Mikrozertifikate: Stundenweise studieren

Autor*innen
Melanie Croyé
Person steht vor einem übergroßen Smartphone und zeigt auf ein Zertifikat, das aus dem Bildschirm zu kommen scheint.

Business-Schools bieten vermehrt spezialisierte Kurzfortbildungen an, manche können später auf einen akademischen Abschluss angerechnet werden. Für die Anbieter sind die Minikurse ein lukratives Geschäft. Aber lohnen sie sich auch für die Absolventen?

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Viel Geld, viel Zeit, viel Arbeit: Wer sich als Berufstätiger für eine akademische Weiterbildung entscheidet, wägt vorher in der Regel Kosten und Nutzen gegeneinander ab. Bringt ein Zweitstudium wie der Master of Business Administration (MBA) die Karriere voran? Wie lassen sich die nicht selten fünfstelligen Studiengebühren finanzieren? Und bieten die Lebensumstände genug Raum für den großen zeitlichen Aufwand, der nötig ist, sich das neue Wissen anzueignen?

Für alle, die davor zurückschrecken, eine ein- oder zweijährige Auszeit oder den Stress eines berufsbegleitenden Studiums auf sich zu nehmen, gibt es seit einigen Jahren eine weniger aufwendige Alternative: Mikrozertifikate. Wer durch die einschlägigen Berufsnetzwerke surft, findet in den Jobprofilen zuhauf Bescheinigungen bekannter Business-Schools und Akademien über Seminare in Digital Controlling, Advanced Marketing Strategies oder Leadership Essentials. Mikrozertifikate – auch Micro- oder Nanodegrees genannt – sind also im Grunde Teilnahmebestätigungen an spezialisierten Fortbildungen. Und seit einiger Zeit erleben sie eine erstaunliche Konjunktur.

Maßgeschneiderte Kurse

Zum einen lassen sich die Kurse, die nur wenige Tage dauern oder übers Wochenende stattfinden, leichter in den Alltag integrieren als ein komplettes Studium. Zum anderen finden die Seminare seit Ausbruch der Coronapandemie vielfach online oder in einer Mischung aus Distanz- und Präsenzunterricht statt, dem sogenannten Blended Learning. So können die Inhalte einfacher vermittelt werden, gleichzeitig werden sie für mehr Menschen zugänglich, weil der Reiseaufwand sich in Grenzen hält.

"Die Pandemie hat die Nachfrage nach Mikrozertifikaten zusätzlich befeuert", sagt Bianca Schmitz, Direktorin des "Leadership Development"-Programms an der ESMT Berlin. Und auch andere Business-Schools in Deutschland berichten von wachsendem Interesse an den kurzen, spezialisierten Lerneinheiten. Viele Arbeitnehmer suchten während der Lockdown-Phasen nach Möglichkeiten, sich kurzfristig weiterzubilden – und die Veranstalter von Management- und Leadership-Programmen reagierten mit entsprechenden Angeboten. Sowohl Business-Schools als auch Weiterbildungsanbieter wie LinkedIn oder die Spiegel Akademie sprangen auf den Zug auf.

Das Geschäft ist lukrativ: Speziell an den Wirtschaftshochschulen ist das Know-how durch die zahlreichen Managementstudiengänge ohnehin vorhanden, es muss lediglich neu und in kleinere Portionen verpackt werden. Aber lohnen sich die Minikurse auch für die Teilnehmer? Können sie letztlich vielleicht sogar ein weiterführendes Studium ersetzen? Experten erkennen in dem aktuellen Boom der Mikrozertifikate zwei unterschiedliche Trends: Da sind zum einen Weiterbildungskurse für Führungskräfte, die auf einen kurzen Zeitraum sowie einen speziellen inhaltlichen Schwerpunkt angelegt sind.

"Vor allem vonseiten der Unternehmen erreichen uns Anfragen nach Weiterbildungsangeboten, die ganz gezielt bestimmte Bedarfe abbilden. Sie haben eine klare Vorstellung davon, was sie brauchen, und wollen dann auch genau in diese Richtung Fortbildungen haben", sagt Tobias Dauth, Akademischer Direktor des "Part-Time MBA"-Programms der HHL Leipzig Graduate School of Management. Zum anderen beobachtet er eine wachsende Nachfrage nach flexiblen Kurseinheiten, die ECTS-zertifiziert sind, also auf ein Studium mit akademischem Abschluss angerechnet werden können.

71 Prozent der Entscheidungsträger von 85 Business-Schools weltweit sehen Mikrozertifikate als festen Bestandteil der Strategie.
Quelle: MBA Roundtable

Statt langfristig angelegter Programme fragten Interessenten eher kompakte Sessions an, gern in hybriden Formaten, also einer Mischung aus digitalem Unterricht und kurzen Einheiten vor Ort. Anders als die auf Unternehmen zugeschnittenen Angebote stehen diese Mikrokurse allen Interessierten offen, unabhängig vom Berufsabschluss. Hier treffen Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammen, die vor denselben spezifischen Problemen stehen, sei es Digitalisierung, Markenführung oder Innovationsmanagement.

Bianca Schmitz von der ESMT hat noch ein weiteres Phänomen ausgemacht. Sie beobachtet seit einiger Zeit, dass Mitglieder beruflicher Netzwerke wie LinkedIn oder Xing die Zertifikate ihrer Fortbildungen dort posten. "Es ist wichtiger als je zuvor, sein Wissen und seine Fähigkeiten zu zeigen und sich so für den Arbeitsmarkt interessant zu machen", sagt Schmitz. Die ESMT bietet den Teilnehmern auch die Möglichkeit, mehrere Zertifikatskurse zu einem sogenannten Postgraduate Diploma zusammenzufassen. Die Nachfrage danach war eigenen Angaben zufolge so hoch, dass die Berliner Business-School inzwischen mit einem Blockchain-Anbieter zusammenarbeitet, damit die Diplomzertifikate auf sozialen Netzwerken wie LinkedIn geteilt werden können.

Flexible Formate gefragt

Zusätzlich hat die Hochschule einen "Global Online MBA" aufgesetzt, der nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert, mit dem Unterschied, dass die Absolventen zusätzlich zu den Zertifikaten ECTS-Punkte sammeln, die zu einem international anerkannten Studienabschluss führen können.

"Die Studierenden können die Reihenfolge, in der sie die Module absolvieren, selbst bestimmen, und sie haben bis zu 60 Monate Zeit, alle Punkte zu sammeln, bekommen aber auch nach jedem einzelnen Modul bereits ein Zertifikat", erklärt Programmdirektorin Schmitz. Damit biete das Programm maximale Flexibilität.

Ähnliche Angebote gibt es auch an der HHL in Leipzig, wo sich die Absolventen ihre ECTS-Credits aus Weiterbildungsprogrammen zum Beispiel auf einen Part-Time MBA oder einen Master of General Management anrechnen lassen können, sowie an der WHU Otto Beisheim School of Management in Vallendar.

Laut einer Umfrage der weltweiten Business-School-Vereinigung MBA Roundtable halten 71 Prozent der Entscheidungsträger an privaten Wirtschaftshochschulen es für sinnvoll, das Angebot an Mikrozertifikaten auszubauen. "Die Nachfrage nach flexiblen Lernformaten ist enorm gestiegen und wird weiter steigen", sagt Rebecca Winkelmann, Managing Director Executive Education an der WHU. "Das ist ein Ausdruck für eine zunehmende Flexibilisierung des Studiums, indem man gewisse Teile schon mal vorweg erledigen kann."

Auch im Weiterbildungsbereich dürften Mikrozertifikate ein großes Thema bleiben, prognostiziert sie. Allein an der WHU gibt es derzeit 30 verschiedene Kurse mit unterschiedlichen Schwerpunkten. An der ESMT Berlin führt die Frage, wie stabil der Trend ist, mitunter zu internen Debatten. "Wir fragen uns immer wieder, ob ein solcher Zertifikatskurs zwingend zu einem Abschluss führen muss oder ob es ausreicht, im Rahmen eines Postgrad-Diploms zu zeigen, wie viel Know-how vermittelt wurde, weil sich jemand tagelang mit dem Thema auseinandergesetzt hat", sagt Bianca Schmitz.

Aber natürlich sei es auch eine ökonomische Frage für die Business-Schools, auf welche Weise sich am besten zusätzliches Geschäft generieren lasse. Zertifikatskurse und maßgeschneiderte Programme für Unternehmen sind in der Regel wirtschaftlich lukrativer für die Anbieter als die regulären Masterstudiengänge.

Für Tobias Dauth von der HHL Leipzig stellt der Boom der Mikrozertifikate auch eine Herausforderung für die Managementschmieden dar. "Die Anbieter solcher Programme sprießen derzeit wie Pilze aus dem Boden. Da sind die etablierten Business-Schools gefordert zu beweisen, warum es sich trotzdem lohnt, zu ihnen zu kommen." Die akademische Verankerung, die Vielfalt der Dozenten sowie das große Know-how bei hybriden Lernformen sieht er als wesentliche Pluspunkte der Wirtschaftshochschulen.

Kein Ersatz fürs Studium

Dass Mikrozertifikate klassische Programme wie den MBA überflüssig machen, glaubt Dauth nicht. "Der MBA signalisiert weiterhin eine höherwertige, allumfassende Bildung. Das ist in vielen Bereichen auch notwendig." Trotzdem hätten Mikrozertifikate ihre Daseinsberechtigung. "In einer Zeit, in der Kommunikation und Informationsverarbeitung viel kurzfristiger und agiler geworden sind, sind Mikrozertifikate vielleicht die Antwort auf diesen Tiktok- und Twitter-Stil. Ich habe keine Zeit mehr für ein langes Investment, sondern will ein passgenaues Mikrozertifikat." Man dürfe allerdings auch nicht zu viel von solchen Kursen erwarten. "Ein Vier-Wochen-Programm kann kein IT-Studium ersetzen, wenn keine entsprechenden Vorkenntnisse vorhanden sind", sagt Dauth. "Das wäre ein Trugschluss."

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