Berufsbezeichnungen: "Ich rate davon ab, einen Jobtitel anzunehmen, der großspurig klingt"
- Hannah Scherkamp und Sarah Kohler

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Plötzlich sind fast alle Chief of, Head of oder Manager von irgendwas. Vor allem junge Leute wünschen sich wichtig klingende Jobtitel. Doch genau das ist auch gefährlich.

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Neue Arbeitswelt, neue Jobtitel. Immer mehr Unternehmen vergeben lange, wichtig klingende Berufsbezeichnungen. Welche Aufgaben dahinterstecken, versteht kaum jemand, oft nicht einmal die Arbeitnehmenden selbst. Und trotzdem werden diese Titel immer komplizierter. Die Berliner Personalberaterin Katja Bauer weiß, warum die ausgefallenen Jobtitel vor allem der jungen Generation wichtig sind – und wann diese ihnen schaden können.
Es gibt mittlerweile viele kreative und lange Jobtitel, einen Chief Culture Manager, den Customer Care Specialist oder den Head of Growth Marketing. Warum braucht es die?
Alte Muster und Jobtitel funktionieren bei den jüngeren Arbeitnehmern nicht mehr. Die Unternehmen müssen ihnen heute keinen Dienstwagen mehr anbieten, den wollen sie sowieso nicht, außer einen Tesla vielleicht. Viel wichtiger ist es Arbeitnehmenden mittlerweile, dass sie sich mit ihrem Job identifizieren können und dieser ihnen sinnstiftend erscheint, einen sogenannten purpose gibt. Dabei kann auch der Jobtitel helfen.
Katja Bauer
Katja Bauer war 2009 die erste Head of HR bei Zalando. Seit 2019 ist sie Partnerin bei der Personalberatung i-Potentials in Berlin.
Inwiefern?
Für viele ist schon der Jobtitel selbst sinnstiftend. Wer beispielsweise Chief Culture Officer oder Head of Culture einer Firma ist, kann damit ein Statement nach außen senden: Seht her, ich kümmere mich um das Wohlbefinden der Menschen! Das klingt einfach besser als "Mitarbeiter der Personalabteilung".
Und die Firmen machen das mit?
Für Unternehmen gibt es zwei gute Gründe, kreative Jobtitel zu nutzen: Zum einen können sie Werbung für die Firma sein, eine Botschaft, durch die Bewerber und Bewerberinnen auf sie aufmerksam werden. Mit einem Chief Culture Officer können Firmen nach außen zeigen, dass ihnen eine gute und faire Arbeitskultur wichtig ist. Zum anderen sollen die Jobtitel die Mitarbeiter motivieren und ihnen den gewünschten Sinn geben. Die konkreten Aufgaben sind dabei oft erst einmal zweitrangig.
Die Außenwirkung eines Jobtitels ist den Arbeitnehmenden also wichtiger als die Aufgaben, die dahinterstehen?
Tatsächlich sind die Aufgaben vielen erst einmal egal. Wenn der Titel sinnstiftend ist, folgen die konkreten Aufgaben automatisch. Das mag auf den ersten Blick seltsam wirken, aber die meisten Menschen aus der Generation Y und Z achten stark auf ihre Work-Life-Balance und sind sogar oft lieber arbeitslos als unglücklich im Job. Zudem wechseln sie viel häufiger den Job, als es ihre Eltern oder Großeltern getan haben. Doch mit jedem Wechsel wünschen sie sich auch einen neuen Titel. Denn wenn jemand bei seinem bisherigen Job einen bestimmten Titel hatte, will er bei einem Wechsel natürlich keinen Rückschritt machen. Eine neue Jobbezeichnung – eine bessere – muss also her. Es soll immer höher, schneller, weiter gehen. Diese Inflation der Jobtitel wird also auch von den jungen Arbeitnehmenden getrieben.
"Niemand versteht mehr, was einige dieser Titel wirklich bedeuten."
Ist das nicht problematisch? Es kann ja nicht jeder schon mit Ende 20 einen Führungstitel haben.
Es ist kein Problem, solange die Titel zu den Strukturen und der Kultur im Unternehmen passen und einer gewissen Logik folgen. Dennoch sehe ich mehrere Schwierigkeiten. Insbesondere weil niemand mehr versteht, was einige dieser Titel wirklich bedeuten. Was bitte ist ein Director of First Impressions? Oder ein Associate Mystery Shopper? Außerdem kann man selbst die gängigen Jobtitel, die in vielen Unternehmen genutzt werden, nicht mehr miteinander vergleichen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Nehmen Sie einen Senior Vice President, abgekürzt durch SVP. Diesen Titel gibt es in vielen Unternehmen. Es ist jedoch etwas ganz anderes, ob jemand in einem Start-up SVP ist oder in einem Dax-Konzern. Bei einem Start-up kann ein SVP alles Mögliche ausprobieren, eigentlich wie bei Jugend forscht. Das klingt jetzt etwas gemein, aber es gibt eben kaum Regeln in diesen jungen Firmen. Anders als bei einem Dax-Konzern, in dem ein SVP eine sehr politische Rolle innehat und einen rechtlich regulierten Verantwortungsbereich leitet. Da die meisten Außenstehenden nicht verstehen, wie unterschiedlich die Aufgaben hinter diesen Titeln sind und wie sie vergeben werden, kann es für den Einzelnen sogar gefährlich werden.
Wieso gefährlich?
Weil die Personen, die im jungen Alter schon diese wichtig klingenden Jobtitel tragen, auch sehr unter Druck sind. Es wird ja erwartet, dass sie bei einem Wechsel einen noch besseren Jobtitel erhalten. Viele bekommen so immer mehr Verantwortung, können damit aber eigentlich nicht umgehen. Denn es ist oft eben nicht nur ein Jobtitel: Die Leistung, die damit verbunden wird, muss stimmen, die Anforderungen muss man erfüllen. Meine Erfahrung ist, dass nicht vor allen Beförderungen geprüft wird, ob jemand wirklich führen kann. Dazu gehört auch die Fähigkeit, richtig zu kommunizieren. Ein anderes Problem ist, dass sich Firmen Titel ausdenken, aber die Aufgaben dahinter nicht klar definieren. Das führt oft zu Chaos. Häufig weiß nicht mal der Mensch mit dem Jobtitel, was er da eigentlich tun soll.
Also sollte man so einen Titel lieber nicht annehmen?
Man sollte sich schon fragen, was die Aufgabenbereiche sind. Wenn das unklar ist, sollte man versuchen, das zu klären – möglichst bevor man einen Arbeitsvertrag unterschreibt. Und diejenigen, die so einen Jobtitel vergeben, sollten sich fragen: Ist dieser Titel wirklich ernst gemeint? Passt er zu der Verantwortung, die eine Person übernehmen soll?
"Viele erleben eine Identitätskrise, wenn sie sich nicht optimieren"
Gerade junge Mitarbeitende wünschen sich oft flache Hierarchien. Gleichzeitig fordern sie offenbar ständig neue Jobtitel. Woher kommt dieser Widerspruch?
Aus meiner Sicht gibt es einen großen Druck, sich ständig zu optimieren und zu entwickeln. Wenn das nicht geschieht, erleben viele eine Identitätskrise. Insbesondere junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer identifizieren sich dabei über ihren Jobtitel. Das steht aber nicht im Gegensatz zu flachen Hierarchien. Denn trotz verschiedener Titel will sich nach wie vor jeder mit jedem austauschen. Das Bedürfnis, nach außen zeigen zu können, wer man ist, wofür man im Job steht und dass man sich weiterentwickelt, bleibt. Deswegen auch die Jobtitel.
"Ich würde davon abraten, einen Jobtitel anzunehmen, der großspurig klingt."
Manchmal sind Jobtitel schlichtweg Quatsch. Beispielsweise wenn ein drei Jahre altes, also längst gegründetes Start-up über eine Jobplattform einen Co-Gründer sucht.
Vorweg muss ich sagen, dass ich das von unseren Kunden und Kundinnen nicht kenne. Dort wird bei den Titeln nicht geschummelt. Aber ich weiß, was Sie meinen, ich habe das schon bei anderen Firmen beobachtet und sehe es sehr kritisch. Ich würde jedem davon abraten, einen Jobtitel anzunehmen, der zu großspurig klingt oder sogar falsch ist. Denn man wird ja ständig hinterfragt. Jeder kann heute alles über Google oder LinkedIn recherchieren, das fliegt irgendwann ohnehin auf.
Warum nutzen viele Firmen die sehr verständlichen Jobtitel wie "Geschäftsführer", "Abteilungsleiter" und "Mitarbeiter in der Abteilung xy" nicht mehr?
Dafür muss man etwas zurückblicken, in die Zeit, als hier in Deutschland die ersten erfolgreichen Digitalunternehmen gegründet wurden. Das war vor rund fünfzehn Jahren in Berlin. Die Samwer-Brüder starteten beispielsweise den Klingeltonanbieter Jamba. 2008 folgten dann Firmen wie Zalando, die sehr schnell viele Menschen einstellen konnten. Ich war in den Anfangsjahren, 2009 und 2010, bei Zalando als Head of HR dafür zuständig, neues Personal zu gewinnen. Das war erst einmal sehr schwierig, niemand kannte den Namen Zalando, wir konnten keine hohen Gehälter zahlen, weil wir nicht genügend Geld hatten. Viele Entwickler waren damals Autodidakten, sie hatten kein Informatikstudium absolviert, bekamen Jobs über ihr Netzwerk und wohnten in der ganzen Welt. Diese Menschen arbeiteten kostengünstig und wir brauchten, was sie konnten. Deswegen haben wir damals bei Zalando angefangen, die in den USA bereits bekannten Jobtitel auf Englisch zu nutzen. So konnten wir auch internationale Kandidaten ansprechen und die Firmen interessant wirken lassen. Viele Techfirmen haben es ebenso gemacht.
"Alteingesessene Unternehmen fühlen sich tatsächlich unter Druck gesetzt und wollen etwas ändern."
Von wem wurden die Jobtitel kopiert? Techunternehmen wie Facebook oder Apple?
Anfangs haben wir sie vor allem bei den großen Medienhäusern abgeguckt, zum Beispiel bei Fox Corporation. Die Jobtitel, die es in den USA schon lange gab, kamen dann etwa zehn Jahre später auch in Deutschland an. Aber sie waren nicht nur da, um Personal zu gewinnen. Viele der Techunternehmen hatten und haben andere Strukturen als Mittelständler, mehrere Gründer oder Geschäftsführer beispielsweise und nicht den einen Chef an der Spitze, der alles bestimmt. Weil es oft viele Chefs mit verschiedenen Aufgaben gibt, ernennen diese Firmen beispielsweise fast immer ein C-Level mit einem CEO, CPO, CTO und so weiter. Das ist sinnvoll und mehr als nur Werbung.
Setzt das alteingesessene Unternehmen, die noch die alten und deutschen Titel nutzen, unter Druck, sich anzupassen?
Klar, viele glauben, sich da anpassen zu müssen, um nicht altbacken zu wirken. Diese Firmen sollten neue Titel allerdings nur etablieren, wenn sie zur Kultur und den anderen Mitarbeitenden passen. Außerdem müssen dann Strukturen geschaffen werden, die zu den Titeln und Aufgaben passen – sonst wirken die schnell übergestülpt und verwirren doch nur.
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