WG-Suche: "Sie schrieben, dass ich kein Problem mit Nacktheit haben dürfe"

Autor*innen
Viola Diem
Auf einer Hand stehen mehrere Häuser

Luisa, 25, suchte in Hamburg ein Zimmer zur Zwischenmiete. Auf ihr Inserat melden sich fast nur Männer – manche mit seltsamen, andere mit belästigenden Angeboten.

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Möbliert, zentral und nicht zu teuer sollte es sein. Luisa, die eigentlich anders heißt, begann im Frühjahr mit ihrer Zimmersuche in Hamburg – dort würde sie von Juli an sechs Monate ihrer Ausbildung verbringen. Sie veröffentlichte eine Suchanzeige auf wg-gesucht.de – ein Portal, über das sie von Freundinnen und Freunden bis dahin überwiegend Positives gehört hatte. Sie selbst gewann bald einen ganz anderen Eindruck. Protokoll einer – vermutlich gar nicht so ungewöhnlichen – Zimmersuche.

"Die Nudisten-WG war noch nicht mal das Krasseste. Von den etwa 20 Angeboten, die ich auf meine Suchanzeige hin bekommen habe, waren 15 seltsam, anzüglich oder haben mich auf andere Art misstrauisch gemacht. Es ist schon erschreckend, was da online abgeht.

Im Frühling habe mich beim Portal wg-gesucht.de angemeldet. Ich durchlaufe gerade ein Trainee-Programm und muss dafür alle sechs Monate in eine andere Stadt ziehen, ab diesem Sommer brauchte ich ein Zimmer in Hamburg. In der Vergangenheit habe ich meine WGs immer über private Kontakte gefunden. Auch diesmal fragte ich zuerst im Bekanntenkreis herum – erfolglos. Also probierte ich es auf diesem Weg. Ich selbst hatte mit der Plattform noch nicht zu tun, aber viele Freunde haben dort schon Zimmer und Wohnungen gefunden. Ich war überrascht, wie viele freie Zimmer dort angeboten wurden. Selbst für 450, 500 Euro – wenn man, wie ich, Münchner Verhältnisse gewohnt ist, ist das noch okay.

Ich konzentrierte mich zunächst auf Anzeigen für möblierte Zimmer zur Zwischenmiete, zentral gelegen, damit ich es nicht so weit zur Arbeit habe. Etwa einen Monat lang meldete ich mich auf passende Anzeigen und schrieb WGs an. Auf die guten Angebote bewerben sich viele Leute, vielleicht kam ich da nicht in die engere Wahl. Oder die Zimmer waren schon länger inseriert und bereits vergeben. Jedenfalls klappte nichts.

"Ich gab meine Handynummer an. Im Nachhinein würde ich das nicht wieder tun"

Also erstellte ich selbst ein Gesuch. Ich erzählte ein bisschen von mir und meinen Interessen und wie ich mir die WG und das Zusammenleben wünsche. Außerdem lud ich ein Foto hoch und gab auch meine Handynummer an. Im Nachhinein würde ich das nicht wieder tun – aber in vielen anderen Gesuchen stand eben eine Nummer. Daran hatte ich mich orientiert.

Nach zwei Tagen bekam ich das erste Angebot – von einem Mann. Er schickte mir einen Link zu seiner Anzeige: Er bot darin einen Teil seines Hauses an einem See an, etwa 100 Kilometer von Hamburg entfernt. Also das Gegenteil von dem, was ich suchte. Er schrieb, dass er explizit eine Frau suche, weil er schlechte Erfahrungen mit männlichen Mitbewohnern gemacht habe. Mag ja sein. Aber muss er eine 25-Jährige anschreiben, die etwas ganz anderes will? Der Mann war um die 50. Ich sagte freundlich ab. In dem Fall habe ich noch keine Hintergedanken vermutet, sondern eher ein Versehen.

Als Nächstes bekam ich einen seltsamen Anruf. Ein Mann redete in gebrochenem Deutsch los und fragte mich, ob ich Christin sei. Ich unterbrach ihn: "Was wollen Sie?" Da sagte er, er habe eine Wohnung, aber vermiete die nur an streng gläubige Christen. Meine Familie ist katholisch, antwortete ich. Das reichte ihm nicht. Er begann Bibelverse zu zitieren und mich abzufragen, in welchem Kapitel die stünden. Wusste ich nicht – so tief stecke ich in der Materie nicht drin. Dann wollte er wissen, warum ich überhaupt nach Hamburg will. Er prophezeite, dass wir bald in Hamburg nicht mehr sicher wären, dass der Krieg von der Ukraine bis zu uns kommen werde und wir dann alle in die Berge fliehen müssten. Ich wollte gerade auflegen, da sagte er, ich könne die Wohnung nun doch mieten. Den Schlüssel müsste ich allerdings bei seiner Mutter abholen, die aber bettlägerig sei. Ich müsste über einen Zaun klettern, um bei ihr einzusteigen. Sobald ich in Hamburg ankäme, sollte ich mich melden. Ich habe direkt seine Nummer blockiert.

"Er möge es einfach gern, finanziell ausgenommen zu werden"

Der nächste Kandidat textete mir auf WhatsApp, dass er ein Zimmer für mich hätte und dass er dafür keine Miete wolle. Eine Gegenleistung erwarte er auch nicht, er möge es einfach gern, finanziell ausgenommen zu werden. In einer Sprachnachricht hat er das auch noch genauer erklärt – es handle sich um einen sexuellen Fetisch. Ich hatte vor ein paar Jahren einmal gehört, dass es das gibt, und mit einer ehemaligen Kollegin gescherzt, wie praktisch es wäre, wenn der eigene Vermieter diese Vorliebe hätte. Als es so konkret wurde, war es mir allerdings doch nicht so recht, diese Fantasie zu befriedigen. Dabei hatte der Mann sogar noch Geschenke versprochen. Ich habe ihm geschrieben, dass das nichts für mich ist. Als er am nächsten Tag fragte, ob ich's mir nicht noch mal überlegen will, habe ich meine Nummer aus der Suchanzeige gelöscht.

Ich bekam auch mehrere Jobangebote. Mir wurde vorgeschlagen, ich könne als Hostess bei Veranstaltungen arbeiten oder im Bereich "Fashion" und dafür ein vergünstigtes Zimmer bekommen. Vielleicht wären das sogar gute Jobs gewesen. Nur wozu? In meinem Profil stand ja deutlich, dass ich wegen des Traineejobs nach Hamburg ziehe.

Dann meldete sich ein Mann, der mir eine komplette Einzimmerwohnung anbot – gegen meine getragene Unterwäsche. "Hat mit der Vormieterin gut geklappt", schrieb er dazu. Angeblich wollte er die Wäsche nicht behalten, sondern weiterverkaufen. Ich habe gegoogelt und gesehen, dass man leicht 1.000 bis 1.500 Euro pro Slip verdienen kann. Mir war das zu heikel. Was wäre so einem Typen noch zuzutrauen?

Mehrfach haben mich Veganer-WGs angeschrieben. Prinzipiell sind sie bei mir nicht falsch. Ich lebe vegan, zumindest größtenteils. Wenn ich auf Reisen bin und etwas unbedingt probieren möchte, dann tue ich das. Und wenn meine Freunde ihren Kaffee lieber mit Kuhmilch trinken, habe ich auch nichts dagegen. Für die Veganer-WGs war das ein Ausschlusskriterium. Sie waren superstrikt: keine tierischen Lebensmittel, keine Lederschuhe, keine Lederrucksäcke, absolut keine Ausnahmen, sonst brauche man sich gar nicht melden. Damit war ich raus.

"Schöne Grüße von der Nudisten-WG"

Dann stellten sich zwei Männer vor, einer in meinem Alter, einer über 50. Sie schickten eine lange Nachricht, in der unter anderem stand, dass ich kein Problem mit Nacktheit in der Wohnung haben dürfe. Auch Aktivitäten gehören zum WG-Alltag, zum Beispiel gemeinsam Ausflüge in die Sauna. Unterschrieben war die Nachricht mit: "Schöne Grüße von der Nudisten-WG." Die hatten wahrscheinlich aus meinem Profil interpretiert, dass ich eine offene Person bin, weil ich schrieb, dass ich gern tanzen gehe und reise, also offen für andere Kulturen bin. So war das natürlich nicht gemeint.

Ein Mann schrieb mich an und fragte, ob ich ihm ein Foto meiner Beine und Füße in Schuhen schicken könnte. Mehr nicht. Es ist eine der wenigen Nachrichten, auf die ich überhaupt nicht reagiert habe. Den meisten habe ich zumindest geantwortet: "Nein, danke."

Ich frage mich, ob man solche Anfragen verhindern würde, wenn man kein Foto im Profil hätte. Davon haben mir nur viele abgeraten, weil die seriösen Leute eben doch einen Eindruck bekommen wollen, mit wem sie es zu tun haben. Mein Profilbild zeigt mich auf dem Fahrrad vor einer Sehenswürdigkeit. Harmloser geht es eigentlich nicht.

"Ein anderer schrieb, man könne sich ja umeinander kümmern, Zwinkersmiley"

Zwischendurch kamen immer mal wieder Angebote von älteren Herren, die meisten zwischen 60 und 70 Jahren, einer war sogar 83. Einer machte mir Komplimente für mein Foto, ein anderer schrieb, man könne sich ja umeinander kümmern, Zwinkersmiley. Das klang nicht nach Altenpflege. Viele dieser Herren hatten selbst eine Anzeige online und besonders seltsam fand ich, wenn ausdrücklich angegeben wurde, dass die Frauen zwischen 20 und 30 Jahre alt sein sollten. In der Anzeige eines Herren stand, dass sich ältere Frauen gar nicht melden sollten, kein Interesse, alt sei er selbst.

Ich habe trotzdem nie erwogen, mein Inserat zu löschen, irgendwas würde schon klappen. Und so war es dann auch. Drei gute Angebote kamen zum Glück noch und eines passte: Ich wohne jetzt in der Wohnung mit einer älteren Dame. Sie ist wahnsinnig nett, mein Zimmer schön, groß und mit 600 Euro für mich bezahlbar. Aber selbst bei ihrem Angebot war ich anfangs misstrauisch. Ich dachte, ist das vielleicht eine Betrugsmasche? Gibt es dieses Zimmer gar nicht? Wir haben dann telefoniert und ich war beruhigt. Bald gehe ich für meine nächste Traineestation nach Berlin. Ein Zimmer habe ich noch nicht. Mal sehen, was mir diesmal blüht."

Auf Anfrage von ZEIT ONLINE zu dem geschilderten Fall erklärt eine Sprecherin des Portals wg-gesucht.de: "Wir bedauern die geschilderten Erfahrungen der Nutzerin sehr." Sie rate, Nachrichten und Anzeigen mit Beleidigungen, Aufrufen zu sexuellen Handlungen oder auch Zweideutigkeiten umgehend zu melden. Nach einer Prüfung könne – je nach Schwere des Verstoßes beziehungsweise vorherigen Auffälligkeiten – der Account pausiert oder dauerhaft gesperrt und Anzeigen gelöscht werden. Sie rate zudem, ausschließlich das interne Nachrichtensystem für die Kommunikation zu nutzen. Komme es dort zu einer Belästigung, könnten Nachrichten leichter dokumentiert und eventuell sogar Bestandsdaten wie die verwendete IP-Adresse für polizeiliche Ermittlungen zur Verfügung gestellt werden.

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