Tipps für die rechtswissenschaftliche Doktorarbeit: "Wenn man pro­mo­viert, ist man selbst Herr seiner Ent­schlüsse"

Autor*innen
Dr. Franziska Kring
Ein Mann sitzt an einem Schreibtisch und schreibt an einem langen Dokument, das sich schon am Boden aufrollt. Über ihm schwebt eine Sprechblase, in der Gekritzel geschrieben ist.

Nach dem Ersten Examen oder dem Referendariat wollen viele promovieren. Für wen eignet sich eine Promotion und wie fängt man an? Strafrechtler Matthias Jahn gibt Tipps und betont, wie wichtig die Eigenverantwortung der Doktoranden ist.

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Prof. Dr. Matthias Jahn

Prof. Dr. Matthias Jahn ist Inhaber des Lehrstuhls für Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Rechtstheorie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und dort im Nebenamt Richter am Oberlandesgericht. Im Rahmen einer aktuellen Kampagne des Schreibzentrums der Goethe-Universität für unterschiedliche Fachbereiche hat er das Jura-Interview zum Wissenschaftlichen Schreiben gegeben. Tipps von ihm für die Jura-Hausarbeit gibt es hier.

Herr Professor Jahn, wenn das Erste Staatsexamen geschafft ist, hat man die erste Hürde genommen. Viele Absolventinnen und Absolventen sind sich trotzdem unsicher, ob sie noch promovieren sollten oder nicht. Für wen eignet sich eine Promotion?

Prof. Dr. Matthias Jahn: Ich würde die Frage vom Ergebnis her beantworten. Und das geben die Promotionsordnungen der juristischen Fakultäten vor, die das meist so formulieren: Die Dissertation muss einen Beitrag zum Fortschritt der rechtswissenschaftlichen Erkenntnis liefern. Die Motivation muss also eine Art von Fortschrittsoptimismus sein, eine Vermutung, dass man selbst etwas Neues und Weiterführendes zu sagen hat. Das setzt ein gewisses Maß an subjektiver Überzeugtheit und objektiver Überzeugungskraft voraus.

Extrinsische Motivationen sind hingegen nicht zielführend, so wie "es wird meiner Mutter gefallen, wenn ich einen Titel habe", der Irrglaube, "dann bekomme ich einen besseren Platz im Restaurant" oder – auch das habe ich schon gesichtet – "ich schreibe mir den Doktortitel mit weißer Farbe auf die Mülltonne". Das lässt dann tief blicken. Der schlechteste Antrieb von allen ist, dass man trotz guter Examensnoten nicht weiß, was man sonst machen sollte. Das führt nicht zur erfolgreichen Promotion, sondern ins Nichts.

Wenn man sich für eine Promotion entscheidet, stellt sich auch die Frage, ob man nach dem Ersten Staatsexamen oder erst nach dem Referendariat promoviert. Was raten Sie?

Typische Juristenantwort: Es kommt darauf an. Das ist vor allem eine Frage des individuellen Lebenszuschnitts. Es sollten zuträgliche Rahmenbedingungen für die Promotion herrschen. Die familiären und sozialen Verhältnisse müssen stimmen, man sollte belastbar und mental fit sein.

Auf der Zeitachse ist die Finanzierung bei den Rahmenbedingungen zentral. Das beste Szenario ist ein Job an einem Lehrstuhl, gegebenenfalls auch ein Stipendium. Viele meiner Doktorandinnen und Doktoranden arbeiten zwei Tage in einer Anwaltskanzlei. Nach dem Ersten Examen kann man seinen Lebensunterhalt als wissenschaftliche Mitarbeiterin oder wissenschaftlicher Mitarbeiter auch in einer Großstadt selbst bestreiten, weil man typischerweise noch nicht so hohe Ansprüche stellt. Aussichtsreiche Promotionsverfahren, die ich eine Zeit lang begleitet habe, sind aber letztlich daran gescheitert, dass die Promovierenden nach dem Zweiten Examen ein verlockendes Jobangebot erhalten haben. Deshalb würde ich dazu raten, im Zweifel lieber früher als später zu beginnen.

"Der Doktorand findet das Thema, nicht das Thema den Doktoranden"

Mit einer Doktorarbeit soll man dazu beitragen, die wissenschaftliche Diskussion voranzutreiben. Dafür braucht man aber erstmal ein gutes Thema. Wie schaffe ich es, ein geeignetes Thema zu finden?

Die Grundregel muss sein: Der Doktorand findet das Thema, nicht das Thema den Doktoranden. Im besten Fall kommt man selbst auf die Idee, weil man im Laufe der Ausbildung auf ein Problem stößt. Gerade in der Examensvorbereitung sind die Studierenden breit aufgestellt und beschäftigen sich so intensiv mit den Themen, dass sie ungeklärte Fragen identifizieren können.

Auf mein eigenes Dissertationsthema bin ich durch eine Vorbereitungsklausur für das erste Examen gestoßen. Ich hatte seinerzeit einen Übungsfall zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) über die Strafbarkeit des Strafverteidigers (Urt. v. 01.09.1992, Az. 1 StR 281/92, Anm. d. Red.) gelöst – und bin mit anderer Begründung zu anderen Ergebnissen gekommen. Darüber habe ich nach der Prüfung mit meinem akademischen Lehrer, der selbst zum Strafprozess geforscht hat, gesprochen und das Thema "Konfliktverteidigung und Inquisitionsmaxime" stand fest. Ich halte normalerweise wenig davon, dass allein der Betreuer das Thema vorgibt. So kann eine intrinsische Motivation bestenfalls zeitverzögert entstehen, weil man keine eigene Beziehung zu dem Thema hat.

Die ersten Monate der Doktorarbeit sind häufig am schwierigsten. Wie finde ich den Einstieg und wie gehe ich am besten vor?

Unabhängig davon, ob man sich für ein Stipendium bewirbt oder im Rahmen einer Graduiertenschule promoviert, sollte man ein zwei- bis maximal sechsseitiges Exposé verfassen. Wenige Fußnoten, viele Ideen. Wo genau ist die Forschungslücke, in die ich mit meiner Arbeit hineinstoßen möchte? Was sind meine Kernthesen? Man muss dazu gewissenhaft recherchiert haben, welche Monografien und Archivaufsätze es im Feld schon gibt.

Und man sollte einen belastbaren Zeitplan aufstellen. Dann hat man eine solide Grundlage und kann das Exposé modular erweitern. Der Teil zum Forschungsstand gehört etwa in erweiterter Fassung in das Einleitungskapitel, weil Leserinnen und Leser gerne erfahren, wo sich die Dissertation, die sie gerade lesen, im Kontext früherer Veröffentlichungen positioniert. So entsteht die Arbeit Schritt für Schritt.

"Dissertationen sind gut, wenn die Idee gut ist"

Drei Jahre sind eine realistische Zeit zum Promovieren. Wie kann ich mir die Zeit gut einteilen – gerade auch neben einem Job an der Uni?

Es kommt wieder auf die individuelle Arbeitsweise an. Es gibt Promovierende, die mir portionsweise Arbeitsergebnisse liefern. Das hat den Vorteil, dass man als Betreuer eingreifen kann, sobald man merkt, dass zum Beispiel der Methodenteil in der Darstellung viel zu breit ist oder die Dogmengeschichte zu tief schürft und daraus ein Habilitationsprojekt zu werden droht.

Mit anderen Doktorandinnen und Doktoranden bespreche ich das Thema nach dem Exposé einmal, dann höre ich nichts mehr und die legen mir nach eineinhalb Jahren eine ausgezeichnete Doktorarbeit auf den Schreibtisch. Jeder sollte entscheiden können, welche Vorgehensweise für ihn am besten passt. Wenn man promoviert, ist man selbst Herr seiner Entschlüsse. Als Betreuer kann ich Hilfestellungen geben und Fragen beantworten, aber die Zeiteinteilung bleibt schon angesichts der Wechselfälle des Lebens, das ist Chance und Risiko, dem Autor überlassen. Mein Tipp ist – ähnlich wie bei den Hausarbeiten – nicht zu lange zu warten, bis man mit dem eigentlichen Schreiben beginnt. Sonst stellt sich rasch eine Blockade ein.

Was macht für Sie eine gute Dissertation aus?

Die Idee. Ich finde Dissertationen dann ausgezeichnet, wenn die die zentrale Forschungsfrage verlässlich ausbuchstabiert wird und tatsächlich zu neuen Erkenntnissen führt. Daneben gibt es weitere Indikatoren, etwa zum Umfang: so lang wie nötig, so knapp wie möglich. Bei einer angenommenen Bearbeitungsdauer von drei Jahren mag die Dissertationsschrift am Ende zwischen 200 und 300 Druckseiten füllen. Es gibt aber auch beeindruckende Arbeiten, die sind im Textteil knapp über 80 oder vielleicht auch einmal 800 Seiten lang. Aber einhundert Seiten Jahresproduktion sind für eine juristische Dissertation eine sinnvolle Bezugsgröße.

Und natürlich gibt es stilkundliche Anforderungen. Sehr hilfreich – insbesondere auch für die Rezeption in der juristischen Praxis – ist es, wenn jedes Kapitel und das Werk insgesamt am Ende die zentralen Ergebnisse zusammenfasst. Praktiker in den Ministerien oder bei Gericht haben nicht immer die Zeit oder Motivation, sich durch Bleiwüsten zu kämpfen. Aber in einem Schlusskapitel mit den wichtigsten Ergebnissen oder Thesen kann man sie vielleicht als Rezipienten mitnehmen.

"Man darf auch das Gegenteil vom BVerfG vertreten"

Welche typischen Fehler kann man leicht vermeiden?

Der Kardinalfehler ist, zu spät zu merken, dass zu dem Thema bereits fast alles gesagt ist. Das kann man durch ein sorgfältiges Exposé vermeiden – aber nach einem halben Jahr nicht mehr schadlos reparieren.

Ein schwer auszubügelnder Mangel ist zudem, wenn das Thema falsch konfiguriert wird. Eine Dissertation mit dem Titel "Die Strafzwecke" ist auch Beleg für Betreuungsversagen – das Thema ist selbst für eine Habilitationsschrift zu flächig. Oder es ist zu kleinteilig. "Die historischen Strafzwecke des Rindfleischetikettierungsgesetzes" – diese Fragestellung trägt nicht weit genug und interessiert auch nur eine sehr überschaubare Anzahl an Menschen.

Wenn man sich mal den schlimmsten Fall vorstellt: Ich habe zwei Jahre lang an einem Thema gearbeitet und dann kommt eine BGH-Entscheidung, die komplett gegensätzlich ist – was mache ich dann?

Ruhe bewahren. Dass man nach einer höchstrichterlichen Entscheidung nichts mehr von dem retten kann, was man schon erarbeitet hat, ist eigentlich auszuschließen. Das gilt auch für etwa parallel veröffentlichte Doktorarbeiten. Das mag es in den Naturwissenschaften geben, in der Juristerei sind solche Katastrophenszenarien eher urbane Legenden. Das Ergebnis, die Methodik und der Themenausschnitt werden sich in aller Regel unterscheiden.

Der BGH (Beschl. v. 06.02.2018, Az. 5 StR 600/17, Anm. d. Red.) und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschl. v. 10.02.2021, Az. 2 BvL 8/19, Anm. d. Red.) haben zum Beispiel ausgesprochen, dass die Einziehung auch nach der umfassenden Reform der Vermögensabschöpfung keinen Strafcharakter hat. Wenn das vorläufige Ergebnis der Doktorarbeit, die man vorher begonnen hat, sein sollte, dass die Einziehung eine Nebenstrafe mit allen daraus erwachsenden verfassungsrechtlichen Konsequenzen ist, muss sich der Verfasser jetzt natürlich an den Entscheidungsgründen abarbeiten. Dann kann man immer noch zu dem Ergebnis kommen, dass Karlsruhe das Problem argumentativ nicht erschöpft hat. Es gibt keinen Grundsatz, nach dem man nicht das Gegenteil von dem vertreten darf, was das BVerfG für richtig hält. Ich kenne herausragende Doktorarbeiten, die beziehen daraus ihr Lebenselixier.

"Wenigstens ein Tag in der Woche sollte frei von Arbeit sein"

Wie schaffe ich es, über einen so langen Zeitraum – im Regelfall mindestens zwei Jahre – motiviert zu bleiben?

Der Staatsrechtler Ingo von Münch, der ein reiches Buch mit dem knappen Titel "Promotion" geschrieben hat, sagt, man müsse "auch mal Urlaub machen". Guter Rat! Den würde ich dahin ergänzen, dass wenigstens ein Tag in der Woche frei von Arbeit bleiben muss. Und dem Erhalt der Motivation dient Kommunikation. Man muss mit Mitdoktorandinnen und -doktoranden ins Gespräch kommen, in einer interprofessionellen Selbsthilfegruppe. Das kann auch über längere Durststrecken hinwegtragen.

Welche weiteren Tipps haben Sie für die Promotionsstudierenden?

Augen auf bei der Betreuerwahl! Wenn man auf die E-Mail, in der man um einen Termin zur Präsentation eines Exposés bittet, nach zwei Monaten eine Antwort bekommt, kann das ein Indiz dafür sein, dass man später auf das Erstgutachten zwei Jahre lang wartet.

Wichtig ist auch eine realistische Selbsteinschätzung. Man sollte sich ein Thema suchen, das einen fordert, aber nicht überfordert, und sich Ziele setzen, die man im selbst gewählten Zeitraum tatsächlich erreichen kann. Dann klappt’s auch mit dem Doktor.

Vielen Dank für das Gespräch!

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