Wilde Studienfachkombinationen: Shakespeare trifft Statistik
- Franziska Sittig

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Studiengänge werden nach wie vor in eine bestimmte Schublade gesteckt. Warum auf den ersten Blick gegensätzliche Fächer oft erstaunlich gut zusammenpassen können.
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Geisteswissenschaftler sind von Beginn an zu Taxifahrern verdammt, Naturwissenschaftler sind unkommunikative Nerds, und BWLer laufen alle mit Slippern und geknoteter Strickjacke über dem Hemd rum. Ach ja? Dorothea Barth, 23 Jahre, Studentin der Uni Heidelberg, würde sich keinem dieser Klischees zuordnen: Sie studiert English Studies – in diesem Fall gleichbedeutend mit Anglistik – zusammen mit Volkswirtschaftslehre: "In der Schule mochte ich vor allem den Wechsel zwischen geisteswissenschaftlichen Fächern und mathematischen Themen und habe mich deshalb für diese Kombi entschieden. In Anglistik gefällt mir besonders die Sprachwissenschaft, da diese im Vergleich zur Literaturwissenschaft auch eher etwas analytischer angelegt ist."
Während Barth unter ihren Kommilitonen so ziemlich die einzige ist, in deren Stundenplan an manchen Tagen Makroökonomie unmittelbar auf die Analyse altenglischer Texte folgt, finden sich an der Uni Mannheim mehr Gleichgesinnte – dank des Bachelor of Arts Kultur und Wirtschaft, auch BAKUWI genannt. Seit 2006 gibt es diesen vormals als Diplom-Philologie mit wirtschaftswissenschaftlicher Qualifikation bezeichneten Studiengang, der ein geisteswissenschaftliches Kernfach mit einem Sachfach der Wirtschaftswissenschaften – BWL oder VWL – vereint.
Unter den zur Auswahl stehenden Kernfächern – Anglistik, Romanistik, Germanistik, Medien- und Kommunikationswissenschaft (MKW), Geschichte und Philosophie – sind die beiden Letzteren neben MKW aktuell besonders beliebt. "Der gesellschaftliche Trend bewegt sich momentan mehr Richtung Nachhaltigkeitsthemen, und das sehen wir auch in der Wahl der Kernfächer im BAKUWI ", erklärt die Studiengangsmanagerin Marilene Burkard.
Geisteswissenschaftliche Interessen und zahlenaffin
Vor ein paar Jahren, als sich junge Studienanfänger vermehrt für den Bereich Marketing und PR interessierten oder "irgendwas mit Medien machen wollten, war das Kernfach Medien- und Kommunikationswissenschaft am gefragtesten", sagt Burkard. Noch eine Phase zuvor, als die Globalisierung für die meisten ein faszinierendes Thema war und man möglichst international aufgestellt sein wollte, entschieden sich viele für eines der angebotenen sprachlichen Fächer: Anglistik, Germanistik oder Romanistik.
Jährlich beginnen den BAKUWI etwa 250 bis 300 neue Studierende, womit der Studiengang weiterhin zu den beliebteste der philosophischen Fakultät zählt. Doch: "Man sollte neben den geisteswissenschaftlichen Interessen unbedingt zahlenaffin sein, um in BWL oder VWL Erfolg zu haben; mit dem Pflichtpraktikum ergibt sich ein 50/50-Verhältnis von Wirtschaft und Geisteswissenschaften", sagt Angelika Konrad-Schineller von der Philosophischen Fakultät Mannheim.
BAKUWI-Absolventen stünden neben klassisch geisteswissenschaftlichen Berufen im Journalismus oder Wissenschaftsbetrieb vor allem auch die Felder der Unternehmensberatung sowie Stellen im Marketing und Management offen. Viele Schülerinnen und Schüler seien sehr an Kultur, Sprachen oder Geschichte interessiert, "nehmen aber auf Wunsch der Eltern, die sie dazu nötigen, doch auch 'etwas Richtiges zu machen', BWL oder VWL als Sachfach in Kauf". Einmal im Studium, gefällt den meisten die Kombination aus beidem auf Anhieb, haben Burkard und Konrad-Schineller über die Jahre hinweg beobachtet.
Doch wie vertragen sich die manchmal etwas chaotischen Geisteswissenschaftler mit den tendenziell gewinnorientiert denkenden und pragmatischen Wirtschaftswissenschaftlern? "Sicherlich kann man sich, je nach individuellem Typ, einer der beiden Gruppen besser zuordnen", sagt Studentin Dorothea Barth. Doch so überspitzt gehe es dann meistens gar nicht zu. Barth jedenfalls kommt mit beiden Gruppen gleichermaßen gut klar.
Ungewöhnliche Kombinationsmöglichkeiten
Einen noch verschrobeneren Ruf haben Informatik-Studenten. Doch auch für dieses Fach lässt sich eine ungewöhnliche Kombinationsmöglichkeit finden: Digital Humanities, ein Studiengang, in dem die Geisteswissenschaften (Humanities) um computergestützte Methoden erweitert werden. Studierende der Digital Humanities sind allerdings noch nicht sehr häufig; nur an 12 deutschen Universitäten kann man das Fach bislang im Bachelor oder Master studieren.
Ein Beispiel ist die Universität Göttingen. Jakob Vogel, 27 Jahre, macht dort gerade seinen Master und begleitet als Tutor die Einführungsvorlesung für Bachelorstudierende mit dem Titel "Was machen eigentlich die Digital Humanities?" Seine Kurzantwort auf diese Frage, mit der man sich sonst ein ganzes Semester lang beschäftigen würde: Die Fragen der Digital Humanities glichen denen normaler Geisteswissenschaftler, "werden aber mit viel technischeren Herangehensweisen beantwortet".
Mögliche Projekte im Studium der Digital Humanities etwa wären die gleichzeitige digitale Analyse von Tausenden neuzeitlichen Romanen oder der Einsatz von Virtual Reality, um neue Perspektiven auf die Welt der Antike zu entwickeln. Heute könne er gar nicht mehr begreifen, wie man klassisch geistes- oder sozialwissenschaftlich studieren und forschen könne, ohne dies auch aus einem digitalen Blickwinkel zu tun, sagt Vogel. Er selbst beschäftigt sich in seiner aktuellen Studienphase mit der automatisierten Erkennung von News Bias in der medialen Berichterstattung, was zum übergeordneten Feld der digitalen Textverarbeitung zählt.
Auf die Idee für sein Studienfach kam Vogel durch sein vorhergehendes Bachelorstudium der Philosophie und Ethnologie. Darin beschäftigte er sich unter anderem mit kulturellen Veränderungen durch die fortschreitende Digitalisierung. "Medien und Computer sind in unserem Leben omnipräsent, und mir ist schnell aufgefallen, dass ich aus geistes- und sozialwissenschaftlicher Perspektive erst dann sinnvoll über die Digitalisierung nachdenken kann, wenn ich mir selbständig ein gewisses technisches Know-how aneigne, was ich dann auch in Form des Programmierens getan habe. Dabei habe ich überraschenderweise gemerkt, dass mir das ziemlich viel Spaß macht. Zuvor hatte ich im Philosophiestudium natürlich schon Veranstaltungen zu Logik besucht, und Programmieren ist letztlich auch nichts anderes als angewandte Logik", sagt der 27-Jährige.
Zusammen mit den 18 Bachelorstudierenden und 10 Masterstudierenden, die in diesem Wintersemester Digital Humanities in Göttingen begonnen haben, bildet Jakob Vogel bundesweit gesehen natürlich eine Minderheit. Doch er glaubt, dass das Studium für viele "reine" Geisteswissenschaftler ebenso geeignet wäre: "Viele unserer Studierenden interessieren sich in der Tat für die klassischen geisteswissenschaftlichen Fragen, wollen aber gleichzeitig auch verstehen, welche Relevanz diese in der heutigen und zukünftigen Welt noch haben. Es sind also Menschen, die sich die Gegenwart sowohl durch den Blick zurück als auch durch den Blick nach vorne erschließen wollen und die Welt daher in zwei Fachsprachen verstehen lernen."
Und nach dem Studium?
Vogel könnte sich eine Tätigkeit im Kultur- oder Wissenschaftsbereich vorstellen, ist aber auch offen für einen Quereinstieg in die IT-Branche. Zum Taxifahren verdammt ist er schon mal nicht. Optimistisch ist auch Dorothea Barth aus Heidelberg, die nach ihrem Englisch/VWL-Abschluss ein Masterstudium der Medienwirtschaft aufnehmen und danach in der Öffentlichkeitsarbeit tätig werden möchte.
Eine weitere Lösung für Freunde wilder Studienfachkombinationen ist und bleibt natürlich auch das Lehramt. Selbst mit einer Zusammenstellung, die vielen als absurd erscheinen mag, so wie Mathematik und Evangelische Religion, welche Eva Prohaska damals recht tapfer wählte. Mittlerweile ist sie Lehrerin an einem Gymnasium im fränkischen Kulmbach und würde im Nachhinein noch einmal dieselbe Studienwahl treffen, obwohl sie damals, abgesehen von einer weiteren Kommilitonin, die Einzige in ihrem Jahrgang an der Universität Erlangen war, die sich an diese Kombination wagte.
"Damals waren aber viele Varianten im Lehramt noch gar nicht möglich, die es heute nun gibt." Beide Fächer, sosehr sie auf den ersten Blick auch auseinanderliegen mögen, hatten etwas für sich, denn: "Beide Fachgebiete sind absolute Grundlagenwissenschaften. Ohne Mathematik und Theologie gäbe es viele andere Wissenschaften wohl gar nicht, da man sehr grundsätzlich über den Menschen, seine Umwelt und darüber Hinausgehendes nachdenkt - in Mathematik in Form der Unendlichkeit der Zahlen, in Theologie in Form von Gott und Transzendenz", sagt Prohaska.
Alltagsthemen und Feierlaune
Etlichen Klischees über die jeweiligen Studentengruppen ist sie auch begegnet - und sie findet, dass etwas Wahres daran ist. "Vor allem die Mathematiker waren echte Nerds, und etliche ähnelten einer Besetzung à la Big Bang Theory, die bei Alltagsthemen – tatsächlich etwa, wie man sich einen Tee kocht – meine Unterstützung gut gebrauchen konnten. Das lag vielleicht aber auch daran, dass man spätestens nach zwei Wochen im Mathestudium das Abiturniveau hinter sich gelassen hatte und voll in die Welt der höheren Mathematik eingetaucht war." Zum Ausgleich hätten die Mathematiker dann aber auch unheimlich gerne gefeiert, und es sei sehr lustig gewesen. Unter den Kommilitonen der Theologie sei es überaus herzlich zugegangen, "die Professoren hier waren aber einem auch sehr menschlich zugewandt und an jedem einzelnen Studierenden persönlich interessiert".
Auch im Lehreralltag habe sich die Fachmischung hinterher als recht tauglich herausgestellt: "Mathematik ist didaktisch natürlich das wohl herausforderndste Fach, weil es bei vielen Schülern nach wie vor als das unbeliebteste gilt." In Religionslehre hingegen lernten sich Lehrer und Kinder von einer ganz anderen Seite kennen; zudem sei der Stoffdruck nicht so hoch wie im Matheunterricht.
Wenn man sich nicht gerade wie Eva Prohaska von Anfang an auf Lehramt eingestellt hat, dann ist der anschließende Berufsweg mit einer ungewöhnlichen Fachkombination natürlich nicht so einheitlich vorgezeichnet wie beim Jura- oder Medizinstudium. Das kann Studierende manchmal Nerven kosten, wenn sie sich wie Dorothea Barth immer wieder zwischen British-Tea-Atmosphäre der Anglistik-Fachschaft und Entrepreneurspirit bei den VWLern entscheiden müssen. Zwei weit auseinanderliegende Disziplinen zu studieren kann den Studierenden aber auch viele Möglichkeiten erschließen, die sie mit einem verschulten, weniger flexibel gestaltbaren Studienfach so nicht hätten.
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