Die Karrierefrage: Diskriminiert und belästigt – wie wehre ich mich?

Autor*innen
Caroline Becker
Man sieht einen Mann von hinten. Er hat die Arme auf die Hüften gestützt. Vor bzw. über ihm schwebt ein Mund, der ihn anzuschreien scheint.

Diskriminierung am Arbeitsplatz hat viele Gesichter. Komplett machtlos sind Betroffene aber nicht. Allerdings können rechtliche Schritte ziemlich kompliziert sein.

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Schon an seinem ersten Arbeitstag in einem Handwerksbetrieb in Hessen merkte David, dass die meisten seiner Kollegen rechts, einige sogar rechtsextrem eingestellt waren. In der Mittagspause habe ihm ein Kollege stolz erzählt, dass seine Musik auf dem Index der in Deutschland verbotenen Lieder stehe und ihm ein Lied gezeigt, in dem es unter anderem hieß, dass alle Schwarzen wieder nach Afrika sollten. Davids Mutter stammt aus Eritrea, sein Vater ist Amerikaner. David ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Als er seinem Chef von dem Vorfall erzählte, habe der nur gesagt, dass er das nicht so ernst nehmen solle. "Die sind halt so."

Insbesondere in den ersten Wochen hatte David, der wie alle von Diskriminierung betroffenen in diesem Text in Wirklichkeit anders heißt, Angst, zusammengeschlagen zu werden. "Die hatten Nazisymbole als Autokennzeichen, haben sich teils mit Hitlergruß verabschiedet und das wurde einfach toleriert", sagt der Dreißigjährige. Glücklicherweise seien sie jedoch nie handgreiflich geworden. Anfangs schrieb David noch alles mit, irgendwann gab er auf.

Bei Straftaten, wie unter anderem der Verwendung des Hitlergrußes oder sexueller Gewalt, können Betroffene zwar bei der Polizei Anzeige erstatten. David hat das aber nicht gemacht, weil die Firma dem Onkel eines Freundes gehört, der ihm den Job organisiert hatte. "Damit wäre ich ihm irgendwie in den Rücken gefallen", sagt er. Zudem habe er inzwischen eine neue Stelle gefunden, in der er sich respektiert fühlt.

Eine Anzeige bei der Polizei ist nicht die einzige Möglichkeit, sich zu wehren. Theresa Schwab vertritt als Anwältin auch von Diskriminierung betroffene Personen, die ihren Arbeitgeber auf Schadensersatz verklagen. Unter anderem im Falle rassistischer oder sexistischer Diskriminierung ist der Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gegeben. Mit ihren Klienten klärt Schwab zunächst, inwieweit eine Klage Aussicht auf Erfolg hat. Das AGG enthält eine Beweislasterleichterung. Das heißt, dass Betroffene nur Indizien beweisen müssen, die eine Benachteiligung vermuten lassen. Arbeitgeber müssen dann beweisen können, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Deshalb sei es wichtig, dass Betroffene Vorfälle dokumentieren und sich, wenn möglich, Zeugen suchen.

Wo fängt Diskriminierung eigentlich an?

Vielen Menschen fällt es schwer festzustellen, wo Belästigung oder Diskriminierung anfängt. So ging es auch Anna. Erst waren es Sprüche wie "Ach Mäuschen, hab dich nicht so", dann war seine Hand immer häufiger an ihrem Rücken und schließlich gab er ihr ab und an einen Klaps auf den Hintern. "Ich war in diesen Momenten oft so perplex, dass ich nichts sagen konnte", sagt sie. Anna ist 25 Jahre alt und arbeitet für einen Reiseveranstalter im Projekt-Management. Der Mann, der sie immer wieder belästigte, ist der wichtigste Kunde der Firma. "Dementsprechend war der Druck groß, dass man trotzdem ein gutes Geschäftsverhältnis bewahrt. Es geht einfach um unfassbar viel Geld und im Zweifel schade ich mir und der Firma, wenn ich das an die große Glocke hänge." Als er sie jedoch bei einer Feier an sich zog, um mit ihr zu tanzen, und auch nach einem mehrfachen "Nein" nicht aufhörte, habe sie ihn weggedrückt und beschlossen, mit ihrer Vorgesetzten darüber zu sprechen.

"Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz steht zusammengefasst: Belästigung am Arbeitsplatz ist ein 'unerwünschtes und sexuell bestimmtes Verhalten, das die Würde der betroffenen Person verletzt.' Das heißt, jedes unerwünschte anzügliche Verhalten ist eine sexuelle Belästigung", sagt Ferda Ataman. Sie ist die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und wurde im Juli 2022 vom Bundestag zur Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung gewählt. Bei sexueller Belästigung spiele es keine Rolle, ob jemand mit Absicht sexuell belästigt oder nicht. "Die Wirkung ist entscheidend", sagt Ataman.

Arbeitgeber sind verpflichtet, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Diskriminierung und vor sexueller Belästigung zu schützen. Kommt sexuelle Belästigung wie bei Anna trotzdem vor, sollten sich Betroffene daher unbedingt Hilfe holen und den Vorfall melden, rät Ataman. Erste Anlaufstelle sei die Beschwerdestelle am Arbeitsplatz. Laut AGG müssen alle Arbeitgeber eine solche Stelle im Betrieb eingerichtet haben. Auch wenn es keine offizielle Beschwerdestelle gibt, haben die Betroffenen das Recht auf eine Beschwerde. Sie können sich dann direkt an Vorgesetzte wenden. Die Arbeitgeber müssen dafür sorgen, dass die Belästigung aufhört.

Anna sprach mit ihrer Chefin über die Vorfälle. Die hätte ihr immer wieder gesagt, dass sie sich melden soll, falls irgendwas passiert. Nur deshalb habe sie sich auch getraut, mit ihr darüber zu sprechen. "Ich hatte das Gefühl, dass sie mir den Rücken stärkt", sagt Anna. Im Gespräch hätten sie gemeinsam beschlossen, dass sie nicht mehr allein mit dem Kunden auf Reisen gehen wird, um Risiken zu minimieren.

Die Schriftform ist wichtig

Falls Betroffene Beschwerde einreichen, beispielsweise beim Betriebsrat oder ihren Vorgesetzten, sollten sie darauf achten, dies schriftlich zu tun und sich den Eingang bestätigen zu lassen. Schwabs größtes Problem ist nämlich oft die Vorgabe des AGG, dass Ansprüche auf Schadensersatz und Entschädigung grundsätzlich binnen einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden müssen. Das sei zu kurz. "Es macht etwas mit Menschen, wenn sie derart in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt werden", sagt Schwab. Daher sei es verständlich, dass viele nicht sofort eine Anwaltskanzlei kontaktieren. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berät kostenlos zu möglichen rechtlichen Schritten. Klagen müssten die beispielsweise von sexueller Belästigung Betroffenen jedoch selbst.

Auch Sherbano hat Diskriminierung erfahren und irgendwann beschlossen zu kündigen, weil es sie psychisch stark belastet hat. "Ich war so wütend und habe mich so hilflos gefühlt", sagt sie. Im Sommer 2021 suchte die vierunddreißigjährige Pakistanerin dringend nach einem Job in Deutschland, um ihr Visum verlängern lassen zu können. Ein Think Tank, der sich online als modernes, inklusives Unternehmen präsentierte, bot ihr eine Stelle "Assistant Editor" an. "Als sie mir ein Gehaltsangebot machten, hatte ich bereits das Gefühl, dass das zu niedrig war, aber ich brauchte ja unbedingt einen Job und traute mich deshalb nicht, härter zu verhandeln", sagt sie. Während der Probezeit habe sie erfahren, dass ihre weißen, weiblichen und männlichen Kollegen in ähnlichen Positionen mehrere hundert Euro je Monat mehr bekamen. Zum Ende ihrer Probezeit versuchte Sherbano daher, ihr Gehalt nachzuverhandeln. Ihre Chefs hätten sie jedoch immer wieder abgewimmelt, vertröstet und impliziert, dass es keine Diskriminierung sei, sondern sie damals einfach schlecht verhandelt hätte.

"Wenn Vorgesetzte nicht oder nicht hilfreich reagieren, steckt man oft in einer unmöglichen Situation", sagt Franzi von Kempis, die Geschäftsführerin des Vereins Charta der Vielfalt, der sich für mehr Diversität am Arbeitsplatz einsetzt. Dann könne es helfen, sich Verbündete im Unternehmen zu suchen, zum Beispiel Kollegen, andere Betroffene oder betriebliche Interessenvertretungen. Sherbano hat mit ihren Kollegen darüber gesprochen. Viele seien geschockt gewesen und hätten ihre Unterstützung angeboten, aber wirklich nachhaltig für sie eingesetzt habe sich niemand. Nach sechs Monaten Hin und Her beschloss Sherbano zu kündigen. "Danach hat es noch fast zwei Monate gedauert, bis ich wieder gut schlafen konnte", sagt sie.

"Werden Sie aktiv!"

Einen Diskriminierungsfall direkt mitzubekommen, könne für Kollegen überfordernd sein. "Fragen Sie sich dann, wie es erst der betroffenen Person gehen muss, und werden Sie aktiv", appelliert von Kempis. Zu Rate gezogene Kollegen sollten der Person zuhören, ihre Erfahrungen ernst nehmen und sich erkundigen, welche Stelle in der Organisation für Diskriminierungsfälle zuständig ist. Je nach Diskriminierungsfall kämen verschiedene Hilfsangebote in Frage. "Was die betroffene Person braucht, kann ganz unterschiedlich sein", sagt von Kempis. Oft seien Gesprächsangebote ein wichtiger erster Schritt, um diese Bedürfnisse und das weitere Vorgehen zu klären.

Inzwischen geht es Sherbano besser und sie hat einen neuen Job gefunden, in dem sie nach Tarif bezahlt wird. Weder Sherbano noch David oder Anna haben rechtliche Schritte eingeleitet. Sie alle hatten ihre Gründe. "Ein gerichtliches Verfahren bedeutet neben dem Zeitaufwand auch immer emotionalen Aufwand", sagt Schwab. Darüber kläre sie ihre Klienten zu Beginn immer auf. Nicht alle hätten die Kraft, nicht allen sei es das wert. Daher sei es wichtig, dass Arbeitgeber es gar nicht erst so weit kommen lassen.

"Vorbildliche Unternehmen erkennen Beschäftigte unter anderem daran, dass sie schon eine Beschwerdestelle eingerichtet haben, Dienst- oder Betriebsvereinbarungen haben, die die Thematik adressieren, Leitlinien und Verhaltenskodizes im Umgang mit Belästigungen und Diskriminierungen im Unternehmen bestehen und Fortbildungen und Schulungen zum Umgang mit Belästigungen und Diskriminierungen angeboten werden", sagt der Arbeitsrechtsexperte des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reentje Streuter. Im Bewerbungsgespräch sollten Bewerber nicht davor zurückschrecken, nach den genannten Strukturen zu fragen.

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