Kolumne "Uni live": Zwischen Liebe, Lust und Lektüre

Autor*innen
Tom Konjer
Eine Frau und ein Mann sitzen auf zwei unterschiedlich Händen, die ein Herz formen und die beiden Menschen tippen etwas auf ihren Computern

Der Campus war die perfekte Partnerbörse. Pandemie, Tinder und veränderte Ansprüche machen Uni-Singles heute aber einen Strich durch die Rechnung, meint unser Autor.

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Seit längerem beschäftigt mich folgendes: Ich bin jetzt 21 und war noch nie verliebt, in einer Beziehung sowieso nicht. Und wer jetzt denkt, dass dafür ja noch ausreichend Zeit bleibt – Geduld war noch nie meine Stärke.

Geht man die Suche nach Liebe rational an, dann ist die Rechnung doch recht einfach: Ungefähr 83 Millionen Menschen leben in Deutschland, davon mindestens 41,5 Millionen mit dem passenden Geschlecht. Von denen wiederum können wir schonmal die meisten aussortieren, weil sie noch nicht erwachsen oder schon zu erwachsen sind. Übrig bleibt also ein Pool von etwa 4 Millionen potentiellen Partnern, von denen ungefähr 1,5 Millionen studieren. Ungefähr 17.000 Studierende davon an meiner Uni. Dabei reicht mir schon Einer!

Liebe ist keine Mathematik. Trotzdem macht der Blick auf die Zahlen etwas ratlos. Und Gespräche mit meinen Eltern und ihren Freunden sowieso; lauscht man ihren Erzählungen, gewinnt man den Eindruck, dass die Uni vor einigen Jahrzehnten eher einer Partnervermittlung geglichen haben muss. Lernen eher Nebensache. Das britische Königshaus macht es vor: William und Kate haben sich in der Uni kennengelernt. Und heute?

Leute anzusprechen kostet Mut

"Tote Hose was Typen angeht", beschwert sich eine Freundin. "In meinem Studiengang sind alle ein bisschen komisch", klagt ein anderer. Dabei ist die Uni für Singles doch die perfekte Angriffsfläche: Meist passt das Alter, die groben Interessen auch. Allein die besuchte Vorlesung verrät schon eine Menge über jemanden und bietet Gesprächsstoff. Trotzdem scheinen viele eher mit gesenktem Kopf über den Campus zu schlendern, statt mal nach potentiellen Partnern Ausschau zu halten.

Meine Flirtversuche beschränken sich auf ein paar traurige Messenger-Nachrichten während der Corona-Zeit. Fand ich jemanden besonders nett, habe ich um Hilfe beim Erstellen meines Stundenplans gebeten. Dass mein Stundenplan schon lange fertig war, habe ich natürlich verschwiegen. Einige Kommilitonen haben mich dafür belächelt. Ich finde diese Strategie ziemlich genial – wäre sie nur nicht fruchtlos geblieben.

Jemanden angesprochen habe ich noch nie, angesprochen wurde ich auch noch nicht. Auf den Dating-Apps sieht die Welt aber schon wieder anders aus. Keiner scheint mehr sicher zu sein vor dem Sog von Tinder, Bumble und Co. War das vor der Pandemie anders? Waren wir vielleicht mutiger als jetzt?

Tinder bleibt Platzhirsch im Single-Game

Mit Blick auf meine beste Freundin wird vielleicht deutlicher, wie Dating in der Uni in Zukunft aussehen könnte: Vor ein paar Monaten lief da etwas zwischen ihr und einem Kommilitonen – sie haben sich auf dem Campus erspäht und für gut befunden. Aber statt sich mal dort anzusprechen, sind die Beiden erst auf Tinder ins Gespräch gekommen.

Sowieso haben die Dating-Apps die Art und Weise, potentielle Partner kennenzulernen, ziemlich auf den Kopf gestellt. Und genau da liegt der Knackpunkt. Die Auswahl ist riesig, gegenseitiges Interesse durch ein Match schnell geklärt. Die Initialen der Uni im jeweiligen Profil schaffen schnelle Orientierung. Dating vom Sofa aus ist total bequem, die Hemmschwelle niedrig; es ist weniger spaßig, aber zumindest angenehmer, als sich durch Clubs und Bars quälen zu müssen. Mit der nicht zu erschöpfenden Auswahl an Singles (und denen, die vorgeben, single zu sein) steigen bestimmt auch die Ansprüche. Offene, lockerere Beziehungen sind häufiger geworden.

Eine Gruppe von Menschen habe ich in meiner Rechnung bisher ausgelassen: Die Dozenten meiner Uni. Dabei sind Beziehungen zwischen Dozenten und Studierenden nicht unüblich, mindestens aber befremdlich. Denn der Hype um die Apps zieht an den Dozenten nicht vorbei. Einer von ihnen hat mich nach einer mündlichen Prüfung auf Tinder gefunden, später ein Tutor auf einer anderen App. Wer dem Campusgeflüster Glauben schenkt, könnte meinen, dass das immer häufiger wird.

Informatik-Studierende haben schlechtere Chancen

Ganz interessant: 2011 wurden in England 2.000 Studierende von der "One Day University Love League" befragt. Demnach haben 20 Prozent der Befragten angegeben, die "Liebe des Lebens" auf dem Campus gefunden zu haben. Spitzenreiter sind Tourismus-Studierende. Informatik-Studierende bestätigen das Klischee und gehen überwiegend leer aus. Vergleichbare Zahlen für Deutschland gibt es nicht.

Persönliches Kennenlernen in der Uni hat bestimmt nicht ausgedient, wird aber zunehmend verdrängt, hat man den Eindruck. Das mag an den Apps liegen, vielleicht auch an veränderten Ansprüchen. Und was bedeutet das jetzt für mich? Vielleicht stimmt es ja, dass Liebe einen immer dann erreicht, wenn man es am wenigsten erwartet. Liebes Universum, ich erwarte nichts mehr – also lass dir bitte nicht so viel Zeit. Und bis dahin: Alexa, spiel "single af" von Fousheé!

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