Einen Mörder verteidigen: "Mordprozesse sind die Herz-OPs der Strafverteidiger"

Autor*innen
Laura Binner
Eine Figur, die an eine altgriechische Marmorstatue erinnert. Sie hat die Arme verschränkt und trägt einen weißen Kittel oder Blazer.

Es gibt Mordprozesse, die die ganze Welt erschüttern. Als Laie fragt man sich oft: Wie schafft es der Anwalt, einen potenziellen Mörder zu verteidigen? Wie kann er seine möglichen Bedenken ausblenden und dem Mandanten trotz seiner Taten einen fairen Prozess sichern?

Mordfälle machen nur einen kleinen Teil der Strafverfahren aus. Die wenigsten Anwälte beschäftigen sich je mit einem Tötungsdelikt. Anwalt Andreas*, der mittlerweile im Wirtschaftsstrafrecht arbeitet, hatte in seiner Anfangszeit schon mit Mordfällen zu tun: "Strafrecht ist mit Sicherheit nicht das beliebteste Rechtsgebiet und nur wenige Absolventen wenden sich dieser Aufgabe zu. Dazu kommt, dass es in der Praxis kaum den Fall gibt, dass ein Anwalt einen Mordprozess gegen seinen Willen annehmen muss."

Bestmögliche Verteidigung bieten

Ein Anwalt ist ein Vermittler: Er steht auf der Seite des Einzelnen und vertritt diesen gegenüber dem Staat. Seine Aufgabe ist es, dem Angeklagten seine Rechte aufzuzeigen und ihm die bestmögliche Verteidigung zu bieten. "Das ist gerade für Außenstehende und Laien oft schwer zu verstehen", sagt Christine Dieterle, e-fellows-net-Alumna und Staatsanwältin aus München. "Die Leute werfen Angeklagten und Verteidiger oft in einen Topf und bedenken nicht, dass man sich als Anwalt nicht mit dem Täter identifizieren oder die Tat in irgendeiner Weise billigen muss."

Die banale Antwort auf die Frage, ob man einen Mörder verteidigen würde, ist laut Andreas also: "Man vertritt das Recht, nicht die Tat!" So ist es folglich gerecht, dass auch Mordverdächtigte die bestmögliche Verteidigung bekommen. "Allerdings ist die Frage eine ganz andere, ob man genauso denkt, wenn man die Verteidigung selbst machen muss", fügt Andreas hinzu.

Distanz zum Angeklagten wahren

"Dass bei der Verhandlung noch nicht klar ist, ob der Angeklagte oder ein anderer das Tötungsdelikt begangen hat, kommt recht selten vor. Ob man sich als Anwalt die ganze, wahre Geschichte vom Angeklagten erzählen lässt, ist eine andere Sache. Das macht voreingenommen und man kann sich der Strafvereitelung schuldig machen, wenn man die Details weiß und diese verschleiert - zum Beispiel, wenn man einen Alibizeugen laden lässt, von dem man weiß, dass er die Unwahrheit sagen wird oder Dokumente verlesen lassen, von denen man weiß, sie sind gefälscht.", erklärt Andreas. Es ist also enorm wichtig für eine gute Verteidigung, die Distanz zum Angeklagten zu wahren. Ob der Anwalt fragt "Waren Sie es?", muss er in jedem Fall neu entscheiden und sich vorher gut überlegen, ob die Antwort ihn bei seiner Arbeit einschränken wird.

Fälle, die einen nicht loslassen

Im Jura-Studium lernt man zwar die wichtigsten Bedingungen für ein Verfahren, doch man befasst sich noch nicht mit den wirklich pikanten Moralfragen, die aufkommen können. Trotzdem sind Anwälte keine Roboter, die alles an sich abperlen lassen. Christine Dieterle ist der Meinung, dass Anwälte in der Anfangszeit kontroverse Fälle persönlich viel mehr beschäftigen als nach jahrelanger Routine auf dem Gebiet. Andreas fügt hinzu: "Leidenschaft und Ehrgeiz im Beruf können auch schuld sein, dass man Fälle mit nach Hause nimmt und man sich auch nach dem Arbeitstag nicht davon distanzieren kann."

Andreas musste einen Mörder verteidigen, der aus "fehlendem Respekt gegenüber dem menschlichem Leben" getötet hatte. Es war eine Beziehungstat. "Es war schlimm, denn der Angeklagte hat Gründe für seine Tat aufgeführt, die jeder nachvollziehen kann. Der Unterschied ist, dass jeder andere wegen dieser Gründe auf seinen Partner mal richtig sauer ist. Es ist aber völlig unverständlich, dass man deswegen so weit geht. Die Leidensgrenze des Angeklagten war sehr niedrig, und im Gegensatz dazu war er fähig, einem anderen Menschen so großes Leid zuzufügen. Das hat mich als Anwalt schon sehr bewegt."

Nicht nur "passiv verteidigen"

Nach Andreas' Meinung sollte der Anspruch sein, dem Mandanten - trotz möglicher moralischer Bedenken – die bestmögliche Verteidigung zu bieten. Gerade in umstrittenen und herausfordernden Fällen reicht es keinesfalls, auf eine "passive Verteidigung" zu setzen – das heißt, nur als "Aufpasser" eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu fungieren und auf mögliche Verfahrensfehler hoffen. Dazu ist die Verantwortung zu groß.

Lukrativer Prozess?

Dieterle erklärt, dass manche Verteidiger vor allem auf Ruhm und Geld aus sind. Selbstverständlich verspricht ein Mordprozess auch ein lukratives Gehalt, da mehr Verhandlungstage üblich sind als bei anderen Fällen. Zudem spekuliert mancher Anwalt auch auf die Pressewirksamkeit eines Mordprozesses und den damit verbundenen Ruhm.

Grenzfälle und moralisches Dilemma

Anwalt Andreas würde beispielsweise keine Sexualstraftäter verteidigen. "Meinen Anspruch, dem Mandanten die beste Verteidigung zu geben und ihm sein Recht zuzugestehen, kann ich in solchen Situationen nicht mit voller Energie und Leidenschaft durchsetzen."

Die meisten Anwälte, die man fragt, geben standardisierte Antworten auf dieses moralische Dilemma – es sei ihr Job. Natürlich müsse Andreas nach außen hin auch sagen, dass es für ihn keinen Unterschied mache – aber das könne er öffentlich nicht tun, ansonsten würde er seine Glaubwürdigkeit in Frage stellen.

Andreas fasst zusammen: "Ethische Fragen in dieser Größenordnung stellen sich den wenigsten Anwälten in ihrem Berufsleben. Aber als Strafverteidiger muss man seine Antwort auf diesen Konflikt finden und mit sich selber ausmachen, ob man diesen Job machen kann. Denn die Verantwortung in einem Mordprozess ist riesig. Aus Sicht eines Strafverteidigers kann man einen Mordprozess fast wie die "Herz-OP unter den juristischen Fällen" ansehen. Wichtig ist, dass man voll dahinter steht und aktiv verteidigt."

Faires Verfahren und Unschuldsvermutung

Einem Angeklagten stehen bestimmte Rechte zu. Eines davon ist in Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankert; das Recht auf ein faires Verfahren. Laut Art. 6 Abs. 1 EMRK besteht unter anderem Anspruch auf eine öffentliche Gerichtsverhandlung, vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht. Abs. 2 dieses Artikels enthält das Recht auf die Unschuldsvermutung. Das bedeutet, dass jede angeklagte Person so lange als unschuldig zu gelten hat, bis ihre Schuld auf einem gesetzlichen Weg bewiesen ist.

*Name geändert

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