Wie gelingt der Einstieg ins Consulting?: Jung, ehrgeizig, belastbar – Berater

Autor*innen
Tillmann Neuscheler
Ein Mann balanciert auf Kreisen, als würde er auf Steinen einen Fluss überqueren.

Die Unternehmensberatung ist für viele Berufseinsteiger nach wie vor ein Sehnsuchtsziel. Was Bewerber außer guten Noten brauchen und wie man es durch das Bewerbungsverfahren schafft.

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Wenn Schüler oder Studenten das erste Mal vom Beruf des Unternehmensberaters hören, dann oft, weil beiläufig über deren Tagessätze geraunt wird: 1.500, 2.000, sogar mehr als 3.000 Euro. Für einen Tag. Wer staunt da nicht? Die Tagessätze, die große Beratungsunternehmen von Kunden verlangen, sind oft beeindruckend. Dass viele den naiven Fehler begehen, diese mit dem ausbezahlten Gehalt gleichzusetzen: geschenkt. Anfänger erhalten nur einen Bruchteil des Tageshonorars, das Kunden der Beratung zahlen. Es bleibt aber fraglos genug übrig für junge Berater, von denen im Gegenzug für üppige Gehälter auch viele Überstunden erwartet werden.

Der Beruf des Beraters steht seit Jahrzehnten weit oben auf der Rangliste ehrgeiziger Studenten – vor allem bei Wirtschaftswissenschaftlern. Und die Chancen für Bewerber haben sich verbessert. Viele Berater suchen dringend qualifizierten Nachwuchs. Die Branche ist rasant gewachsen: Allein in Deutschland erwirtschaften alle Unternehmensberater zusammen laut Branchenverband BDU einen Umsatz von fast 44 Milliarden Euro im Jahr – doppelt so viel wie vor zehn Jahren. Zehntausende Absolventen bewerben sich Jahr für Jahr vor allem bei den großen Namen wie McKinsey, Boston Consulting Group, Bain, Accenture und Roland Berger. Deren Prestige scheint ungebrochen.

Entweder aufsteigen oder aussteigen

Der teils elitäre Habitus hat eine hohe Anziehungskraft auf Uni-Absolventen, auch weil der Beruf noch immer als Sprungbrett für Karrieren in Großunternehmen gilt. Ein paar Berufsjahre als Berater haben etliche Karrieren beschleunigt, selbst wenn man dem Beruf nach wenigen Jahren den Rücken kehrt. Gemäß des in vielen Beratungsunternehmen üblichen "Up or out"-Prinzips müssen ohnehin alle Berater, die nicht innerhalb einer vorgegeben Zeit – meist zwei, drei oder fünf Jahre – die nächste Stufe der Karriereleiter aufsteigen, das Haus verlassen. Bis zum "Partner", also Miteigentümer, schaffen es nur wenige. Ganz oben locken hohes Prestige, üppige Gehälter und stattliche Boni. Viele steigen vorher freiwillig aus, weil sie der Dauerwettbewerb mit Kollegen und die Arbeitsbelastung mürbe gemacht haben oder weil sich neue, interessante Stellen auftun. Bei anderen wird mit sanftem Druck nachgeholfen, um Platz zu schaffen für die nächsten Jungberater, die von unten nachdrücken.

"Das Vorgehen klingt zunächst brutal, doch da jeder Einsteiger weiß, worauf er sich einlässt, kann sich das Mitleid in Grenzen halten", schreibt Thomas Deelmann in seinem Buch "Die Berater-Republik". Weil das Verfahren etabliert sei, trage man als Abgänger typischerweise auch kein Verlierer-Stigma mit sich herum. Viele bleiben später mit ehemaligen Kollegen in Kontakt: Allein das Alumni-Netzwerk von McKinsey hat mehr als 40.000 Mitglieder. Viele frühere Unternehmensberater sitzen heute an den Schalthebeln der Macht: Jeder fünfte Dax-Chef hat seine Berufslaufbahn als Berater begonnen, so eine Analyse der Personalberatung Korn Ferry. Auf der Ehemaligen-Liste von McKinsey finden sich so illustre Namen wie Allianz-Chef Oliver Bäte, Google-Chef Sundar Pichai und Sheryl Sandberg, früher Co-Geschäftsführerin von Facebook.

Der Weg zum Glanz beginnt allerdings für die meisten Berufsanfänger ganz nüchtern. Gesucht werden von Strategieberatern wie McKinsey, BCG, Bain und Roland Berger vor allem sehr gute Analytiker – gerne frisch von der Uni. Als Studienabschluss wird mindestens ein Bachelor verlangt, besser ein Master. Wer promoviert hat, kann oft auf einer höheren Karrierestufe beginnen. Die meisten Beratungsunternehmen heuern vorrangig Berufsanfänger mit exzellentem Abschluss an. Die haben den Ruf, ehrgeizig und motiviert zu arbeiten und nicht so viel zu murren.

Daneben gibt es spezialisierte Beratungshäuser, die nur berufserfahrene Spezialisten einstellen. Zu ihnen gehört das amerikanische Beratungsunternehmen Alix-Partners, das sich auf die Beratung von Unternehmen spezialisiert hat, die sich in kritischen Situationen befinden. "Wir kommen, wenn es brennt in der Chefetage", sagt Seniorpartner Nicolas Franzwa, bei Alix-Partners zuständig für das Recruiting. Die Berater haben eine forensische Abteilung, die Kunden hilft, in kriminalistischer Kleinarbeit Wirtschaftsskandale aufzuklären – etwa bei Verdacht auf Geldwäsche im Unternehmen oder Kartellabsprachen. Dafür ist Erfahrung erforderlich: "Wir stellen niemanden direkt von der Uni ein", sagt Franzwa. Mindestens drei Jahre Berufserfahrung werden verlangt, im Schnitt hätten Mitarbeiter rund 15 Jahre Berufserfahrung, ergänzt seine Kollegin Ina Juppe.

"Auslandserfahrung ist ein Muss"

Die meisten Beratungsunternehmen haben junge Uniabsolventen im Visier. Um die Jahrgangsbesten der Generation Z buhlen Beratungsunternehmen mit Autoherstellern, Tech-Konzernen und seit einigen Jahren auch hippen Start-ups. Auch wenn die meisten Berater Wirtschaftswissenschaftler sind: Eingestellt werden Ingenieure, Informatiker, Mediziner, Juristen, Naturwissenschaftler. Auch Geisteswissenschaftler haben Chancen, wenn sie einen Bezug zur Wirtschaft und Begeisterung für neue Technologien mitbringen. McKinsey war früher bekannt dafür, seinen Nachwuchs in einigen Ländern vorrangig an Elitehochschulen zu rekrutieren. "Das ist heute nicht mehr so", sagt Jonathan Steinbach, Director of Recruiting bei McKinsey in Deutschland und Österreich. Vor zwei Jahren seien 80 Prozent der eingestellten Berater von etwa 500 Hochschulen gekommen, heute sei die Bandbreite größer. McKinsey habe Absolventen von rund 1.700 Hochschulen in den eigenen Reihen. "Wir rekrutieren an einer Vielzahl an Hochschulen, darunter auch Fachhochschulen", sagt Steinbach. McKinsey achte darauf, auch Talente anzusprechen, die aus nicht-akademischen Familien stammen. "Sie haben oft erste Berufserfahrung neben dem Studium gesammelt, um sich das Studium zu finanzieren und so ihre Exzellenz und Führungsqualitäten bereits bewiesen", das wisse man zu schätzen.

Dass sich die Universitäten stark darin unterscheiden, wie großzügig sie sehr gute Noten vergeben, ist den Unternehmensberatern bewusst: "Wir kennen die üblichen Durchschnittsnoten an diversen Universitäten und haben intern Anpassungstabellen", sagt Kathrin Kammer, die bei Roland Berger für das internationale Recruiting zuständig ist. So ist es auch bei McKinsey und einigen anderen Beratungshäusern.

Was neben guten Noten sollten Bewerber noch mitbringen? "Auslandserfahrung ist ein Muss", sagt Kammer. Zudem verlangen nahezu alle großen Beratungsunternehmen von Bewerbern erste praktische Erfahrungen. Das müssen nicht zwingend Praktika in Beratungshäusern sein. Seline Peter, die vor eineinhalb Jahren ihre Karriere bei Accenture begonnen hat, erzählt: "Ich war vor meinem Berufseinstieg über ein Work-and-travel-Programm sieben Monate in Australien, habe dort als Erntehelferin gearbeitet und Pferde auf einer Pferderennbahn betreut." Es gehe nicht um ein Studium in Rekordgeschwindigkeit, sagt Kammer: "Wir wollen Leute, die mal nach rechts und links gucken." Welche außeruniversitären Aktivitäten werden dabei besonders gerne gesehen? "Wir schauen zum Beispiel auf soziales Engagement", sagt Kammer: "Wir suchen Leute, die sich in andere hineinversetzen können." Außerdem sei unternehmerisches Engagement interessant. "Manche Studenten haben kleine Unternehmen gegründet und dabei wertvolle Erfahrungen gesammelt."

Die Bewerbungsverfahren haben sich im Zuge der Pandemie etwas verändert. Vorher waren Assessment-Center weit verbreitet, in denen Bewerber teils in Rollenspielen gegeneinander angetreten sind, während ihr Verhalten von erfahrenen Personalern beobachtet wurde. Im Zuge der Corona-Krise sind einige Beratungsunternehmen zu den eher traditionellen Bewerbungsgesprächen zurückgekehrt, mitunter auch virtuell.

Bewerbung in mehreren Stufen – inklusive Rollenspiel

Rund 300 Berater hat Roland Berger 2022 eingestellt. Das Bewerbungsverfahren läuft dort in zwei Stufen: Die erste ist ein Onlinetest, der etwa 45 Minuten dauert; in diesem Video-Format werden analytische Fähigkeiten getestet. "Auf diesen Test kann man sich vorbereiten", sagt Kammer: "Wir schicken einen Link zur Vorbereitung, dann weiß jeder, welche Art von Fragen auf einen zukommen." Die zweite Stufe sind die eigentlichen Bewerbungsgespräche: drei insgesamt, jeweils eine Stunde. Je nach Wunsch des Bewerbers sind die Gespräche vor Ort oder virtuell möglich. Im ersten Gespräch geht es um die Persönlichkeit. "Wir gehen mit Bewerbern bestimmte Stationen ihres Lebenslaufs durch", erläutert Kammer. "Uns interessiert, welche Erfahrungen sie mit Teamarbeit gemacht haben, welche Erfolge sie erreicht haben und worauf sie stolz sind." Hier könne es auch kleine Rollenspiele geben, etwa um herauszufinden, wie sich jemand in Konfliktsituationen innerhalb eines Teams verhält. Was tun, wenn zum Beispiel ein Teammitglied nicht richtig mitarbeitet?

In den beiden anderen Gesprächen geht es um das Fachliche. Hier werden Bewerber jeweils mit einer Fallstudie aus dem Berateralltag konfrontiert. Bewerber sollen vor allem zeigen, wie sie an ein Problem herangehen. Stellen sie die richtigen Fragen? Sind sie kreativ bei der Suche nach einer Lösung? Der Einsatz von Fallstudien sei in der Branche das Auswahlinstrument "par excellence", schreiben die Ökonominnen Mariana Mazzucato und Rosie Collington in ihrem Buch "Die große Consulting-Show", in dem sie kritisch mit der Branche ins Gericht gehen. Gefragt seien keinesfalls nur analytische Fähigkeiten. "Oft wollen sie vor allem sehen, dass jemand eine Lösung selbstsicher und überzeugend präsentiert." Bluff sei dabei nicht nur im Spiel, Bewerber würden dazu geradezu animiert.

Bis zu 80.000 Euro für Berufseinsteiger

Wie auch immer man zu den Fallstudien steht: Einig sind sich die meisten, dass sich Bewerber gut vorbereiten können: "Es hilft, sich vorher mit Fallstudien zu beschäftigen", sagt Kammer. Es gibt Ratgeber mit Fallsammlungen als Buch oder online, etwa unter "preplounge.com". Häufig geht es in Fallstudien um Fragen der Marktabgrenzung: Wie groß könnte etwa der Markt für ein bestimmtes Schuhmodell sein? Kammers Tipp: "Es hilft, wenn man sich mit Freunden zusammensetzt und einige Fallstudien durchgeht." Auch Steinbach rät Bewerbern, sich auf solche Fallstudien vorzubereiten: "Ich empfehle Bewerbern, im Tandem mit Kommilitonen einige Fallstudien zu üben." Gleichgesinnte finde man etwa in studentischen Unternehmensberatungen, die es an vielen Unis gibt und die sehr zu empfehlen seien. Die Jung-Beraterin Seline Peter rät Bewerbern, sich bei den Fallstudien auf die Intuition zu verlassen: "Die Ratgeber mit den Fallsammlungen können einen auch verunsichern, wenn man zu viele davon durchgeht."

Ähnlich wie bei Roland Berger läuft das Bewerbungsverfahren bei McKinsey. Auch dort durchlaufen Bewerber, die eingeladen werden, ein zweistufiges Verfahren. Zunächst bekommen sie einen Link zu einem Onlinespiel, in dem es darum geht, eine große Zahl an Daten spielerisch zu verarbeiten: Das fühle sich eher an wie ein Computerspiel, heißt es. Es gehe nicht um Geschicklichkeit oder Schnelligkeit, sondern um analytische Fähigkeiten. Vorbereiten könne man sich auf dieses Spiel nicht. Sehr gut vorbereiten könne man sich dagegen auf die Bewerbungsgespräche. Sie dauern jeweils etwa 75 Minuten und bestehen aus drei Abschnitten: 15 Minuten gegenseitiges Kennenlernen; 30 Minuten drehen sich um persönliche Erfahrungen der Bewerber, die Interviewer wollen etwas über Team-Situationen, etwa bei Praktika oder der Vereinsarbeit wissen; weitere 30 Minuten werden für Fallstudien verwendet.

Nach Angaben des BDU können Berufseinsteiger mit einem Bachelorabschluss im Schnitt mit einem Einstiegsgehalt von 44.000 Euro brutto rechnen, Einsteiger mit Masterabschluss mit 49.000 Euro. Hinter den Durchschnittswerten verbirgt sich aber eine große Spannweite. Kleine Betriebe zahlen oft viel weniger als die global bekannten Marken. In großen, international agierenden Beratungsunternehmen sind auch 70.000 bis 80.000 Euro für Berufseinsteiger realistisch. Mit Promotion sogar mehr. Dafür wird aber auch viel verlangt. Zwar locken oft spannende Projekte und viele Reisen, was gerade Berufsanfänger reizt. Aber nicht alles macht Spaß. In den ersten Jahren sind Nachwuchskräfte großteils Zuarbeiter.

"In einer steilen Hackordnung werden ungeliebte Aufgaben nach unten delegiert", klagte der frühere Berater Benedikt Herles schon vor zehn Jahren in seinem Buch "Die kaputte Elite", in dem er seine Erfahrungen als Berater schilderte. Oft jage eine Deadline die nächste. In Nachtschichten, beim Formatieren der Powerpoint-Seiten, sei Durchbeißen gefragt. "Head down and deliver" heiße es im Beraterjargon: Man solle nicht über zu hohe Belastungen klagen, sondern zügig arbeiten und Ergebnisse liefern. Fragt man Berater nach der Zahl der verlangten Überstunden, erhält man meist ausweichende Antworten. Der Beruf sei "kein Nine-to-five-Job" heißt es dann. Intrinsische Motivation sei wichtig und bei den Kandidaten meistens vorhanden. Die Zahl der Reisen ist mit der Pandemie etwas gesunken, was den Beruf familienfreundlicher gemacht hat. Aber noch immer gilt: "Beratung ist ein Überstundenberuf", sagt Shirley Sheffer, Leiterin des Bereichs Talent und Organisation bei Accenture.

Zum Ausgleich für lange Arbeitszeiten während wichtiger Projektphasen haben viele Unternehmen großzügige Regelungen für längere (unbezahlte) Auszeiten. Das ist ein Vorteil des Berufs: Auszeiten von mehreren Wochen oder Monaten funktionieren vergleichsweise einfach: Weil Berater immer in Projekten arbeiten, sind zwischen zwei Projekten Auszeiten möglich. "Ich kann den Beruf absolut empfehlen. Das mache ich auch bei meinen Söhnen, die vor dem Berufseinstieg stehen", sagt Walter Sinn, Deutschlandchef von Bain: "Ich glaube, dass unsere Profession für junge Talente eine unvergleichliche Chance bietet, in sehr kurzer Zeit Einblicke in viele verschiede Unternehmen zu bekommen und man sehr schnell Verantwortung übernehmen darf." Es sei ein idealer Start ins Berufsleben. Egal ob man wenige Jahre dabei bleibt – oder 30 Jahre, so wie er. "Man hat eine sehr steile Lernkurve."

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