Die Grenze des Privatlebens: Wann darf der Arbeit­geber rein­reden?

Autor*innen
Tanja Podolski
Man sieht einen Mann von hinten. Er hat die Arme auf die Hüften gestützt. Vor bzw. über ihm schwebt ein Mund, der ihn anzuschreien scheint.

Kann der Arbeitgeber die Liebesbeziehung mit dem Kollegen verbieten? Oder die Teilnahme an einer Klima-Demonstration? Auf der Suche nach Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben mit Matthias Jacobs und Jörn Axel Kämmerer.

Das, was Menschen in ihrer Freizeit tun, geht die Arbeitgebenden nichts an – so lautet der Grundsatz. Und doch werden regelmäßig Fälle arbeitsrechtlich diskutiert, bei denen man zunächst meinen könnte, die Inhalte seien reine Privatsache.

Nicht immer werden derartige Fälle gerichtlich entschieden, mal einigen sich die Parteien in der Güteverhandlung, mal in internen Gesprächen mit dem Betriebsrat bzw. der Personalvertretung. Doch wo verläuft die Grenze zwischen Beruflichem und Privaten?

Fall 1: Das Liebesleben

Der Springer-Konzern hat nach den Vorwürfen des Machtmissbrauchs durch den ehemaligen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt die eigenen Compliance-Regeln geändert. Dort heißt es nun: "Enge persönliche Beziehungen zu Kollegen, Führungskräften oder Mitarbeitern können dazu führen, dass unser beruflicher Umgang mit diesen Personen bzw. deren Arbeit von privaten Interessen beeinflusst wird." Mitarbeiter mit fachlicher und/oder disziplinarischer Personalverantwortung müssen nun diese Interessenkonflikte in ihrem Zuständigkeitsbereich offenlegen, um sie von vornherein aufzulösen.

"Grundsätzlich kann ein Arbeitgeber zum Liebesleben zwar keine Vorgaben machen", sagt Professor Dr. Matthias Jacobs, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Zivilprozessrecht an der Bucerius Law School in Hamburg, denn: "Das Privatleben ist durch das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit grundgesetzlich geschützt. Diese Regelung allerdings ist wirksam."

Die Beschäftigten treffen im bestehenden Arbeitsverhältnis nämlich Rücksichtnahmepflichten, das folgt aus § 241 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). "Dazu gehört vor allem eine Pflicht zur Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber“, sagt Jacobs. Eine solche Rücksichtnahmepflicht bestehe umso eher, je stärker das private Verhalten auf das Arbeitsverhältnis und das Unternehmen ausstrahlen und den betrieblichen Frieden oder den Ruf des Unternehmens beeinträchtigen könne. "Das betrifft auch eine Liebesbeziehung zwischen einer Vorgesetzten und einem Untergebenen, falls dadurch der betriebliche Frieden gestört werden könnte", erklärt der Arbeitsrechtler.

"Dies ist also durchaus ein Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht", ergänzt Professor Dr. Jörn Axel Kämmerer, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Bucerius Law School – aber dafür gebe es rechtfertigende Gründe.

Fall 2: Demonstrationen sind grundsätzlich hinzunehmen

Jede:r Arbeitnehmer:in darf sich versammeln und an Demonstrationen teilnehmen – außerhalb der Arbeitszeit. "Die Versammlungsfreiheit ist ein Grundrecht von hohem Rang. Doch wer während der Arbeitszeit unentschuldigt demonstriert, kann sich natürlich nicht unter Berufung auf Art. 8 Grundgesetz (GG) gegen eine Abmahnung oder eine Kündigung wehren", sagt Verfassungsrechtler Jörn Axel Kämmerer. Die Teilnahme bei einer Fridays for Future-Demonstration während der regulären Arbeitszeiten wäre also arbeitsrechtlich nur möglich, wenn die Beschäftigten sich frei nehmen.

Findet die Demonstration außerhalb der Arbeitszeit statt, geht die Teilnahme und die dortige Selbstpräsentation den bzw. die eigenen Arbeitgeber:in in aller Regel nichts mehr an – selbst dann, wenn dort extremistische Inhalte propagiert würden. "Derartiges ist dann grundsätzlich Privatsache und je nach Konstellation von dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG oder Art. 8 Abs. 1 GG geschützt", so Kämmerer. "Trotzdem kann es Konstellationen geben, in denen durch die Teilnahme die Interessen der Arbeitgeber beeinträchtigt werden und die Meinungs- bzw. Versammlungsfreiheit mit deren Grundrechten kollidiert. Ist das der Fall, können Beschäftigte aufgefordert werden, diese politische Betätigung zu unterlassen", erklärt der Verfassungsrechtler.

"Auch die öffentliche Hand hat, obwohl sie nicht Grundrechtsträgerin ist, ein legitimes Interesse daran, dass sich ihre nicht-beamteten angestellten Beschäftigten in der Öffentlichkeit nicht als Staats- oder Verfassungsgegner präsentieren und ein Mindestmaß an Staats- und Verfassungstreue wahren."

So wollte die Nürnberger Verkehrs-AG (VAG) einem Busfahrer kündigen, weil dieser bei einer rechtsextremen Demonstration seinen Dienstausweis gut sichtbar am Gürtel getragen hatte. Die Kündigung war allerdings unwirksam, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg (Urt. v. 11.08.2017, Az. 6 Sa 76/17). Zwar habe der Kläger mit dem sichtbaren Tragen des Dienstausweises gegen seine Loyalitätspflichten gegenüber der VAG verstoßen hat. Allerdings hätte der Kündigung als milderes Mittel eine Abmahnung vorausgehen müssen.

Fall 3: Extreme Meinungen

Arbeitgebende müssen selbst extreme Meinungen ihrer Beschäftigten weitgehend akzeptieren. Die Unternehmen dürfen erst eingreifen, wenn ihre eigenen Interessen tangiert sind. "Allerdings setzen die Arbeitsgerichte die Latte für eine Beeinträchtigung der Arbeitgeber ziemlich hoch", sagt Arbeitsrechtler Matthias Jacobs.

Für das LAG Niedersachsen waren selbst das Tragen einer Reichskriegsflagge und eine Verbindung zu Holocaust-Leugnern nicht ausreichend für eine wirksame Kündigung (Urt. v. 21.03.2019, Az. 13 Sa 371/18).

Auch die Stadt Frankfurt unterlag in einem Kündigungsschutzprozess gegen einen Mitarbeiter, der Mitglied der NPD war. Dies sei mit ihrem politischen Selbstverständnis einer weltoffenen und toleranten Stadtpolitik nicht in Einklang zu bringen, hatte die Stadt argumentiert – und kam damit vor Gericht nicht durch (Urt. v. 04.12.2014, Az. 1 Ca 4657/14 und 1 Ca 4246/14).

"Auch wenn rassistisches Verhalten zutiefst zu missbilligen ist, sind derartige Äußerungen für sich gesehen noch kein Kündigungsgrund, wenn kein Bezug zum Arbeitgeber besteht oder erkennbar ist", sagt Verfassungsrechtler Kämmerer. So bewertete das BAG die Kündigung eines Innendienstmitarbeiters des Landeskriminalamtes (LKA) Thüringen als unwirksam (BAG, Urt. v. 27.06.2019, 2 AZR 28/19). Der hatte auf Facebook unter seinem Namen muslimische Zuwanderer rassistisch beleidigt. Die Aussagen waren öffentlich einsehbar, enthielten aber keinen Hinweis auf die Tätigkeit des Mannes beim LKA.

Etwas anderes gelte bei der Leugnung des Holocaust, da sei man schnell bei strafrechtlich relevantem Verhalten und damit häufig auch im Bereich, in dem eine wirksame Kündigung möglich sei, erklärt Arbeitsrechtler Jacobs. 

Enger sind die Grenzen im öffentlichen Dienst: Doch selbst dort, wo erweiterte Treuepflichten bestehen, reichten dem Bundesarbeitsgericht (BAG) eine NPD-Mitgliedschaft und eine Mahnwache für eine wirksame Kündigung nicht aus (Urt. v. 12.05.2011, Az. 2 AZR 479/09).

Das Erfurter Gericht hielt eine Kündigung allerdings für wirksam, als ein Beschäftigter im öffentlichen Dienst den Staat und seine Organe zusätzlich noch verächtlich machte. In dem Fall hatte das NPD-Mitglied in einem Newsletter einen Aufruf zum gewaltsamen Umsturz weiterverbreitet (BAG, Urt. v. 06.09.2012, Az. 2 AZR 372/11). Auch die Kündigung einer Polizeiärztin wegen öffentlicher Kritik an der Corona-Politik hielt das LAG Baden-Württemberg für wirksam (Urt. v. 02.02.2022, Az. 10 Sa 66/21). Die Frau habe mit einer Anzeige in einer Zeitung das Infektionsschutzgesetz mit dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten gleichgesetzt. Hierdurch habe sie gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des beklagten Landes verstoßen.

Fall 4: Pflichtverletzungen bei WhatsApp

Wie vertraulich ist die Kommunikation über Messangerdienste wie WhatsApp? Jüngst kündigte ein Unternehmen einem Techniker, der sich in seinem WhatsApp-Status im Lockdown in Form eines gemeinsamen Fotos mit anderen über Corona-Kontaktbeschränkungen lustig gemacht hatte (Az 2 Ca 143/20). Die Parteien haben sich verglichen – doch wie ist es zu beurteilen, dass der WhatsApp-Status eines Beschäftigten solche Folgen haben kann?

"Aus meiner Sicht besteht durchaus ein Bezug zum Betrieb, wenn die Arbeitgeberseite aus dem privaten Verhalten von Beschäftigten begründete Schlüsse auf deren betriebliches Verhalten ziehen kann", sagt Verfassungsrechtler Jörn Axel Kämmerer. Hier sei es um die Verletzung von Vorgaben zum Gesundheitsschutz gegangen – den aber müsse ein Arbeitgeber auch für die sonstigen Mitarbeitenden sicherstellen. "Dass aber ein einzelnes Foto eine Kündigung rechtfertigt, halte ich für zweifelhaft", sagt Kämmerer.

"Ich setze schon einen Schritt früher an, denn ich erkenne in diesem Fall schon keine Pflichtverletzung durch den Arbeitnehmer, da ich – allerdings ohne den Fall konkret zu kennen – nicht sehe, dass sich das außerdienstliche Verhalten auf den Betrieb des Arbeitgebers ausgewirkt hat", so Jacobs.

Generell gelte aber: "Auch Äußerungen in einem Messangerdienst über das private Handy können arbeitsrechtlich relevant sein", so Matthias Jacobs.

Allerdings kommt es wie so oft auf die konkreten Umstände an: Das LAG Berlin-Brandenburg hat die Kündigung des technischen Leiters eines gemeinnützigen Vereins für Flüchtlingshilfe wegen privater Äußerungen auf WhatsApp für unwirksam erklärt (Urt. v. 19.07.2021, Az. 21 Sa 1291/20). Dort sei die Weitergabe der Äußerung nicht vorgesehen gewesen, entschied das Gericht, die Äußerung im Chat sei in dem Fall unter das allgemeine Persönlichkeitsrecht gefallen – es ging den Arbeitgeber nichts an.

Auch das ArbG Mainz entschied zugunsten von Männern, die sich in einer privaten Chatgruppe fremdenfeindlich äußerten; die fristlosen Kündigungen waren unwirksam (Urt. v. 15.11.2017, Az. 4 Ca 1240/17).

"In derartigen Fällen ist die entscheidende Frage, wer Adressat der Mitteilung war", erklärt Jacobs. "Wenn eine Wahrnehmung durch Dritte von vorneherein nicht beabsichtigt war, sind Äußerungen in aller Regel als rein privat zu klassifizieren und dann arbeitsrechtlich wie in den genannten Fällen irrelevant."

Fall 5: Abwertendes Reden

Schwere Störungen des Betriebsfriedens, die zu einer wirksamen Kündigung führen können, sind zweifellos abwertende Kommentare über den bzw. die Arbeitgeber:in, das Unternehmen oder auch über Arbeitskolleg:innen – hier haben die Arbeitgebenden das Recht und die Pflicht, zu intervenieren.

So war die Kündigung einer Sekretärin wirksam, die behauptet hatte, bei Kollegen sei es u. a. zu Alkoholexzessen und sexuellen Handlungen während des Dienstes gekommen (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 04.02.2014, Az. 19 Sa 322/13).

Auch bei Beleidigungen ist die Grenze des Privaten überschritten: Für die in einer öffentlichen Sitzung getätigte Aussage, der Chef "lüge wie gedruckt, wie er mit Menschen umgehe, da komme er – der Mitarbeiter – sich vor wie im Dritten Reich", musste der Mitarbeiter die fristlose Kündigung hinnehmen (Hessisches LAG, Urt. v. 14.9.2010, Az. 3 Sa 243/10.

Andererseits hatte ein Chemikant beim Rauchen über den Chef hergezogen, ihn "Psychopath" und "Arschloch" genannt. Er habe aber darauf vertrauen dürfen, dass die Äußerungen nicht zum Vorgesetzen gelangen und damit nicht den Betriebsfrieden stören, entschied das LAG Rheinland-Pfalz (Urt. v. 24.07.2014, Az. 5 Sa 55/14). Die Kündigung war unwirksam.

Fall 6: Äußerungen in den sozialen Medien

Hart an der Grenze von Privatem zu arbeitsrechtlich Relevantem können auch Äußerungen in den sozialen Medien sein -wenn sie den öffentlichen Rundfunkt betreffen. Der WDR hatte kürzlich einen Vorstoß gemacht, auch bei Nutzung ihrer privaten Accounts die Beschäftigten zur Neutralität anzuhalten, war dann aber doch zurückgerudert.

"Der Fall des WDR wird bestimmt durch die Rundfunkfreiheit mitsamt der ganzen Sonderdogmatik, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in sieben Jahrzehnten errichtet hat", erklärt Kämmerer. Wer beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeite, müsse sich dem verschreiben, die Beschäftigten treffe dann eine besondere Sensibilitäts- und eine gesteigerte Loyalitätspflicht, die der Treuepflicht der Beschäftigten im öffentlichen Dienst nahekommt.

"Jedenfalls bei redaktionellem Personal ist keine öffentliche Meinungsäußerung dann reine Privatsache", meint Kämmerer, und weiter: "Die Meinungsfreiheit bleibt natürlich bestehen, sie wird aber immer begleitet von einem Mäßigungsgebot in Form und Inhalt. Im Konfliktfall – der aber klar skizziert werden muss – kann sich die Rundfunkfreiheit durchsetzen", sagt der Verfassungsrechtler.

Das sei bei herkömmlichen Arbeitsverhältnissen anders, dort erwachse aus der privaten Meinungsäußerung in der Regel schon kein arbeitsrechtlich relevanter Konflikt. Was ein Arbeitgeber von den Arbeitnehmern in sozialen Medien liest und ihm missfällt, tangiere die betrieblichen Interessen in aller Regel nicht; hier setze sich regelmäßig – wenn auch nicht grenzenlos – die Meinungsfreiheit durch.

"Dennoch ist der WDR meiner Ansicht nach zu Recht zurückgerudert", meint Arbeitsrechtler Jacobs, eine bloße Empfehlung zum Umgang mit den sozialen Medien sei für die Zusammenarbeit die eindeutig bessere Ausgestaltung.

Professor Dr. Jörn Axel Kämmerer ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Bucerius Law School.

Professor Dr. Matthias Jacobs ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Zivilprozessrecht an der Bucerius Law School.

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