Christiane Stengers Mnemotechnik – "Wer lernen will, muss fühlen": Mit Rosmarin zum Elefantenhirn

Autor*innen
Magdalena Schneider
Auf einem riesigen Smartphone liegen eine Zeichnung eines Gehirns, ein Stapel Bücher und Zahnräder. Darüber schwebt eine Glühbirne.

Möglichst viel Wissen in möglichst wenig Zeit im Gehirn verankern – welcher Student wünscht sich das nicht? Gedächtnisweltmeisterin Christiane Stenger verrät im Interview, wie du in Zukunft mit wahrhaft sinnlichen Mnemotechniken schneller ans Ziel kommst.

Du bist als Gedächtnisweltmeisterin mit Ratgebern für Mnemotechniken und Gedächtnistraining bekannt geworden. Dein Werk heißt "Wer lernen will, muss fühlen". Klingt ein bisschen esoterisch – wie bist du zu diesem Thema gekommen?

Mir ist während des Gedächtnistrainings aufgefallen, welch große Rolle Bilder beim Merken spielen. Und gerade während der Meisterschaften habe ich bemerkt, dass das Bild zwar die Grundlage der Erinnerung ist. Die Bilder haben sich aber im Lauf der Zeit auch zu einem Gefühl entwickelt. Wenn ich mir knapp 300 Ziffern in fünf Minuten gemerkt habe, dann hatte ich zu jeder Zahl ein Bild. 10 ist bei mir eine Tasse, 90 ist der Bus, 50 ist das Lasso. Und wenn das Einprägen ganz schnell gehen muss, habe ich zwar das Bild gesehen – also zum Beispiel die Tasse. Aber viel wichtiger war das Gefühl, das ich dazu hatte. Und so habe ich den Zusammenhang zwischen Fühlen und Merken kennengelernt.

Mnemotechnik mit Christiane Stenger [Foto: Nils Schwarz]

Christiane Stenger (*1987) ist mehrfache Gedächtnisweltmeisterin und auch sonst nicht auf den Kopf gefallen: Sie machte mit 16 Abitur und studierte anschließend Politische Wissenschaften in München. Parallel dazu schrieb sie ihr erstes Buch zum Thema Gedächtnistraining, das zum Bestseller wurde. Heute hält Christiane deutschlandweit Vorträge und gibt Seminare zu Mnemotechniken.

Eine weitere zentrale Mnemotechnik im Gedächtnistraining ist die Routentechnik – auch Loci-Methode genannt. Die ist 2.000 Jahre alt und wurde schon von den alten Griechen genutzt, um Reden einzustudieren. Die haben sich in den Säulenhallen zu jeder Säule ein Bild vorgestellt, über das sie sprechen wollten. So konnten sie sich an jeder Säule das nächste Thema "abholen" und ihr Publikum mit einer gänzlich frei gehaltenen Rede beeindrucken. Heute muss man natürlich keine Säulen mehr nehmen, sondern kann zum Beispiel eine Route in der eigenen Wohnung erstellen. Am besten funktionieren nämlich vertraute Orte. Man kann auch den Weg zur Arbeit oder zur Uni nutzen. Dann legt man entlang der Route markante Punkte fest. Das können jeweils zwei, drei Punkte im Abstand von einem Meter sein. Anschließend prägt man sich zunächst diesen Weg ein – geht also zum Beispiel rechts in der Wohnung herum, mit der Tür als Startpunkt. Nach der Tür kommt vielleicht ein Stuhl, eine Kommode und so weiter. Im Bad ist es der Handtuchhalter, der Spiegel und das Waschbecken. Diese Route prägt man sich zuerst als Basis ein. Sie dient dann als bekanntes Wissen, an das man neue Informationen anknüpfen kann, indem man lustige Bilder baut und den Lernstoff in einem merkwürdigen, verrückten Bild mit dem jeweiligen Routenpunkt verknüpft.

Mein Gedächtniscoach hat immer darauf gepocht, dass wir bei dieser Mnemotechnik auch unsere Sinne einbeziehen. Konkret kann das zum Beispiel so aussehen: Wenn eine Regenrinne auf dem Weg zur Uni der Routenpunkt ist, stellt man sich vor, sie hochzuklettern. Bei der Eisdiele wird natürlich ein Eis gekauft. Durch diese Ansätze ist die Idee für das Buch gewachsen.

Worin besteht der Zusammenhang zwischen unserem Verstand und unserer Gefühlswelt?

Wir denken ja immer, wir sind rationale Lebewesen – das stimmt natürlich auch. Aber oft genug entscheiden wir intuitiv und können gar nicht erklären, woher dieses Gefühl eigentlich kommt. Diesen Gegensatz zwischen Verstand und Gefühl finde ich sehr spannend. Die Gefühle verstecken sich immer ein bisschen und wir meinen, klar, wir entscheiden logisch und ganz rational. Aber im Grunde genommen haben diese Gefühle sehr viel Macht über uns. Umso interessanter ist es dann, wenn man sie für das Lernen nutzen kann. So wird das Lernen auch weniger kalt und stupide. Man kann es aktiv selbst gestalten und seine Erfahrungen und Erlebnisse einbauen. Wenn man zum Beispiel mit einem schönen Urlaubsort eine Route macht und sich anhand dieser Route den Prüfungsstoff einprägt, kann man auch noch schöne Dinge mit dem Lernen verbinden – seine eigene Kreativität und seine eigenen positiven Gefühle.

In deinem Buch beschäftigst du dich mit jedem der fünf Sinne. Wie kann denn zum Beispiel der Geruchs- oder Tastsinn beim Lernen helfen?

Zunächst geht es mir darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass diese Sinne da sind und Lernen damit besonders gut funktioniert. Das Riechen ist sehr spannend – es ist oft ein Schlüssel zu unserem Gedächtnis. Wenn man einen bestimmten Duft wahrnimmt, kann es passieren, dass man sofort ein Bild aus der Vergangenheit geliefert bekommt. Bei mir sind das zum Beispiel Zimtschnecken. Wenn ich Zimt rieche, dann ist da sofort eine Zimtschnecke. Und dann kommen neben der Erinnerung an einen Moment in der Kindheit auch wieder die ganzen Gefühle zum Vorschein. Das gehört alles zusammen. Wenn man im Gedächtnistraining mit Bildern arbeitet, kann man sich dazu also vorstellen, wie etwas riecht. Wenn ich mir eine Rose merken will, dann stelle ich mir neben dem Bild auch vor, wie diese Rose riecht. Eine andere Möglichkeit, den Geruchssinn beim Lernen zu nutzen ist aber auch, Düfte zu verwenden, die einen entspannen. Man kann sich also einfach ätherische Öle hinstellen, um besser zu lernen. Studien belegen, dass man sich mit bestimmten Düften Dinge besser merken kann. Rosmarin zum Beispiel soll beim Lernen sehr gut unterstützen. Den Tastsinn setzt man ein, indem man sich vorstellt, wie sich die Dinge anfühlen. Je mehr Sinne man anspricht, desto mehr Gehirnareale erreicht man. Das Netz der aktivierten Gehirnzellen wird größer, deshalb ist auch die Chance größer, sich zu erinnern.

Mnemotechniken im Studium

Kann ich meine Sinne trainieren, um sie beim Lernen noch besser einzusetzen?

Schon allein das Trainieren der Sinne ist ein super Gedächtnistraining. Der Geruchssinn ist in unserem Alltag heute gar nicht mehr so wichtig, weil wir unsere Lebensmittel verpackt im Supermarkt kaufen und nicht mehr daran riechen, um die Genießbarkeit zu überprüfen. Die Sinneswahrnehmung über die Nase ist aber eine große Leistung unseres Gehirns. Als Übung hilft es schon, dass man an Kräutern riecht und zu erkennen versucht, ob man Oregano oder Thymian vor der Nase hat. Das ist ein gutes Grundtraining und man wird feststellen, dass man sehr schnell Fortschritte macht.

Es gibt ja die Unterscheidung zwischen vier Lerntypen – auditiv, visuell, motorisch und kommunikativ. Sollte ich mich besser auf meine liebste Lernform konzentrieren oder auch weitere Mnemotechniken nutzen, die mir auf den ersten Blick nicht entsprechen?

Natürlich macht es Sinn, sich auf das zu konzentrieren, was man schon gut kann. Wenn man beim Zuhören nicht so gut lernen kann, ist es nicht naheliegend, einen Podcast zum jeweiligen Thema zu hören. Trotzdem sollte man das Auditive nicht komplett ausschließen. Denn vielleicht kann man ganz wunderbar lernen, wenn man sich den Lernstoff auf sein Smartphone einspricht und die Aufnahme anschließend laut anhört. Man sollte offen sein, neue Dinge auszuprobieren. Oft hat man ja ein Schema, wie man am besten lernen kann und verpasst so vielleicht tolle Chancen, sich den Stoff noch anders einzuprägen.

Hast du bei deiner Schauspielausbildung Mnemotechniken benutzt?

Lustigerweise hatte ich strengstes Verbot, dafür meine Mnemotechniken anzuwenden. Ich habe sie zwar unterbewusst in meinen Lernprozess einbezogen, aber ich habe keine Routen verwendet. Denn es geht ja später darum, den Text aus der Situation heraus zu spielen. Wenn ich da in meinem Kopf eine Route abgehen würde, wäre das kontraproduktiv. Aber wenn man viel Zeit zum Lernen hat oder eineinhalbstündige Theatertexte lernen muss, dann kann man auch Routen nutzen. Denn am Ende sind die Routen ja nur die Transportmittel ins Langzeitgedächtnis. Wenn ich den Text die ganze Zeit spreche, dann verschwindet die Route wieder und allein der Text bleibt übrig. Wenn man also zwei, drei Monate Probenzeit hat, kann man auch mit dieser Technik lernen. Aber beim kurzfristigen Lernen von Texten würde ich keine Routen nutzen, damit das Spiel authentisch bleibt und man sich ganz auf den Text konzentrieren kann.

Welche Mnemotechnik würdest du jedem Studenten empfehlen?

Das ist tatsächlich die Loci-Methode. Sie ist der einfachste Weg, sehr viele Informationen ganz schnell abzuspeichern. Ich finde es jedes Mal selbst wieder faszinierend, wie effizient – und mit wie viel Spaß – man damit lernen kann. Man muss ja oft Fakten parat haben und mit dieser Technik kann man dabei wirklich viel Zeit sparen.

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