Kolumne "Uni Live": Gegen den Freundschaftszwang im Studium

Autor*innen
Šejla Ahmatović
Eine Frau und ein Mann haben Statuen als Kopf und sitzen auf einem Stein

An der Uni lernt man Freunde fürs Leben kennen. So lautet nicht nur die Botschaft amerikanischer Filme. In der Realität gestaltet sich die Suche jedoch manchmal schwierig. Ist das schlimm?

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Die Studienzeit soll eine der schönsten und prägendsten sein. Die Vorstellungen und Wünsche sind dementsprechend hoch und oft unrealistisch. Die Uni soll uns nicht nur auf einen Beruf und das Leben vorbereiten, sondern auch einen Ort bieten, an dem ewige Freundschaften geschlossen werden. Die Legende besagt, dass man einfach Menschen in Vorlesungen und Seminaren anspricht und so Freunde findet.

Ich aber gehöre nicht zu dem Typ Mensch, der einfach jemanden anspricht. So kommt es nicht selten vor, dass ich manche Seminare besuche, ohne großartig mit Leuten zu sprechen. Schlimm ist das nicht, solange das Seminar selbst Spaß macht. Manche Kommilitonen hingegen scheinen in jedem Seminar, in jeder Vorlesung und in jeder Bibliothek jemanden zu kennen. Das fand ich schon immer etwas suspekt. Wie machen sie das?

Erwartungen vs. Realität

An der Uni findet jeder seine Clique. So jedenfalls lautet die Botschaft in amerikanischen Filmen und Serien. Die Sportler hängen dort auf dem Sportplatz ab, die musikalisch Begabten finden Gleichgesinnte im Orchester oder Chor, und die Nerds gründen Buchklubs oder experimentieren im Labor.

Lauter Klischees, die immer wieder reproduziert werden und somit quasi ein Eigenleben entwickeln. Aber auch sie wecken bestimmte Erwartungen, denen kaum eine Uni gerecht werden kann. Sie soll ein Ort sein, an dem wir gerne und viel Zeit verbringen, uns am besten in Institutsgruppen oder anderen Vereinen engagieren – alles natürlich während wir fleißig Credit Points sammeln, Praktika absolvieren und arbeiten gehen. Wer braucht schon ein Privatleben!

Wie schnell man Anschluss findet, kommt wohl auch auf den Studiengang an. Wenn man Fächer wie Jura oder Medizin studiert, bei denen der Studienplan vorgegeben ist, sieht man dieselben, irgendwann vertrauten Gesichter von Anfang an relativ regelmäßig. Andere Fächer sind aufgrund ihrer freien Modulwahl schwieriger zu navigieren. Denn wer jedes Semester in jedem Seminar mit vielen fremden Gesichtern konfrontiert wird, dem fällt es möglicherweise schwerer, neue Bekanntschaften zu machen. 

Mit den meisten Kommilitonen tauscht man nur ein verlegenes Hallo aus. Hin und wieder betreibt man in Gruppenarbeiten Small Talk. Die Annahme, dass allein die Studienwahl für ein wenig Gemeinsamkeit sorgen würde, ist offensichtlich falsch. Aber auch das ist ein wertvoller Lernmoment. Denn tatsächlich werden die meisten Menschen dort zu nicht mehr als Lebensabschnittsfreunden. Und das ist in Ordnung.

Für mich ist das alles nicht weiter tragisch, weil ich für das Studium nicht umziehen musste und mein Freundeskreis aus der Schulzeit immer noch recht stark ist. Selbst Auslandsaufenthalte, Umzüge und die Tatsache, dass man sich manchmal nur einmal im Jahr sieht, haben daran nichts geändert. Vielleicht kann ich mich glücklich schätzen, denn nicht jedem geht es so. Einsamkeit ist unter Studenten weitverbreitet. Doch erst mit der Corona-Pandemie bekam das Thema große Aufmerksamkeit. Unser gesamter Alltag wurde ins Digitale verlagert. Selbst bestehende Freundschaften litten darunter. Wie soll man da neue Kontakte knüpfen?

Wie man Leute kennenlernt – oder eben nicht

Einige Fachbereiche planen neben den Orientierungstagen auch ein Abendprogramm ein. Die Atmosphäre in einer Bar ist schließlich angenehmer und lockerer als im kahlen Seminarraum. Dafür ist das Studentenleben doch bekannt. (Haus-)Partys ohne Ende. Genug Gelegenheiten, Freunde zu finden, hätte man da durchaus. Doch was ist, wenn man eben nicht der Typ dafür ist?

Oder wenn man in seiner Heimat geblieben ist und die Freizeit lieber mit seinen "alten" Freunden verbringt? Klar kann man sich zwingen, hin und wieder aus der Komfortzone rauszugehen. Sollte man auch. Aber irgendwann lernt man, dass man "seine Leute" vor allem in bestimmten Situationen trifft. Sich dessen bewusst zu sein hilft ungemein.

Es gibt viele Arten, Kommilitonen kennenzulernen. Die meisten Unis bieten Sportkurse an. Auch Klubs gibt es zu allen möglichen Themen und Interessen. Eine meiner besten Freundinnen habe ich durch einen Spanisch-Intensivkurs an der Uni kennengelernt. Angemeldet hatte ich mich, um endlich Shakiras Songtexte verstehen zu können. Raus kam ich aber mit viel mehr als einem Sprachzertifikat. 

Eine andere lernte ich bei einer Party eines anderen Fachbereichs kennen. Und generell stelle ich fest, dass ich das Ende meines Studiums ansteuere und die meisten meiner Unifreunde ganz andere Sachen studieren oder studiert haben. Da kamen ganz andere Gesprächsthemen und Perspektiven auf. Neue Freundeskreise öffneten sich. Viele Kontakte sind aufgrund meiner Fachwechsel zwar nicht mehr existent. Aber das macht sie nicht weniger wertvoll.

Egal ob Ersti oder Masterstudent, alle wollen dazugehören. Dazu muss man nicht im Studentenheim wohnen, Lerngruppen bilden oder jede einzelne Veranstaltung besuchen. Es ist kein Weltuntergang, allein in der Mensa zu sitzen. Dafür gibt es schließlich Podcasts. Es ist auch völlig normal, wenn man als einzige Person niemandem im Seminar zu kennen scheint. Erstens stimmt das meistens nicht. Und zweitens dreht sich die Welt wirklich nicht nur um die Uni.

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