Wahl des Studienortes: Bloß nicht ins Kaff?
- Mariam Misakian

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In der Studienwahl spielt für viele auch der Hochschulort eine wichtige Rolle. Aber es muss durchaus nicht immer München oder Berlin sein.
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Als Antonia Hübner vor vier Jahren ihr Abitur in der Tasche hatte, wollte sie schnellstens raus aus der Kleinstadt – rein ins Großstadtleben. Sie verließ ihre Heimatstadt Bayreuth und schrieb sich für Biowissenschaften an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main ein. Doch die Freude hielt nicht lange an: In der Mainmetropole fühlte sich Hübner schnell verloren, fand kaum Anschluss. "Alles war so anonym", erzählt die heute 23 Jahre alte Bayerin. "Ich habe schnell gemerkt, dass das gar nicht mein Fall ist." Die Goethe-Uni zählt mit ihren rund 47.000 Studierenden zu den größten Hochschulen hierzulande. Für Hübner nicht das Richtige: zu viele Studierende, ein distanziertes Verhältnis zu den Lehrenden, zu wenig Praxisbezug. Schließlich brach sie das Studium nach vier Semestern ab.
Viele angehende Studierende wollen nach dem Abitur am liebsten eins: raus aus ihrem Heimatort, hinein in die Großstadt. Sie erhoffen sich dort eine große Studierenden-Gemeinschaft, mehr Entfaltungsmöglichkeiten und eine interessantere Freizeitgestaltung. Riesige Bibliotheken und eine vielfältige Fächer- und Seminarauswahl machen das Lernen an großen Hochschulen zusätzlich attraktiv. Außerdem schinden die Metropolen-Unis im Lebenslauf Eindruck. Rankings zeigen: Viele Top-Schulen befinden sich in Großstädten. Vor allem die TU Berlin, die LMU München, die RWTH Aachen und die TU Dresden stehen bei Personalern hoch im Kurs, wie Hochschulrankings immer wieder zeigen.
Strukturen wie in der Schule
Zwar stehen kleinstädtische Hochschulen nicht ganz oben in der Gunst der Personaler. Sie können aber mit einem anderen Pfund aufwarten: Sie haben die zufriedensten Studierenden. Das Hochschulranking-Portal Studycheck zeigt, dass sich in den Top 30 der Unis mit den glücklichsten Studierenden jede Menge kleine Einrichtungen finden, etwa die Hochschulen Furtwangen, Stralsund und Aalen. Die LMU München, die RWTH Aachen, die Uni Bonn und die Berliner Hochschulen landen dagegen in der unteren Hälfte der Bewertungen.
Die Studentin Hübner wagte vor zwei Jahren einen Neustart, kehrte Frankfurt den Rücken zu und zog in die bayrische Kleinstadt Freising. Dort studiert sie inzwischen im vierten Semester Landschaftsarchitektur an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf – ein Fach, das nur fünfzehn Hochschulen in Deutschland anbieten. Darunter zwar auch die TU München, die nur einen Katzensprung von Freising entfernt ist. Doch eine große Uni kam für Hübner nach ihrer Frankfurt-Erfahrung nicht mehr in Frage. "Ich weiß nun, wie wichtig mir Praxisbezug und enge Betreuung sind", sagt sie. In Freising studiert sie mit rund 6.000 Kommilitonen, die sich auf 48 Studiengänge verteilen. In Hübners Seminaren sitzen somit meist nur fünfzehn bis zwanzig Studierende. Auch mit der Großstadtanonymität ist es vorbei: "Freising ist ein Nest, aber es ist gemütlich und familiär", erzählt sie. "Wenn ich abends an die Isar gehe, treffe ich dort immer Bekannte."
Allerdings muss Studienanfängern auch klar sein: Wer sich für eine Kleinstadt entscheidet, hat meist nur die Möglichkeit, eine Fachhochschule zu besuchen. Und dort ist der Alltag ähnlich wie in der Schule strukturiert. Einige Tage gehen sogar von acht bis 20 Uhr, viel Zeit für Nebenjobs und Hobbys bleibt da nicht. So ist es auch an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Der Stundenplan ist vorgegeben und ändert sich sogar wöchentlich. Auch am Wochenende gibt es Veranstaltungen. "Das macht den Alltag schwer planbar", sagt Hübner.
Das Großstadtleben hat seinen Preis
An der Universität zu Köln sieht Studieren anders aus: Hier ist die Seminarauswahl in vielen Studiengängen groß, und Studierende können ihre Stundenpläne flexibel an ihre Lebenssituation anpassen. Dafür sind Seminare mit 50 Teilnehmern und Vorlesungssäle mit 700 Hörern je nach Studiengang normal. Jonas Günther studiert hier Medizin im neunten Semester. Dass die Uni so überlaufen ist, macht dem 24-Jährigen wenig aus. "Im ersten Semester hätte ich mir schon mehr Betreuung gewünscht, aber inzwischen finde ich mich auch so zurecht", sagt er. "Wichtig ist, dass man sich Unterstützung sucht. Mit Kommilitonen Teams zu bilden und Beratungsangebote wahrzunehmen hat mir sehr geholfen."
Als Günther im Wintersemester 2014 sein Studium begann, hatte er zunächst mit der Anonymität zu kämpfen – in einer Millionenstadt und an einer Uni mit mehr als 50.000 Studierenden. Sein Rezept gegen die Einsamkeit: Er trat der Fachschaft Medizin bei, engagierte sich in Kommissionen zum Thema E-Learning und wurde irgendwann sogar Vorsitzender des Allgemeinen Studierendenausschusses. Allerdings erinnert sich Günther nur ungern an seine Wohnungssuche im ersten Semester zurück: Das erste halbe Jahr ist er aus seinem Heimatort Rommerskirchen täglich anderthalb Stunden zur Uni gependelt, weil er keine Wohnung finden konnte. "Ich hatte noch Glück", sagt Günther. "Ich hatte Kommilitonen, die ins Hotel ziehen mussten." Wie in den meisten deutschen Metropolen ist der Kölner Wohnungsmarkt hart umkämpft.
"Keine leichte Entscheidung"
Das Großstadtleben hat zudem seinen Preis: Mieten in Städten wie Köln, München, Frankfurt oder Berlin sind nicht gerade studierendenfreundlich. In Köln und Hamburg kostet ein Quadratmeter Wohnfläche etwa 13 Euro Kaltmiete, in Berlin 14 Euro, in Frankfurt 18 Euro und in München sogar um die 26 Euro. Wer allerdings in Rheinbach, Furtwangen oder Stralsund studiert, kommt mit sieben bis acht Euro Kaltmiete pro Quadratmeter aus.
Wer sich nicht sicher ist, wo er sich am wohlsten fühlt, kann sich an einem Tag der offenen Tür in Unis umschauen. Davon hat auch Maren Bendel profitiert. Sie hatte zuerst ein duales BWL-Studium an einer großen Universität begonnen, war dort aber unglücklich: "Die Lehre erschien mir trocken, das Hochschulumfeld trist", erinnert sie sich. In 600 Personen starken Vorlesungen traute sie sich kaum, eine Frage zu stellen, und die standardisierten Lehrinhalte und vielen Multiple-Choice-Klausuren sagten ihr nicht zu. Also orientierte sich Bendel neu. Sie suchte nach einem Fach, das BWL mit anderen Disziplinen kombiniert. Als sie online auf Philosophie, Politik und Ökonomie stieß, fühlte sie sich sofort angesprochen. Damals boten den Studiengang nur zwei Hochschulen in Deutschland an, darunter die Uni Witten/Herdecke im Ruhrgebiet. Bendel hatte nie zuvor von dem Ort gehört. "Anfangs war ich skeptisch", gibt sie offen zu.
Um sich ganz sicher zu sein, besuchte sie ein paar Seminare während eines Tages der offenen Tür und machte bei einer einwöchigen Summer School mit, wo sie erste Uni-Luft schnuppern konnte. Dabei merkte Bendel schnell, dass ihr die Lernatmosphäre und der Campus zusagten – und so bewarb sie sich für ihren Wunschstudiengang. Anders als an den meisten anderen Hochschulen war für ihre Zusage nicht die Abiturnote ausschlaggebend, sondern ihre Persönlichkeit. Bendel musste ein Motivationsschreiben einreichen und bei einem Auswahltag jede Menge Fragen zu ihrer Person sowie zu ihren Werten und Einstellungen beantworten. Heute ist sie froh, dass es geklappt hat. "Der Uniwechsel war damals keine leichte Entscheidung, aber die absolut richtige." An ihren Bachelor in Witten/Herdecke hat sie deshalb direkt noch ein Masterstudium gehängt.
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