Christian Montag: Macht das Smartphone dümmer, Herr Montag?
- Sarah Koldehoff und Martin Spiewak

Lustre – stock.adobe.com
Ein Leben ohne ihr Handy ist für viele Menschen unvorstellbar. Wie groß sein Einfluss längst ist und wann es beginnt, unser Denken zu verändern, untersucht der Psychologe Christian Montag.

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In dieser Gesprächsreihe beantworten Forscherinnen und Forscher in loser Folge Fragen, die Menschen bewegen.
Dass Smartphones etwas in unserem Denkapparat verändern, steht für mich außer Frage. Interessant ist, welcher Teil des Denkens genau verändert wird und wie stark.
Christian Montag
45, ist Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm. Wenn er wie hier im Wald spazieren geht, lässt Montag das Smartphone zu Hause.
Wie hat es Ihr Gehirn verändert?
Ich bin als Einzelperson für generelle Aussagen wenig hilfreich. Trotzdem ein Beispiel: Um unseren Treffpunkt zu finden, habe ich nicht wie früher einen Stadtplan benutzt, sondern einen Kartendienst auf dem Smartphone. Wie die meisten trainiere ich im Alltag kaum noch, räumlich zu navigieren oder mir Wege zu merken. Das dürfte sich in meinem Gehirn niederschlagen.
Verlieren wir also durch die Navis eine Fähigkeit, die Menschen früher hatten?
Für die breite Bevölkerung existieren dazu keine abgesicherten Untersuchungen. Aber es gibt eine Studie über Londoner Taxifahrer. Bei denen ist der Teil des Gehirns, wo vermutlich mentale Karten abgelegt werden, stärker ausgebildet. Wer in London ein Taxi fahren möchte, muss Tausende Straßen und Sehenswürdigkeiten kennen!
Und gilt umgekehrt: Wenn wir eine Region des Gehirns nicht benutzen, bildet die sich zurück?
Man kann sich das Gehirn wie einen Muskel vorstellen, der sich je nach Gebrauch verändert. Und manche Forschende betrachten das Smartphone als eine Art ausgelagertes Gehirn, das bestimmte Denkvorgänge für uns übernimmt.
Ist das gut oder schlecht?
Weder – noch! Unser Denken passt sich den Möglichkeiten an, wir nutzen unsere kognitiven Funktionen anders. Das heißt nicht, dass wir generell dümmer werden.
Schon vor Jahren gab es Kollegen, die prognostizierten, Smartphones würden zu digitaler Demenz führen.
Das war ja damals zugespitzt formuliert. Ich persönlich würde den Demenz-Begriff hier nicht nutzen. Und: Die Folgen von Internet und Smartphone sind komplexer.
Es gibt die Behauptung, Wissen sei heute bedeutungslos, weil alle Informationen wortwörtlich immer zur Hand seien.
Das ist Unsinn. Um kluge Gedanken zu haben, muss ich Informationen kombinieren. Das ist ein bisschen so wie mit einer Fremdsprache. Um Englisch zu sprechen, sollte ich Vokabeln kennen, sonst muss ich bei jedem Satz alles nachschlagen. Auch Neues entsteht, wenn ich Bestehendes verknüpfe.
Schadet übermäßiger Smartphone-Gebrauch also der Kreativität?
Beim Joggen erlebe ich etwas, das viele kennen: Man nennt es Tagträumen oder Mind-Wandering. Ich hänge also beim Laufen meinen Gedanken nach und merke plötzlich, dass mir eine gute Idee kommt.
"Parallel arbeiten funktioniert eher schlecht"
Was passiert da im Gehirn?
Bei solchen Tätigkeiten verändert sich das Zusammenspiel mehrerer Hirnareale. Die sonst aktiven Arbeitsverbindungen zwischen mehreren Hirnarealen im Ruhemodus werden schwächer, es entsteht vielleicht mehr Raum für die eigene Gedankenwelt...
... und für neue Ideen?
Könnte man vereinfacht sagen, ja. Die Konsequenzen der Dauerbeschallung dagegen sind etwas leichter zu verstehen. Wenn ich ständig jede kleine Pause mit dem Blick aufs Handy fülle, nie Langeweile zulasse oder mich bei jeder Tätigkeit von meinem Smartphone begleiten lasse, dann komme ich nicht in einen Zustand, dass ich meine Gedanken schweifen lasse und sich plötzlich im Kopf etwas fügt.
Wie stark leidet denn die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, unter der digitalen Dauerbeschallung?
Unser Gehirn kann nicht anders, als auf neue Reize zu reagieren. Zwischen verschiedenen Tasks, also Aufgaben, umzuschalten kostet das Gehirn aber Energie. Ich wechsele von Aufgabe A zu B und muss irgendwann wieder zu A zurück. Parallel arbeiten funktioniert eher schlecht. Wir sind serielle Verarbeiter, keine Multitasker.
Schaden diese Dauerunterbrechungen unserer allgemeinen Aufmerksamkeit?
Wir haben in einer Studie die objektive Bildschirmzeit von Studierenden ausgelesen und mit ihren Noten verglichen: Je länger die Smartphone-Nutzung, desto schlechter die Noten und umgekehrt.
Viele lernen mit dem Smartphone.
Keine gute Idee, denn die Maschine ruft ja ständig: Spiel mit mir! Wir lassen uns so gerne ablenken, weil uns das Gerät diesen schnellen Belohnungskick verspricht: durch eine kuriose Information, einen Like bei Twitter. Und die Plattformenbetreiber werden immer besser darin, unsere Willensstärke auf die Probe zu stellen. Unter anderem, indem sie das A-B-Testing perfektioniert haben.
Was heißt das?
Die Firmen testen mit uns ständig neue Varianten ihrer Angebote. So haben Plattformbetreiber vor Jahren versucht herauszufinden: Wo verbringen die User mehr Zeit, auf einer Seite mit chronologischer oder einer mit personalisierter Timeline? Sie haben beide Varianten parallel laufen lassen und festgestellt, dass Personalisierung besser funktioniert, also wurde das Feature fest eingebaut. Im Grunde sind alle Nutzer ständig Teil von Optimierungsexperimenten.
Die Impulse, denen wir ausgesetzt sind, werden kürzer – auf TikTok sind es nur kurze Schnipsel. Warum?
Als ich TikTok vor Jahren erstmals in China sah, habe ich mir gedacht, das kann nicht erfolgreich werden. Ich habe mich total geirrt. Unser Gehirn spricht stark auf alles Neue an. Womöglich ist das Schnipselformat deshalb so attraktiv.
Gilt das auch für Bilder und Videos, die Textbotschaften immer mehr verdrängen?
Ja, die Plattformen kommen immer näher an das heran, worauf das Gehirn am meisten anspringt. Bilder werden viel schneller und müheloser verarbeitet als Text, sie transportieren zudem mehr Emotionen. Auch diese Entwicklung der Inhalte ist eine Konsequenz des ständigen Testens aufseiten der Konzerne.
Sind negative Emotionen Folge übermäßiger Online-Nutzung?
Warum funktionieren solche Formate gerade bei jungen Leuten?
Weil sich ihr Gehirn noch entwickelt. Der präfrontale Kortex, der für die Selbstregulation verantwortlich ist, reift erst um das 20. Lebensjahr voll aus. Nach der gängigen Theorie gilt: Je jünger, desto schlechter sind viele Nutzer deshalb darin, zu sagen: "Jetzt lege ich das Gerät zur Seite und erledige meine Aufgaben." Zudem gibt es das Fomo-Phänomen...
... kurz für fear of missing out, also die Angst, etwas zu verpassen.
Fomo ist ebenso bei Jugendlichen stärker ausgeprägt. Deshalb gibt es bei Instagram und Snapchat Fotos und Videos, die sich nach einer kurzer Zeit selbst löschen. Der Effekt: Wenn ich mir die Story nicht schnell anschaue, kann ich nicht mitreden.
Andererseits wirbt Instagram jetzt mit einem Nicht-stören-Modus.
Offenbar hilft das nur wenig, im Gegenteil. Eine chinesische Studie hat während der Corona-Zeit gezeigt, dass Nutzer, die den Leisemodus aktiviert hatten, noch häufiger ihre Nachrichten gecheckt haben – aus Angst, etwas nicht mitzubekommen!
Aber es gehen doch sicher nicht alle gleich mit solchen Ängsten um.
Aus einer eigenen Studie wissen wir, dass nicht nur jüngere Menschen eher von Fomo berichten, sondern auch solche, die eher zu Ängstlichkeit oder Nervosität neigen. Dabei wissen wir noch nicht abschließend, ob diese Personen zum Smartphone greifen, um sich von ihren Missstimmungen abzulenken – oder ob die negativen Emotionen Folge übermäßiger Online-Nutzung sind.
Bei wem zeigt das Smartphone noch negative Folgen?
Bei Mädchen ist das Thema Essstörung eng verknüpft mit Social Media. Dazu gibt es robuste Forschungsergebnisse. Wer ein gestörtes Essverhalten zeigt, neigt auch eher zu einer Übernutzung der sozialen Medien. Hier sind wieder vor allem die Bildplattformen ein Problem, weil auf Instagram und Co. permanent geschönte Bilder hochgeladen werden und gerade heranwachsende Mädchen darunter leiden, scheinbar nicht genügen zu können.
Dabei müssten sie doch wissen, dass die Fotos nicht der Realität entsprechen.
Hier macht die Dosis das Gift! Wenn ich permanent mit Bildern von perfekten Körpern konfrontiert werde und selbst nicht so aussehe, frisst sich das im Selbstbild fest. Wie gesagt, wir reden über das heranwachsende Gehirn in der Pubertät, da ist die Frage, wie ich auf andere wirke, extrem wichtig. In Norwegen müssen Influencer und Influencerinnen seit einiger Zeit deshalb bearbeitete Bilder kennzeichnen.
Auch Instagram wollte vor ein paar Jahren testen, wie sich das Wohlbefinden der Nutzer verändert, wenn sie die Likes ausblenden. Was ist daraus geworden?
Bis heute habe ich nirgends Informationen über die Wirksamkeit dieser Maßnahme finden können. Gleiches gilt für ein weiteres Feature: Bei Facebook können User seit einigen Jahren ein Zeitlimit einstellen. Laut dem Mutterkonzern Meta soll das helfen, den Social-Media-Konsum besser zu kontrollieren. Aber auch da wissen wir nicht, ob es funktioniert oder bloß Marketing ist.
"Social Media ist bis heute in vielerlei Hinsicht eine Blackbox"
Konkret scheint es nicht so einfach zu beantworten zu sein, ob das Smartphone unser Denken nun bereits verändert hat. Dabei gibt es das iPhone doch schon seit immerhin 15 Jahren.
Ja, Außenstehenden mag das seltsam erscheinen. Denn historisch betrachtet hat sich keine mir bekannte Alltagstechnologie so schnell durchgesetzt. Mittlerweile nutzen wohl mehr als fünf Milliarden Menschen Smartphones. Aber um die Folgen der Technologie seriös zu vermessen, müssen wir – am besten mit vielen Probanden und Vergleichsgruppen über längere Zeit – verfolgen, wie die Geräte unser Denken, Fühlen und Verhalten verändern.
Diese Längsschnittstudien fehlen?
Sie sind sehr aufwendig und teuer und deshalb selten. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wir haben vor einigen Jahren einmal in einem Experiment geschaut, welcher neurobiologische Zusammenhang zwischen der Hirnstruktur und der Facebook-Nutzung besteht. Tatsächlich zeigte sich uns da: Eine hochfrequentere und längere Facebook-Nutzung ging mit einer Verkleinerung des sogenannten Nucleus accumbens einher. Das ist eine Gehirnregion, die laut Studien auch bei Menschen mit anderem Suchtverhalten, etwa Alkohol oder Nikotin, eher kleiner ausfällt.
Und was war da so aufwendig?
Wir mussten mehrere Dutzend Probanden finden, die mitmachten und sich in einen Hirnscanner schieben ließen. Alle bekamen eine App auf ihr Handy gespielt, welche den tatsächlichen Digitalkonsum maß, weil alle Selbstaussagen zum Handygebrauch fehleranfällig sind. Stellen Sie sich vor, so ein Prozedere möchte man jetzt über viele Jahre durchführen. Da kommen Forschende schnell an ihre Grenzen. Dabei könnte man zumindest an die Smartphone- und Social-Media-Daten auch einfacher rankommen!
Wie?
Die Tech-Konzerne haben die Nutzerdaten ja, aber sie rücken sie zumeist nicht raus. Deshalb müssen Wissenschaftler eigene Tracking-Apps entwickeln, um mühsam herauszubekommen, was ein Konzern wie Meta längst weiß. Social Media ist bis heute in vielerlei Hinsicht eine Blackbox.
Wie schützen wir unser Hirn vor negativem Smartphone-Gebrauch? Hilft da nur noch Digital Detox, also Entzug?
Davon halte ich wenig. Studien zeigen, dass Abstinenz im Online-Bereich langfristig schlechter wirkt, als wenn man die Nutzung reduziert. Wir müssen lernen, das Smartphone zu kontrollieren, anstatt zuzulassen, dass es uns kontrolliert. Es braucht Zeiten, in denen das Gerät keine Rolle spielt.
Wie lang muss die Abstinenz sein?
Eine Studie Bochumer Kollegen hat gezeigt, welche positiven Folgen schon eine Stunde weniger am Smartphone pro Tag hat: Die Betroffenen sind zufriedener, rauchen weniger und sind körperlich aktiver. Insgesamt wird aber keine Form der Verhaltensänderung genügen. Die Anbieter müssen endlich gesündere Plattformen entwickeln, auf denen Menschen nicht sinnlos viel Zeit verbringen, die keine Fake-News verbreiten und die Privatsphäre schützen. Gegen die Macht der Tech-Konzerne kommt der Einzelne nicht an.
Sie haben eine fünfjährige Tochter. Ab welchem Alter ist es sinnvoll, einem Kind ein Smartphone zu erlauben?
Auch da fehlt uns ausreichend Empirie. Als Vater lege ich mich trotzdem fest: Ein eigenes Smartphone, auf das der Nachwuchs ohne Mama und Papa im Hintergrund zugreifen kann, ist für mich erst ab circa zwölf Jahren sinnvoll. Wir schenken damit unseren Kindern idealerweise eine Zeit ohne ein Zuviel an Digital. Der Fokus auf das Smartphone ist aber zu eng, insgesamt sollten Altersbegrenzungen rund um Social Media viel strikter eingehalten werden.
Wie wäre es mit einem Klapphandy fürs Kind? Die sind ja wieder in Mode!
Nur wenn es wirklich sein muss! Paradoxerweise posten ja viele Leute ihren Retrotrend dann auf Social Media, was ohne Smartphone nur schwer funktioniert.
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