Quereinstieg im Consulting: "Ich musste erstmal googeln, was Beratung ist"
- Hannah Mara Schmitt

Lustre – stock.adobe.com
Lange hieß es: Ohne BWL-Studium hat man im Consulting keine Chance. Inzwischen schaffen viele den Quereinstieg. Ein Philosoph, ein Mediziner und andere erzählen, wie es geklappt hat.

e‑fellows.net präsentiert: Das Beste aus ZEIT Campus
Lies bei uns ausgewählte Artikel aus ZEIT Campus, dem Magazin der ZEIT für alle Abiturient:innen, Studierenden, Absolvent:innen und Young Professionals.
Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe: Wasserschäden, Asbest, einstürzende Decken: Warum sind die Unis so marode?
Der Philosoph: "Das Studium hat mein Denken geschärft"
Paul Schmitz-Gielsdorf, 24, arbeitet als Berater bei BCG.
"Nach dem Abi nahm ich mir ein Jahr Zeit, um herauszufinden, was ich studieren will. Ich setzte mich in Leipzig als Gasthörer in verschiedene Vorlesungen und entschied mich dann für Philosophie, weil mich ethische Fragen interessieren. Ich wollte in England studieren, weil Geisteswissenschaften dort ernster genommen werden. Das klappte, und ich ging ans University College in London.
Um während des Studiums Geld zu verdienen, gründete ich in der Pandemie mit einem Kommilitonen ein Start-up. Wir verkauften Handdesinfektionsmittel in Kreditkartenform. Google und Harrods zählten zu unseren Kunden, doch nach Corona ging die Nachfrage zurück. In dieser Zeit veranstaltete BCG ein Recruiting-Event an unserer Uni. Ich bewarb mich bei BCG und wurde zu einem Auswahlwochenende zum Thema Global Health eingeladen. Ohne das Start-up hätte ich wohl keine Chance gehabt.
An dem Wochenende arbeiteten wir an einem Case zur Einführung neuer Medikamente in afrikanischen Ländern. Bis dahin wusste ich kaum, was Beratungen überhaupt machen. Ich bekam gutes Feedback und wurde ermutigt, mich als Berater zu bewerben. Beim Onboarding waren wir 13 Leute ohne BWL-Hintergrund: Juristen, Architektinnen, Biologen. In einem vierwöchigen Bootcamp wurden wir auf den Job vorbereitet und lernten, wie man gute Präsentationen baut oder Meetings leitet.
In der Bewerbungsphase dachte ich manchmal, mit BWL-Studium wäre es leichter gewesen. Andere Beratungen luden mich nicht mal zum Interview ein. Als ich bei BCG anfing, hatte ich mich vorher nie groß mit Excel und komplexen Datenanalysen auseinandergesetzt. Deshalb forderte ich im Team früh ein: Wenn ihr kleine Excel-Aufgaben habt, gebt und erklärt sie mir. Zum Glück arbeite ich mit Leuten, von denen ich schnell lerne. Anfangs erzählte ich keinem, was ich studiert habe. Ich hatte Sorge, nicht ernst genommen zu werden.
Bereut habe ich mein Studium aber nie. Es hat mein Denken geschärft und hilft mir, weil es komplett auf Englisch war. Philosophische Fragen werden auch für die Firmen, die wir beraten, immer wichtiger. Gerade in Bezug auf Responsible AI: Was darf die KI, was nicht?"
Der Informatiker: "Alte Kommilitonen fragen mal: Habt ihr eine Stelle für mich?"
Ferdaus Zabihzadeh, 27, ist Senior-DevOps-Ingenieur bei Roland Berger.
"Seit der Oberstufe war mir klar, dass ich Wirtschaftsinformatik studieren möchte. Ich wollte früh in die Praxis, um mich auszuprobieren. Vorm Studium machte ich einige Praktika: in der Verwaltung der Stadt Hamburg, bei einem Maschinenbauer, in einem Start-up, alles mit Tech-Bezug. Außerdem habe ich schon immer gecodet. Nach der Schule studierte ich dual, später machte ich einen Master in IT-Management.
Bevor ich in die IT-Abteilung von Roland Berger wechselte, arbeitete ich bei einem Softwareunternehmen. Das war mein erster Job, und er fühlte sich an wie mindestens zwei. Ein amerikanischer Konzern übernahm die Firma, plötzlich waren wir nicht mehr 120, sondern 3.000 Beschäftigte weltweit, mit größeren Budgets, anderen Strukturen. Dabei spürte ich, dass ich strategischer arbeiten möchte. Ich wollte nicht mehr nur technische Lösungen umsetzen, sondern Entscheidungen mitgestalten: Welche Technologien sind sinnvoll, welche IT-Investitionen lohnen sich? Beratung schien ein logischer Schritt. Also bewarb ich mich für Consultant- und Non-Consultant-Rollen. Auch weil ich Leute wie die Unternehmerin Lea-Sophie Cramer bewundere, die aus der Beratung kommt.
Im Bewerbungsprozess hatte ich keine Berührungsängste, obwohl ich auf einer FH war. Ich bewarb mich einfach, ohne mir vorher lange Gedanken zu machen. Statt zu fragen: ›Passe ich hier rein?‹, fragte ich mich: ›Passen die Aufgaben zu mir?‹ Ich will an dem gemessen werden, was ich kann.
Ich mag, wie vielfältig mein Job ist: unterschiedliche Industrien, wechselnde Projekte. Ich unterstütze Consulting-Teams als Tech-Sparringspartner, bevor sie mit Kunden sprechen. Ich berate sozusagen die Berater. Wenn bei Projekten Software-Expertise gefragt ist, holen sie mich dazu. Viele meiner alten Kommilitonen sind heute noch bei den Firmen, bei denen sie dual studiert haben, und sehr zufrieden. Manche fragen mal: ›Habt ihr auch eine Stelle für mich?‹ Neid erlebe ich aber nicht. Jeder wählt seinen Weg. Man kann auch im Mittelstand erfolgreich sein oder etwas gründen."
Die Mathematikerin: "Ich sagte mir nach dem Studium: I can do it"
Antonia Düx, 26, arbeitet als Consultant bei Strategy&.
"In der zehnten Klasse ging ich für ein Jahr in der Nähe von Manchester aufs Internat. An meiner Schule machten das viele, einen Austausch in Amerika oder England. Als mir ein Stipendium angeboten wurde, blieb ich dort und machte meinen Schulabschluss.
Danach zog ich nach Bonn und studierte Mathe, weil das schon in der Schule mein Lieblingsfach war. Im Studium hieß es oft: Mit Mathe habt ihr viele Möglichkeiten. Regelmäßig kamen Alumni und berichteten von ihrem Joballtag. Jemand von DHL erklärte zum Beispiel, wie die Routen für Postautos berechnet werden.
Weil ich mir vorstellen konnte, in der Wirtschaft zu arbeiten, wählte ich VWL als Nebenfach. Mein Pflichtpraktikum im fünften Semester machte ich bei einer Versicherungsberatung und blieb anschließend als Werkstudentin. Im Master wechselte ich an die TU München, weil das Studium dort praxisnäher war, und machte Praktika bei SAP, Deloitte, BCG, Strategy& und bei 180 Degrees Consulting, einer studentischen Beratung. Das war wie ein Schnupperkurs, der mich auf den Job vorbereitet hat.
Während des Praktikums bei Strategy& wurde ich in das Talent-Programm aufgenommen und hatte so nach der Uni einen verkürzten Bewerbungsprozess. Ein Interview mit dem Partner reichte. Trotzdem hatte ich Respekt vor dem Job. Mich beruhigte der Gedanke, dass ich mein Studium geschafft und mich dabei in komplexe Themen wie Finanzmathematik eingearbeitet hatte. Ich sagte mir: I can do it. Viele meiner Kommilitonen promovieren heute. Während man im Bachelor und Master oft in Gruppen arbeitet, forscht man an einer Doktorarbeit meist allein. Ich wusste immer: Das ist nichts für mich. Es gibt das Klischee vom einsam grübelnden Mathematiker. Dabei liebe ich es, vor Problemen zu stehen und sie gemeinsam zu knacken.
Das Studium hilft mir im Job: Tools wie die Programmiersprache Python oder die Datenvisualisierungssoftware Power BI kannte ich schon. Und einmal war ich auf einem Projekt in der Logistikbranche, bei dem der Kunde, ein Physiker, Beratern gegenüber skeptisch war. Als ich ihm von meinem Studium erzählte, taute er auf."
Der Mediziner: "Ich will als Berater das Gesundheitswesen verbessern"
Phillip Rebman, 26, arbeitet als Berater bei Roland Berger.
"Wie funktioniert der Körper? Wie entstehen Krankheiten, und wie bekämpft man sie? Diese Fragen haben mich schon in der Schule beschäftigt. Als ich mir mal beim Skifahren einen Bänderriss zuzog und in die Notaufnahme kam, war ich sehr beeindruckt, wie souverän die Ärzte waren. Da wusste ich: Ich will auch Arzt werden.
Während der klinischen Praktika im Studium fiel mir immer wieder auf, wie viele Baustellen das Gesundheitswesen hat: ineffiziente Prozesse, knappe Ressourcen, fehlende Digitalisierung. Ich wusste, dass es auch andere Berufswege für Mediziner gibt, und fing an, darüber nachzudenken, Medizin und Wirtschaft zu verbinden, etwa als Berater.
Roland Berger war mir als internationale Strategieberatung im Gesundheits- und besonders im Krankenhausmarkt bekannt. Um die Arbeit als Berater kennenzulernen, machte ich dort im achten Semester ein Praktikum. Schnell merkte ich: Beratung passt gut zu mir. Ich fühlte mich von Anfang an wertgeschätzt und als Teil des Teams. Die beste Idee zählt, unabhängig von wem sie kommt.
Nach dem Praktikum stand für mich fest: Ich werde Berater. Ich blieb mit meinem Team in Kontakt, nach dem Studium stieg ich dort ein. Als approbierter Arzt habe ich ein Gespür dafür, wie das Geschäftsmodell Krankenhaus funktioniert. Ich verstehe die Abläufe, weil ich sie erlebt habe. Bei einem Projekt im Bereich Medizinprodukte zeigte sich das besonders gut: Ich konnte meine Erfahrungen aus der Mitarbeit im OP einbringen und helfen, den Einsatz von chirurgischen Implantaten zu verbessern.
Im Anzug statt im Kittel werde ich von Kunden oft als BWLer wahrgenommen. Dabei sehe ich mich immer noch als Arzt, nur eben mit einem anderen ›Patienten‹. Als Arzt analysiert man Befunde und entwickelt daraus Behandlungsstrategien. In der Beratung analysieren wir Unternehmensstrukturen und helfen Krankenhäusern durch herausfordernde Zeiten.
Die meisten meiner Kommilitonen gehen den klassischen Weg: Assistenzarzt, Facharztausbildung. Für mich war der Schritt in die Beratung keine Abkehr von der Medizin. Ich will das Gesundheitssystem verbessern, in dem Ärzte ihre Patienten behandeln."
Die Psychologin: "Weil ich bloß keinen Nine-to-five-Job wollte, kam die Idee: Beratung"
Amelie Schlereth, 26, ist Associate Consultant bei Bain & Company.
"Das Verhalten von Menschen hat mich schon immer fasziniert. Trotzdem wusste ich schon zu Beginn meines Psychologiestudiums: Ich möchte später lieber im Unternehmenskontext arbeiten, als Therapeutin zu werden. Die Themen in der Therapie sind sehr persönlich und zum Teil belastend, die Distanz wäre mir auf Dauer schwergefallen.
Neben der Uni arbeitete ich als Werkstudentin bei einem Start-up, das eine App für digitales Coaching entwickelte. Ich durfte Businesspläne schreiben, Inhalte für die Coaching-Module erstellen und bei strategischen Entscheidungen mitdiskutieren. Gegen Ende des Masters beriet ich mit meinen Chefinnen den nächsten Schritt. Weil ich mich schnell in Dinge einarbeiten kann und bloß keinen Nine-to-five-Job wollte, kam die Idee: Beratung. Ich musste erst mal googeln, was das überhaupt ist.
Der Bewerbungsprozess wirkte erst einschüchternd. Ich bereitete mich mehrere Monate vor, übte Cases und lernte BWL-Grundlagen wie Gewinn-und-Verlust-Rechnung. Erst war ich unsicher, ob ich das überhaupt schaffe. Aber je mehr ich lernte, desto weniger Angst und desto mehr Spaß hatte ich. Besonders bei Übungs-Cases wie: Deine Freundin will ein Café eröffnen. Welche Kosten kommen auf sie zu? Oder: Sollte sich ein Zoo einen Panda anschaffen?
Ich bewarb mich bei KPMG und Bain und machte bei beiden ein Praktikum. Bain nahm mich in ein Förderprogramm auf und bot mir später einen Vertrag an. Mein Studium habe ich in der Beratung nie als Nachteil gesehen. Mir hilft die Fähigkeit, mich in andere hineinversetzen zu können. Bei einem Projekt schlug ich zum Beispiel vor, Mitarbeitende frühzeitig über einen Vorstandswechsel zu informieren, weil sonst Unsicherheit entstehen könnte.
Mein Freund hat auch Psychologie studiert und macht seine Ausbildung zum Psychotherapeuten. Weil ich mehr verdiene, übernehme ich gerade den Großteil der Miete. Ich sitze stundenlang vor Excel, er in Einzeltherapiegesprächen. Obwohl er früher nach Hause kommt, ist er oft genauso erschöpft wie ich. Mein Job ist auch fordernd, aber ich trage keine direkte Verantwortung für die psychische Gesundheit anderer. Mir hilft der Vergleich, um mein Stresslevel zu managen."
© ZEIT Campus (Zur Original-Version des Artikels)