Erfolg: Das Statussignal

Autor*innen
Jan Guldner
Ein Mann sitzt auf einem riesigen Pokal und hebt die Arme. Am Boden unter dem Pokal befinden sich weitere feiernde Personen.

Um als Uniabsolvent herauszustechen und später mehr zu verdienen, hilft heute nur die Station an internationalen Eliteuniversitäten, wie Harvard, ETH und Co. Denn im Ausland waren fast alle, und der Doktor ist viel zu verkopft.

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Wenn die Studenten Isolde Hegemann und Maurice Hirt an die einflussreichsten Menschen Europas schreiben, dann bekommen sie fast immer eine Antwort. Und das liegt weder am brillanten Inhalt noch an der eleganten Ausdrucksweise: "Wenn LSE auf der Einladung steht, dann bekommt man auch die großen Namen", sagt Hegemann, Vizepräsidentin der deutschen Studierendenvereinigung der London School of Economics (LSE), die jährlich das German Symposium der Hochschule organisiert. Gerade folgte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihrer Einladung zu einem Vortrag, auch der ehemalige britische Premierminister Tony Blair, BASF-Chef Martin Brudermüller oder Vodafone-CEO Nick Read waren schon da. Und weil LSE in ihrem Lebenslauf steht, könnten auch Hegemann und Hirt selbst einmal zu den großen Namen gehören. Die Londoner Hochschule formuliert an sich selbst den Anspruch, "führende sozialwissenschaftliche Institution mit dem größten globalen Einfluss" zu sein. Die einschlägigen Rankings bestätigen das. Und der Ruf überträgt sich auf die Absolventen. Der Abschluss an der LSE sendet Unternehmen in drei Buchstaben ein unmissverständliches Signal: Wir sind zu höchster Leistung fähig, motiviert – und wir kennen die richtigen Leute.

Wenige andere Institutionen auf der Welt erzielen diese symbolische Wirkung. Die britischen Universitäten Oxford und Cambridge gehören dazu, in den USA die Universitäten in Harvard, Stanford, Yale und Princeton oder das Massachusetts Institute of Technology (MIT), aus Frankreich Insead und die Grandes écoles. In der Schweiz sind es die Eidgenössischen Technischen Hochschulen in Zürich und Lausanne und die Universität St. Gallen. Wer hier studiert, ist privilegiert. Eliteunis können sich die besten Forscher leisten, die neueste Ausstattung, die schönsten Gebäude – und ziehen damit die besten Studierenden an, die später oft zu Großspendern werden. Der ewige Kreislauf funktioniert nach dem Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben.

So festgefahren die Rangordnung auf dem globalen Bildungsmarkt ist, so ungeklärt ist die Frage, ob es deshalb auch das oberste Ziel eines jeden Studenten sein sollte, einen Teil seiner Ausbildung dort zu absolvieren. Das deutsche Hochschulsystem zumindest negiert diese Annahme ausdrücklich. Hat es doch den Anspruch, möglichst vielen jungen Menschen eine möglichst gute Bildung zu verschaffen. In einer Zeit, in der mehr als die Hälfte eines Abiturjahrgangs ein Studium beginnen und in der ihnen mehr als 20.000 verschiedene Studiengänge offenstehen, gelingt das offensichtlich, und zwar ohne dass sich dafür ganze Generationen hoch verschulden müssten.

Aber für die Studenten selbst wird es durch die immense Bildungsexpansion schwer, sich noch von der Masse abzuheben. Wie zeigen die, die sich selbst für überdurchschnittlich begabt halten, das auch auf dem Arbeitsmarkt? Früher mal half dabei der Doktortitel, doch inzwischen klingt es eher nach akademischer Bummelei, wenn einer die zweite Hälfte seiner Zwanziger am Lehrstuhl zugebracht hat. Längere Auslandsstationen wiederum sind ebenso wie klangvolle Praktika so selbstverständlich geworden, dass damit kaum einer auffällt.

"Wenn der Markt unübersichtlich wird, werden Statussignale wichtiger", sagt der Soziologe Alexander Mitterle von der Universität Halle. Das macht die ausländischen Eliteunis attraktiver, denn ein Abschluss dort leuchtet besonders hell.

Teurer, aber nicht produktiver

Forscher haben immer wieder zu berechnen versucht, wie viel mehr Eliteabsolventen im Vergleich zum durchschnittlichen Hochschulabgänger verdienen. Zumindest für die ersten Jahre im Job lässt sich bestätigen: Wer von einer Hochschule von Weltruf kommt, verdient nachweislich mehr. Die genauen Zahlen variieren. Der italienische Ökonom Massimo Anelli schätzt in einer Studie, dass die Eliteabsolventen in den ersten 15 Jahren rund 100.800 Euro mehr verdienen. Andere empirische Studien kommen auf Einkommenssteigerungen zwischen 6 und 40 Prozent.

Nun könnte man diese Zahlen mit der besseren Bildung begründen, die die Eliteunis ihren Studierenden vermitteln und die sie in ihren Berufen so viel produktiver macht, dass ein höherer Lohn gerechtfertigt wäre. Doch so einfach ist es nicht. Eine Forschergruppe um Vasyl Taras von der Universität von North Carolina hat die Produktivität von mehr als 28 000 Absolventen von fast 300 Hochschulen in 79 Ländern über zwei Monate im Job beobachtet. Dann untersuchten sie, ob die Absolventen von Hochschulen, die auf einer globalen Rangliste auf den höheren Plätzen lagen, wirklich produktiver sind, als die auf den hinteren Rängen. Ihr Ergebnis: Selbst wenn zwischen zwei Universitäten 1.000 Plätze auf der Rangliste liegen, unterscheidet sich die Produktivität ihrer Absolventen nur um knapp zwei Prozent.

Vieles spricht also dafür, dass Harvard, Cambridge und Co. nicht mehr Wissen vermitteln. Michael Schneider kann das bestätigen. Der Trierer Professor für pädagogische Psychologie hat Dutzende empirische Untersuchungen zu 105 möglichen Einflussfaktoren zusammengetragen, um die Frage zu klären, was Absolventen leistungsfähiger macht. Sein Fazit: "Präsenzlehre und soziale Interaktion mit Dozierenden und Kommilitonen sind besonders wichtig." Auch die Zeit, die Dozierende in die Vorbereitung ihrer Vorlesungen stecken, sei wichtig, weil diese dadurch klarer und verständlicher werden.

All das sei an den renommierten internationalen Institutionen nicht unbedingt besser als an deutschen Hochschulen. Es gebe keinen empirischen Beleg dafür, dass die dort arbeitenden brillanten Wissenschaftler auch überragende Lehrer seien. Klar, die Eliteunis haben eine bessere Ausstattung. Aber: "Das Äußere, das in Hochglanzbroschüren auftaucht, ist für einen hohen Lernerfolg zweitrangig. Das hilft eher dabei, den Elite nimbus zu pflegen", so Schneider.

Wertvolles Signal

Dass sich ein Elitestudium trotzdem auf dem Gehaltszettel niederschlägt, dürfte sich zum Teil mit der sogenannten Signaling-Theorie erklären. Ihre Verfechter, allen voran der US-Ökonom Bryan Caplan, gehen davon aus, dass an den Hochschulen wenig Relevantes für die eigentliche Arbeit gelernt wird. Erlangt man einen Abschluss, stehe das vielmehr symbolisch dafür, welche geistigen Fähigkeiten man vorher schon hatte. "Arbeitgeber nutzen das als Heuristik, um unter Zeitdruck und unvollständiger Information zu entscheiden, ob Bewerber voraussichtlich gut sind", sagt Michael Schneider.

Ein Studienjahr für 100.000 Euro

Mit diesem Gedanken hat auch Georg Boie, heute Geschäftsführer von EWE Erneuerbare Energien, seine akademische Laufbahn geplant: "Eins dieser Signale kann man vielleicht noch durch Zufall erreichen, mehrere davon zeugen von Durchhaltevermögen", sagt er. Deshalb hat er eine Karriere hingelegt, die auf dem Papier keine Zweifel zulässt. Nach dem Bachelor in Deutschland absolvierte er ein Masterstudium in Oxford, stieg dann bei der Unternehmensberatung Roland Berger ein, später schob er noch einen berufsbegleitenden Master of Business Administration an der Uni Mannheim nach. Für den Erfolg seiner Methode sei vor allem die Station in Oxford entscheidend gewesen, glaubt er. Alle weiteren Schritte bauten darauf auf. Die großen Unternehmensberatungen und Investmentbanken rekrutierten am liebsten von den Eliteunis, diese wiederum seien ein Talentpool für Konzerne.

Nur: Reinkommen muss man erst mal. "Damit ein Signal funktioniert, muss es schwierig zu erlangen sein", sagt Christian Opitz, Professor für Personalmanagement an der Zeppelin Universität Friedrichshafen. Nach Stanford schaffen es zum Beispiel nur knapp vier Prozent derjenigen, die sich bewerben. Ähnlich sieht es an den anderen Top-Institutionen aus. Im Falle von Manager Boie gab die Aufnahme in die Studienstiftung des deutschen Volkes den Ausschlag, für die jedes Jahr die besten Schüler des Landes ausgewählt werden. Ein System, das Boie für besonders fair hält, stelle es doch sicher, "dass unsichtbare Mechanismen wie Herkunft oder finanzieller Status nicht dominieren".

Auch Sami Busch hat die Zulassungshürde genommen, sogar mehrfach. Erst für sein Bachelorstudium in Maschinenbau am MIT, dann für den Master in Stanford und schließlich für den MBA-Abschluss an der Harvard Business School. Trotzdem empfiehlt Busch, der beim familieneigenen Unternehmen Busch Vacuum Solutions im Vorstand sitzt, diesen Werdegang nicht uneingeschränkt. "Um den Nutzen zu schöpfen, muss man ambitioniert sein und wirklich etwas Neues, Bahnbrechendes für sich selbst oder andere schaffen wollen", so Busch. "Wenn es nur darum geht, einen Karriereschritt zu schaffen, dann lohnt sich der Aufwand nicht." Ein Studium an der London School of Economics kostet pro Jahr mehr als 26.000 Euro, für den gesamten Bachelor macht das mehr als 100.000 Euro. Ähnlich viel kostet ein Jahr in Harvard.

Gelohnt habe sich seine Zeit dort vor allem wegen der Kontakte, sagt Sami Busch. "Rückblickend würde ich sagen, das Netzwerk ist das Wertvollste." Bis heute sei er regelmäßig im Austausch mit der Hochschule wie mit seinen ehemaligen Studienkollegen und Professoren. Plant er eine Investition in einem bestimmten Land, kennt er fast immer jemanden, der das schon einmal gemacht hat, ihm Anwälte oder Dienstleister empfehlen kann. "Das ist wie LinkedIn, nur auf einem anderen Level."

Die Netzwerke, die an den elitären Institutionen geknüpft werden, sind einerseits besonders engmaschig, weil Kommilitonen oft mehrere Jahre zusammen auf dem gleichen Campus gewohnt, gelernt und gefeiert haben. Danach verteilen sie sich in die unterschiedlichsten Branchen und Länder, was das Netzwerk andererseits sehr breit macht.

Hinzu kommt noch ein Faktor, den die elitärsten Unis vermitteln und den die amerikanische Soziologin Lauren Rivera in ihrem Buch "Pedigree" nennt. Das englische Wort für Stammbaum soll in der Hundezucht nachweisen, dass ein Tier reinrassig ist. Den Einfluss der makellosen Herkunft beobachtete Rivera auch bei Harvard-Absolventen, die sie bei ihrem Berufseinstieg bei New Yorker Banken und Beratungen begleitet hat: Den Unterschied machen Nuancen im sozialen Umgang und tiefsitzendes Wissen um kulturelle Gepflogenheiten, die man vielleicht schon aus dem wohlhabenden Elternhaus kennt, aber die an den elitären Institutionen erst feingeschliffen werden. Dazu zählt die Forscherin soziale Aktivitäten neben dem Studium, wie zum Beispiel in der College-Mannschaft zu rudern oder in den von Studierenden organisierten Clubs bei förmlichen Abendessen mit Wirtschaftsbossen und Politikern zu plauschen. Das Ziel: Von anderen, die ebenfalls an einer elitären Einrichtung studiert haben, sofort als seinesgleichen erkannt zu werden.

Nichts für Gründer

Allerdings funktioniert das nicht in allen Branchen gleichermaßen. Nora Blum zum Beispiel hat ihren Psychologie-Master in Cambridge gemacht. Als Stipendiatin der Studienstiftung machte sie ihren Bachelor an der Universität York, schloss dort als Klassenbeste ab und erfüllte sich ihren großen Traum: ein Jahr auf dem Cambridge-Campus. "Wenn man da hin will, muss man smart sein, aber auch viel arbeiten", sagt sie, "aber ich war immer schon ein Strebertyp." Sie traf hoch motivierte Kommilitonen, Professoren von Weltruhm und nahm teil an formellen Dinnerpartys in Hallen, die so prunkvoll sind, dass sie als Filmkulissen dienen. Eine tolle Zeit, aber ob es auch ihre Karriere beflügelt hat? "Ich würde das gemischt sehen", sagt Blum. Sie stieg nämlich nicht bei Goldman Sachs oder McKinsey ein – sondern bei der Berliner Start-up-Schmiede Rocket Internet. Und sie gründete danach ein eigenes Unternehmen: Selfapy, eine App, die bei der Therapie von Depressionen unterstützt. Vielleicht sei sie dank Cambridge "etwas leichter reingekommen", auch zu manchen Investoren habe sie deshalb "einen kürzeren Draht", sagt Blum. "Ich hatte aber nie das Gefühl, dass mein Leben anders gelaufen wäre, wäre ich nicht dort gewesen."

Gerade in der Berliner Gründerszene ist sie mit dem Eliteabschluss fast eine Exotin. Um sie herum tummeln sich vor allem Absolventen der Wirtschaftsuni WHU, an der auch der Rocket-Internet-Gründer und Start-up-Pate Oliver Samwer studiert hat. Aus dieser Keimzelle hat sich inzwischen ein ganz eigener, Berliner Gründer-Habitus entwickelt. "Die Marke Rocket ist hier wichtiger und mehr wert, als Cambridge", sagt Blum.

Isolde Hegemann und Maurice Hilt von der London School of Economics haben bereits ihre eigenen Karriereüberlegungen. Hegemann plant, sich in einem Master auf Umwelt- oder Sozialpolitik zu spezialisieren. Oder gar gleich in einem dieser Fächer zu promovieren. Hilt hatte ursprünglich die Idee, "in die politische Richtung" zu gehen. Aber nicht sofort. "Der Quereinstieg aus der Privatwirtschaft wäre vielleicht besser", sagt er. Auf jeden Fall will er einen Master machen, vielleicht in den USA. Sicher sind sich beide in einer Sache: Nach Deutschland werden sie höchstens zum Arbeiten zurückkehren – nicht zum Studieren.

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