wird.

Viele rutschen nach dem Studium direkt in ihre erste Sinnkrise. Aber wieso? Ich habe mich auf die Suche nach Erklärungen der Quarterlife Crisis begeben. Antworten bekam ich von Bloggern, Stand-Up-Lebenskünstlern und von einem Psychologen.

Es ist ein komischer Lebensabschnitt, den ich da erreicht habe. Jahrelang drückte ich die Schulbank, hetzte von Vorlesung zu Vorlesung. Den CV ständig im Blick. "An der Uni legst du den Grundstein für ein entspanntes Leben", sagte mein innerer Life Coach. In La Fontaines Fabel war ich die Ameise, die verächtlich auf all die Geige spielenden Grashüpfer herabschaute.

Jetzt ist Winter und ich bin dort, wo ich sein wollte. Ein Job, der Spaß macht, nette Kollegen und auch Raum für ein bisschen Freizeit. Selbstverwirklichung hole ich mir im Büro und zu Hause, Freizeit mit Netflix und Freunden. Das muss eigentlich ausreichen.

Trotzdem frage ich mich, ob es den Grashüpfern jetzt wirklich schlechter geht. Bin ich auf dem richtigen Weg?

Was ist eine Quarterlife Crisis?

Als Quarterlife Crisis wird eine Sinnkrise bezeichnet, die im Übergang der akademischen Ausbildung und des Berufslebens auftritt. Typischerweise ist der Betroffene zwischen 20 und 30, also vorwiegend in seiner Endphase des ersten Lebensviertels, wovon sich der Name dieser Sinnkrise ableitet.

Ich bin offenbar nicht der Einzige, dem es so geht. In einer Studie britischer Psychologen der Londoner University of Greenwich aus dem Jahr 2011 gaben 86 Prozent der Mittzwanziger an, unter einer Sinnkrise zu leiden. Finanzielle Ängste spielten dabei die größte Rolle (40 Prozent). Viele fühlten sich aber auch zur Familiengründung gedrängt (32 Prozent) oder wünschten sich einen Neuanfang für die Karriere (21 Prozent).

Besonders betroffen sind laut einer Studie des österreichischen Instituts für Höhere Studien die 26- bis 30-Jährigen. In der Studierenden-Sozialerhebung 2009 litten sie häufiger unter Existenzängsten und Leistungsdruck als Jugendliche unter 21 Jahren.

Es sind empirische Nachweise der Quarterlife Crisis – einer verfrühten Sinnkrise ohne Lederjacke und Harley-Davidson. Ihre Opfer sind Mitte 20, gut ausgebildet und stehen am Beginn ihrer Berufslaufbahn. Eigentlich sind das die Gewinner der Gesellschaft. Menschen, denen alle Türen offenstehen.

Ich suche im Netz nach Erklärungsversuchen und finde das Buch "Quarterlife Crisis. The Unique Challenges of Life in Your Twenties" von Alexandra Robbins und Abby Willner. Während die Sinnkrise mit 40 durch ein zu eintöniges und stabiles Leben entsteht, so Robbins, ist es bei der Quarterlife Crisis genau umgekehrt: Fehlende Stabilität und Sicherheit führen zu Selbstzweifeln einer ganzen Generation. Für die Methoden der Hobby-Psychologinnen hagelte es zwar viel Kritik, doch sie schafften es, den Begriff zu etablieren.

Die Quarterlife Crisis beschäftigt heute eine ganze Branche. Zeitschriften, Blog, Vlogs und auch erste Studien befassen sich mit dem Thema. Dabei ist es streitbar: "Luxusproblem", "Trendkrankheit", "modisches Etikett" lautet die mediale Antwort auf Robbins und Willners Neologismus. Zurecht?

Ich telefoniere mit Frank Hofmann von der Psychologischen Beratungsstelle des Studierendenwerks Heidelberg. Er hat bereits mit vielen Studenten gesprochen, für die auf die Uni eine Sinnkrise folgte: "Im Studium setzt du fort, was du in der Schule gelernt hast: lesen, lernen, Klausuren schreiben. Der Übergang in den Beruf ist die erste wirkliche Zäsur – jetzt wirst du nicht mehr geschont." Ich erinnere mich an meinen ersten Krankenkassenbeitrag ohne Studentenrabatt und nicke. "Viele haben das Gefühl, nach dem Studium Weichen fürs Leben stellen zu müssen und bekommen Angst. Sie fühlen sich nicht mehr so flexibel, wie noch im Studium. Es ist ein Schritt ins Ungewisse."

Stecke ich in einer Sinnkrise?

Ich suche nach jemandem, der von seiner Sinnkrise berichtet. Auf YouTube stoße ich auf Adam "Smiley" Poswolsky. Im TED Talk steht der junge Autor in einem sichtbar zu großen Sakko auf der Bühne und erzählt von seiner Quarterlife Crisis. Der Saal ist voll, die Zuschauer beklatschen seine Aussagen. "Brave", lese ich häufig in den Kommentaren. Adam benennt die drei Hauptzutaten (s)einer Sinnkrise: FOMO, Stuck, Hopeless. Er hatte Angst, falsche Entscheidungen zu treffen, denn mit jeder Tür, die er öffnete, schloss er eine andere (Fear Of Missing Out). Es blieb ihm nichts, als dort zu bleiben, wo er war. Und weil er nichts daran ändern konnte, resignierte er. Ein Teufelskreis. Er war unglücklich.

Ich kann Adams Erklärung verstehen und frage mich, ob das auch auf mich zutrifft. Während meine Kommilitonen für Praktika nach Mosambik gingen oder sich ins Standesamt trauten, verbrachte ich meine letzten Semester mit meiner Master-Arbeit. Ist das schon FOMO? Ich hatte zwar viele ETCS, aber kaum Zeit, mir über mein Leben nach dem Studium Gedanken zu machen. Die hatte ich erst, als ich mich durch die Stellenanzeigen klickte. Erst da wurde mir klar, welche Optionen sich mir boten – und welche Erwartungen ich eigentlich an meine Zukunft stellte.

Ich fragte mich damals, ob ich überhaupt das Richtige studiert hatte. Was ist mit Familiengründung? Finde ich meine Nische auf dem Arbeitsmarkt? Bekomme ich einen Job, der mich erfüllt? Studien der AOK belegen, dass der größte Stressfaktor von Studenten die Erwartungen sind, die sie an sich selbst stellen.

Zufriedenheit im Job, ein erfülltes Privatleben und finanzielle Sicherheit – wie soll man das als Mittzwanziger leisten, der gerade seinen ersten Kontakt mit der echten Arbeitswelt aufbaut? Die Quarterlife Crisis gilt zwar nicht als psychologisches Krankheitsbild. Aber ich denke, sie umschreibt die schwierige Übergangsphase der Hochschulabsolventen ins Berufsleben.

3 typische Anzeichen für eine Quarterlife Crisis

Unzufriedenheit, Selbstzweifel, ein hoher Druck, wenn es um große Entscheidungen im eigenen Leben geht, Angst sind typische Symptome. Doch nicht jedes Empfinden ist gleich einer Quarterlife Crisis zuzuordnen. Vielmehr kommt es auf die Intensität und Dauer der negativen Gefühlszustände an. Die folgenden drei Anzeichen sind typisch für eine Sinnkrise.

"Ich bin nicht gut genug." als Grundeinstellung

Betroffene einer Quarterlife Crisis haben eine super Ausbildung und neben dem Studium zahlreiche Praktika absolviert. Sie können sich sogar mit Auszeichnungen rühmen und doch haben sie das Gefühl, sie sind nicht gut genug für den Arbeitsmarkt. Mitten in der Sinnkrise sind positive Gefühle bei Erfolgen meist von kurzer Dauer oder sie werden heruntergespielt. Jedes zusätzliche Zertifikat soll für sie Abhilfe schaffen, löst am Ende jedoch den gleichen Kreislauf wieder von vorn aus. Der Betroffene fühlt sich weiterhin nicht gut genug, um mitzuhalten zu können.

Sich unsicher bei Entscheidungen fühlen

Noch nie zuvor sind wir so frei in unseren Entscheidungen, was die Lebensplanung angeht - sowohl im Job, familiär und auch in der Freizeitgestaltung. Wir können und glücklich schätzen. Doch zugleich ist es die unendliche Vielfalt, die in der Quarterlife Crisis zur Herausforderung wird. Wir leben eine Freiheit, die überwältigt und Sorgen mit sich bringt: Welcher Weg ist der Richtige? Was genau ist es, was glücklich macht? Höher, weiter, schneller und noch schillernder als das Leben der anderen. Die Messlatte vor allem im Vergleich mit Kommilitonen oder Kollegen liegt hoch. Eine Fehlentscheidung und schon ist das Leben nur halb so cool. Menschen, die so denken, vermeiden große Entscheidung oder sie bezweifeln diese. Die Betroffenen stecken regelrecht fest.

Unzufriedenheit, Konflikte und Einsamkeit

Die Gedankenspiralen von Betroffenen einer drehen sich sehr viel häufiger ins Negative als ins Positive. Unzufriedenheit macht sich breit. Nicht selten schlagen sich diese Gefühlszustände auch in zunehmenden Konflikten mit Familie, dem Partner und Freunden nieder. Nehmen die Erlebnisse überhand, kann dieses in Einsamkeit münden. Der Betroffene wendet sich selbst von anderen ab oder aber sein Umfeld meidet mehr und mehr den Kontakt.

"So überlebst du deine Quarterlife Crisis" 

Heute gibt es mehr Wohlfühl-Ratgeber gegen die Quarterlife Crisis als wissenschaftliche Studien. Ich finde auf Anhieb zehn Tipps, wie ich meine Quarterlife Crisis "überlebe": Ich soll mir zum Beispiel einen Kalender zulegen, um mein Leben im Griff zu behalten, zu mir selbst nicht so hart sein und mit meinen Freunden Eis essen gehen. Na danke. Ich suche weiter.

Zurück auf YouTube höre ich wieder Adams TED Talk zu: Er war ein klassischer High Potential, auf bestem Wege in die Führungsebene, als er mit 28 merkt, dass er unglücklich ist. "Jeder hasst seinen Job. Deal with it", rät ihm sein Mitbewohner. Damit fand sich Adam aber nicht ab. Stattdessen schmiss er alles hin. Er zog nach San Francisco und erfüllte sich seinen Traum, Autor zu werden. Adam hat sein Leben in die Hand genommen und wurde glücklich.

Wenn ich als Quarterlife-Crisis-Kandidat wieder glücklich werden will, muss ich also entweder mein Leben radikal umwerfen oder mit meinen Freunden Eis essen gehen? Ich finde mich in keinem dieser Extreme wieder.

"Eine Krise ist immer ein Wendepunkt", sagt mir Frank Hofmann am Telefon. Das klingt in meinen Ohren sehr positiv. "Es ist jetzt wichtig, dass du begreifst, was du im Leben erreichen willst. Erarbeite dir Lebensziele und überlege, was du konkret tun kannst, um diesen näher zu kommen. Vor allem: Tu etwas, und verliere dich nicht zu sehr in deinen Gedanken."

Laut der britischen Studie dauert eine Quarterlife Crisis in der Regel zwei Jahre. In dieser Zeit können wir Weichen neu stellen oder alte Muster hinterfragen. Vielleicht nehme ich mir diese Zeit auch nur, um für einen Sommer mal Grashüpfer zu sein.

3 Tipps, die bei einer Sinnkrise helfen können

Die gute Nachricht: Es gibt einen Weg raus aus der Quarterlife Crisis. Folgende drei Tipps können bei der Bewältigung der Lebenskrise helfen.

Den aktuellen Zustand akzeptieren

So simpel es klingen mag: Die eigene Situation zu erkennen und das Phänomen "Quarterlife Crisis" zu begreifen, sind der erste Schritt, um mit der Krise klar zu kommen. Sich bewusst zu machen, dass man selbst nicht der oder die Einzige ist, wirkt in den meisten Fällen bereits erleichternd. Dabei lösen sich erste Anspannungen und das Denken dreht sich bereits langsam in eine positive Richtung.

Den eigenen Standpunkt und persönliche Wünsche reflektieren

Wenn alles so überwältigend erscheint, dann wird es Zeit, sich Raum für sich selbst zu nehmen. Statt das Gedankenkarussell frei laufen zu lassen, ist es hilfreich, alles einmal aufzuschreiben: Die Ist-Situation, die Wunsch-Situation und alle möglichen Optionen. Hierbei ist es wichtig zu reflektieren, welches die eigenen Wünsche sind oder ob Erwartungen von Familie, Freunden oder dem beruflichen Umfeld übernommen wurden und dementsprechend nicht die Eigenen sind. Sich diese Punkte ganz plakativ vor Augen zu halten, bringt Klarheit für weitere Entscheidungen.

Veränderungen nicht von heute auf morgen erwarten

Aus unangenehmen Gefühlen wollen wir am liebsten sofort raus. Ist die Situation eingefahren, dann ändert sie sich zwar eher nicht von heute auf morgen - jedoch mit der Zeit, wenn ein Schritt nach dem anderen umgesetzt wird. Geduld ist bei einer Veränderung ein wesentlicher Begleiter. Gibt man dem Prozess seine Zeit, kann schon nach einigen Wochen die Krise bereits überwunden sein.

Die vielen Ratgeber zur Selbstoptimierung & Co. bieten eine Vielfalt an Tipps, mit denen man sich selbst "therapieren" kann. Doch nichts geht über ein persönliches Gespräch mit einer Person des Vertrauens. Im Austausch miteinander werden Perspektiven klar, die man im Alleingang weniger gut erschließen kann. Bei starken Beeinträchtigungen empfiehlt es sich, professionelle Unterstützung durch einen Psychologen zu holen, um die Quarterlife Crisis erfolgreich zu überwinden.

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