Top-Anwälte im Interview: "Die DSGVO war sinnlos"
- Bastian Benrath

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Kaum ein Schluckauf für große Tech-Konzerne sei die Datenschutz-Grundverordnung gewesen, meinen zwei Partner der Kanzlei Freshfields – sie habe das Surfen nur umständlicher gemacht.
Herr Feldman, Sie haben für viele führende Köpfe der Techbranche gearbeitet, die Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page oder Facebook-Chef Mark Zuckerberg, um nur einige zu nennen. Wie sind diese Menschen persönlich?
Feldman: Ich lebe seit 1986 in Kalifornien. Ich weiß, dass Zuckerberg oder Page oder Brin ein bisschen zu einem Mythos stilisiert werden, aber es stimmt: Sie sind einfach anders. Das sind Menschen, die Dinge anders sehen. Wenn Sie oder ich uns etwas anschauen, sehen wir etwas Gewöhnliches – wenn die sich etwas anschauen, sehen sie eine Milliarden-Gelegenheit. Geld ist für sie meist nur eine Art Zeugnis. Die meisten leben keinen üppigen Lebensstil. Sie haben vielleicht schöne Flugzeuge, aber man sieht sie trotzdem auf dem Markt in Palo Alto. Man sieht sie mit ihren Kindern auf der Straße Fahrrad fahren. Natürlich gibt es unter ihnen auch Idioten, aber von den meisten der berühmten Techgründer würden Sie sagen: ein normaler Typ, eine normale Frau – unheimlich schlau, aber nicht abgehoben. Ein netter Mensch.
Das gängige Bild von Tech-CEOs ist, dass sie eher Nerds als Geschäftsleute sind.
Feldman: Ich meine, gibt es in Softwareunternehmen Vertriebler, die sehr gut Golf spielen? Ja, natürlich. Aber die sind nicht die Führungskräfte der Unternehmen. Schauen Sie sich Sundar Pichai an, den Chef von Alphabet: Er ist ein brillanter Programmierer. Wenn Sie ihn reden hören, sehen Sie ihm das Milliardenunternehmen nicht an. Sie werden sich fragen: Wow, wie ist dieser Typ zum Chef eines der wichtigsten Unternehmen der Welt geworden? Also: Sie sind also ein bisschen speziell, aber ihre Mitarbeiter sind auch speziell. Im Grunde genommen, geht es in Techunternehmen um die Ingenieure. Es geht nicht um die Anwälte oder die Vertriebler. Es geht um die Ingenieure, die sind es, die Dinge erschaffen.
Im Moment hängen dunkle Wolken über der Techbranche. Die Lockdowns haben die Aktienkurse der Unternehmen in die Höhe schnellen lassen, und jetzt sind sie abgestürzt. Welche Perspektiven hat die Branche?
Feldman: Ich bin mit keinem Ihrer Worte einverstanden, einschließlich "und" und "der".
Das müssen Sie erklären.
Feldman: Niemand sollte von Gewinnern der Corona-Pandemie sprechen, denn viele Menschen sind gestorben. Aber es gibt bei allem wirtschaftliche Gewinner und Verlierer. Die Techbranche ist nach der Pharmaindustrie der zweitgrößte Gewinner der Pandemie. In den Vereinigten Staaten hätten viele Haushalte ohne Amazon eine viel härtere Zeit gehabt. Das sage ich, obwohl wir Amazon gar nicht vertreten. Aber dieses Unternehmen hat die Versorgung der amerikanischen Haushalte übernommen. Menschen, die kein Toilettenpapier bekommen konnten, haben es über Amazon bekommen. Amazon ist also ein großer Gewinner. Dann Facebook: Eine Menge Leute waren sehr einsam. So wurde Facebook zu einer Art Ersatz für das Treffen an der Kaffeemaschine. Ich denke, die wirtschaftliche Lektion der Lockdowns lautet: Gott sei Dank gibt es die Techunternehmen. Schauen Sie nicht auf die Aktienkurse, sie bilden die Realität nicht ab. Die zugrunde liegende Realität ist: Die Techunternehmen stehen an der Spitze der Welt.
Meyer: Ich denke, wir hatten zuletzt natürlich eine hohe Konzentration geopolitischer und wirtschaftlicher Krisen. Wir hatten die Corona-Pandemie, jetzt haben wir Russlands Angriff auf die Ukraine. Zuvor hatten wir den Brexit. Selbst Techaktien sind nicht immun gegen alles.
Dennoch scheinen die Anleger der Meinung zu sein, dass seit dem gefühlten Ende der Pandemie Tech nicht mehr die beste Wahl ist. Sondern eher Old-Economy-Unternehmen wie Ölförderer.
Meyer: Aber wenn man es genauer betrachtet, ist es immer noch ein ziemlich stabiles Umfeld. Klar, wenn man sich mit Gründern von Start-ups unterhält, fragen die sich natürlich, ob sie jetzt eine neue Finanzierungsrunde starten oder besser noch sechs Monate warten, wenn das geht?
. . . Börsengänge wurden abgesagt . . .
Meyer: Auch das, sicher. Natürlich gibt es ein gewisses Maß an Volatilität. Aber wir befinden uns nicht in einer Blase wie Anfang der 2000er. Die Techkonzerne haben sehr nachhaltige Geschäftsmodelle. In der Branche finden deshalb auch weiterhin Fusionen und Übernahmen und erfolgreiche Exits statt, und es gibt immer noch Finanzierungsrunden. Wir sehen auch, dass auch weiterhin sogenannte Wagnisdarlehen aufgenommen werden, was gerade der letzte Schrei ist. Die Branche ist also immer noch ziemlich aktiv, und die Tatsache, dass wir eine leichte Delle am Markt haben, wenn es um Börsengänge und Aktienkurse geht - ich denke, das ist vielleicht eine Art Korrektur, aber sicherlich nichts, was von Dauer sein wird. Die positiven Quartalsberichte vieler Techunternehmen zeichnen ja schon wieder ein positiveres Bild.
Gleichzeitig hat man das Gefühl, dass die großen Techkonzerne in den Augen der Behörden kaum etwas richtig machen können. Es vergeht fast kein Tag, an dem nicht ein Konzern zu einer Geldstrafe verurteilt oder verklagt wird.
Feldman: Wenn man den Medien und der politischen Elite folgt, denkt man: Oh, Tech ist in großen Schwierigkeiten. Aber wenn man die Nutzer fragt, sagen sie: Gott sei Dank gibt es Google Maps, Gott sei Dank gibt es Whatsapp. Ihr wollt mein iPhone? Dann müsst ihr es mir aus den Fingern reißen. Es gibt eine massive Diskrepanz zwischen Nutzern und Meinungsmachern - und am Ende werden die Nutzer gewinnen.
Eigentlich hat also niemand Vorbehalte gegenüber Big Tech?
Feldman: Haben einige unserer Mandanten Dinge getan, die man aus Sicht des Datenschutzes kritisch sehen kann? Natürlich haben sie das. Sie sind nicht ohne Fehler, jeder macht Dinge falsch. Es sind junge Unternehmen, die sich schnell weiterentwickeln. Ihre Probleme sind nicht erfunden. Aber der Eindruck, dass die Branche in Schwierigkeiten steckt, ist meiner Meinung nach nicht richtig.
Warum nicht?
Feldman: Wenn man die Liste der beliebtesten Marken der Welt durchgeht, stehen Apple und Google ganz oben. Wird es regulatorische Anpassungen geben? Ja. Erleben wir dadurch das Ende der Techkonzerne? Nein, nicht mal annähernd. Die Datenschutz-Grundverordnung der EU wurde als Armageddon gesehen. Und letztendlich ist ihr bedeutendster Effekt, dass ich länger brauche, um auf Internetseiten zu kommen. Ich muss mich durch einen Haufen Kram klicken, den ich nicht lese und den Sie nicht lesen. Glauben Sie, die DSGVO war für die Techkonzerne auch nur ein Schluckauf? Komplexe Gesetzgebung kommt etablierten Unternehmen zugute. Sie stellen mehr Mitarbeiter in der Rechtsabteilung ein, fertig. Für Start-ups hingegen sieht die Sache anders aus. Die eigentliche Frage ist also: Ersticken wir Innovationen, weil wir auch jungen Unternehmen all diese Vorschriften aufbürden?
War die DSGVO trotzdem eine gute Sache?
Feldman: Sie war eine sinnlose Sache. Mein Leben in der Techbranche besteht daraus, die Zahl von Klicks zu reduzieren. Benutzer sagen: Nein, ich will das nicht jedes Mal ablehnen müssen, ich will das als Standard einstellen. Die DSGVO hat überall, wo ich hinkomme, einen sinnlosen Klick hinzugefügt.
Facebook, Google und die anderen Technologieunternehmen könnten den Nutzer einfach seine Ablehnung als Standard speichern lassen. Aber das wollen sie nicht. Sie wollen, dass man den Klick machen muss, damit man sich über den Datenschutz ärgert.
Feldman: Das stimmt nicht. Ich bin sicher, dass Anwälte ihnen gesagt haben, dass sie diese Banner zeigen müssen. Aber der wichtigere Punkt ist: Hat die DSGVO den Schutz von Nutzern verbessert? Nicht ein bisschen.
Die DSGVO gibt Unternehmen aber eine ziemlich klare Vorstellung davon, was sie nicht tun sollen. Sie sollen keine Cookies verwenden. Sie sollen sparsam mit Daten umgehen und nicht alles verarbeiten, was sie können. Könnten Unternehmen ihr Geschäft also nicht einfach in diese Richtung entwickeln - und müssten dann nicht überall Banner zeigen?
Meyer: Natürlich gibt es unterschiedliche Geschäftsmodelle. Aber es gibt Dienste, die nur auf Basis von Daten funktionieren. Alles, was mit Künstlicher Intelligenz zu tun hat, zum Beispiel. Die könnten dann nicht oder nur eingeschränkt angeboten werden.
Ist der Gesetzgeber also über das Ziel hinausgeschossen?
Meyer: Vieles von dem, was im Moment in Sachen Regulierung passiert, ist der Versuch von Behörden und Politikern, aufzuholen. Und ich denke, das ist fair, und es war schon immer so. Die Herausforderung für den Gesetzgeber besteht nur darin, vernünftige Regelungen zu finden. Als Bürger bin ich ein Fan von vielen Verbraucherschutz-Regulierungen. An ihnen ist grundsätzlich nichts auszusetzen, überhaupt nicht. Aber Technologie und Innovation leben auch von der Disruption - und von einem Gesetzgeber, der diese zulässt. Wir müssen das richtige Gleichgewicht finden.
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Sind wir dabei, dieses Gleichgewicht zu finden? Etwa die Diskussion über die Zerschlagung von Techunternehmen scheint in den USA eher ideologisch geführt zu werden.
Feldman: Die Diskussion ist vorbei. Wir haben im November Midterm-Wahlen. Die Chancen, dass bis dahin irgendwelche Anti-Tech-Gesetze von beiden Häusern des Kongresses verabschiedet werden, stehen irgendwo zwischen gering und nicht vorhanden: Die Pandemie ist immer noch da, Benzin kostet zwischen 7 und 8 Dollar pro Gallone, und in der Ukraine ist Krieg. Und sobald im November Senat und/oder Repräsentantenhaus an die Republikaner fallen, steht die ganze Anti-Tech-Agenda nicht mehr auf der Tagesordnung. Was wir hier eigentlich sehen, ist ein heißer Konflikt zwischen traditioneller Wettbewerbspolitik und populistischer Wettbewerbspolitik.
Was bedeutet das?
Feldman: 50 Jahre lang war der entscheidende Gradmesser einfach: Ist eine Sache gut für die Verbraucher oder schlecht für die Verbraucher? Radikale Kartellrechtler in der aktuellen Regierung wollen stattdessen sagen: Nein, nein, es geht gar nicht um die Verbraucher - es geht um die Wettbewerber. Das ist die Änderung, um die es eigentlich geht. Aber die Radikalen sind dabei zu verlieren, denn sie werden die entsprechenden Gesetze nicht durchbringen.
Dennoch gibt es laufende Verfahren vor Gerichten - zum Beispiel wurde im Januar eine Klage der Verbraucherschutzbehörde FTC gegen Meta angenommen, die darauf abzielt, den Konzern in Whatsapp, Instagram und Facebook aufzuspalten.
Feldman: Niemand zwingt Sie, Whatsapp zu benutzen. Vor ein paar Jahren bin ich mit meiner Familie von Whatsapp zu Signal gewechselt. Ich habe einfach beschlossen, ich mag die Verschlüsselung, was auch immer es war. Verbraucher haben diese Wahl. Wie also soll eine ideologische Behörde ein Gericht davon überzeugen, ein Unternehmen wegen Übernahmen zu zerschlagen, die vor 15 Jahren stattfanden und damals genehmigt wurden? Das wird nicht geschehen. Dieses Thema treibt Auflagen und Parteispenden. Aber es hat keine Grundlage.
Sehen Sie Chancen für deutsche Unternehmen in der globalen Techbranche?
Feldman: Nun, mit dem Krieg in der Ukraine kommt die Verteidigungsbranche zurück. Alle Länder haben nach dem Fall der Mauer ihre Verteidigungsbudgets gekürzt. Aber jetzt werden, vor allem in Europa, militärische Güter wieder groß nachgefragt. Und was bedeutet Verteidigung heute? Tech. Das kann eine große wirtschaftliche Chance für Deutschland sein, denn niemand hat die industriellen Fähigkeiten, die Deutschland hat. Wenn es in der Lage ist, seine Industrie mit digitaler Technologie zu verbinden, dann könnten die Verteidigungsausgaben auf der ganzen Welt einen Riesengewinn für deutsche Unternehmen ergeben.
Deutschland gilt auch als das datenschutzsensibelste Land der Welt. Glauben Sie, dass die deutschen Verbraucher ihren Frieden mit den Big Techs machen werden?
Meyer: Wird das Leben digitaler werden? Auf jeden Fall. Und ich denke, die Menschen werden sich mit den Opfern - oder sagen wir, den Nachteilen - arrangieren, die man in Kauf nehmen muss, um die Vorteile von digitaler Technologie zu nutzen.
Zum Beispiel, wenn man der Verarbeitung seiner Daten zustimmen muss.
Feldman: Die Antwort ist ganz einfach: Zahlen oder Teilen. Wenn man früher ein Navigationssystem haben wollte, musste man sich eins von Garmin oder Tomtom kaufen. Jetzt bekommt man ein kostenloses Navi in den Apps von Google und Apple. Der Preis für das kostenlose Navi ist, dass die Konzerne sehen können, wohin man fährt - normalerweise zudem anonymisiert. Wenn Sie all das blockieren und trotzdem ein Navi haben wollen, bezahlen Sie dann einen Dollar pro Monat dafür? Man könnte dafür argumentieren, dass man dem Verbraucher diese Entscheidung überlassen sollte. Vielleicht sollten die Techunternehmen das tun. Aber ich glaube, im Allgemeinen sind die Verbraucher, vor allem die jüngeren, nicht so sehr um den Schutz ihrer Daten besorgt - sie wollen lieber ein kostenloses Navi.
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