Energiekrise an Hochschulen: Präsenz um jeden Preis
- Nina Bub

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Zur Energiesparkrise kommt jetzt noch der Preisanstieg für die Stromversorgung. Trotzdem wollen die Hochschulen in diesem Winter unbedingt offen bleiben.
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Seit dem ersten September wissen die Hochschulen, dass Präsenzunterricht auch aus Sicht der Bundesnetzagentur oberste Priorität hat. Die Einstufung als "geschützte Kunden" sichert den Hochschulen im Falle einer Gasmangellage zu, dass lebenswichtiger Bedarf gedeckt wird. Das bedeutet zwar keinen absoluten Schutz, entspannt aber die Lage. Die meisten Hochschulen haben sich inzwischen von Szenarien eines teilweisen Lockdowns verabschiedet. Wenn es eine Erkenntnis aus den Corona-Semestern gibt, dann die, wie wichtig der soziale Kontakt für Studenten ist. Zur Onlinelehre, das zeigt die Nachfrage an verschiedenen Universitäten, will niemand zurück. Ein neuer Lockdown sei Studenten und Dozenten nach vier Corona-Semestern nicht zuzumuten, sagt Andreas Keller von der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). Das Deutsche Studentenwerk stimmt dem zu und weist auf die aus den vielfachen Krisen hervorgegangenen psychischen Nöte von Studenten hin. Die psychosozialen Beratungsstellen des Studentenwerks seien förmlich überrannt worden. Auch die Kulturministerkonferenz betont die gesellschaftliche Bedeutung von Bildung.
Im Gegenzug haben sich die Kultusminister auf ehrgeizige Energiesparziele von meist fünfzehn bis zwanzig Prozent des üblichen Verbrauchs verpflichtet. Die Hochschulen müssen nun Sparpotentiale identifizieren und entsprechende Maßnahmen in die Wege leiten. Schreckensszenarien von langen Winterpausen oder Wochenendschließungen haben sich inzwischen weitgehend verflüchtigt. Trotzdem bleibt die Lage unsicher. Die Universität Hamburg, die sich sehr früh auf die Präsenzlehre in diesem Winter festlegte, hat eine szenario-basierte Planung vorgelegt, die drei unterschiedliche Stufen der Gasversorgung und daraus resultierende Maßnahmen beschreibt. Bei einer regelhaften Versorgungslage sieht die Universität eine Energieeinsparung von fünfzehn Prozent vor. Dies soll durch organisatorische, bauliche und betriebliche Maßnahmen erfolgen. Die Raumtemperatur soll um ein bis zwei Grad Celsius abgesenkt werden, nicht benötigte Geräte vollständig abgeschaltet und die Betriebszeiten verringert werden. Außerdem sollen die Lüftungsanlagen nachts abgesenkt und coronabedingte Betriebszustände zurückgesetzt, also weniger Frischluft zugeführt werden, um Wärme zu speichern. Darüber hinaus wird die zentrale Steuerung der Gebäudetechnik angepasst und das Warmwasser an den Handwaschbecken der Toiletten abgeschaltet.
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Für die Szenarien einer kritischen oder gar Notfall-Versorgungslage werden die Maßnahmen verschärft. In diesen Fällen wäre es auch eine Option, die Lehre an einen Standort mit besserer Versorgungslage zu verlagern, die Raumtemperaturen weiter zu reduzieren und Gebäudeöffnungen zu verschließen und zusätzlich zu dämmen. Einige Hochschulen erwägen auch die Verlängerung der Weihnachtsferien und die Reduzierung der Beleuchtung. An der Universität Passau werden die Leuchtmittel auf LED umgestellt, außerdem will man die Eigenproduktion von Strom über Photovoltaikanlagen ausweiten.
Wer übernimmt die Zusatzkosten?
Die Energieversorgung ist nach der Ankündigung der Bundesnetzagentur nicht mehr das größte Problem. Größere Besorgnis erregt der Anstieg der Energiepreise. "Die Goethe-Universität geht davon aus, dass es in den kommenden Monaten höchstwahrscheinlich nicht zu einer Krise der Energieversorgung, sondern der Energiepreise kommt", sagt der Präsident der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Enrico Schleiff, dieser Zeitung. Die Goethe-Universität beteiligt sich an den durch die Bundesregierung und Landesregierung eingeleiteten Maßnahmen zum Energiesparen in öffentlichen Gebäuden mit einem Bündel eigener Aktivitäten. Für den Fall eingeschränkter Energiezufuhr hat die Universität einen Krisenstab eingerichtet und ähnlich wie in Hamburg einen Stufenplan erarbeitet. Andreas Keller von der GEW fordert, Bund und Länder müssten den Hochschulen mit einem Sonderprogramm unter die Arme greifen. Er sagt: "Es besteht die Gefahr, dass die Hochschulen, um ihre Heizkosten bezahlen zu können, Lehraufträge und Tutorien oder sogar Stellen für Dozentinnen und Dozenten streichen müssen." Auch die Allianz der Wissenschaftsorganisationen befürchtet durch den gestiegenen Strompreis eine Beeinträchtigung des Studiums von Tausenden Studenten.
Nach Aussage der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) haben nahezu alle Bundesländer ihren Hochschulen mehr oder minder konkrete Einsparziele beim Energieverbrauch vorgegeben. Dabei hätten sie jedoch bereits realisierte Einsparungen nicht berücksichtigt. Konkrete Vereinbarungen zur Übernahme der Zusatzkosten durch Preissteigerungen seien dagegen nur in einzelnen Ländern zu beobachten. Als Beispiele nennt die HRK Brandenburg, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Dort erhalten die Hochschulen entweder Anteile der Mittel aus einem Zusatztopf für alle öffentlichen Einrichtungen oder einen für die Hochschulen ermittelten Pauschalbetrag, der retrospektiv exakt abgerechnet wird.
Bei alldem sei zu beachten, dass die Hochschulen üblicherweise nicht über langjährig aufgebaute Liquiditätsreserven, sondern nur mittelfristig über zweckgebundene Mittel verfügten. Das zeigt, wie dringend die Hochschulen bei der Energieversorgung in diesem Winter auf die finanzielle Unterstützung der Länder angewiesen sind.
Die konkrete Höhe der zu erwartenden Mehrkosten sei schwer abzuschätzen, da die Preise für Gas und Strom erheblich von politischen Entscheidungen zur Entlastung der Verbraucher abhängen, sagt Harald Schultz vom Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München. Die konkrete Gestaltung des geplanten Gaspreisdeckels werde eine weitreichende Wirkung auf die Verbraucherpreise entfalten. In jedem Fall müssen sich die Hochschulen auf erhöhte Energiekosten einstellen, daran wird auch der Gaspreisdeckel nichts ändern.
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