Wohngemeinschaft: WG mal anders

Autor*innen
Silke Weber
Vier Personen stehen auf einem riesigen Sofa und tanzen. Über dem Sofa schwebt eine Diskokugel.

Der Student Niklas Balazs suchte eine günstige Wohnung in Freiburg. Die Rentnerin Maria Cloidt brauchte Hilfe im Haus und ließ ihn einziehen.

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Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe: Lernen ohne Stress 

Er ist 22. Sie ist 82. Er schleppt ihr die schweren Einkäufe 43 Stufen hoch ins Haus. Sie stellt ihm Zimmer, Küche, Bad. Niklas Balazs und Maria Cloidt sind ein Wohnpaar.

Jung und Alt, die zusammenleben, weil sie zusammenleben wollen. Zwei Menschen, die von der Lebensphase, in der sie stecken, unterschiedlicher nicht sein könnten.

Maria ist Rentnerin. Ihr Haus hat 198 Quadratmeter mit 1.200 Quadratmetern Garten ringsherum. "Was soll ich hier allein? Andere suchen Wohnraum, und ich habe Platz", sagt sie.

Seit den 1970er-Jahren wohnt sie in dem Haus, hat vieles selbst gebaut, die Ziegelwände gemauert und weiß gestrichen oder die Bretter für die Holzbalkendecke eingezogen. "Ich bin eher Handwerker als Hausfrau", sagt sie. Ab und zu besucht sie der Neffe, und oft kommen Freunde vorbei. Aber eine Familie hat sie nie gegründet. Und nachdem ihre Freundin, die hier viele Jahre mit gewohnt hatte, vor drei Jahren verstarb, bedrückte Maria die Einsamkeit. Ein Jahr später zog Niklas bei ihr ein.

In der Anzeige vom Studentenwerk stand: "Wohnort: Waldkirch-Suggental, idyllische, ruhige, naturnahe Hanglage direkt angrenzend an eine Wiese. Zu erreichen mit der Bahn bis Buchholz, dann circa 15 Minuten Fußweg oder mit dem Bus direkt bis Suggental." Das gefiel Niklas.

"Ich habe noch ein Dinkelbrot eingefroren", sagt Maria. Sie kocht gerade Kaffee in ihrer Küche. Hier vom ersten Stock kann sie über den gesamten Garten bis hoch zum Kirschbaum gucken. "Und ich hab’ noch die hier." Maria reicht Niklas eine Packung Schokoküsse. "Ah, danke." Niklas geht ein paar Schritte auf Maria zu und stößt sich dabei fast den Kopf an der tief hängenden Küchenlampe. Eine Katze flitzt an ihm vorbei.

Niklas studiert im dritten Semester Informatik in Freiburg. Kommilitonen von ihm zahlen 600 Euro Miete für ein Zimmer in der Innenstadt. Er wohnt zwar gute 15 Kilometer weiter entfernt vom Campus, zahlt bei Maria aber nur 250 Euro im Monat. Das Erdgeschoss hat er für sich, sogar eine eigene Küche und ein eigenes Bad. Von seinem Bett blickt er auf die Wiese, und in der Ferne erkennt man sogar noch den Kaiserstuhl.

Hinter dieser ungewöhnlichen WG steht das Konzept "Wohnen für Hilfe", bei dem alte Menschen günstigen Wohnraum zur Verfügung stellen, und im Gegenzug bekommen sie zum Beispiel Unterstützung im Haushalt oder bei Technikfragen. Inzwischen gibt es in Deutschland um die 40 Standorte, die Wohnpaare vermitteln.

"Das Digitale trennt uns schon" 

Maria wünschte sich jemanden, der ihr im Garten helfen kann und bei den Einkäufen. Niklas waren vor allem zwei Dinge wichtig: Internetzugang und Platz für sein Fahrrad. Das Rad kann er in der Garage parken. Neben Marias Auto. Das darf er auch benutzen, wenn er möchte. Aber er fährt lieber mit dem Fahrrad entlang der Schnellstraße zur Uni, obwohl das 40 Minuten dauert. Im Hanggarten verschneidet Niklas jetzt die Büsche, den Feuerdorn, die Haselnuss oder die Forsythien, und rasiert das Grün mit dem Rasenmäher. "Das Ding ist ganz schön schwer. Aber ich sehe das als Fitnessprogramm", sagt er.

"Ich muss sagen, dass ich Glück gehabt habe", sagt Maria. "Er ist sehr hilfsbereit und achtsam." Sie kenne auch ganz andere Studenten. 25 Jahre hat sie selbst als Dozentin an einer Hochschule gearbeitet. Nach der Ausbildung zur "staatlich anerkannten Wohlfahrtspflegerin" wurde sie Werklehrerin an Sonderschulen für Kinder mit Lernbehinderung und geistiger Behinderung. Von dort wechselte sie als Dozentin an die Katholische Fachhochschule Freiburg und bildete Sozialpädagogen aus. Maria ist überzeugt, dass man durch gemeinsames Tun ins Gespräch findet, dass es dadurch oft leichter fällt, eine Beziehung aufzubauen – das hat sie aus ihren Berufsjahren mitgenommen.

Niklas hat Freude daran, Menschen zu helfen, so hat er es zumindest in seine Bewerbung für den Platz bei Maria geschrieben. Im Bewerbungsbogen hat er überall "ja" angekreuzt, bei der Hilfe im Haushalt, beim Kochen, bei technischer Hilfe, nur bei Reparaturen steht "eventuell". Nach dem Abitur hat Niklas ein freiwilliges soziales Jahr im Altenheim absolviert und in einer inklusiven WG mit Menschen mit Behinderung gelebt. Vielleicht ist ihm Gemeinsamkeit einfach wichtiger als das Eigene. Bevor Niklas bei Maria einzog, wohnte er in einem Vorort von Frankfurt und besuchte ein berufliches Gymnasium mit den Schwerpunkten Informatik, Elektrotechnik und Mechatronik. Sein Heimatort sei dem kleinen Schwarzwaldort hier mit seinen 20.000 Einwohnern gar nicht so unähnlich, sagt er. Seit zwei Jahren wohnt Niklas inzwischen bei Maria. Ausziehen will er so bald nicht. "Wäre ja blöd, wenn ich einfach wieder wegziehen würde. Ich denke mal, das wird eher mehr mit der Hilfe." Niklas ist auch eine Sicherheit für Maria.

Wenn ich mit dem Frühstück auf ihn warten würde, würde ich verhungern.
Maria

Das klingt fast wie eine Utopie. Oft ist vom Generationenkonflikt die Rede. Alte Umweltsünder versus junge Umweltkämpfer, wohlhabende Senioren versus machtlose Nachwachsende. Alt gegen Jung. Und Jung gegen Alt. "Generationenkonflikt? Doch", sagt Maria, "Niklas beleidigt immer meinen Computer, weil der so langsam geht. Der ist über 30 Jahre alt." Sie lacht. "Das Digitale trennt uns schon", sagt Niklas. Als er eingezogen ist, hat er erst mal eine zusätzliche Antenne aufgestellt und ein Kabel in sein Zimmer gezogen, um schnelleres Internet zu haben. Und er hat den kleinen Schreibtisch aus dem schon möblierten Zimmer geschoben und einen größeren gekauft. Darauf steht jetzt sein superweiter 32 : 9-Monitor. Manchmal sitzt er mit seiner Virtual-Reality-Brille davor und taucht in andere Welten ein.

Wobei Niklas Maria auch eine Brücke ins Internet baut. Er hat ihr das Online-Banking eingerichtet. Jetzt muss Maria nicht mehr ins Auto steigen und in den nächsten Ort fahren, um dort bei der Bank am Schalter den Kontostand abzufragen. Er hat ihr auch eine App zum Erkennen von Blumen oder Schmetterlingen aufs Handy geladen. Die benutzt sie gern im Garten. Oder er hat ihr die Diktierfunktion auf dem Handy erklärt, die Sprache in Text umwandelt. "Mit den Fingern ist es für sie manchmal schwierig, zu schreiben", sagt er. "Nur die Kommas muss ich mit ansagen", sagt sie.

Die Lebensphasen und Interessen der beiden sind ziemlich verschieden. Niklas geht gern wandern, Maria ist froh, dass sie seit der letzten Operation an der Schulter noch die Puste für einen 30-minütigen Spaziergang hat. Niklas geht gerne in Clubs, Maria mag klassische Musik. Sie haben auch getrennte Kühlschränke, er unten, sie oben. Aneinandergeraten sind sie bisher noch nicht. Sie streiten auch nicht über gemeinsame Essenszeiten. Niklas ist Spätaufsteher, manchmal isst er erst um 15 Uhr. "Wenn ich mit dem Frühstück auf ihn warten würde, würde ich verhungern", sagt Maria. Sie ist nicht belehrend, und sie verlangt von Niklas nicht, seine Lebensweise anzupassen. Man könnte auch sagen, keiner stört sich am Eigensinn des anderen.

Drei bis vier Stunden Hilfe pro Woche haben Maria und Niklas miteinander vereinbart. Aber so genau zählt da keiner nach. Manchmal arbeiten sie auch zusammen im Garten. Und obwohl Maria das eigentlich nicht mehr sollte, schleppt sie dann doch die fünf Liter schwere Gießkanne. Danach sitzen sie noch in Marias Küche und quatschen. Einsamkeit wird gegen Erfahrung getauscht, das Miteinander zählt.

Wenn Niklas samstagabends zum Bouldern in die Kletterhalle fährt, ist er dann doch dankbar für Marias Auto, weil er nicht noch nachts, dazu im Herbst oder Winter, mit dem Rad zurückmuss. Und jeden Donnerstag, wenn Niklas am Nachmittag Marias Einkäufe und ab und zu das Katzenfutter hoch ins Haus trägt, bringt sie ihm noch ein Dinkelbrot aus dem Hofladen mit. Dafür hat Niklas immer ein Eis für Maria dabei, wenn er aus dem Supermarkt kommt.

Tipps für Wohnungssuchende

Ein WG Zimmer kostet im Schnitt rund 400 Euro. Je nach Studienort gibt es aber eine große Spanne bei den Mieten. Chemnitz ist mit 235 Euro besonders günstig. Darmstadt liegt mit 400 Euro im Mittelfeld. In München zahlt man mit durchschnittlich 650 Euro für ein WG Zimmer am meisten. Wer eine Wohnung sucht, sollte sich überlegen, wie wichtig die Nähe zur Uni oder zur Innenstadt ist. Weiter draußen sind die Monatsmieten oft 30 bis 50 Euro günstiger und die Wohnungen größer. Ein Blick auf den Mietspiegel hilft einzuschätzen, was für den Ort üblich ist. Mit einer durchschnittlichen Warmmiete von 267 Euro ist ein Zimmer im Studierendenwohnheim die günstigste Variante. Allerdings bekommt im Bundesdurchschnitt nur etwa jeder zehnte Studierende überhaupt einen Platz. Generationenübergreifende Wohnprojekte wie "Wohnen für Hilfe" findet man über die Studentenwerke an den Unis.

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